Wenn die Leistungsbeurteilung durch das Geschlecht mitbestimmt wird

Monika Bütler

Erschienen unter dem Titel Wenn das Geschlecht die Leistung bestimmt in der NZZ am Sonntag vom 24. Januar 2016.

Eine Gruppenarbeit beendete vor 25 Jahren mein Zweitstudium in Betriebswirtschaftslehre.

Mit fünf zugelosten Studienkollegen hatte ich eine Aufgabe in Strategie zu bearbeiten. Nach drei ergebnislosen Treffen begann ich allein zu recherchieren und verfasste einen ersten Entwurf. Plötzlich ging es flott weiter; die Arbeit blieb dennoch weitgehend meine. Dem externen Dozenten, einem angesehenen Kadermann, gefiel das Werk. Nur, meinte er nach der Präsentation, die Beiträge der Studierenden schienen ihm doch sehr unterschiedlich, insbesondere die Dame habe wenig zum Erfolg beigetragen. Weiterlesen

Geld bleibt hier – aber dafür ist weniger da

Reto Föllmi

(der Beitrag erschien unter dem Titel „Kampagne ‚Geld bleibt hier‘ bewirkt das Gegenteil“ in Die Volkswirtschaft, Nr 11/2015)

In der gegenwärtigen wirtschaftspolitischen Debatte sind verschiedene Ideen im Umlauf, die eine irgendwie geartete Abhängigkeit vom Ausland verhindern möchten. So wird beispielsweise gefordert, den Selbstversorgungsgrad an Nahrungsmitteln zu erhöhen oder auf vermeintlich teure Energieimporte zu verzichten. In einer breiten „Geld bleibt hier“- Kampagne vermittelt ein Komitee den Eindruck, es sei doch besser, einheimische Energien zu fördern statt viel Geld für Öl-, Gas- und andere Energieimporte auszugeben.

Dieses Anliegen scheint auf den ersten Blick vernünftig. Wer kann schon gegen einheimische Energie und für Energieimporte sein, an denen sich womöglich noch Ölscheichs bereichern? So logisch sich die Argumente der Initianten auch anhören, sie erweisen sich bei genauer Betrachtung als Trugschluss. Denn bei einem Verzicht auf Importe müssen wir die Energie selber herstellen.

Wäre diese Importsubstitution lohnend, würden wir ohne Lenkung durch die Politik jetzt schon im Inland mehr Energie produzieren bzw. durch Sparmassnahmen auf Importe verzichten. Produktion im Inland ist nicht gratis, oder wie Ökonomen sagen, mit Opportunitätskosten verbunden. Die benötigten Arbeitskräfte und anderen Ressourcen für den Energiesektor müssen aus anderen Branchen oder durch Zuwanderung bzw. entsprechende Importe gewonnen werden. In anderen Wirtschaftsbereichen würden diese aber auch Einkommen erzielen, wahrscheinlich sogar ein höheres. Dass die Fachkräfte der Energiewirtschaft in anderen Sektoren nicht gebraucht würden und stattdessen arbeitslos wären, ist gegeben die Arbeitsmarktsituation schlicht Unsinn.

Wenn man der Logik des Komitees nachleben würde, sollte ein Zweiverdienerhaushalt auf Kinderkrippen, Putzfrau, Handwerker etc. verzichten, denn das sind alles Ausgaben für den Haushalt. Vergessen wird dabei, dass in der Zeit, in welcher solche Dienstleistungen erbracht werden, oft mehr Geld verdient wird, als diese kosten. Wer auf Importe verzichtet, muss alles selber produzieren, egal wie schlecht er das kann. Dies verhindert, dass sich die Volkswirtschaft auf ihre Stärken (komparativen Vorteile) konzentriert; also in Branchen wächst, wo sie relativ am meisten Wettbewerbsvorteile hat und mit geringstmöglichen Ressourceneinsatz am meisten Einkommen erzielen kann. So macht es mehr Sinn, günstigeren (auch beispielsweise ökologischen, vom deutschen Steuerzahler subventionierten) Strom aus Deutschland zu importieren und die Fachkräfte hier in der Schweiz in andern Sektoren, die ohne Unterstützung wettbewerbsfähig sind, einzusetzen.

Die Schweiz hat einen rekordhohen Exportüberschuss und belegt auf Innovations-Rankings regelmässig die vordersten Plätze. Dieser beispiellose Erfolg ist ein Beleg dafür, dass die Schweizer Volkswirtschaft im Ganzen ihre „Make or Buy“ Entscheidung gut trifft. Wir produzieren und exportieren dort, wo wir stark sind, und importieren, was wir nur teurer selber herstellen könnten.

Der berühmte Ökonom und Nobelpreisträger Paul Samuelson wurde von einem Mathematiker ironisch gefragt, ob es eine Erkenntnis der Sozialwissenschaften gebe, die sowohl wahr als auch nicht-trivial ist. Samuelson war nicht schlagfertig genug, eine passende Erwiderung zu geben. Erst viele Jahre später fiel ihm die treffende Antwort ein: die Theorie der komparativen Vorteile. In seinen Worten: “Einem Mathematiker muss man nicht erklären, dass sie logisch und korrekt ist. Dass sie nicht-trivial ist, beweisen abertausende wichtige und intelligente Leute, die niemals in der Lage waren, die Theorie selber zu begreifen oder wenigstens daran zu glauben, nachdem sie ihnen erklärt wurde.“

Dichte ohne Einwanderung

Kurioserweise muss nun auch Tokyo als Illustration für den von Ecopop bekämpften Dichtestress herhalten. Kurios deswegen, weil Japan seit Mitte der 90-er Jahre nicht gewachsen und in den letzten paar Jahren sogar geschrumpft ist. Zudem kennt Japan kaum Einwanderung, der Anteil Ausländer ist mit rund 2% sehr klein. Auch eingebürgerte Ausländer gibt es sehr wenige.

Japan ist aus zwei Gründen ein interessantes Beispiel. Erstens illustriert das Land, dass ein bedeutender Teil der Dichte aus der Binnenwanderung stammt. Die Menschen ziehen somit freiwillig von weniger dicht bevölkerten Gegenden in die Städte desselben Landes. Zweitens zeigt Japan, dass ein Nullwachstum vielleicht doch nicht so erstrebenswert ist.

Zum ersten Punkt, der Binnenwanderung. In fast allen Ländern der Welt sind die Städte sehr viel stärker gewachsen als die ländlichen Gegenden (die oft sogar schrumpfen). Die Gründe sind vielfältig. Die gefühlte Lebensqualität in den Städten hat trotz Dichte offenbar zugenommen, Pendeln ist teurer geworden. Ganz besonders dürften aber ökonomische Gründe die Wanderung in die Städte begünstigen – dies wie oben aufgeführt auch ohne irgendwelche Einwanderung von aussen. Ein Forschungszweig der Volkswirtschaftslehre, die sogenannte Stadtökonomik oder urban economics“ befasst sich seit rund 20 Jahren mit diesem Phänomen. Ein starkes Wachstum der Städte wird dann beobachtet, wenn die Vorteile einer stärkeren Konzentration – Skalenerträge*, Verfügbarkeit von Arbeitskräften, Informationen und Netzwerken – gegenüber den Nachteilen wie Überlastung von Infrastruktur und Umwelt überwiegen.

(In Klammern: Die Australische Stadt Melbourne ist übrigens ein weiteres interessantes Beispiel. Die Stadt ist in den letzten Jahren pro Jahr rund 5% gewachsen, bis 2050 wird eine Verdoppelung der Bevölkerung erwartet. Der Hauptgrund dieser Bevölkerungsexplosion ist die Wanderung im Innern eines nicht wahnsinnig dicht bevölkerten Landes).

Zum zweiten Punkt, den Folgen des Nullwachstums. Wer Japan als gutes Beispiel eines erfolgreichen Umgangs mit Nullwachstem anfügt, muss Scheuklappen auf alle Seiten hin tragen. Einer relativ gut laufenden Wirtschaft in den Städten (ja genau: im Dichtestress), steht eine  schrumpfende Wirtschaft im ländlichen Japan gegenüber. Ein Idyll ist daraus nicht geworden. Überall leerstehende Fabriken und Häuser. Zur Sanierung der Industrieruinen fehlt das Geld, für die Pflege der Betagten die Arbeitskräfte. Der Lebensstandard auf dem Land ist in den letzten 20 Jahren merklich gesunken. Der Anteil der über 65-jährigen ist von rund 15% im Jahre 1995 auf fast 25% angestiegen. Natürlich erzeugt der Druck der Überalterung auch Innovationen: So werden zur Betreuung der Pflegebedürftigen Roboter entwickelt und eingesetzt. Doch ist das wirklich, was wir uns wünschen?

Auf dem vollständigen Preisetikett des Nullwachstums in Japan steht zudem eine massive Staatsverschuldung von – je nach Mass – 150 bis 250% der jährlichen Produktion des Landes. Die Staatsverschuldung nimmt nämlich bei Nullwachstum nicht ab, sondern zu. Zahlen müssen die Rechnung irgendeinmal – die heutigen Jungen.

*Skalenerträge entstehen dann, wenn eine Verdoppelung der Anzahl Arbeitskräfte und des Kapitals zu mehr als einer Verdoppelung der Produktion führt. Je grösser die Konzentration, desto mehr kann mit der selber Anzahl Arbeitskräften geleistet werden – was sich auch in höheren Löhnen niederschlägt.

Gutscheine statt rationierte Krippenplätze in der Kinderbetreuung

Monika Bütler

Als erste Gemeinde der Schweiz führte die Stadt Luzern 2009 Betreuungsgutscheine für die ausserfamiliären Kinderbetreuung ein (man spricht manchmal auch von einem Wechsel von der Objektfinanzierung zur Subjektfinanzierung der Krippenplätze). Mit dem neuen Finanzierungsmodell in Luzern werden staatliche Subventionen nicht mehr an die Betreuungseinrichtungen bezahlt (welche damit Plätze zu reduzierten Tarifen anbieten), sondern direkt an die Eltern. Eltern mit geringen oder mittleren Einkommen müssen somit nicht erst einen subventionierten Platz suchen, sondern können sich mit dem Gutschein in der Hand die Betreuungseinrichtung selber aussuchen.

Aus ökonomischer Sicht ist dieser Wechsel sinnvoll: Erstens wird die Anzahl der verbilligten Kinderbetreuungsplätze nicht mehr – wie heute in fast allen Städten – rationiert. Zweitens erhalten die Eltern Wahlfreiheit in der Betreuungseinrichtung. Diese Wahlfreiheit ermöglicht nicht nur einen Wettbewerb zwischen den Krippen, sondern erlaubt es den Eltern, die für sie passendere Lösung zu finden. Und nicht, wie bei der heute üblichen Objektfinanzierung, entweder keinen Platz zu erhalten oder durch die halbe Stadt reisen zu müssen.

Mit Betreuungsgutscheinen wird zudem Rechtsgleichheit geschaffen: Jeder Haushalt, der die notwendigen Kriterien zum Erhalt von Subventionen erfüllt, erhält diese auch. Lange Wartelisten werden vermieden und es gilt nicht „De gschneller isch de gschwinder“.  Dies ist umso wichtiger, weil bisherige Studien vermuten lassen, dass die Rationierung der subventionierten Plätze auf Kosten der weniger gut ausgebildeten Eltern geht. So ist die Wahrscheinlichkeit, dass Akademikereltern Krippenplätze beanspruchen rund dreimal höher als dies bei den übrigen Familien der Fall ist. Die Betreuungsgutscheine sind zudem an eine Erwerbstätigkeit geknüpft.

Nach der Einführung der Betreuungsgutscheine zeigte sich schnell: Auch in der Stadt Luzern überstieg die Nachfrage nach subventionierter Kinderbetreuung das Angebot bei weitem. Nach 2009 stieg die Anzahl betreuter Plätze steil an und stabilisierte schliesslich im Jahr 2013. Dies ohne Abstriche an der Betreuungsqualität dank Investitionen in die Qualität der Kinderbetreuung.

Kinderbetreuung ist ein kostspieliger Faktor  in der Schweiz. Die Kosten dürften ein Grund sein, dass Mütter dem Erwerbsleben fern bleiben oder nur mit geringem Pensum beschäftigt sind (siehe hier meine alte, aber noch immer gültige Analyse). Meine Doktorandin Alma Ramsden untersuchte im Rahmen ihrer Dissertation, welchen Einfluss das neue, universelle Kinderbetreuungssystem in der Stadt Luzern (sowie in den Gemeinden Emmen und Kriens) auf die finanzielle Sicherheit die Erwerbstätigkeit von Paaren mit Kindern und Alleinerziehenden hat.

Almas Analyse zeigt, dass die Verfügbarkeit von Betreuungsgutscheinen die Einkommen der betroffenen Familien positiv und signifikant erhöhten – sowohl für Paarhaushalte mit Kindern wie auch für Alleinerziehende. Da Alleinerziehende einem erhöhten Armutsrisiko ausgesetzt sind, ist vor allem letzterer Befund von sozialpolitischer Relevanz: Betreuungsgutscheine helfen, die wirtschaftliche Unabhängigkeit von Alleinerziehenden zu stärken. Weil eine Erhöhung der Einkommen immer auch mit grösseren Steuereinnahmen verbunden ist, ist davon auszugehen, dass die Betreuungsgutscheine die Ausgaben der Gemeinden (zumindest teilweise) wieder kompensieren. Die Resultate zeigen auch, dass Eltern mit Betreuungsgutscheinen nicht einfach von informeller zu formeller Kinderbetreuung wechselten. Betreuungsgutscheine erhöhten auch die Arbeitstätigkeit von Alleinerziehenden und ZweitverdienerInnen deutlich. Die positiven Effekte finden sich nicht nur in der städtischen Gemeinde Luzern, sondern auch in den kleineren, vorstädtischen Gemeinden Emmen und  Kriens.

Almas Forschung ist in den heutigen Diskussionen zur Aktivierung der Frauen in der Wirtschaft besonders wertvoll. Sie zeigt auf, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht nur davon abhängt, wie viel die Kinderbetreuung den Familien kostet (die Kosten veränderten sich nämlich in Luzern nicht), sondern vor allem auch davon, ob die Familien überhaupt Zugang zu subventionierten Plätzen haben. Den Blogleser(innen) sei hier die Lektüre des Berichts empfohlen.

 

PS: Wir bedanken uns an dieser Stelle ganz herzlich bei den Steuerbehörden der Stadt Luzern und den Gemeinden Emmen und Kriens, sowie bei der Abteilung Kind Jugend Familie der Stadt Luzern für die Bereitstellung der Daten und wertvolle Unterstützung.

Die Mühen von Ecopop mit Hong Kong und Singapur

Monika Bütler

Die Schweiz soll nicht wie Hong Kong oder Singapur werden. Ein griffiger und einleuchtender Slogan der Ecopop Befürworter. Nur leider falsch.

Natürlich möchten die meisten von uns (mich eingeschlossen) lieber in der Schweiz als in Hong Kong  leben. Nur ist der Vergleich der beiden asiatischen Städte mit der Schweiz unfair und berücksichtigt weder die Geschichte noch das wirtschaftliche, geopolitische und klimatische Umfeld der unterschiedlichen Gegenden. Das richtige Gegenstück im Vergleich mit Hong Kong oder Singapur wäre Hong Kong/Singapur ohne „Dichtestress“. Ein einfacher Blick über die Grenzen der beiden Städte zeigt: Die Wahl ist eben nicht zwischen 15 Quadratmetern/Person im Dichtestress und plus minus gleichem Lebensstandard auf 45 Quadratmetern/Person ohne Dichte. Sondern

  • zwischen 15 Quadratmetern/Person in guten hygienischen und relativ umweltfreundlichen Verhältnissen, mit Zugang zu öffentlichen Verkehrsmitteln, Arbeitsstellen und guten Schulen, welche den Kindern die Tür zur Welt offen halten.
  • und 15 Quadratmetern/Person in prekären Behausungen ohne ÖV, ohne adäquate Arbeitsplätze mit beschränkter medizinischer Versorgung und qualitativ schlechten Schulen. Und ja: mit Dreck und Umweltbelastungen.

Kein Bewohner Singapurs würde mit einem Bewohner ännet der Johor Strait tauschen wollen. Umgekehrt hingegen schon.

Da ich Singapur viel besser kenne, hier etwas Hintergrund zu Singapur. Nach der Unabhängigkeit Singapurs von Grossbritannien schloss sich die Stadt nach dem 1962 Merger Referendum der Federation of Malaya an (im Wesentlichen Malaysia, Sarawak und Nord Borneo). Die Gründe: Grösse des Landes, Knappheit an Wasser, Land und natürlichen Ressourcen. Die zwei Jahre in Union mit Malaysia waren allerdings geprägt von Auseinandersetzungen und Meinungsverschiedenheiten. So wollte Singapur eine Gleichbehandlung aller Rassen, Sprachen und Religionen, was vom Rest der Federation abgelehnt wurde. 1965 wurde Singapur aus der Federation geworfen, ohne in der Frage überhaupt angehört zu werden.

Interessanterweise wurde Singapur ein Stadtstaat contre coeur. Das heutige Singapur ist somit eine Antwort auf die Herausforderungen, welche dem neuen Staat mit dem knappen Land und der Abwesenheit von natürlichen Ressourcen erwuchsen. Wie auch die Schweiz setzte Singapur in der Folge auf eine wirtschaftliche Entwicklung, die auf Unternehmertum, technologischem Fortschritt und Ausbildung basierte. Und auf eine gewisse Einwanderung, welche den Fortschritt erst ermöglichte. Singapur hat heute eine durchaus restriktive Einwanderungspolitik; diese berücksichtigt jedoch die Bedürfnisse der Bevölkerung insbesondere nach Arbeitskräften, die im Lande selber fehlen. Mit einer Abschottung wäre der Vorsprung Singapurs gegenüber seinen Nachbarn schnell weg. Immigration ist eben nicht nur Folge der wirtschaftlichen Entwicklung, sondern auch teilweise deren Ursache.

So unterschiedlich Hong Kong oder Singapur und die Schweiz auch sein mögen. Auch bei uns muss der breite Wohlstand in den ländlichen Gegenden zuerst erwirtschaftet werden. In den viel dichter bevölkerten Städten nämlich oder den nicht so idyllischen Industriezonen. Die Umsetzung eines weiteren Slogans der Ecopop Befürworter – die Arbeitsplätze zu den Bewohnern bringen und nicht umgekehrt – würde nie und nimmer die Wertschöpfung bringen, die nötig wäre, um unseren Lebensstandard zu halten.

PS: Die momentane Popularität von Ecopop hat allerdings nicht viel mit deren Argumenten zu tun als viel mehr dem Schweigen und der Untätigkeit der Politik in den Diskussionen um die Folgen Personenfreizügigkeit (siehe meinen früheren Beitrag). Niemand erklärte den besorgten Bürgern, woher die (nicht so zahlreichen) Ausländer kommen, die wirklich Probleme machen (nämlich mehrheitlich nicht aus der EU). Auf griffige – auch während der Personenfreizügigkeit mögliche – Massnahmen gegen eine Einwanderung in den Sozialstaat (Rückführungen, Einschränkungen des Familiennachzuges, Straffung des Asylwesens) wurde verzichtet. Und wir warten bis heute auf eine vernünftige Einwanderungspolitik für Bürger aus Drittstaaten. Statt den Zug sanft zu bremsen, schielte die Politik viel zu lange auf die Notbremse (in Form der Ventilklausel). Die Notbremse zogen am 9. Februar andere. Im Tunnel.

 

Sollen nicht berufstätige Akademiker die Kosten für ihr Studium zurückzahlen?

Gebhard Kirchgässner

Kürzlich wurde vorgeschlagen, dass Akademiker einen Teil ihrer Ausbildungskosten zurückzahlen sollen, wenn sie freiwillig über längere Zeit nicht berufstätig sind. Damit soll u.a. dem Fehlen qualifizierter Fachkräfte begegnet werden. Damit würden freilich nur Symptome und nicht die Ursachen bekämpft, und zweitens hätte dies aller Voraussicht nach sehr negative Nebenwirkungen.

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BR Schneider-Ammanns fromme Wünsche

Wer batz.ch regelmässig liest, weiss: Bundesrat Schneider-Ammanns Wünsche zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie nach der Annahme der MEI sind hochwillkommen. Wir haben uns vermehrt zu den negativen Arbeitsanreizen des schweizerischen Steuer- und Subventionssystems geäussert, zuletzt unmittelbar nach der Abstimmung vom 9. Februar hier. Wenn die Zweitverdienerin effektiv fast das gesamte zusätzliche Einkommen in Form von Steuern und Betreuungskosten abgeben muss, die Schulstruktur keine geregelte (Teil-)Zeitarbeit zulässt, so ist es nicht verwunderlich, dass die Beschäftigung der Frauen in der Schweiz gemessen in Vollzeitäquivalenten relativ tief ist. Siehe dazu unsere Beiträge: Wie der Schweizer Mittelstand vom Arbeiten abgehalten wird, Familienartikel: Umbau der antiquierten Schulstruktur!, Kinderkrippen helfen gegen Lohnungerechtigkeit, und viele mehr.

Nur: Blauäugig ist, wer von den Massnahmen – selbst wenn sie sofort umgesetzt werden könnten – eine schnelle Wirkung erwartet. Die meisten Familien haben angesichts des heute vorherrschenden Schul- und Betreuungsangebot geplant. Will heissen: viele Frauen haben bewusst Berufe gewählt, die eine relativ geringe Teilzeitarbeit zulassen. Darunter hat es Ärztinnen und vielleicht sogar die eine oder andere Ingenieurin. Aber für viele der „stillgelegten“ Fähigkeiten dürfte sich die Nachfrage in Grenzen halten. Um es etwas böse auszudrücken: Aus den nun wenig beschäftigten Kunsthistorikerinnen werden nicht über Nacht Hausärztinnen, aus den Ethnologinnen keine Informatikerinnen.

Die Ursache für die hohe Nachfrage nach ausländischen Fachkräften liegt eben nicht nur in der Unterbeschäftigung von Frauen, sondern auch in der schweizerischen Bildungslandschaft. Heute sind 60% und mehr der Schüler(innen) an den Mittelschulen weiblich. Problematisch ist selbstverständlich nicht der hohe Anteil Mädchen, sondern die Tatsache, dass wir vielen intelligenten aber eher technisch-naturwissenschaftlichen Kindern die Schule vermiesen und ihnen teilweise den Weg zu einer Universitätsausbildung verbauen. Darunter sehr viele Buben, aber auch Migrantenkinder, die sich mit dem Überhang an sprachlichen Fächern und der Wichtigkeit (schwierig beurteilbarer) soft skills schwer tun. So sehr ich den dualen Bildungsweg für eine grosse Stärke des schweizerischen Ausbildungssystems halte: Chirurgen und Physiker gibt es kaum über diesen Weg. Diese Leute, die wir eventuell selber hätten ausbilden können, importieren wir später aus dem Ausland.

Um Missverständnisse auszuräumen: Ich begrüsse die angekündigten Massnahmen selbstverständlich. Die Unterbeschäftigung der Frauen in der Schweiz ist sehr teuer. Der sogenannte Gender Employment Gap – der Unterschied in Vollzeitäquivalenten zwischen Männern und Frauen – beträgt rund 40%, gleich hoch wie in der Türkei und deutlich höher als der OECD Durchschnitt von 30%. Gelänge es, diesen Gender Employment Gap nur schon auf den OECD Durchschnitt zu senken, könnten wir uns ein ganzes Jahr Erhöhung des Rentenalters eigenfinanzieren – für Mann und Frau, notabene.

 

Skandal: Bankenprofessor beim Betteln erwischt

Urs Birchler

Bettler

Bild: Silke Declerck

Nicht jeden Tag erwischt man einen Bankenprofessor (und dann noch von der Uni Zürich) beim Betteln. So geschehen vergangenen Sonntag in Baden-Baden vor der Aufführung von „Geld und Glück“, der letzten Folge der Trilogie des Geldes. Wenn ich schon mitwirken durfte, dann wollte ich doch die Erfahrung der Mikro-Sponsorensuche einmal selber machen.

Finanzieller Erfolg: Gut 13 Euro in einer Stunde (wobei einzelne Passanten den Theaterbettler durchschauten und gerne etwas springen liessen). Erkenntnisgewinn: Am ehesten gibt, wer selber gerade Glück hatte (Parklücke gefunden; attraktive Partnerin am Arm). Am knausrigsten waren die Betrachter der Auslage der Juweliergeschäfte (auch ein Brillant beginnt mit einem Cent). Und niemand schaut einem Bettler ins Gesicht. Aber ausgestossen sein macht auch stark: Buchen Sie bei mir eine Probelektion in Betteltherapie® (Platzzahl beschränkt).

Mindestlohn: Weshalb 22 Franken pro Stunde und 4000 Franken pro Monat nicht dasselbe sind

Monika Bütler

Als unsere Kinder noch kleiner waren, hatten wir während gut zweier Jahre eine Haushälterin mit einem 80% Pensum. Aus verschiedenen Gründen kehrten wir wieder zum alten System zurück; zu einer Haushälterin im Stundenlohn mit einem geringeren Pensum. Obwohl wir nun einen deutlich höheren Stundenlohn zahlen, kostet uns das Ganze nur noch etwa die Hälfte. Dies bei einem nur minim höheren eigenen Arbeitsaufwand.

Vor der Mindestlohninitiative hätten wir uns in beiden Fällen nicht fürchten müssen. Die ungelernte 80% Haushälterin verdiente rund 24.50 pro Stunde (bei einem 100% Pensum wäre der Monatslohn etwas über 4400 Franken gelegen), die neue Haushälterin verdient rund 32 Franken pro Stunde. Dennoch: Für die neue Haushälterin dürfte es trotz deutlich höherem Stundenlohn gar nicht so einfach sein, denselben Monatslohn wie ihre Vorgängerin zu erreichen, weil die Arbeit mit mehreren Haushalten viel zerstückelter ist. Die Arbeit ist zudem anstrengender, ruhige Perioden seltener.

Weshalb erzähle ich dies überhaupt? Der Ersatz von Stellen im regulären Monatslohn durch Stellen im Stundenlohn dürfte wohl eine der wichtigsten Anpassungsmechanismen bei einer Annahme der Mindestlohninitiative sein. Auch wenn es bei uns nicht Kostengründe waren, die zum Systemwechsel führten. Für ein kleines Restaurant sieht das anders aus. Es wird sich eventuell das Servicepersonal im Stundenlohn noch leisten können, aber nicht mehr im Monatslohn. Unter dem Strich wird dann die (fast) gleiche Arbeit unter grösserem Stress mit kleineren Sicherheiten für die Arbeitnehmer geleistet. Unter Einhaltung des Mindestlohnes zwar – besser gestellt ist damit aber niemand, im Gegenteil. Vielleicht haben die Initianten sogar recht, wenn sie denken, dass sich der Abbau an Stellen in Grenzen hält. Wesentlich wahrscheinlicher ist, dass gute Stellen im Monatslohn (meist mit Aussicht auf höhere Löhne nach einiger Zeit) durch schlechtere Stellen im Mindestlohn-kompatiblen Stundenlohn ersetzt werden.

Andere Anpassungsmechanismen könnten sein, allfällige Lohnnebenleistungen (Spesen, Beiträge ans Essen) nicht mehr separat auszuweisen. Wer früher 3800 Franken verdiente und 200 Franken in anderer Form, erhält neu einfach 4000 Franken pro Monat ohne Nebenleistungen (und muss unter Umständen erst noch mehr Steuern bezahlen). Wer nun sofort böse Arbeitgeber wittert, dem empfehle ich einmal in grenznahen Gebieten (im St. Galler Rheintal zu Beispiel) einen Nachmittag mit dem Velo oder Auto herumzufahren. In diesen Gebieten haben schon heute Restaurants und andere kleine Dienstleister die grösste Mühe mit der Konkurrenz ännet der Grenze mithalten zu können. Dies obwohl schon heute die Preise aus der Zürcher Konsumentenperspektive traumhaft tief sind.

Die Internationale Erfahrung hat uns gezeigt, dass ein rigiderer Arbeitsmarkt zu einer grösseren Anzahl von prekären Stellen und ineffizienten Umgehungsmechanismen führt. Gerade weil die Schweiz bisher einen relativ liberalen Arbeitsmarkt hat, kommen schon ganz junge und unerfahrene Menschen in den Genuss von Festanstellungen im Monatslohn mit den dazu gehörenden Sicherheiten. Die allermeisten, die mit einem Lohn unter 4000 Franken beginnen, werden nach relativ kurzer Zeit darüber entlohnt.

Damit ich nicht missverstanden werde. Ich teile die Meinung der Initianten, dass einem in Vollzeit tätigen Arbeiter der Gang zum Sozialamt erspart werden müsste. Nur ist der Mindestlohn als Massnahme zur Unterstützung der Working Poor schrecklich ungeeignet. Erstens lebt nur eine Minderheit von Tieflohnbezügern in Armutsgefährdeten Haushalten. Zweitens garantiert auch ein Mindestlohn nicht, dass eine Arbeiterin (mit Kindern zum Beispiel) genug zum Leben hat.

Was wären dann die Alternativen? Zuerst einmal muss das Existenzminimum von Einkommensteuern befreit werden, wie ich hier auch schon ausgeführt habe. Dem Argument, dass auch auf dem Existenzminimum Steuern bezahlt werden müssten, um den Leuten die Kosten staatlicher Leistungen vor Augen zu halten, kann ich nicht folgen (hier nachzulesen). Um die Lücke zwischen Einkommen und Existenzsicherung zu garantieren sollte die Schweiz ein System einer negativen Einkommenssteuer für Niedrigverdiener einführen. Dabei werden kleine Einkommen bis zu einer gewissen Grenze subventioniert. Das System hat sich in den USA sehr bewährt und hat gerade vielen Frauen aus der Armut geholfen – und ihnen den ungeliebten Gang zum Sozialamt erspart.

Weiterwursteln nach Plan B

Monika Bütler

(Kurzkommentar zum Abstimmungsresultat über die Masseneinwanderungsinitiative der SVP, publiziert in der Weltwoche vom 13. Februar 2014)

Die Schweiz leistet es sich, junge Frauen sehr gut auszubilden, um sie später mit fehlenden Tagesschulen, steuerlichen Fehlanreizen und Vorurteilen aus dem Arbeitsmarkt zu ekeln. Nur knapp lehnte der Souverän eine explizite Belohnung des zu Hause-bleibens ab. Die Schweiz leistet es sich auch, intelligenten künftigen Ingenieuren und vollzeitarbeitenden Ärzten die Schule zu vermiesen mit einer Pädagogik, die weiche Faktoren höher gewichtet als Mathematik und Naturwissenschaften. Über eine längere Beschäftigung älterer Menschen denken wir schon gar nicht mehr nach. Für weniger ehrgeizige und produktive Junge ist Sozialhilfe ohnehin viel attraktiver. Damit sich die Anstrengung auch für die oben unerwähnten nicht lohnt, bietet der Staat Wohnraum und Betreuung einkommensabhängig an.

Die Lücken füllten motivierte Einwanderer. Und nun?

Wir sollten die Annahme der Masseneinwanderungsinitiative wenigstens zum Anlass nehmen, über die Verschwendung einheimischer Ideen und Fähigkeiten nachzudenken. Meine Vermutung: Am Schluss kommt doch Plan B zur Anwendung. Niemand wagt, Fehlentwicklungen zu korrigieren. Gesuchte Fachkräfte kommen nach wie vor – einfach unter undurchsichtigen, teuren Kontingenten. Plan B, B für Bürokratie.