Zum Ausklang des Jahres

Vor 55 Jahren schrieb der Autor Erich Kästner eine Sammlung von Gedichten, für jeden Monat des Jahres eins. Kästner schrieb, um sich zu besinnen. „Denn man kann die Besinnung verlieren, aber man muss sie wiederfinden.“ Schwindelig wird einem auch bei der Vorstellung, dass Google Buchsuche dieses Jahr bekannt gab, über 15 Millionen Bücher durch Digitalisierung verfügbar gemacht zu machen. Das sind 12% aller jemals publizierten Bücher. Kästner’s Buch „Die 13 Monate“ ist mittlererweile auch ein Google Buch, allerdings aus urheberrechlichten Gründen nur „in eingeschränkter Vorschau“.

Das Gedicht zum Monat Dezember möchten wir Ihnen zum Abschluss des Jahres ans Herz legen. Es sei denn, Sie möchten lieber an den dreizehnten Monat glauben? „Wie säh er aus, wenn er sich wünschen liesse? Schaltmonat wäre? Vielleicht Elfember hiesse?“ Wir wünschen allen unseren Lesern einen besinnlichen Ausklang des alten Jahres und ein frohes neues 2011.

Der Dezember (Erich Kästner)

Das Jahr ward alt. Hat dünne Haar.
Ist gar nicht sehr gesund.
Kennt seinen letzten Tag, das Jahr.
Kennt gar die letzte Stund.

Ist viel geschehn. Ward viel versäumt.
Ruht beides unterm Schnee.
Weiß liegt die Welt, wie hingeträumt.
Und Wehmut tut halt weh.

Noch wächst der Mond. Noch schmilzt er hin.
Nichts bleibt. Und nichts vergeht.
Ist alles Wahn. Hat alles Sinn.
Nützt nichts, daß man’s versteht.

Und wieder stapft der Nikolaus
durch jeden Kindertraum.
Und wieder blüht in jedem Haus
der goldengrüne Baum.

Warst auch ein Kind. Hast selbst gefühlt,
wie hold Christbäume blühn.
Hast nun den Weihnachtsmann gespielt
und glaubst nicht mehr an ihn.

Bald trifft das Jahr der zwölfte Schlag.
Dann dröhnt das Erz und spricht:
»Das Jahr kennt seinen letzten Tag,
und du kennst deinen nicht.«

Adventskalender 24

In einem Adventskalender ist das Türchen Nummer 24 stets das prächtigste. Drum haben wir Die Anbetung der Heiligen Drei Könige von Peter Paul Rubens gewählt und dazu die folgende Geschichte, die das Geheimnis ihrer Gaben verrät.

In seinem Reisebericht Il Millione von 1298 (englisch; Kommentar deutsch) erzählt Marco Polo, wie er in Persien auf die Spuren der Drei Könige oder Weisen gestossen ist. In der Sadt Saba will er sogar ihre bestatteten, aber noch gänzlich erhaltenen Körper gesehen haben. Auf der Weiterreise erfuhr er auch die Geschichte ihrer Gaben.

Vor langer Zeit seien drei Könige aufgebrochen, um einen neugeborenen Propheten zu verehren. Sie brachten ihm als Geschenke Gold, Weihrauch und Myrrhe, um herauszufinden, ob er Gott, König oder Arzt sei. Nahm er das Gold, war er ein König. Ergriff er den Weihrauch, war er ein Gott. Wählte er die Myrrhe, war er ein Arzt.

So traten sie vor ihn, einer nach dem anderen. Der Erste gewahrte, dass das Kind so alt aussah wie er selbst, und erstaunte. Der zweite trat ein und sah, dass das Kind gleich alt aussah wie er, und wunderte sich ebenfalls. Und genauso erging es dem Dritten. Sie erzählten einander, was sie gesehen hatten und wunderten sich nun erst recht. Sie traten alle drei zusammen vor das Kind und jetzt sahen sie es in seinem richtigen Alter von vielleicht 13 Tagen. Sie beteten es an und boten ihre Geschenke dar. Und siehe: Das Kind nahm alle drei.

Adventskalender 23

Die Funker mehrerer Schiffe im Nordatlantik staunten nicht schlecht, als am Heiligabend 1906 anstatt der gewohnten Morsezeichen plötzlich Händels Ombra Mai Fu (hier in neuerer Aufnahme) über den Äther rauschte. Es folgte Minuit Crétiens (O Holy Night), auf der Geige gespielt von Reginald Aubrey Fessenden, dem Erfinder der neuen Radiotechnik persönlich. Am Ende der Sendung las Fessenden den Vers Lukas 2:14 „Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen.“

Fessenden hatte am 23. Dezember 1900, heute vor 110 Jahren, auf einer Versuchstation auf Cobb Island, Maryland, zum ersten Mal in der Geschichte ein Radiosignal übertragen, konkret eine menschliche Stimme, gestört noch von Nebengeräuschen. Wir feiern also heute die Geburtsstunde des Radios.

Trotz mancherlei Rückschlägen arbeitete Fessenden an seiner Erfindung weiter. Sechs Jahre später war er dann so weit für die eingangs erwähnte erste Radiosendung der Welt. Aufgrund technischer Mängel waren die übertragenen Klänge noch auf eine Distanz von mehreren hundert Kilometern hörbar — auch auf Schiffen, auf denen niemand vom geplanten Experiment gewusst hatte.

Adventskalender 21

Monika ist mit dem Institut ins Bergwerk Horgen gefahren. Dort wird sie vielleicht schon erwartet:

Gnomen.

Da trippelt ein die kleine Schar,
Sie hält nicht gern sich Paar und Paar;
Im moosigen Kleid mit Lämplein hell
Bewegt sich’s durcheinander schnell,
Wo jedes für sich selber schafft,
Wie Leuchtameisen wimmelhaft;
Und wuselt emsig hin und her,
Beschäftigt in die Kreuz und Quer.

Den frommen Gütchen nah verwandt,
Als Felschirurgen wohl bekannt;
Die hohen Berge schröpfen wir,
Aus vollen Adern schöpfen wir;
Metalle stürzen wir zu Hauf,
Mit Gruß getrost: Glück auf! Glück auf!
Das ist von Grund aus wohl gemeint,
Wir sind der guten Menschen Freund.

Doch bringen wir das Gold zu Tag
Damit man stehlen und kuppeln mag;
Nicht Eisen fehle dem stolzen Mann
Der allgemeinen Mord ersann.
Und wer die drei Gebot’ veracht’t
Sich auch nichts aus den andern macht.
Das alles ist nicht unsre Schuld,
Drum habt so fort, wie wir, Geduld.

Johan Wolfgang von Goethe, Faust 2, Vers 5840-5863

Adventskalender 20

Wir hatten am Samstag türkische Freunde zu Besuch. Und da fielen mir wieder die wunderbaren Geschichten des Nasreddin Hoca ein, eines türkischen Volksweisen, der im 14. Jahrhundert gelebt haben soll. Sein Leben und seine Erlebnisse wurden über viele Jahrhunderte mündlich überliefert, so zum Beispiel auch folgende Geschichte:

An Markttagen stand Mulla Nasreddin Hoca häufig auf der Gasse und machte sich zum Narren: Immer wenn ihm Leute ein grosses und ein kleines Geldstück anboten, nahm er das kleinere. Eines Tages sagte ein wohlmeinender Mann zu ihm: „Mulla, du solltest die grössere Münze nehmen. Dann wirst du mehr Geld besitzen, und die Leute haben nicht länger Gelegenheit, sich über dich lustig zu machen.“ „Das mag stimmen“, sagte Nasreddin, „aber wenn ich stets die grössere Münze nehme, werden die Leute aufhören, mir Geld zugeben. Denn sie tun es ja nur, um zu beweisen, dass ich verrückter bin als sie. Und dann würde ich überhaupt kein Geld mehr haben.“

Quelle für die Geschichte:  http://www.nasrudin.de/

Mehr über Hoca finden Sie hier.

Adventskalender 19

Vielleicht hilft gegen die Kälte eine Geschichte aus wärmeren Tagen. Mark Twain berichtet in A Tramp Abroad (1880) humorvoll von einer Besteigung des Rigi. Die eher astronomische Pointe der Geschichte wollen wir hier nicht verraten, im Gegensatz zu folgender ökonomisch interessanten Episode:

Presently we came upon half a dozen sheep nibbling grass in the spray of a stream of clear water that sprang from a rock wall a hundred feet high, and all at once our ears were startled with a melodious „Lul … l … l l l llul-lul-LAhee-o-o-o!“ pealing joyously from a near but invisible source, and recognized that we were hearing for the first time the famous Alpine JODEL in its own native wilds. And we recognized, also, that it was that sort of quaint commingling of baritone and falsetto which at home we call „Tyrolese warbling.“

The jodeling (pronounced yOdling–emphasis on the O) continued, and was very pleasant and inspiriting to hear. Now the jodeler appeared–a shepherd boy of sixteen– and in our gladness and gratitude we gave him a franc to jodel some more. So he jodeled and we listened. We moved on, presently, and he generously jodeled us out of sight. After about fifteen minutes we came across another shepherd boy who was jodeling, and gave him half a franc to keep it up. He also jodeled us out of sight. After that, we found a jodeler every ten minutes; we gave the first one eight cents, the second one six cents, the third one four, the fourth one a penny, contributed nothing to Nos. 5, 6, and 7, and during the remainder of the day hired the rest of the jodelers, at a franc apiece, not to jodel any more. There is somewhat too much of the jodeling in the Alps.

Adventskalender 18

Hinter unserem heutigen Adventstürchen verbergen sich Licht und Schatten, Hoffnung und Verzweiflung. Am 18. Dezember 1865 trat das „13th Amendement“ der amerikanischen Verfassung in Kraft, das die Sklaverei endgültig verbietet. Gleichwohl leben auch heute noch zwischen 12 und 17 Millionen Menschen als Sklaven. Die meisten von ihnen sind Schuldensklaven — Kreditnehmer, die sich oder ihre Kinder als Pfand hingegeben haben. Daneben grassiert der internationale Menschhenhandel zu Prostitutionszwecken. Deshalb möchten wir daran erinnern, dass alle Macht beim Konsumenten liegt: Sklavenarbeit gibt es nur, so lange jemand ihre Früchte kauft.

Adventskalender 17

Heute sendet der Batz einen Adventsgruss an unsere Schweizer Ökonomenkollegen im Ausland.

Wussten Sie, dass 112 Schweizer Ökonomen an ausländischen Universitäten forschen und lehren, davon 55 in Nordamerika, 13 in Grossbritannien, 9 in Deutschland und 6 in Spanien? 24 von ihnen präsentieren nächsten Dienstag jüngste Forschungsergebnisse anlässlich der Jahreskonferenz von „Swiss Economists Abroad“.

Adventskalender 16

Heute vor 176 Jahren, am 16. Dezember 1834 wurde Léon Walras in der Normandie geboren. Den Grossteil seines Lebens lehrte und forschte er an meiner früheren (und Marius Brülharts aktueller) akademischen Heimat, der Uni Lausanne. Walras gilt als einer der Begründer der modernen Wirtschaftstheorie und vor allem als Vater der allgemeinen Gleichgewichtstheorie. Weniger bekannt ist, dass Walras auch zur angewandten Wirtschaftspolitik geschrieben hat. Der untenstehende Beitrag zum staatlichen Engagement bei den Eisenbahnen rührt nicht zuletzt daher, dass Walras an französischen Hochschulen keine Anstellung fand und zwischen 1865 und 1868 in der Verwaltung der Eisenbahngesellschaft Chemin de Fer Du Nord arbeitete.

„L’État peut et doit intervenir dans l’industrie des chemins de fer, et cela à un double titre: 1° parce que le service des chemins de fer, en ce qui concerne les transports des services ou produits d’intérêt public, est lui-même un service public; 2° parce que le service des chemins de fer, en ce qui concerne le transport des services ou produits d’intérêt privé, est un monopole naturel et nécessaire qui, comme monopole privé, ne serait fondé ni en droit ni en intérêt et qui, par conséquent, doit être érigé en monopole d’État économique.“

Aus Léon Walras – Etudes d’économie politique appliquée