Adventskalender 17

Heute sendet der Batz einen Adventsgruss an unsere Schweizer Ökonomenkollegen im Ausland.

Wussten Sie, dass 112 Schweizer Ökonomen an ausländischen Universitäten forschen und lehren, davon 55 in Nordamerika, 13 in Grossbritannien, 9 in Deutschland und 6 in Spanien? 24 von ihnen präsentieren nächsten Dienstag jüngste Forschungsergebnisse anlässlich der Jahreskonferenz von „Swiss Economists Abroad“.

Adventskalender 12

Wir sind ein gschaffiges Völkchen. Der aktuelle Ertragsbilanzüberschuss der Schweiz wird auf 79 Milliarden Dollar geschätzt. Das heisst, jeder Bewohner unseres Landes erarbeitet pro Jahr ausländische Nettoguthaben im Wert von 10’000 Dollar.

Wenn wir so weiterwirtschaften, dann gehört uns in 700 Jahren die ganze Welt.

Allen, die denken, dass wir mit der globalen Feudalherrschaft durchaus noch etwas länger zuwarten können, lege ich eine Weihnachtsspende an Ruanda (Ertragsbilanzdefizit: 0,3 Milliarden Dollar) ans Herz.

Steuerwettbewerbspolitik nach dem 28. November

Die jüngsten Umfragen deuten darauf hin, dass es eng werden könnte für die „Steuergerechtigkeitsintiative“. Am interessantesten aus meiner Warte wäre eine knappe Ablehnung durch das Stimmvolk, möglicherweise gar in Form einer nationalen Ja-Mehrheit ohne das erforderliche Ständemehr. Unter einem solchen Szenario dürfte durchaus parlamentarischer Wille für die Errichtung zusätzlicher Steuerwettbewerbs-Leitplanken entstehen, und die Suche nach sinnvollen Lösungen ginge weiter.

Einige Politiker haben auf Anfrage von Journalisten bereits laut über eine solche Zukunft nachgedacht. Etwas überraschend muten dabei die kolportierten Lösungsansätze gewisser bürgerlicher Politiker an. Eine Gruppe von Nationalräten schlägt vor, dass die Kantone untereinander strengere Spielregeln aushandeln. Dies stände dem föderalistischen Staatsgedanken gewiss näher als per Bundesverfassung vorgeschriebene Mindeststeuersätze. Es ist allerdings nicht klar, wieso einzelne Kantone zu Konzessionen bereit sein sollten in einem ganz auf Freiwilligkeit beruhenden System. Zudem besteht eine vorgeschlagene Form solcher interkantonaler Abkommen aus Bandbreiten für die zulässigen Steuersätze. Ein solcher Ansatz wäre der vorliegenden SP-Initiative sehr ähnlich, denn er würde die materielle Steuerautonomie der Kantone beschneiden.

Die erstaunlichste Aussage stammt jedoch von Bundesrätin Widmer-Schlumpf. Sie schlägt vor, die Bundesbeiträge im Finanzausgleich aufzustocken. Eine solche Umschichtung der Geldflüsse liefe auf eine Verlagerung der Steuerabschöpfung von den Kantonen auf den Bund hinaus. Je stärker jedoch das fiskalische Gewicht des Bundes, und je schwächer das der Kantone und Gemeinden, desto weniger kann der inner-helvetische Steuerwettbewerb spielen.

Am sinnvollsten scheint mir weiterhin eine sanfte Reform des Finanzausgleichs mittels einer progressiveren Gewichtung der persönlichen Einkommen und Vermögen in der Berechnung des Ressourcenindexes. Der administrative Aufwand wäre äusserst gering, denn die Kantone übermitteln bereits im existierenden System Steuerdaten auf individueller Basis ans Eidgenössische Finanzdepartement (EFD). Und das EFD wendet schon jetzt eine leicht progressive Formel an, indem es steuerbare Einkommen bis zu einem Freibetrag von knapp 30’000 Franken aus der Berechnung des Ressourcenpotentials ausspart. Diese Null-Gewichtung im untersten Bereich könnte man nun ganz einfach um eine höhere Gewichtung im obersten Bereich ergänzen. Eine derart umgestaltete Index-Berechnung wäre durchaus mit einem unveränderten Gesamtvolumen der Ausgleichszahlungen vereinbar. Es entstände also keine Aufblähung der Umverteilung sondern bloss eine Umlagerung der Anreize für die kantonale Steuerpolitik vom allerobersten aufs obere, oder vom oberen aufs mittlere, Einkommenssegment – je nach genauer Ausgestaltung.

Irische Weisheit

Während in der gegenwärtigen helvetischen Steuerdebatte kaum Existentielles auf dem Spiel steht, geht es in Irland um wirtschaftspolitisches Sein oder Nichtsein (sprich: Staatsbankrott). Im Moment, da die irische Regierung in Schulden zu versinken droht, denkt sie über alle möglichen neuen Einnahmequellen nach.

Nur eines schien bisher Tabu: der Unternehmensgewinnsteuersatz von 12.5 Prozent, welcher nach zwei Jahrzehnten sprudelnder ausländischer Direktinvestitionen zum Aushängeschild der irischen Wirtschaftsfreundlichkeit geworden ist. Dieser Steuersatz wurde unlängst von einer Ministerin als so unabdingbar für die irische Wirtschaft bezeichnet wie die Sonne für den französischen Wein oder die mittelständische Technik-Tradition für die deutsche Industrie.

Besonnenere Geister hingegen lassen sich nicht davon abhalten, auch über einen Tabubruch nüchtern nachzudenken. Ein gutes Beispiel ist die gestern gebloggte Analyse durch Ron Davies. Davies hat sich in seiner Forschung intensiv mit der Steuerempfindlichkeit von internationalen Investitionsströmen befasst. Er ist somit wohl der beste Kenner der Materie in Irland. Und dennoch (oder gerade deshalb!) gesteht er ein geraumes Mass an Unwissen ein. Was würde eine Anhebung des Steuersatzes auf 15 Prozent bedeuten? Dass gewisse Firmen wegziehen oder nicht zuziehen: sehr wahrscheinlich. Dass so viele Firmen wegziehen, dass die Steuereinnahmen unter der Strich sinken: nicht unbedingt, aber schwer zu sagen.

Letztlich geht es in solchen Fragen immer um die Steuerempfindlichkeit der Steuerzahler (oder, im Jargon, um die „Elastizität des Steuersubstrats“). Dass einige Steuerzahler auf Änderungen des Steuersätze reagieren ist unbestritten, ja trivial. Wie stark solche Reaktionen ausfallen ist die entscheidende Frage, und die Antwort ist selten einfach.

Die Reichen werden wieder reicher

Unsere begüterten Mitbewohner stehen gegenwärtig im Zentrum des politischen Interesses. Um das Feld in dieser Hinsicht nicht ganz den Soziologen zu überlassen, hier eine aktualisierte Version der langen Datenreihe von Dell, Piketty und Saez (2005), welche den Vermögensanteil des reichsten Prozentes der Steuerzahler erfasst.

Dell, Piketty und Saez hatten festgestellt, dass die Vermögenskonzentration in der Schweiz einerseits sehr hoch und andererseits relativ stabil war. Ihre Zahlen reichten jedoch nur bis 1997. Mittels jüngster Ausgaben der schweizerischen Vermögensstatistikist es nun möglich, diese Serie bis 2007 zu verlängern.

Aus den neuen Datenpunkten wird seit der Jahrtausendwende eine intensivierte Vermögenskonzentration auf die reichsten Steuerzahler ersichtlich. Ein weiterer Blick in die Statistik zeigt, dass das Durchschnittsvermögen der unteren 80 Prozent von 1997 bis 2007 um real 28 Prozent wuchs, von gut 38’000 auf knapp 49’000 Franken in Preisen von 2010. Im gleichen Zeitraum stieg das durchschnittliche Vermögen des obersten Prozentes jedoch um real 60 Prozent, von 7.5 auf gut 12 Millionen Franken.

Über die Ursachen dieser Tendenz und über ihren weiteren Verlauf seit Ausbruch der Finanzkrise kann man zur Zeit höchstens spekulieren. Und vor solcher Spekulation hütet sich der Ökonom bekanntlich.

Mein Dilemma mit der Steuergerechtigkeitsinitiative

In den letzten Tagen habe ich mehrere Leute enttäuscht: Gegner der „Steuergerechtigkeitsinitiative“, weil ich ihre Ablehnung nicht öffentlich zu teilen bereit war; Befürworter derselben Initiative, weil ich auch ihre Position nicht öffentlich unterstützen wollte; und diverse Medienschaffende, weil mir keine markigen Aussagen zu entlocken waren.

Nicht, dass mich diese Vorlage kalt liesse. Als Ökonom, der sich wissenschaftlich mit dem Steuerwettbewerb befasst und dazu eben ein grösseres neues Forschungsprojekt lanciert hat, interessiert mich die Frage brennend.

Steuerwettbewerb und direkte Demokratie sind bewährte schweizerische Rezepte zur Mässigung staatlicher Finanzbegehrlichkeiten. Dennoch ist der Steuerwettbewerb, wie jeder Martkmechanismus, kein vollkommenes System. Der Steuerwettbewerb bevorzugt mobile (sprich: reiche) Steuerzahler und kleine, attraktiv gelegene Gemeinden und Kantone, und dies möglicherweise zu Ungunsten der mittleren Einkommen und der grossen oder abgelegenen Kantone. Von welchem Punkt an solche Ungleichgewichte „ungerecht“ werden, ist Ansichtssache. Zudem gibt es meines Wissens keine wissenschaftliche Studie über die Verteilungswirkungen des innerhelvetischen Steuerwettbewerbs der letzten Jahre. In meiner – zugegeben subjektiven – Einschätzung, hat das Steuergerangel um die lukrativsten Steuerzahler eine Intensität erreicht, die gewisse zusätzliche Leitplanken rechtfertigen würde. Somit bin ich dem Anliegen der Initianten durchaus wohlgesinnt.

Wenn ich mich dennoch nicht für die SP-Initiative einsetze, dann in erster Linie wegen derer gewählten Methode. Die Festlegung von Mindeststeuersätzen in der Verfassung ist dem ökonomisch denkenden Menschen ein Gräuel. Wieso eine Untergrenze von 22 Prozent? Wieso nicht 15 Prozent, oder 27.43 Prozent? Die Antwort liegt im politischen Kalkül: Mit einem Minimalsatz von 22 Prozent war der Kanton Zürich gerade nicht betroffen. Ökonomische Logik liegt dahinter jedoch keine.

Eine flexiblere, wenn auch weniger simpel kommunizierbare, Lösung wäre mittels einer rechnerischen Anpassung des interkantonalen Finanzausgleichs denkbar. Die wichtigste Kennzahl des 2008 in Kraft getretenen neuen Finanzausgleichs ist der „Ressourcenindex“, der bestimmt wer wie viel in den gemeinsamen Topf einbezahlt oder daraus ausbezahlt erhält. Dieser Index besteht in etwa aus der Summe der steuerbaren Einkommen eines Kantons. Es dürfte nun nicht schwierig sein, statt alle Einkommen einfach aufzuaddieren, steuerbare Einkommen über einer gewissen Schwelle stärker zu gewichten. Das könnte zum Beispiel bedeuten, dass ein Kanton, der eine zusätzliche Million an Steuersubstrat anlockt, mehr in den gemeinsamen Topf abliefern müsste, wenn dieses neue Substrat auf einen einzigen Einkommens-Millionären zurückzuführen wäre, als wenn es sich dabei um zehn neue Mittelklasse-Haushalte handeln würde. Somit behielten die Kantone die Freiheit, ihre Steuersätze frei zu bestimmen, aber der Anreiz zu aggressiven Steuervergünstigungen im obersten Segment würde abgeschwächt.

Nimmt das Volk die Initiative am 28. November an, dann ist unsere Verfassung um einen uneleganten Artikel reicher. Der Steuerwettbewerb würde damit jedoch – entgegen gewisser überzeichneter Behauptungen – nur am Rand eingeschränkt. Wird die Initiative wuchtig abgelehnt, dann tritt die Katastrophe auch nicht ein, denn der Steuerwettbewerb ist auch in seiner gegenwärtigen Form nicht „ruinös“. Eine knappe Ablehnung der Vorlage könnte jedoch Gelegenheit bieten, Lösungsansätze zu prüfen, die dem übertriebenen Steuerwettbewerb Einhalt gebieten und gleichzeitig unserem föderalistischen und freiheitlichen Staatsverständnis Rechnung tragen.

EU ist auch ohne Euro zu haben

Über die Vor- und Nachteile eines allfälligen EU-Beitritts der Schweiz kann man sich streiten, aber eine Preisgabe des Schweizer Frankens wäre zweifellos ein ökonomisches Eigentor. Kürzlich hat Avenir Suisse daher das Szenario EU-Beitritt-ohne-Euro-Beitritt zur Diskussion gestellt. Diese Option wurde darauf hin von verschiedenen Seiten als völlig unrealistisch abgetan. Dass die Europäische Kommission via Michael Reiterer vorerst einmal auf alles oder nichts pocht, ist nicht erstaunlich. Wenn jedoch sogar die NZZ darauf verweist, dass der Lissabonner Vertrag „keine Möglichkeit einer Ausnahme für neue Mitglieder andeutet“, und economiesuisse in die gleiche Kerbe haut, dann kann der Spielraum tatsächlich eng erscheinen.

Aber was sagt denn der Lissabonner Vertrag wirklich zu dieser Frage?

Der Vertrag über die Europäische Union geht davon aus, dass jedes Mitgliedland den Euro übernehmen will. Er sieht daher nur Hürden für Euro-Willige vor aber keine Sanktionen für Euro-Muffel. Eine dieser Hürden (sprich „Konvergenzkriterien“) ist wiefolgt formuliert:

Einhaltung der normalen Bandbreiten des Wechselkursmechanismus des Europäischen Währungssystems seit mindestens zwei Jahren ohne Abwertung gegenüber dem Euro“ (Art. 140.1).

Eine formelle Einbindung in den Wechselkursmechanismus ist somit eine unabdingbare Vorbedingung. Der Vertrag sagt jedoch nirgends, dass der Beitritt zu diesem System obligatorisch sei. Ganz im Gegenteil. Als der Wechselkursmechanismus 1997 in seiner heutigen Form ins Leben gerufen wurde, hielt der Europäische Rat, das oberste Gremium der EU, in einer rechtskräftigen „Entschliessung“ Folgendes fest:

Die Teilnahme an dem Wechselkursmechanismus ist für die nicht dem Euro-Währungsgebiet angehörenden Mitgliedstaaten freiwillig. Allerdings kann von den Mitgliedstaaten, für die eine Ausnahmeregelung gilt, erwartet werden, dass sie sich an dem Mechanismus beteiligen. Ein Mitgliedstaat, der sich nicht von Anfang an an dem Wechselkursmechanismus beteiligt, kann dies zu einem späteren Zeitpunkt tun.“ (Art 1.6)

Mitmachen ist also freiwillig – „Erwartungen“ hin oder her.

Schweden hält auf dieser Regel beruhend an seiner Krone fest, seit das Stimmvolk einen Euro-Beitritt 2003 abgelehnt hat. Und dass der Euro erst nach dem schwedischen EU-Beitritt eingeführt wurde, hat mit der währungspolitischen Toleranz gegenüber Schweden nichts zu tun, denn die Euro-Regeln waren bereits 1991 in Maastricht festgelegt worden, vier Jahre vor dem schwedischen EU-Beitritt.

Eine EU-Mitgliedschaft der Schweiz unter Beibehaltung des Frankens wäre also absolut möglich. Auch ein solcher „Beitritt Light“ stellt zur Zeit allerdings kaum unsere beste Option dar. Es wäre jedoch zu wünschen, dass sich die helvetische Europadiskussion vermehrt um die real existierende EU drehen möge.

Frohsinn und Steuerwettbewerb

Der Tages-Anzeiger hat einigen Parlamentariern Kommentare entlockt über meinen jüngsten Batz-Beitrag. Zu zwei dieser Kommentare kann ich mir ein paar Bemerkungen nicht verkneifen.

Nationalrätin Brigitte Häberli (CVP) sagte Folgendes zur im Beitrag dargestellten Studie: „Das Hauptargument für den Steuerwettbewerb widerlegt sie nicht: Er führt dazu, dass die Kantone nur so wenig Geld wie nötig einnehmen.“

Mit ihrem ersten Satz hat Frau Häberli 100% recht: Es ging in unserer Arbeit nicht darum, herauszufinden, ob die ökonomischen Vorteile oder Nachteile des Steuerwettbewerbs überwiegen. Eine solche Einschätzung ist viel komplizierter, als es unsere errechneten Korrelationen zwischen Steuersätzen, Wanderungsbewegungen und Steuereinnahmen zulassen würden.

Gerade deshalb steht Frau Häberli mit ihrer zweiten Aussage auf wackligerem Grund. Es ist nämlich offen, ob die Kantone dank Steuerwettbewerb gerade einmal „so wenig Geld wie nötig“ einnehmen oder nicht. Der Steuerwettbewerb könnte auch dazu führen, dass weniger Geld als nötig in die Kasse fliesst, oder aber, dass der Staat trotz allem mehr Geld als nötig abschöpft. In ersterem Fall spricht man von „race-to-the-bottom“ Steuerwettbewerb, durch den der Staat an der Finanzierung eigentlich gewünschter Leistungen gehindert wird. Im zweiten Szenario hingegen vermag die disziplinierende Kraft des Steuerwettbewerbs dem staatlichen Aufblähungstrieb nicht genügend Einhalt zu gebieten.

Wo liegt die Wahrheit? Eine umfassende wissenschaftliche Antwort auf diese Frage ist äusserst schwierig, denn es gilt, subjektive Annahmen insbesondere in der Festlegung der ökonomisch optimalen Steuerlast irgendwie objektiv zu fassen. In einer Arbeit mit Mario Jametti habe ich kürzlich aufgezeigt, dass der interkantonale Steuerwettbewerb unter gewissen präzisen Bedingungen per Saldo positiv zu Buche schlägt. Dieses Resultat wie auch ähnliche Ergebnisse anderer Forscher, sind Indizien für die Vorzüge des Steuerwettbewerbs. Eine umfassende Beurteilung übersteigt jedoch weiterhin die Möglichkeiten der formalen Wissenschaft und bleibt somit weitgehend Meinungssache.

Weniger Subtilität erfordert eine Reaktion auf den Kommentar von FDP-Nationalrätin Gabi Huber. Frau Huber äusserte sich befriedigt über die Abschaffungswelle der kantonale Erbschaftssteuern: „Die vielen Erben sind aber sicher froh, dass sie weniger Steuern bezahlen mussten.“ Welch ein Kriterium! Spinnen wir diesen logischen Faden etwas weiter: Die vielen Erben wären doch sicher auch froh, wenn ihnen der Staat pro geerbtem Franken noch ein Füfzgi zuschiessen würde. So lanciere man eine parlamentarische Initiative zur Subventionierung von Erben! Ob dies der meritokratischen Gründerideologie der FDP entspricht, gälte es vorgängig abzuklären. (Falls die Partei nicht mitziehen würde, könnte man auch Steuersenkungen für höhere Staatsangestellte in Betracht ziehen: Die vielen Uniprofessoren wären sicher froh.)

Imaginärer Steuerwettbewerb

Es begann in Schaffhausen, anno 1991. Das Stimmvolk beschloss, direkte Nachkommen fortan von der Erbschaftssteuer zu befreien und auch die Steuersätze auf weniger direkt verwandte Erben stark zu reduzieren. Somit war der erste Dominostein gefallen. Die meisten Kantone haben nachgezogen: St. Gallen 1997, Zürich und Aargau 1999, Bern und Genf 2004. Nur in drei Kantonen zahlen Töchter und Söhne heutzutage noch Erbschaftssteuern (Appenzell Innerrhoden, Neuenburg und Waadt).

In einem neuen Forschungspapier mit meinem Mitarbeiter Raphaël Parchet zeige ich aufgrund der jeweiligen Abstimmungsbroschüren, dass die Diskussion in all diesen Entscheiden von einem Argument dominiert wurde: dem Steuerwettbewerb. Wenn man die Erbschaftssteuern nicht auch senken würde, so wurde behauptet, dann verlöre man begüterte Steuerzahler an die Kantone, in welchen reiche Erben weniger streng zur Kasse gebeten werden. Die Logik dieses Arguments scheint bestechend, doch es wurde bislang keiner systematischen Prüfung unterzogen.

Wir haben nun mittels statistischer Schätzungen den postulierten Zusammenhang zwischen der Höhe von Erbschaftssteuern und der Wohnsitzwahl begüterter älterer Menschen ausfindig zu machen versucht. Unser Resultat ist rasch zusammengefasst: Wir finden keinen solchen Zusammenhang in den Schweizer Daten. Zudem stellen wir fest, dass die Steuereinkommen der Kantone nach Senkung ihrer Erbschaftssteuersätze langfristig schrumpfen und somit nicht durch Neuzuzüge reicher Erblasser wettgemacht werden. Es ist also nicht erstaunlich, dass die Steuersenkungsspirale mit einem starken Rückgang der entsprechenden Steuereinnahmen einherging (s. Grafik).

Die Senkungen der kantonalen Erbschaftssteuern erwuchsen kaum einem Sachzwang durch den Steuerwettbewerb. Ob die Stimmbürger einer zynischen Propaganda unterlagen, oder ob sich die Meinungsführer ganz einfach in ihrer Einschätzung der Steuerempfindlichkeit reicher älterer Menschen getäuscht haben, sei dahin gestellt. Es bleibt die Folgerung, dass der tatsächliche Druck des Steuerwettbewerbs nicht unbedingt so stark ist, wie es die intuitive Logik solcher Argumente vermuten lassen könnte.

Heizt der Finanzausgleich den Steuerwettbewerb an?

Das innerschweizerische Steuergerangel ist um eine interessante Facette reicher. Der Kanton Zug will nun nämlich verhindern, dass Kantone, die vom Finanzausgleich profitieren, sich damit Steuererleichterungen finanzieren (siehe Artikel im Tages-Anzeiger). Im Visier ist Luzern, ein „ressourcenschwacher“ Kanton, der netto pro Person immerhin 873 Franken pro Jahr durch den Finanzausgleich ausbezahlt bekommt und sich nun anschickt, seine Gewinnsteuer auf den schweizweit tiefsten Satz zu senken.

Dies ist eine faszinierende Wendung, denn sie läuft der gängigen wissenschaftlichen Sicht der Dinge zumindest auf den ersten Blick diametral entgegen. Gemäss der ökonomischen Lehre schwächt eine horizontale Umverteilung von der Art des interkantonalen Finanzausgleichs den Steuerwettbewerb nämlich ab. Die Logik der volkswirtschaftlichen Modelle ist klar: Wenn man pro Franken mittels Steuersenkung gewonnenen Steuersubstrats X Prozent in den gemeinsamen Topf einzahlen muss, dann ist der Anreiz, eine aggressive Tiefsteuerpolitik zu fahren, um X Prozent schwächer.

Somit müsste der Finanzausgleich also auf mobile Steuerzahler ausgerichteten Steuersenkungen Einhalt bieten. Nun scheint das Gegenteil einzutreten. Wie soll man sich das erklären?

Eine mögliche Erklärung könnte in der dynamischen Struktur des Problems liegen (die vorliegenden ökonomischen Modelle sind statischer Natur). Nach einer Verstärkung der Umverteilung durch den Finanzausgleich könnten Nehmerkantone ihre Zusatzeinnahmen in Form von Steuersenkungen weitergeben statt in Form von zusätzlichen Staatsausgaben. Wenn diese Steuersenkungen mobile Steuerzahler anpeilen, dann wird der Steuerwettbewerb durch den Finanzausgleich paradoxerweise zumindest vorübergehend angeheizt.

Dass der interkantonale Finanzausgleich den Steuerwettbewerb jedoch langfristig verschärft statt ihn abzuschwächen, scheint dennoch höchst unwahrscheinlich. Die Logik, gemäss welcher der materielle Anreiz für aggressive Steuersenkungen durch den Finanzausgleich in den meisten Situationen reduziert wird, ist nämlich schwer aus der Welt zu reden. Zudem ist auch der kurzfristige Effekt einer Intensivierung des Finanzausgleichs zweischneidig: Während Luzern damit finanzpolitischen Spielraum erhält für Steuersenkungen, hat Zug nunmehr etwas weniger Interesse daran, die Steuerschraube noch weiter zu drehen.

Daher bleibe ich auch bis zum Beweis des Gegenteils bei der Meinung, dass man allfälligen Auswüchsen des interkantonalen Steuerwettbewerbs besser über eine Verstärkung des Finanzausgleichs begegnet als mit starren Mindeststeuersätzen, wie dies die hängige Steuergerechtigkeits-Intitiative vorschlägt. Mehr dazu später im Batz.