Einwanderung: Achtung Gegenverkehr!

Ferienbedingt verspätet der Link auf meine Kolumne in der NZZ am Sonntag vom 14. August.

Es wandern nämlich nicht nur viele Ausländer ein, sondern auch viele Schweizer aus. Immerhin rund 35’000 Eidgenossen jährlich (!) suchen ihr Glück im Ausland. Dies entspricht der Einwohnerzahl der Stadt Freiburg.

Offensichtlich hat auch die SVP die Botschaft verstanden, mindestens Toni Brunner. Die NZZ am Sonntag vom 21. August zitiert den SVP Präsidenten (auf Seite 9) wie folgt: „Es ist Zeit, dass der Bundesrat endlich etwas gegen kriminelle Ausländer und die Massenemigration tut.“ Ob er etwas gegen die Auswanderung von Schweizern oder von Ausländern hat, wissen wir nicht. Leider nur in der französischen Übersetzung.

Wer sich mehr für die Gründe der Auswanderung von Schweizern interessiert, dem sei die Dissertation von Thomas Höppli empfohlen. Eine Kurzfassung der Dissertation findet sich hier, für die SVP auch en français.

Und die Preise bewegen sich doch!

Per Zufall ein lobenswertes Beispiel entdeckt: Jack Wolfskin – ein Geschäft für Outdoorartikel – gibt den Kunden ab heute einen Wechselkursabschlag von 15% weiter („Euro Bonus“). Dies auch auf ohnehin schon reduzierten Artikeln. So günstig habe ich den Buben noch nie Wanderausrüstung kaufen können.

Weltmeister!

Die NZZ hat am Donnerstag gemeldet, dass der Schweizer Franken beinahe Weltmeister der Währungen sei. Nur zwei kleinere Zacken fehlten zur Krone: Die Australischen und Neuseeländischen Dollars hätten sich seit Sommer 2009 noch stärker aufgewertet. Die beiden Rohstoffwährungen zeigen allerdings auch, wie tückisch solche Vergleiche sind. Hätte man die Vergleiche auf Basis des Vorkrisenniveaus gemacht (Sommer 2008 oder früher), beide Dollars hätten sich gegenüber dem Franken deutlich abgewertet. Die Finanzkrise hat sowohl die Australische wie auch der Neuseeländische Währung um rund 20-30 Prozent einbrechen lassen, bevor die sich Unsicherheit auf den Rohstoffmärkten lichtete und sich die Währungen wieder erholten. Diese Erholungsphase wurden im Vergleich der NZZ miteinberechnet, sie verzerrt die Rangliste. Fazit: Der Schweizer Franken ist uneingeschränkter Weltmeister. Auch wenn in der heutigen Zeit nicht alle darin eine ehrenvolle Leistung sehen wollen.

Griechenland: Trick 27

Das gestern geschnürte EU-Paket sieht (wenn wir die z.T. vagen Vereinbarungen richtig verstehen) u.a. vor, dass griechische Schulden

  1. zum Teil in längerfristige (bis 30 Jahre) Schulden umgetauscht werden;
  2. zum Teil am Markt zu Marktpreisen zurückgekauft werden.

Beide Massnahmen haben eine Wirkung gemeinsam: Sie helfen jenen Gläubigern, die ihre Papiere weder umtauschen, noch verkaufen. Wenn Sie der letzte Gläubiger sind, der noch zweijährige Papiere hält, nachdem alle andern in 30-jährige Bonds gewandelt haben, können Sie sich die Hände reiben: Die Rückzahlung ihrer Guthaben ist gesichert. Genau gleich der letzte Inhaber eines Griechenland-Bond, der nicht zu Marktpreisen von 50 oder 80 Prozent an den Europäischen Stabilitätsfonds verkauft: Er bekommt sein Guthaben am Ende voll zurück. Zur Illustration ein Rechenbeispiel aus Monika Bütlers Vorlesung. Und zur Vertiefung ein Artikel von Stijn Claessens und Giovanni Dell’Ariccia.

Profitieren wird also von den beiden erwähnten Massnahmen nicht in erster Linie Griechenland, sondern jene Gläubiger, die bei der Verlängerung oder dem Verkauf nicht mitmachen. Claessens und Dell’Ariccia schreiben klar: „Buybacks may … appeal to governments that want to support their domestic creditors.“ Im Falle der EURO-Länder wären dies Banken und die EZB selber. Zahlen wird jene Griechenland-Gläubiger, die freiwillig oder unfreiwillig verkaufen oder verlängern.

Nachsatz: Je tiefer der Marktpreis der griechischen Schulden, desto billiger kommen Rückkäufe die EU zu stehen. Drum darf man sich in Brüssel und Frankfurt ausnahmsweise darüber freuen, dass Fitch Griechenland heute auf „Default“ gesetzt hat. Rating-Agenturen sind nicht immer böse … (batz.ch schon).

Hellseher Hellwig

Den Ökonomen wird die ganze Zeit vorgeworfen, sie hätten nichts vorausgesehen. Mindestens in bezug auf die Euro-Krise stimmt dies nicht. Prof. Martin Hellwig hat in der Jubiläumsschrift 100 Jahre SNB (Abschnitt 17) gewarnt. Hochanständig, wie es seine Art ist, aber sehr deutlich, wenn man ihn kennt. Zum EU-Krisenmechanismus schreibt er: „However, I have serious doubts about the viability of the arrangement.“ (S. 817). Der Artikel liest sich wie eine Vorahnung der Ereignisse dieser Tage. Er schliesst: „If the crisis transcends the capacity of a single Member State, the ECB would seem to be the only institution that could serve as a lender of last resort. As yet, however, it is politically incorrect to think of the ECB in these terms. This makes me wonder about the viability of the coordination of the central banks’ interventions in such a crisis, as well as the timeliness and effectiveness of the intervention itself.“ (S. 820) Natürlich haben andere ähnliches gesagt. Nur hingehört hat keiner.

Stresstests versus Ratings

Den Stresstests für die europäischen Banken wurde schon im Vorfeld misstraut: Bestimmt sind die Behörden zu milde, um nicht eine Vertrauenskrise auszulösen.

Das Gegenteil wurde den Rating-Agenturen vorgeworfen: Sie kümmern sich nicht darum, dass ein „downgrading“ das Vertrauen in den Schuldner untergräbt und zur selbsterfüllenden Prognose wird.

Wer immer in der gegenwärtigen Schuldenkrise ein Urteil abgeben muss, wird zum tragischen Helden: Die Wahrheit sagen und Panik auslösen — oder einer angemessenen Reaktion der Märkte zuliebe lügen?

Befindet sich ein Philosoph an Bord?