Warum die Immobilienwirtschaft «Basel III» fürchtet

Unter diesem Titel schreckt die Beilage NZZ Domizil vom Freitag ihre ahnungslosen Leser mit einer angedrohten Verteuerung der Hypotheken. „Die Konsequenz [von Basel 3] dürfte eine Senkung des Kreditangebots sein, was mit einer Verteuerung der Darlehen, auch für Hypothekarnehmer, einhergeht.“ Der Autor müsste es wissen, er ist Leiter des Wealth Management Real Estate Research von UBS.

Gleichwohl: Alles halb so schlimm. Der Artikel beruht auf einer Medienmitteilung der deutschen Bundesvereinigung der Spitzenverbände der Immobilienwirtschaft (BSI) bzw. einem Interview mit deren Vorsitzendem, Jens-Ulrich Kissling, vom 26. November 2010. Dieses bezieht sich jedoch auf den deutschen, nicht auf den schweizerischen Hypothekarmarkt. Der deutsche (ähnlich wie der dänische) Markt basiert nämlich auf dem Pfandbrief (”covered bond”), für den unter Basel III tatsächlich leicht weniger attraktive Konditionen gelten. Auf die Schweiz lässt sich das Argument nicht eins zu eins übertragen.

Zum einen: Die Risikogewichtung von Hypothekarkrediten ändert sich zwischen Basel 2 und Basel 3 überhaupt nicht. Zum anderen: Der Schweizer Markt finanziert seine Hypotheken hauptsächlich aus Depositen, siehe z.B. den Aufsatz von Martin Brown Note on Housing Finance in Switzerland. Interessant in diesem Zusammenhang ist auch ein Referat von Thomas Jordan (SNB) mit Datum vom 15. Mai 2008.

Basel 3 oder die Massnahmen des Bundes zur Eindämmung der faktischen Staatsgarantie werden, wie der Autor des NZZ Artikels im übrigen selbst zugibt, zu keiner Kreditklemme in der Schweiz führen. Verschiedene Studien und Umfragen bestätigen dieses. Andere Faktoren wie z. Bsp. die Platzknappheit sind wesentlich tragender wenn es um den Hypothekarmarkt in der Schweiz geht. Eigenheimbesitzer und solche, die es werden wollen, brauchen keine Angst vor der höheren Eigenmittelanforderungen für Banken zu haben, oder sich womöglich unter Zeitdruck gesetzt zu fühlen. Im Gegenteil — das letzte, was Familie Muster brauchen kann, wenn sie eine Hypothek sucht, sind schwach kapitalisierte Banken, die klamm auf ihrem bisschen Geld hocken müssen. Dies gilt nicht nur individuell, sonder auch für die Volkswirtschaft als ganze. Pierre Monnin und Terhi Jokipii haben in einem SNB working paper gezeigt, dass dicke Kapitalpolster der Banken das längerfristige Wirtschaftswachstum nicht bremsen, sondern unterstützen.

Klaus Wellershoff zur Unabhängigkeit der Nationalbank

„Verwundert reibt man sich die Augen: Es herrscht also Preisstabilität, die Wirtschaft wächst und eine der grössten Krisen der Wirtschaftsgeschichte der Schweiz wurde im internationalen Vergleicht hervorragend bewältigt.“
Dies schreibt Klaus Wellershoff zum Leistungsausweis der Nationalbank in der Handelszeitung http://www.handelszeitung.ch vom 17. März. Der Artikel ist sehr informativ und sei allen Interessierten wärmstens empfohlen. http://www.wellershoff.ch/media/publications/pdf/Essay-Handelszeitung-2011-03.pdf

Die Folgen der Demokratisierung: Was wird aus Tunesien und Ägypten?

Die jüngsten Demokratiebewegungen in vielen arabischen Ländern wie Tunesien oder Ägypten gründen auf einer tiefen Unzufriedenheit mit den politischen, aber auch mit den wirtschaftlichen Verhältnissen in diesen Ländern. Die Menschen werden von der Hoffnung auf eine vielversprechende Zukunft angetrieben, die Mitbestimmung, Demokratie, und auch wirtschaftlichen Wohlstand verheißt.

In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage nach den Erfolgsaussichten von Übergängen zur Demokratie. Hier gibt es überraschend wenig eindeutige Evidenz, dass Demokratien wirklich schneller wachsen oder bessere Institutionen implementieren als Autokratien oder Zwischenregimes mit formal-demokratischen Strukturen, in denen dennoch bestimmte Eliten die Macht monopolisieren (sogenannte Anokratien). Aktuelle Forschungsergebnisse zeigen jedoch, dass es nicht notwendigerweise demokratische Reformen sind, die Wachstumsimpulse oder bessere Institutionen nach sich ziehen, sondern das Szenario, unter dem diese Reformen stattfinden. So zeigt ein Blick auf die Demokratisierungsepisoden der „dritten Welle“ (seit Anfang der 1970er Jahre), dass demokratische Übergänge, die unter gewaltsamen Szenarien stattfanden, keine oder sogar negative Effekte auf Wirtschaftswachstum und Qualität der Institutionen hatten. Dagegen führten friedliche Übergänge zur Demokratie zu signifikant höherem Wachstum und besseren politischen wie wirtschaftlichen Institutionen.

Die Zukunftsperspektiven von Ländern wie Tunesien oder Ägypten hängen also direkt mit den derzeitigen Protesten zusammen. Während in Tunesien vieles auf einen friedlichen Übergang hindeutet, ist die Lage in Ägypten unübersichtlicher und dramatischer. Es wird also darauf ankommen, ob die herrschenden Eliten und das Militär einen friedlichen Übergang gewährleisten und sogar unterstützen, oder ob sich die Gewalt durchsetzt und damit die Hoffnung auf Demokratie und Wohlstand (zumindest statistisch) trübt oder gar zerstört.

Ein längerer Artikel zu dem Thema ist am 5.2.2011 im St. Galler Tagblatt erschienen. Die erwähnten Forschungsergebnisse sind auf Anfrage verfügbar und werden kommende Woche als Discussion Paper in der HSG Econ DP Series erscheinen.

Prof. Dr. Uwe Sunde ist ordentlicher Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität St.Gallen. Seine Forschungsarbeit befasst sich mit den Voraussetzungen für langfristiges Wirtschaftswachstum.

Was ist nur mit Irland passiert?

Irland erlebte in den letzten zwei Jahrzehnten einen rasanten Aufstieg zum Wachstumssuperstar. In den Jahren 1990-2007 schaffte der Keltische Tiger eine Verdoppelung der Beschäftigung und eine Vervierfachung des realen BIP. So schien es, dass Irland gemessen an der Kaufkraft auch die Schweiz wirtschaftlich überholt hatte (siehe Batzeintrag vom 19. Januar 2010). Schon damals bestanden Zweifel, ob dies auch tatsächlich der Realität entsprechen würde. So überstieg das Schweizerische Bruttosozialprodukt (BSP) – ein besseres Mass für die Einnahmen der in der Schweiz lebenden Personen – die Einnahmen aus der Inlandproduktion wegen ansehnlicher Faktoreinnahmen aus dem Ausland in den Jahren 1990-2008 um durchschnittlich 4%, bei Irland war es genau umgekehrt.

 Das irische Wachstumswunder gehört der Vergangenheit an; das Bruttosozialprodukt Irlands sank bis Ende 2009 real um ganze 17%. Dies war der tiefste und schnellste Einbruch einer westlichen Volkswirtschaft in den letzten Jahrzehnten. Und auch für 2010 bleiben die Aussichten düster. Kein Wunder fragen sich viele: „Whatever Happened to Ireland?“

 Zwei neue Arbeiten zeigen nun auf, dass das Wachstum in Irland seit 2000 nicht mehr auf eine Zunahme der Wettbewerbsfähigkeit und der Produktivität zurückzuführen war, sondern zumindest teilweise auf spekulative Blasen im Finanz- und Immobiliensektor .

 Gemäss Gregory Connor, Thomas Flavin und Brian O’Kelly war das irische Kreditumfeld dermassen prekär, dass die irische Kreditkrise wahrscheinlich auch ohne die weltweite Finanzkrise eingetreten wäre. Als die drei wichtigsten Gründe erwähnen die Autoren eine riesige Nettokreditaufnahme des irischen Bankensektors auf ausländischen Märkten, astronomisch überhöhte Preise (stratospherically overpriced) auf den Immobilienmärkten und eine äusserst lockere Kreditvergabe durch die Banken für spekulative Immobiliengeschäfte. Erst an vierter Stelle sehen Connor, Flavin und O’Kelly die Folgewirkungen der US-Kreditkrise und der darauffolgenden Liquiditätsengpässe im Interbankgeschäft.

Morgan Kelly kommt in seinem Beitrag zu ähnlichen Schlüssen. Das Kreditvolumen der Banken stieg von 60 Prozent des BSP im Jahre 1997 auf  200 Prozent im Jahre 2008. Dadurch wurde eine Immobilienpreisblase und ein Bauboom ausgelöst. Ganze 20 Prozent des BSP kamen kurz vor der Krise vom Bau (Vergleich: In der Schweiz sind dies rund 5 Prozent). Der Bauboom erhöhte die Beschäftigung, führte zu einem starken Anstieg der Löhne und generierte dadurch höhere Steuereinnahmen, die wiederum zu mehr Staatsausgaben führten. Der Zusammenbruch der Kreditblase bescherte Irland eine hohe Arbeitslosigkeit, nicht wettbewerbsfähige Löhne, ein riesiges Defizit und die insolvente Banken. Die irische Regierung hat bereits rund die Hälfte eines jährlichen Volkseinkommens für die Deckung von Verlusten der Banken im Immobilienmarkt zugesagt. Dies dürfte bei weitem nicht ausreichen.

 Kelly schliesst mit folgender Bemerkung: „From export driven growth in the 1990s, the Irish economy segued imperceptibly into a credit fuelled construction bubble where competitiveness no longer appeared to matter and it seemed to Irish people that they could become rich by selling houses to each other.“

Ähnlichkeiten mit anderen PIGS Ländern sind nicht rein zufällig…

Ein Studium des Nutzens von Nutzenstudien

Gestern in der NZZ gefunden: Ein interessanter Aufsatz zum fraglichen Nutzen der weitverbreiteten Nutzenstudien verfasst von meinem Berner Kollegen Reto Föllmi: Was nützen die Nutzenstudien?.

 „Der Stoff ist (leider) zeitlos“ schreibt mir Reto Föllmi; frühere Beiträge zumselben Thema haben auch nichts genützt.

Hier eine Auswahl:

Konsum hängt nicht von Bahn und Bus ab. Kritik an Studie zum öffentlichen Verkehr. Reto Föllmi und Urs Meister, NZZ 23. Oktober 2004.

Wie Studien die Wirtschaft fünfmal grösser machen. Tilman Slembeck, NZZ am Sonntag, 3. Dezember 2006.

Bass erstaunt. Fragwürdige Studie zum Nutzen von Sozialleistungen. Silvio Borner, NZZ 6. Januar 2007. Mit Folgebeitrag „Ökonomen glauben nicht an Wunder“, ebenfalls von Silvio Borner, NZZ 18. Januar 2007.

RAV online – ein Erfahrungsbericht

Wir suchen eine Haushalthilfe mit circa 50%-Pensum. Das wäre keinen Blogeintrag wert. Dafür die Online-Stellenvermittlung Treffpunkt Arbeit: Die vom seco organisierte Informationsplattform ist zumindest aus der Sicht potentieller Arbeitgeber verbesserungsfähig — um es milde auszudrücken.

Eine Online-Suche nach Haushalthilfen/Haushälterinnen für den Arbeitsplatz Zürich lieferte am Stichtag 168 Hits. Die vom Computer ausgespuckte Liste enthielt folgende Information: Je eine Identifikationsnummer im Format AE123456, Kanton und Beruf. Neben einer für uns nutzlosen Nummer somit die zwei Suchbegriffe, die wir bereits selber eingegeben hatten. Hingegen keine brauchbare Kurzbeschreibung wie: „Ältere Italienisch sprechende Frau sucht 60% Stelle in Familie mit Kindern“, welche mindestens eine erste Vorauswahl zugelassen hätte.

Die 168 potentiellen Bewerberinnen müssen einzeln angeklickt werden. Das Studium der Einträge ist allerdings wenig ergiebig: Es finden sich auch im Dossier keine Informationen, die einem potentiellen Arbeitgeber erlauben würden, eine engere Auswahl zu treffen und sich dann mit dem Regionalen Arbeitsvermittlungszentrum (RAV) in Verbindung zu setzten. Abgesehen davon, dass alleine schon die Ansicht von 168 Profilen mehrere Stunden dauern würde.

Im Dossier finden sich Informationen zu Alter, Geschlecht, Führerausweiskategorie (meistens B) und detaillierte Infos über den Aufenthaltsstatus. Letzteres, obwohl des RAV kaum Personen ohne Arbeitsbewilligung vermitteln dürften. Der Wohnort wird nicht erwähnt,  dafür die Bereitschaft diesen zu wechseln (fast immer „nein“). Aus der Adresse des RAV ist dann der ungefähre Wohnort indirekt doch ersichtlich.

Aus gut gemeinten Datenschutzgründen nicht erwähnt wird die Nationalität. Bei einer Person mit Bewilligung F (= vorläufig aufgenommen) und Muttersprache Französisch wird es sich allerdings kaum um eine Französin handeln. Apropos Sprachen: Unter den aufgelisteten Kandidatinnen scheint es einige Sprachwunder zu geben, die neben ihrer Muttersprache mehrere Sprachen in Wort und Schrift gut beherrschen. Mindestens steht es so im Dossier.

Am Schluss bleibt Ratlosigkeit: Wie soll denn ein potentieller Arbeitgeber aufgrund dieser Angaben Kandidatin AE123456 (46, Aufenthalt B, Muttersprache Spanisch, Wohnortswechsel nein, Tagespendler) von Kandidatin AE987654 (35, Aufenthalt C, Portugiesisch, Wohnortswechsel nein, Tagespendler) unterscheiden können? Es fehlen genau die Informationen, welche normalerweise in der Stellenvermittlung im Zentrum stehen: Frühere Erfahrungen, Fertigkeiten (Kochen? Bügeln?), Motivation, persönliche Angaben, Engagement, Flexibilität und zeitliche Verfügbarkeit.

Möglich, dass das RAV die Zügel selber in der Hand behalten möchten, weil es die Bewerberinnen besser kennt. Mit der gewählten Informationsstrategie steigt allerdings die Chance auf erfolgreiche Vermittlung kaum.

Flirts und Zwangsehen in der Geldpolitik

Peter Keller kommentiert in der heutigen Weltwoche den Flirt des IWF Chefökonomen Olivier Blanchard mit höheren Inflationsraten. Leider ist auch eine moderate Inflation nicht so harmlos wie sie scheint. Die Kosten tragen in erster Linie die sozial schwächeren, die Kleinsparer und Rentner, die sich nicht vor den Folgen der Inflation schützen können. Aber auch die ganze Volkswirtschaft, wie die historischen Beispiele zeigen. Ein Flirt mit moderaten Inflationsraten zum Zweck der Schuldensanierung führt leicht zu einer Zwangsheirat mit hoher Inflation und Instabilität. Letztlich ist auch eine Scheidung von der Inflation teuer. Und die Scheidungskosten tragen ebenfalls die Kleinen. Der Präsident des Direktoriums der Schweizerischen Nationalbank Philipp Hildebrand und der Präsident der Deutschen Bundesbank Axel Weber haben dem Vorschlag auch aus geldpolitischer Perspektive eine klare Absage erteilt. Die Argumente für eine höhere Inflation beruhten auf falschen Annahmen.

Woher das Wort „flirt“ kommt ist etymologisch nicht eindeutig geklärt.  Möglicherweise vom altfranzösischen fleureter, blumigen Unsinn schwatzen. Hoffentlich bleibt es diesmal beim Geschwätz. Lesetipp: Stefan Zweig, Die Welt von Gestern. Im Buch werden die dramatischen Folgen einer galoppierenden Inflation im Österreich der Zwischenkriegszeit beschrieben.

Rentenklau durch Inflation

Der Chefökonom des Internationalen Währungsfonds IWF, der MIT-Professor Olivier Blanchard, schlägt eine Erhöhung des Inflationsziels auf circa 4% vor.

Erstaunlich am Vorschlag ist vor allem, wie wenig Echo er bisher ausgelöst hat. Er betrifft ja nicht nur die Geldpolitik, sondern auch den Staatshaushalt sowie die Einkommens- und Vermögensverteilung.  Das mögen abstrakte Grössen sein. Weniger abstrakt, aber offensichtlich unterschätzt ist, dass von höheren Inflationsraten auch Rentensysteme stark betroffen sind. So wird in der Schweiz momentan heftig über die vorgeschlagene sechsprozentige Senkung des Umwandlungssatzes von 6.8% auf 6.4% gestritten. Eine Erhöhung der durchschnittlichen Inflationsrate von 1% auf 4% käme jedoch – über die ganze Rentendauer gesehen – einer Senkung des Umwandlungssatzes um bis zu 25% gleich. Ohne dass jemand etwas dazu sagen könnte.

Den stabilitätsgewohnten Schweizern dürfte gar nicht mehr klar sein, wie sehr schon eine relativ geringe Inflation die Kaufkraft der Renten schmälern kann. Im Alter von 75 Jahren – einem Alter, in dem fast 90% der Rentenbezüger oder deren rentenberechtigte Partner noch leben – ist bei einer nicht ausgeglichenen Inflation von 2% die Kaufkraft der Rente 18% tiefer als bei der Pensionierung, bei einer Inflation von 4% sind es bereits 34%. Bei einem zu hohen Umwandlungssatz dürfte auch der Passus im BVG, dass die „Pensionskassen die Teuerung der Altersrenten im Rahmen ihrer finanziellen Möglichkeiten ausgleichen“, ein frommer Wunsch bleiben.