Gratwanderung

Die NZZaS hat für meinen Artikel den Titel „Im Nachhinein ist man immer schlauer“ gewählt. Dies ist an sich richtig. Wichtig war mir aber auch die Botschaft: Wechselkurspolitik ist eine Gratwanderung: Die Schweiz kann es sich keines der Extreme leisten: Anbindung an eine fremde Währung oder Verzicht auf jede Kursintervention.

5 thoughts on “Gratwanderung

  1. Herr Birchler, Sie erachten es als selbstverständlich, dass der Geldmarkt vom Staat vollständig kontrolliert wird. Glauben Sie wirklich, dass der Staat dadurch irgendeinen Wert schöpft oder irgendwelche Probleme verhindert? Der entsprechende Leistungsausweis ist nämlich äusserst enttäuschend. Seitdem der Staat eine Art makroökonomische Zentralplanung verfolgt, sind wir zwischen himmelhochjauchzenden Booms und abgrundtiefen Rezessionen hin- und hergerissen. Diese Bewegungen sind heute weit heftiger und schmerzvoller als in vergangenen Jahrhunderten. Von einem ausgeglichenen Wirtschaftsverlauf oder gar von „Preisstabilität“ kann keine Rede sein.

    Preisbewegungen nach oben oder unten haben einen Sinn. Eine Rezession bedeutet, dass der vorhergehende Trend nicht nachhaltig war. Sie befreit das System von den nicht nachhaltigen, unerwünschten Komponenten und bringt schliesslich stärkere Unternehmen und sinnvollere Arbeitsstellen hervor.

    Doch wenn der Staat die Menge und Preise seines Geldes verändert, dann verlieren Preise ihre Signalwirkung. Produktion, Konsum und Investitionen geraten aus dem Gleichgewicht. Rezessionen werden nicht verhindert, sondern nur aufgeschoben. Schlussendlich kommt es dann doch immer zu einer Korrektur, die umso schmerzhafter ausfällt.

    Ich möchte Ihnen nahelegen, das Buch „Ethik der Geldproduktion“ von Guido Hülsmann zu lesen. Es ist auch kostenlos online verfügbar: http://tinyurl.com/6gbq6bk

  2. Sehr geehrter Herr Prof. Birchler

    Ihr beruflicher Werdegang demonstriert, dass Sie in Belangen der Geldpolitik weitaus kompetenter sind als ich. Ich bin ein Unternehmer. Ich stelle jedoch folgende Fragen, die Sie mir vielleicht beantworten können:

    Gerade in den letzten Tagen konnte man in den Zeitungen von einem „Gentleman Agreement“ lesen, in welchem sich die Schweizer Grossbanken in einer Absichtserklärung von spekulativen Geschäften gegen den Euro fernhalten sollen. Angeregt wurde diese Diskussion vom Volkswirtschaftsminister und – so denke ich – vom Präsidenten der Schweizerischen Notenbank.

    Es fand unter Ökonomen eine Debatte statt, ob Spekulation massgeblich für den tiefen Eurokurs mitverantwortlich ist oder nicht. Ich persönlich bin überzeugt, dass praktisch alleine die strukturellen Schwächen in verschiedensten Euroländern den tiefen Eurokurs verursacht haben.

    Nun zum Kern der Sache: Offenbar tappt man im Kreise der schweizerischen Geldpolitiker etwas im Dunkeln. Ist es angesichts solcher Ungewissheiten geldpolitisch vernünftig, derart gewaltige Euroreserven aufzubauen? Ein grosses Investment tätigt man doch in der Regel nur, wenn man in Bezug auf den Investitionsgegenstand einigermassen Klarheit, respektive Transparenz hat. Es kann doch nicht sein, dass sich die Nationalbank allenfalls in ein Spiel mit Spekulanten einlässt und erst im Nachhinein Spielregeln definieren will. Wie stellen Sie Sich zu meinen Überlegungen?

  3. @Urs Birchler:
    Ich fand ihre Position interessant, möchte Sie aber bitten, auch noch behavioristische Elemente in ihre Theorie miteinzubeziehen. Ein starker Franken ist heute kein Problem mehr, auch nicht für Exporteure: zunächst wird in der Schweiz hauptsächlich Wissen produziert – auch unsere Industrie beruht darauf. Wechselkursschwankungen beeinflussen daher das BIP-Wachstum nicht sehr stark.
    Nich einmal die Exporte leiden: In der Maschinenindustrie werden CH-Produkte nicht gekauft, weil sie billig sind, sondern wegen ihrer Qualität. Einzelne Aufträge werden an Deutschland verloren, aber das schadet der Schweiz kaum.
    Unterm Strich profitiert die Schweiz von einem billigen Euro: Die CH importiert mehr aus der EU, als sie exportiert!
    Wennschon sollte die SNB Dollar kaufen, wie China das tut. Aber ich hoffe nicht, dass die Schweiz sich nach chinesischem Vorbild in nächster Zeit dazu berufen fühlt, die US-Schulden zu finanzieren.

    Des Weitern antizipieren die Marktteilnehmer die Entwicklungen und hedgen mögliche Wechselkursschwankungen ab.
    Deswegem spööte das Verhalten der SNB möglichst vorhersagbar sein und nicht möglichst „gut für den Arbeitsmarkt“ oder ähnliches. Die SNB soll den Franken stabilhalten (Inflation möglichst tief), ohne aber das Land in eine Deflation geraten zu lassen. So wissen alle Marktteilnehmer immer, woran sie sind – und ausländische Investoren können sich weiterhin auf die Schweiz verlassen. Denn unsere Stabilität ist unsere Stärke.

    Sollte der Wechselkurs die Schweiz in eine Deflation führen, müsste die SNB natürlich intervenieren – aber nicht einfach nur, weil ein paar Firmen gutes Lobbying betreiben.
    Das Exportunternehmen, für welches ich arbeite, verzeichnete 2010 gegenüber 2009 eine Umsatzverdreifachung. Trotz des Frankens.

  4. Sehr geehrte(r) „rt“

    zu Ihrem letzten Abschnitt: Wie viele betrachten Sie die Eurokäufe der SNB als „Investition“, die Gewinn bringen oder zumindest Verluste vermeiden soll. Dies ist zu partiell. Die SNB hat den Auftrag, Preisstabilität zu bewahren (und zur Finanzstabilität beizutragen, etc.). Wechselkursinterventionen sind diesem Ziel untergeordnet — unabhängig davon, ob sie buchhalterisch profitabel oder verlustbringend sind. Auch der Vorwurf (den Sie nicht erheben), die SNB verlange von den Banken ein Risikomanagement, sei aber selber dazu nicht fähig, beruht auf einem tiefen Unverständnis der Geldpolitik.

  5. Sehr geehrter Herr Prof. Birchler

    Ich bedanke mich für die Veröffentlichung meines Beitrages und die Beantwortung meiner Frage.

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