Steuern in der Schweiz: The Sequel

Marius Brülhart

Nach einem etwas abgehobenen filmemacherischen Debüt kann Batz nun mit einem Streifen für Otto Normalsteuerzahler aufwarten. Während unser Erstlingswerk noch Haushalten im Top1%-Segment galt, zeichnen wir diesmal für einen Medianhaushalt nach, wie sich die Steuerbelastung in den Kantonen und Gemeinden entwickelt hat. Zudem sind wir nun auch im Tonfilmzeitalter angelangt (mit Dank an Stefanie Brilon und George Harrison).

Steuern in der Schweiz: The Sequel.

Wiederum verfolgen wir die Einkommenssteuerbelastung in den 2‘596 Gemeinden über die Zeitspanne 1984-2011. Diesmal nehmen wir den Steuersatz für ein kinderloses Ehepaar, dessen Einkommen im jeweiligen Jahr genau in der Mitte aller Haushalte lag, die direkte Bundessteuern zahlten (statt wie in unserem Debütwerk beim obersten Perzentil). Das so definierte Median-Reineinkommen entsprach 37’800 Franken im Jahr 1984 und 61’000 Franken im Jahr 2011.

Unsere Animation macht wiederum klar, wie sich die helvetische Steuerlandschaft ziemlich kunterbunt entwickelt hat und zeugt damit von der Lebendigkeit des schweizerischen Fiskalföderalismus.

Beim Verglich mit dem Film für die Top-1%-Einkommen fallen uns folgende Aspekte besonders auf: Weiterlesen

Steuern in der Schweiz: The Movie

Marius Brülhart

Der Wettbewerb um lukrative Steuerzahler hält die Schweizer Steuerlandschaft in pausenloser Bewegung. Das weiss doch jeder. Oder etwa doch nicht? Denn mit eigenen Augen gesehen hat es noch niemand…

Steuern in der Schweiz: The Movie.

Hier somit in exklusiver Vorpremiere der längst überfällige Dokumentarfilm. Über knapp drei Jahrzehnte zeichnen wir bunt nach, wie sich die Steuerbelastung auf einen Top-1%-Haushalt in den Gemeinden und Kantonen landesweit entwickelt hat (Idee und Technik: Marcel Probst). Die Daten dazu trugen wir im Rahmen eines Nationalfonds-Projektes zusammen (Regie: Raphaël Parchet und Kurt Schmidheiny).

Konkret haben wir ab 1984 für fast alle 2’596 Gemeinden den Steuersatz berechnen können, welchem ein Ehepaar unterstellt ist, dessen Einkommen an der unteren Grenze des gesamtschweizerisch obersten Einkommensprozents liegt. In der Steuerbelastung berücksichtigt sind Einkommenssteuern für Gemeinden, Kirchen und Kantone. Bundessteuern wurden ausgelassen, denn sie sind übers ganze Land gleich.

Das Top-1%-Einkommen ist für jedes Jahr über alle Haushalte definiert, die direkte Bundessteuern abliefern. Dieser Einkommens-Referenzwert belief sich 1984 auf 194‘900 Franken und im Jahr 2011 auf 354‘400 Franken. Wir bereinigen die Einkommensentwicklung also nicht nur um die Teuerung sondern auch um den realen Anstieg der Durchschnittseinkommen und liefern somit eine Ergänzung zu den Steuerberechnungen, welche Monika Bütler bereits präsentiert hat.

Jeder Betrachter möge sich seine eigenen Highlights aus dem Film herauspicken. Falls Ihnen etwas auffallen oder sonderbar vorkommen sollte: bitte melden! Wir erheben keinen Anspruch auf absolute Fehlerfreiheit unseres Datensatzes und wären dankbar für Reaktionen.

Auf den ersten Blick stechen uns insbesondere drei Phänomene ins Auge:

  • Die Schweiz wird im betrachteten Zeitraum heller. Das heisst, dass die Steuerbelastung auf hohen Einkommen tendenziell rückläufig war. Tatsächlich fiel die ungewichtete Durchschnittsbelastung über alle Gemeinden gerechnet von 22.4% im Jahr 1984 auf 19.3% im Jahr 2011. Bloss in 156 Gemeinden lag die Steuerbelastung 2011 höher als 1984.
  • Die hellen Flecken konzentrierten sich über die Zeit immer mehr in der Innerschweiz. Ein Blick in die Daten bestätigt den Trend. Lagen im 1984 die beiden steuergünstigsten Gemeinden noch im Kanton Graubünden, so lagen 2011 die 41 steuergünstigsten Gemeinden allesamt in der Innerschweiz. 1984 belegten die Gemeinden Appenzell Ausserrhodens im Durchschnitt immerhin den dritten Rang (hinter denjenigen Zugs und Nidwaldens), und Schwyz lag bloss auf Rang acht. Im 2011 sah die Tabellenspitze nach Kantonen folgendermassen aus: Zug, Schwyz, Obwalden, Nidwalden, Uri.
  • Unsere Steuerlandschaft bewegt sich auch kleinräumig und nicht immer stetig. Gemeinden und Kantone verfolgen vielfältige Strategien, und oft wechseln sich widerläufige Entwicklungen ab. Viele Gemeinden senkten ihre Steuersätze eine Weile, hoben sie dann jedoch wieder an. Augenfällig sind solche Übergänge von Dunkel zu Hell und zurück zu Dunkel beispielsweise bei folgenden Gemeinden (testen Sie Ihre Schweizer Geographie!): Altstätten (Trendumkehr 1991), Lausanne (Trendumkehr 2003) und Köniz (Trendumkehr 2004).

Es gibt noch vieles mehr zu entdecken in diesem Streifen. Aber am meisten wird erst richtig ersichtlich, wenn man die Daten durch die ökonometrische Brille anschaut. Daran arbeiten wir. Batz wird berichten.

Übrigens: Unser Film könnte noch einen anständigen Soundtrack gebrauchen. Auch hierzu ist kundiger Rat herzlich willkommen.

Ghettos mit Seesicht

Marius Brülhart

Wie unlängst im Batz aufgezeigt, hat sich der Anteil des reichsten Prozents am gesamten Schweizer Einkommenskuchen seit den siebziger Jahren kaum verändert. Und dennoch legt die Intensivierung der Verteilungs- oder Neid-Diskussion (je nach Standpunkt) auch hierzulande den Schluss nahe, dass die wahrgenommenen Interessen verschiedener Einkommensgruppen allmählich auseinanderdriften.

Eine mögliche Erklärung für dieses scheinbare Paradox könnte bei der geographischen Verteilung der Bevölkerungsschichten liegen. Je stärker sich einzelne Einkommensklassen in ihren jeweiligen „Ghettos“ zusammenfinden, desto weniger Berührungspunkte ergeben sich zwischen ihnen – sei es über Schulen, Vereine, lokalpolitische Zusammenarbeit oder ganz einfach beim Samstagseinkauf.

Aus diesem Anlass haben wir die räumliche Verteilung des jeweils obersten Einkommensprozents aller Steuerzahler von 2008 mit derjenigen der Steuerperiode 1973-74 verglichen. (Die anonymisierten Individualdaten der direkten Bundessteuer machen’s möglich – mein Dank gilt wiederum der ESTV wie auch meinen Mitarbeitern Stefanie Brilon und Raphaël Parchet.)

Die grün gefärbten Bezirke auf unserer Schweizerkarte beherbergten im Jahr 2008 einen überdurchschnittlichen Anteil an „Top-1%“-Steuerzahlern, während die rosa und roten Bezirke unterdurchschnittlich mit derartigen Einwohnern bestückt waren. Das Resultat dürfte niemanden überraschen: 38% der „Top-1%“-Steuerzahler wohnen im Raum Zürich-Innerschweiz und 23% um den Genfersee. Ziemlich abgeschlagen folgen der Raum Basel (6%) und das Tessin (5%), plus ein paar Nobelorte in den Bergen und steuergünstige Ortschaften in der Ostschweiz.

Interessanter jedoch ist die Unterscheidung hell-dunkel: Die hellgrünen Bezirke sind seit den siebziger Jahren neu zu den überdurchschnittlich mit „Top-1%“-Steuerzahlern besiedelten Regionen gestossen, während die rosaroten Bezirke aus dieser Kategorie ausgeschieden sind.

Man sieht auf der Landkarte mehr Rosa als Hellgrün. Das deutet auf eine räumliche Ballung der „Top-1%“-Steuerzahler hin. Wenn man die Rechnung auf Gemeindestufe anstellt (was wir aus Datenschutzgründen nicht grafisch darstellen dürfen) findet man 416 „rosarote“ aber bloss 260 „hellgrüne“ Gemeinden. Die reichsten Haushalte konzentrieren sich also allmählich auf eine kleiner werdende Anzahl Wohnorte.

Zudem ist auf der Karte auch ein Trend weg vom Mittelland hin zu den Grossregionen Zürich-Innerschweiz und Genfersee zu erkennen. Der Anteil des Raums Zürich-Innerschweiz stieg von 30% in der Periode 1973-74 auf 38% im Jahr 2008, und derjenige des Genferseebogens wuchs im gleichen Zeitraum von 16% auf 23%. Den grössten Anstieg verzeichneten die Kantone Schwyz (von 1% auf 6%) und Waadt (von 8% auf 12%), während die stärksten Rückgänge in den Kantonen Bern (von 11 auf 5%) und Basel-Stadt (von 7 auf 3%) zu beobachten waren.

Das oberste Einkommensprozent orientiert sich offensichtlich immer mehr an den drei „S“: Stadtnähe (mit Flughafen), Seenähe und Steuerattraktivität. Letzterer Aspekt ist aus polit-ökonomischer Sicht besonders interessant, denn Steuerunterschiede sind nicht nur Anlass sondern auch Folge der Wohnsitzwahl.

Der Zusammenhang zwischen Steuerwettbewerb und der räumlichen Verteilung verschiedener Einkommensschichten ist daher eine der zentralen Forschungsfragen des Nationalfonds-Projektes, in dessen Rahmen wir diese Daten analysieren. Resultate dereinst auf diesem Blog…

 

Land der begrenzten Ungleichheiten

Marius Brülhart

Jenseits des Atlantiks geben die neuesten Verteilungsstatistiken von Emmanuel Saez zu reden. Das reichste Prozent schneidet sich in den USA nach einer krisenbedingten Flaute nun wieder ein wachsendes Stück vom Wirtschaftskuchen ab. Und dies auf hohem Niveau: Auch im Jahr 2009, mitten in der Finanzkrise, flossen satte 17 Prozent des gesamten Einkommens ans reichste Prozent der Steuerzahler. Auf die obersten zehn Prozent entfiel gar nahezu die Hälfte des amerikanischen Haushaltseinkommens. Wie die unten stehende Grafik zeigt, war dem nicht immer so, denn die US-Einkommensschere ist erst seit den achtziger Jahren so richtig auseinandergegangen.

Wie steht es in dieser Hinsicht um die Schweiz? Mittels anonymisierter Individualdaten der direkten Bundessteuer ist es seit Kurzem möglich, auch für unser Land präzise Zahlenreihen zu generieren (der ESTV und dem Nationalfonds sei Dank, wie auch meinen Mitarbeitern Stefanie Brilon und Raphaël Parchet). Die derzeit verfügbaren Daten reichen von 1973-74 bis 2008. Sie decken die Gesamtheit der Schweizer Steuerzahler ab, was uns bis zu 3,6 Millionen jährliche Beobachtungen beschert.

Hiermit eine erste Auswertung, grafisch dargestellt in Form der roten Zahlenreihen, exklusiv für unsere treue Batz-Leserschaft (die Romandie ist bereits via Le Temps informiert). Die Grafik legt drei Feststellungen nahe:

  • Die obersten Einkommen haben im Jahrzehnt vor der Finanzkrise tatsächlich auch in der Schweiz überdurchschnittlich zugelegt. Ihr Anteil am gesamten Kuchen wuchs um beinahe ein Drittel. Eine ähnliche Entwicklung stellt man auch bei der Vermögensverteilung fest. Allerdings gibt es (mittels der Steuerdaten bislang noch nicht erfassbare) Anzeichen auf einen Rückgang der Einkommensungleichheit nach 2008.
  • Auch auf dem Gipfel der Vorkrisenkonjunktur waren die Schweizer Einkommen erheblich weniger ungleich verteilt als diejenigen der US-Amerikaner. Im Jahr 2008 erfreute sich das oberste Prozent in der Schweiz eines Anteils von 11.5 Prozent am steuerbaren Gesamteinkommen. Das sind etwas weniger als zwei Drittel des Anteils, der damals dem obersten Prozent in den USA zukam.
  • Die langfristige Entwicklung der Einkommensverteilung in unserem Land ist verhältnismässig stabil. Die in der jüngeren Vergangenheit für schweizerische Verhältnisse rekordhohen Ungleichheiten von 2008 lagen immer noch unter dem Niveau der frühen siebziger Jahre; und der in den USA beobachtete markante Anstieg der letzten drei Jahrzehnte ist bei uns grösstenteils ausgeblieben. Schweizer Datenreihen, die bis in die dreissiger Jahre zurück reichen (allerdings aufgrund etwas weniger präziser statistischer Grundlagen), zeichnen das gleiche Bild: Die Verteilung der steuerbaren Einkommen hat sich im Zeitverlauf relativ geringfügig verändert.

Wie sich die Einkommen idealerweise über die Bevölkerung verteilen sollten, ist weitgehend Ansichtssache. Zudem ist die Problematik vielschichtiger, als dass man sie mit ein paar simplen Zahlenreihen umfassend beziffern könnte. Dennoch wage ich den (unweigerlich subjektiven) Schluss, dass in der Schweiz – im Gegensatz zu den USA – in den letzten Jahrzehnten kein genereller Neubedarf an staatlicher Einkommensumverteilung erwachsen ist.

Allerdings ist es durchaus denkbar, dass sich die Tendenz der Jahre vor der Finanzkrise in der nächsten Zukunft wieder fortsetzt und sich die Einkommensschere auch bei uns noch weiter öffnet. Wir werden die Daten aufmerksam weiter verfolgen und eingehend auf Kausalzusammenhänge hin erforschen. Batz bleibt dran.

Pauschalsteuer: Es geht auch ohne

Marius Brülhart

Nun liegen sie vor, die mit Spannung erwarteten Daten zu den Zürcher Steuereinnahmen nach der Abschaffung der Pauschalsteuer im Jahr 2010. Und siehe da: Die fiskalische Katastrophe ist ausgeblieben. Vier von fünf Pauschalbesteuerten würden abwandern, war prophezeit worden. Tatsächlich weggezogen sind etwas weniger als die die Hälfte der ehemals Aufwandbesteuerten. Das hat einen Einnahmenausfall von 12.2 Millionen Franken verursacht. Andererseits werden die meisten in Zürich verbliebenen Ex-Pauschalsteuerzahler nun stärker zur Kasse gebeten, was zu einem Mehrertrag von 13.8 Millionen Franken führte. Somit hat der Fiskus unter dem Strich (fast) allen Prognosen zum Trotz sogar leicht profitiert.

Was lehrt uns das Zürcher Pauschalsteuer-Experiment?

Erstens können wir nun die fiskalischen Auswirkungen von Pauschalsteuer-Reformen etwas besser abschätzen. Ich hatte dereinst Daumen-mal-Pi ausgerechnet, dass sich eine Abschaffung der Aufwandbesteuerung für die öffentlichen Finanzen lohnen könnte, solange nicht mehr als zwei Drittel der betroffenen Steuerzahler abwandern. Nach der Auswertung der Zürcher Daten scheint eine einnahmenneutrale Abwanderungsquote von maximal 50% realistischer. In anderen Worten: So lange nicht mehr als die Hälfte der vormaligen Pauschalsteuerzahler abwandert, dürfte eine Abschaffung dieses Steuerinstruments die Staatskasse per Saldo nicht belasten. Ich revidiere somit meine (immer noch grobe) Schätzung etwas nach unten, denn meine ursprüngliche Berechnung überschätze offenbar den Anstieg der Einnahmen von nicht weggezogenen Ex-Pauschalsteuerzahlern. In Zürich gelang es beinahe der Hälfte dieser Personen trotz Verlust des Aufwandbesteuerten-Privilegs, ihre Steuerrechnung zu vermindern. Den Handlungsspielraum für gewiefte Steuerberater unterschätzt man in solchen Belangen auf eigene Gefahr.

Zweitens ist auch eine maximale Abwanderungsrate von 50% noch hoch. Ins Ausland umgezogen sind von den Zürcher Ex-Pauschalsteuerzahlern bloss 13%. Der Schluss liegt somit nahe, dass eine landesweite Abschaffung der Pauschalsteuer der Schweiz unter dem Strich steuerliche Mehreinnahmen bringen würde.

Drittens scheint es nun noch wahrscheinlicher, dass sich die vom Ständerat vor zwei Wochen gutgeheissene Anhebung der Mindestsätze für den Fiskus lohnen würde. Allerdings ist theoretisch denkbar – wenn auch nicht besonders plausibel -, dass Pauschalbesteuerte empfindlicher reagieren auf eine derartige Verschärfung der Praxis als auf eine völlige Abschaffung der Aufwandbesteuerung. Hinweise darauf wird uns dereinst der Kanton Luzern liefern, wo die Pauschalsteuer-Schraube voraussichtlich ab 2013 merklich angezogen wird. Somit bin ich nun gespannt auf den Frühling 2015, in der Hoffnung, dass die Luzerner Steuerbehörden dannzumal ebenso transparent kommunizieren werden, wie es ihre Zürcher Kollegen eben getan haben.

Erfolgsgeschichte Obwalden?

Marius Brülhart

Bereits sechs Jahre sind ins Land gestrichen, seit der Kanton Obwalden seine Steuersenkungsstrategie lanciert hat. Am 1. Januar 2006 reduzierten die Obwaldner ihren Gewinnsteuersatz um mehr als die Hälfte auf die damals schweizweit rekordtiefe Marke von 6,6%. Im 2008 doppelten sie nach mit dem Übergang zu einer Flat-Tax-Einkommenssteuer. Gemäss offizieller Obwaldner Lesart ist das Experiment geglückt: Der Aufschwung wurde eingeleitet. Tatsächlich haben sich seit der Steuerreform offensichtlich viele Unternehmen und betuchte Steuerzahler in Obwalden niedergelassen.

Doch haben sich die Steuersenkungen für den Obwaldner Fiskus per Saldo auch wirklich gelohnt? Den Stimmbürgern wurde das seinerzeit in Aussicht gestellt: „Mittelfristig soll der Steuerertrag durch den Zuzug finanzkräftiger Personen und Unternehmen gesteigert werden“, stand zuvorderst im Abstimmungsbüchlein.

Den Zusatzeinnahmen durch neu angesiedelte Steuerzahler sind wie immer bei solchen Berechnungen die Steuerausfälle bei den eh ansässigen Steuerzahlern gegenüberzustellen. Die untenstehende Grafik deutet darauf hin, dass letzterer Effekt überwog: Die kantonalen Unternehmenssteuereinnahmen sind 2006 deutlich eingebrochen und zeigen seither keinen klaren Aufwärtstrend. Gegenüber seinen Innerschweizer Nachbarkantonen scheint Obwalden nach der Reform kaum Boden gut gemacht zu haben – notabene nachdem Obwalden in den Jahren vor der Steuerreform ein überdurchschnittliches Einnahmenwachstum erlebt hatte. Auch wenn man die gesamten Steuereinnahmen betrachtet (d.h. Unternehmenssteuern plus Steuern auf natürliche Personen), ist bislang keine positive Wirkung der Reformen auszumachen.

Steuersenkungen, die das Wirtschaftsaufkommen so stark ankurbeln, dass die Steuereinnahmen letztlich steigen, sind bislang auch in Obwalden eine finanzpolitische Wunschvorstellung geblieben.

 

Ineffiziente Grosszügigkeit

Marius Brülhart

Überdurchschnittlich viele Hausbesitzer hegen derzeit den Wunsch, ihr Eigentum noch vor den Festtagen an die jüngere Generation zu überschreiben – und dies obwohl, so ist anzunehmen, viele dieser Schenker kerngesund sind und eigentlich noch Freude haben an ihrem Immobilienbesitz.

Zugrunde liegt der vorweihnächtlichen Grosszügigkeit eine mögliche Veränderung des Steuersystems. Ab Neujahr besteht nämlich die Gefahr, dass verschenkte Vermögenswerte über der Zweimillionengrenze dereinst mit einem Steuersatz von 20 Prozent belangt werden. Eine Rückwirkungsklausel in der unlängst lancierten Initiative für eine nationale Erbschaftssteuer sieht es so vor.

Eine vorverschobene Vermögensübertragung angesichts der drohenden Besteuerung kann für die Betroffenen durchaus sinnvoll sein. Der Ansturm auf die Notariate ist somit weder überraschend noch verwerflich. Und dennoch ist diese Reaktion für die Betroffenen kostspielig, denn wäre das Steuergespenst nicht am Horizont aufgetaucht, hätten die meisten mit der Überschreibung noch zugewartet.

Volkswirtschaftlich betrachtet ist dies ein besonders augenscheinliches Beispiel der versteckten Kosten, die jede Steuer nach sich zieht. Den vorzeitigen Schenkern entsteht materieller und emotionaler Aufwand. Und manch einem Beschenkten dürfte es bei der Sache auch nicht ganz wohl sein – nicht zuletzt wenn er durch die Transaktion an die Vergänglichkeit seiner Eltern erinnert wird. Wie trefflich somit der englische Ausdruck für solch versteckte Kosten von staatlichen Eingriffen in die wirtschaftliche Freiheit: „deadweight loss“.

Und dennoch: Gerade hinsichtlich der versteckten Kosten schneidet die Erbschaftssteuer besser ab als andere Steuerarten. Steuern schaffen immer Anreize zur Vermeidung, aber die Ausweichmöglichkeiten bei der Erbschaftssteuer sind relativ gering. In den USA werden die Kosten von Ausweichmanövern auf 3 bis 8 Cents pro Dollar Erbschaftssteuereinnahmen geschätzt. Meine Schätzung für die Schweiz liegt zwischen 1 und 12 Rappen pro kantonalem Erbschaftssteuerfranken. Dies sind relativ tiefe Werte. Eine aktuelle amerikanische Studie (in der Schweiz gibt es meines Wissens noch nichts Vergleichbares) beziffert den „deadweight loss“ der Einkommenssteuer beispielsweise auf 20 Cents pro Dollar im Durchschnitt, und auf 34 Cents wenn man nur den obersten Teil des Steuertarifs betrachtet.

Die gegenwärtige Bescherungsfreude von Immobilienbesitzern liefert ein treffliches Beispiel der unseligen Nebenwirkungen von Steuern. Paradoxerweise erinnert sie uns gleichzeitig daran, dass die Erbschaftssteuer gerade hinsichtlich ihrer ökonomischen Nebenwirkungen eine der schmerzloseren Steuerarten ist.

SP auf dem Penaltypunkt

Eben wurde ich von einer Journalistin darauf hingewiesen, dass die SP Schweiz dieses Wochenende die geplante Volksinitiative zur Einführung einer eidgenössischen Erbschaftssteuer debattieren wird. Mit diesem Thema hat sich die Partei einen Elfmeter herausgespielt, doch scheint sie sich anzuschicken, den Ball dem Torhüter zuzuschubsen.

Es gibt nämlich drei Arten, für eine neue Steuer zu plädieren. Im Normalfall liegt das ausschlaggebende Anliegen auf der Ausgabenseite, wofür es mittels höherer Steuern die entsprechende Finanzierung zu sichern gilt. So geschehen zum Beispiel bei der Volksabstimmung vom September 2009, als die Stimmbürger zwecks Sanierung der Invalidenversicherung eine Anhebung der Mehrwertssteuer billigten. Im Zentrum stand damals die IV; die Steuererhöhung wurde als vorübergehend notwendiges Übel geschluckt.

Neue Steuern lassen sich zweitens rechtfertigen, indem man dadurch andere, weniger effiziente, Steuern ersetzt. So geschehen beispielsweise, als die Mehrwertssteuer anstelle der alten Warenumsatzsteuer eingeführt wurde. Dieser Ansatz ist die hohe Torecke für die Befürworter einer eidgenössischen Erbschaftssteuer. Dass die Erbschaftssteuer aus volkswirtschaftlicher Sicht eine der schmerzlosesten Formen staatlicher Mittelbeschaffung darstellt, liegt nämlich auf der Hand. Solange sich der Staat bei Grosserben Mittel holt und dadurch andere, leistungs- und konsumhemmende, Steuern senkt, ist daran aus Effizienzüberlegungen schwer etwas auszusetzen. Die Initianten wollen zwei Drittel des Erbschaftssteueraufkommens der AHV zukommen lassen. Gute Idee: So senke man die Lohnprozente im entsprechenden Umfang, oder das der AHV reservierte Mehrwertssteuerprozent. Oder man eröffne ein Sparkonto für die AHV, um der prognostizierten Finanzierungslücke vorzubeugen.

Aber nein, die SP scheint zur dritten Strategie Anlauf zu nehmen. Sie erachtet die Erbschaftssteuer als an sich schon wünschbar und denkt sich neue Ausgabenposten aus, für welche sie die neuen Einnahmen verwenden möchte. Im Zentrum der gegenwärtigen Argumentation der Parteistrategen stehen steigende Einkommens- und Vermögensungleichheiten, denen es ihrer Meinung nach entgegenszusteuern gilt. Die jüngste Abfuhr des Schweizer Stimmvolks gegenüber der „Steurgerechtigkeitsintiative“ hat gezeigt, dass mit solchen Umverteilungsargumenten keine Mehrheit zu gewinnen ist. Die Partei spielt offenbar mit dem Gedanken, die allfälligen neuen Steuereinnahmen für zusätzliche AHV-Leistungen einzusetzen. Die Rede ist von einer Flexibilisierung – sprich Herabsetzung – des Rentenalters.

Wenn sie an dieser Argumentation festhält, trachtet die Partei mit der Erbschaftssteuerinitiative also nach mehr Staat und nicht bloss nach einem intelligenter finanzierten Staat. Das wäre ein Schüssli in die wartenden Hände des (etwas rechts der Mitte positionierten) Torhüters.


Finanzausgleich als Steuerwettbewerbs-Lusthemmer

Die erste Vierjahresperiode des neuen Finanzausgleichs (NFA) läuft Ende 2011 ab. Das Parlament ist derzeit daran, allfällige Systemänderungen für die Periode 2012-2015 zu diskutieren. In diesem Zusammenhang verlangt der Kanton Zug, dass Transfers künftig in den Fällen zu beschränken seien, wo die Steuerbelastung eines Nehmerkantons die durchschnittliche Steuerbelastung der Geberkantone unterschreitet (s. NFA Vernehmlassungsbericht, S. 18). Zug befürchtet, dass sich andere Kantone (sprich: Luzern) mittels Transferzahlungen aus dem NFA-Topf – und somit auf Zuger Kosten – aggressive Steuersenkungen finanzieren. Dieses Szenario, wonach der Finanzausgleich den Steuerwettbewerb anheizt statt ihn abzukühlen, scheint eher unrealistisch, wie im Batz bereits erläutert.

Nun kann ich dazu auch noch eine wie mir scheint aussagekräftige Grafik liefern: eine simple Überlagerung der Abbildungen 3 und 4 aus dem jüngsten NFA-Wirksamkeitsbericht. Die horizontale Achse stellt den Zuwachs des kantonalen Pro-Kopf-Steuersubstrats zwischen 2010 und 2011 dar (im Jargon: „standardisierter Steuerertrag pro Kopf“, SSE). Je höher diese Zahl, desto stärker ist die berechnete Zunahme des Steueraufkommens. Diesem Wachstum stellt die vertikale Achse den Betrag gegenüber, welcher entweder zusätzlich in den Finanzausgleich einbezahlt werden muss (orange Linie) oder weniger aus dem Finanzausgleich einkassiert werden kann (blaue Linie). Dargestellt sind nur die vier Kantone an den jeweiligen Endpunkten der zwei Linien für Geber- und Nehmerkantone, aber die übrigen Kantone liegen ziemlich präzis entlang der beiden Geraden.

Das Wichtigste an dieser Grafik sind die Steigungen der Geraden. Sie zeigen auf, wie viel Rappen pro zusätzlichem Steuerfranken via den Finanzausgleich wieder verloren gehen. Für die Geberkantone beträgt diese „Abschöpfungsrate“ 17%. Das heisst, pro zusätzlichem Steuerfranken kommen dem Kanton 17 Rappen durch höhere Einzahlungen in den NFA-Topf wieder abhanden. Die Abschöpfungsrate für die Nehmerkantone liegt mit 80% viel höher: pro zusätzlichem Steuerfranken verlieren diese Kantone 80 Rappen infolge tieferer Auszahlungen aus dem NFA-Topf.

Der Finanzausgleich schwächt somit die Anreize zum Steuerwettbewerb für alle Kantone, denn zusätzlich angelockte Steuerquellen ziehen höhere Einzahlungen oder tiefere Auszahlungen nach sich. Die Abschöpfung allfälliger Steuerwettbewerbsgewinne ist jedoch signifikant schärfer für die Nehmerkantone als für die Geberkantone. Somit hemmt der NFA die Lust zum Steuerwettbewerb für ressourcenschwache Kantone (wie Luzern) um einiges stärker als für ressourcenstarke Kantone (wie Zug). Zugs Einwand scheint also erst recht unbegründet.

Nun mag es verwundern, dass die meisten Kantone auch nach der Einführung des NFA im Jahr 2008 noch Steuersenkungen vorgenommen haben. Dies ist grösstenteils nicht wegen sondern trotz der Anreizwirkungen des Finanzausgleichs geschehen. Gute Konjunktur und Nationalbank-Manna machten es möglich. Damit dürfte vorderhand Schluss sein. Somit könnte sich auch der interkantonale Steuerwettbewerb etwas abkühlen.

Könnte sich eine schweizweite Abschaffung der Pauschalsteuer lohnen?

Bisher ging ich davon aus, dass sich die Pauschalsteuer für den Schweizer Fiskus bezahlt macht. Seit ich die ersten offiziellen Daten über die Wegzüge nach der Abschaffung dieser Steuer in Zürich gesehen habe, bin ich mir der Ergiebigkeit dieses Instrumentes nicht mehr ganz so sicher.

Von den 201 vor der Abstimmung von Februar 2009 in Zürich ansässigen Pauschalbesteuerten sind deren 92 bis Ende 2010 weggezogen. Das entspricht einer Abwanderungsquote von 46% (=92/201). Diese Zahl wiederspiegelt eine beträchtliche Mobilität der betroffenen Haushalte. Allerdings sind 54% der Ex-Pauschalbesteuerten nicht umgezogen und dürften nunmehr stärker zur Kasse gebeten werden. Unter dem Strich könnte der Zürcher Fiskus von der Abschaffung der Pauschalsteuer somit durchaus profitieren. Für eine negative Gesamtwirkung auf die Steuereinnahmen wäre gemäss meiner (zugegebenermassen groben) Schätzung nämlich eine Abwanderungsquote von mindestens zwei Dritteln notwendig.

Ähnlich interessant wie die Zahl der abgewanderten Steuerzahler ist deren Aufteilung nach Destinationen: Von den 92 Wegzüglern sind 26 ins Ausland gezogen, und 66 haben sich in anderen Kantonen angemeldet. Die Abwanderungsquote aus der Schweiz beträgt also lediglich 13% (=26/201). Stellen wir uns nun vor, die Pauschalsteuer wäre landesweit abgeschafft worden. Von den 66 in andere Kantone umgezogenen Steuerzahlern hätten sich in dem Fall wohl ebenfalls einige ins Ausland abgesetzt. Aber ziemlich sicher nicht alle – die Schweiz hat schliesslich auch noch andere Vorzüge. So liefern uns die in Zürich beobachteten Wegzüge eine Bandbreite für die zu erwartende Abwanderungsquote bei einer schweizweiten Abschaffung der Pauschalsteuer: Minimum 13%, Maximum 46%, Mittelwert 30%.

Gehen wir also davon aus, eine schweizweite Abschaffung der Pauschalsteuer würde unserem Land ein Drittel weniger derartige Steuerzahler bescheren. Gemäss meiner simplen Schätzung, wonach eine Abschaffung der Pauschalsteuer erst ab einer Abwanderungsquote von zwei Dritteln negativ zu Buche schlägt, würde sich eine generelle Abschaffung der Pauschalsteuer somit – zumindest aus Sicht der Steuereinnahmen – lohnen.

Diese Rechnung stellt die Einträglichkeit der Pauschalsteuer in Frage. Sie ist jedoch einer ganzen Reihe von Ungenauigkeiten unterworfen. So könnten die neuen Zahlen aus Zürich die wahre Abwanderungsquote entweder überschätzen (denn einige Wegzüger dürften aus anderen Motiven umgezogen sein) oder unterschätzen (falls gewisse Steuerzahler mit dem Wegzug noch abwarten). Meine Rechnung könnte den Nettozuwachs der Steuereinnahmen zudem aus drei Gründen überschätzen: erstens, da die Anreize zum Wegzug am stärksten sind für die Allerreichsten; zweitens, da die Erfassung der weltweiten Einkommen der verbleibenden Haushalte für die Steuerbehörden schwierig wird; und drittens, da potenzielle Zuzüger in der längeren Frist steuerempfindlicher sein dürften als potenzielle Wegzüger. Andererseits werden durch Wegzüge von Ex-Pauschalbesteuerten attraktive Wohnlagen frei für andere lukrative ausländische wie inländische Steuerzahler, was sich positiv auf die Steuereinnahmen auswirkt.

Es besteht also noch geraumes Unwissen. In ein paar Monaten dürfte der „Testfall Zürich“ jedoch zusätzliche Anhaltspunkte liefern. Zahlen über die Auswirkungen der Pauschalsteuerabschaffung auf die Steuereinnahmen (d.h. nicht nur auf die Anzahl der Wegzüge) werden nämlich vorliegen, sobald die Steuererklärungen fürs Jahr 2010 abschliessend behandelt sind. Ich bin weiterhin gespannt.