Mindestlohn: Weshalb 22 Franken pro Stunde und 4000 Franken pro Monat nicht dasselbe sind

Monika Bütler

Als unsere Kinder noch kleiner waren, hatten wir während gut zweier Jahre eine Haushälterin mit einem 80% Pensum. Aus verschiedenen Gründen kehrten wir wieder zum alten System zurück; zu einer Haushälterin im Stundenlohn mit einem geringeren Pensum. Obwohl wir nun einen deutlich höheren Stundenlohn zahlen, kostet uns das Ganze nur noch etwa die Hälfte. Dies bei einem nur minim höheren eigenen Arbeitsaufwand.

Vor der Mindestlohninitiative hätten wir uns in beiden Fällen nicht fürchten müssen. Die ungelernte 80% Haushälterin verdiente rund 24.50 pro Stunde (bei einem 100% Pensum wäre der Monatslohn etwas über 4400 Franken gelegen), die neue Haushälterin verdient rund 32 Franken pro Stunde. Dennoch: Für die neue Haushälterin dürfte es trotz deutlich höherem Stundenlohn gar nicht so einfach sein, denselben Monatslohn wie ihre Vorgängerin zu erreichen, weil die Arbeit mit mehreren Haushalten viel zerstückelter ist. Die Arbeit ist zudem anstrengender, ruhige Perioden seltener.

Weshalb erzähle ich dies überhaupt? Der Ersatz von Stellen im regulären Monatslohn durch Stellen im Stundenlohn dürfte wohl eine der wichtigsten Anpassungsmechanismen bei einer Annahme der Mindestlohninitiative sein. Auch wenn es bei uns nicht Kostengründe waren, die zum Systemwechsel führten. Für ein kleines Restaurant sieht das anders aus. Es wird sich eventuell das Servicepersonal im Stundenlohn noch leisten können, aber nicht mehr im Monatslohn. Unter dem Strich wird dann die (fast) gleiche Arbeit unter grösserem Stress mit kleineren Sicherheiten für die Arbeitnehmer geleistet. Unter Einhaltung des Mindestlohnes zwar – besser gestellt ist damit aber niemand, im Gegenteil. Vielleicht haben die Initianten sogar recht, wenn sie denken, dass sich der Abbau an Stellen in Grenzen hält. Wesentlich wahrscheinlicher ist, dass gute Stellen im Monatslohn (meist mit Aussicht auf höhere Löhne nach einiger Zeit) durch schlechtere Stellen im Mindestlohn-kompatiblen Stundenlohn ersetzt werden.

Andere Anpassungsmechanismen könnten sein, allfällige Lohnnebenleistungen (Spesen, Beiträge ans Essen) nicht mehr separat auszuweisen. Wer früher 3800 Franken verdiente und 200 Franken in anderer Form, erhält neu einfach 4000 Franken pro Monat ohne Nebenleistungen (und muss unter Umständen erst noch mehr Steuern bezahlen). Wer nun sofort böse Arbeitgeber wittert, dem empfehle ich einmal in grenznahen Gebieten (im St. Galler Rheintal zu Beispiel) einen Nachmittag mit dem Velo oder Auto herumzufahren. In diesen Gebieten haben schon heute Restaurants und andere kleine Dienstleister die grösste Mühe mit der Konkurrenz ännet der Grenze mithalten zu können. Dies obwohl schon heute die Preise aus der Zürcher Konsumentenperspektive traumhaft tief sind.

Die Internationale Erfahrung hat uns gezeigt, dass ein rigiderer Arbeitsmarkt zu einer grösseren Anzahl von prekären Stellen und ineffizienten Umgehungsmechanismen führt. Gerade weil die Schweiz bisher einen relativ liberalen Arbeitsmarkt hat, kommen schon ganz junge und unerfahrene Menschen in den Genuss von Festanstellungen im Monatslohn mit den dazu gehörenden Sicherheiten. Die allermeisten, die mit einem Lohn unter 4000 Franken beginnen, werden nach relativ kurzer Zeit darüber entlohnt.

Damit ich nicht missverstanden werde. Ich teile die Meinung der Initianten, dass einem in Vollzeit tätigen Arbeiter der Gang zum Sozialamt erspart werden müsste. Nur ist der Mindestlohn als Massnahme zur Unterstützung der Working Poor schrecklich ungeeignet. Erstens lebt nur eine Minderheit von Tieflohnbezügern in Armutsgefährdeten Haushalten. Zweitens garantiert auch ein Mindestlohn nicht, dass eine Arbeiterin (mit Kindern zum Beispiel) genug zum Leben hat.

Was wären dann die Alternativen? Zuerst einmal muss das Existenzminimum von Einkommensteuern befreit werden, wie ich hier auch schon ausgeführt habe. Dem Argument, dass auch auf dem Existenzminimum Steuern bezahlt werden müssten, um den Leuten die Kosten staatlicher Leistungen vor Augen zu halten, kann ich nicht folgen (hier nachzulesen). Um die Lücke zwischen Einkommen und Existenzsicherung zu garantieren sollte die Schweiz ein System einer negativen Einkommenssteuer für Niedrigverdiener einführen. Dabei werden kleine Einkommen bis zu einer gewissen Grenze subventioniert. Das System hat sich in den USA sehr bewährt und hat gerade vielen Frauen aus der Armut geholfen – und ihnen den ungeliebten Gang zum Sozialamt erspart.

10 thoughts on “Mindestlohn: Weshalb 22 Franken pro Stunde und 4000 Franken pro Monat nicht dasselbe sind

  1. Einverstanden Frau Bütler, dass mit einem vorgeschriebenen Mindestlohn nicht für alle eine Besserstellung erreicht wird.
    Andrerseits sind staatliche Hilfen (keine oder Negativsteuern, Sozialzuschuss) bei Niedriglohn Verdienenden indirekt eine Subvention des Arbeitgebers.
    Ein Mindestlohn würde den Arbeitgeber zwingen, den Lohn zu zahlen (wenn die Kosten gedeckt werden, wird er es machen), den Arbeitsplatz abzubauen und/oder eine strukturelle Verbesserung zu erreichen. Die letzten beiden Punkte würden einen Arbeitsplatz kosten, aber längerfristig hat der Arbeitgeber mit der Verbesserung ein grössere Chance im Markt zu bestehen.

  2. Die Frage ist, welche der 3 Szenarien – Lohnerhöhung, Arbeitsplatzabbau oder Restrukturierung – die wahrscheinlichste ist. Gerade in Randregionen wird es nicht die Lohnerhöhung sein, weil eben die Kosten dann nicht mehr gedeckt sind. Den Arbeitnehmern wird dann die Möglichkeit genommen, sich durch Erfahrung besser zu qualifizieren und später einen höheren Lohn zu erzielen.
    Mein Beitrag geht aber in eine andere Richtung. Die durch den Mindestlohn induzierte Restrukturierung wird vermehrt zu Stellen im Stundenlohn führen auf Kosten von Stellen im Monatslohn. Je rigider der Arbeitsmarkt, desto weniger finden junge und unerfahrene Menschen eine Stelle im Monatslohn.
    Das Argument mit der Subventionierung der Arbeitgeber durch den Staat ist ein wenig zynisch, wenn dafür der Verlust an Stellen in Kauf genommen wird (unter völliger Abwälzung der Kosten auf den Staat).

  3. Im st. galler Rheintal ist es wohl eher so, dass ausser gutbürgerlich seit jeher das Angebot so minimal war dass man änet der Grenze essen ging. Pizza und Kebab gibts auch hier in Fülle und dafür geht kaum einer übers Wasser. Chinese, Mexikaner, Steakhaus oder ein Vegiangebot? Wir wüssten am Abend kaum wohin und der Preis kommt noch dazu. Dazu kommt der Ausgang welcher auf schweizer Seite noch nie wirklich Möglichkeiten bot und für uns ist darum die Grenze auch nur ein breiter Bach!

  4. Und was sagen Sie zur Tatsache, dass viele reiche Arbeitgeber Löhne unterhalb der Existenzsicherung zahlen? Sollen diese weiterhin dadurch unterstützt werden, dass Eltern, PartnerIn oder Staat/Sozialversicherungen die Differenz zur Existenzsicherung ausgleichen?

  5. @HansF Es könnte auch sein, dass die hohen CH Betriebskosten (plus die Regulierungsdichte) eine arbeitsintensive Küche nicht ermöglichen.
    @AlexSchneider Die meisten reichen Arbeitgeber zahlen auch gute Löhne (Chemie, Banken, Versicherungen). Ein Grossteil der Niedriglöhne wird in Kleinbetrieben bezahlt. Eine viel bessere Lösung sind Branchenverträge, die wir mehr und mehr auch sehen – diese nehmen Rücksicht auf regionale Aspekte, die Qualifikation der Arbeitskräfte.

  6. Kleine Löhne nur in Kleinbetrieben? Das stimmt schlicht nicht. Was ist z.B. mit den Schuhverkäuferinnen? Mit internationalen Modeketten, die ihre Angestellten miserabel bezahlen? „Reiche Arbeitgeber“ gibt es nicht nur in den wertschöpfungsstarken Branchen.

  7. Reiche Arbeitgeber gibt es sicherlich nicht nur in wertschöpfungsstarken Branchen. Gut entlohnte Arbeitnehmer sind jedoch da zu finden, wo die Leistung des Arbeitnehmers einen erheblichen Anteil an der Wertschöpfung inne hat. Das ist im Handel bei der Position einer Verkäuferin nicht in dem Maße gegeben. Und das ist gurndsätzlich das Problem bei einer gerechten Entlohnung oder einer Zwangsentlohnung wie beim Mindestlohn. Aus AG Sicht stellt sich immer die Frage wieviel kann ich vergüten und welchen Wert hat die Arbeit für den Betrieb. Dadurch geraten KMU bei Midestlohneinführung unter Druck.

  8. @Monika Bütler: Müssen denn die unterbezahlten ArbeitnehmerInnen so lange warten, bis die ArbeitgeberInnen gefälligst gewillt sind, einen akzeptablen Branchenvertrag zu unterzeichnen?
    Ist es für die Schweiz wirklich ein Problem, wenn Tieflohnarbeitsplätze, welche ohnehin meist durch ausländische Arbeitskräfte besetzt werden, ins Ausland abwandern? Wo aus regionalpolitischen (schwache Wirtschaftsregionen) oder volkswirtschaftlichen Gründen (zum Beispiel Landwirtschaft und Tourismus) kein Mindestlohn bezahlt werden kann, muss ein offizieller 2. Arbeitsmarkt etabliert werden. Die Arbeitgeber müssen jene Beschäftigten bei einer staatlichen Stelle anmelden, für die sie keinen Mindestlohn zahlen können. Der Staat/die Sozialversicherungen prüfen diese Gesuche und zahlen die Differenz zum Mindestlohn direkt an die betroffenen Arbeitnehmenden aus.
    Sollen PartnerInnen verpflichtet werden, für den Lebensunterhalt eines Arbeitnehmenden teilweise aufzukommen? Wollen wir Löhne aufgrund des Haushaltstatus eines Arbeitnehmenden?
    Wo Mindestlöhne in der Binnenwirtschaft bestehen, kann nicht ausgewichen werden. Sofern die Arbeitsplätze wirklich nötig sind, können gestiegene Lohnkosten auf die Preise überwälzt werden.
    Auch mit erwerbsabhängigen Steuergutschriften (ECO vom 28.04.2014) subventionieren wir Arbeitgeber, die sehr wohl in der Lage sind, höhere Löhne zu bezahlen.

  9. Ich habe soeben das Interview im Tagesanzeiger vom 24. Mai 2014 mit Frau Bütler gelesen. Grundsätzlich sehr interessant Ihre Meinungen zu lesen.
    Gegen Ende argumentieren Sie Frau Bütler, das man nicht zwischen „guter“ und „böser“ Fremdenfeindlichkeit unterscheiden sollte, v.a. im Hinblick auf die Erstarkung der Öko-Konservativen, da es weder „gute“ noch „schlechte“ Abschottung gibt.
    Das Interview dann allerdings damit zu beenden, das Abschottung einfach nur ihren Preis hat, finde ich fast noch gefährlicher! Was wäre denn, wenn irgendwein Wirtschaftswissenschaftler zeigen würde, dass man durch Abschottung sogar noch verdienen könnte? Dann müsste man ja Ihrer Argumentation folgend sich Abschotten, oder?

  10. @ChristianMueller Wenn der Preis einer Abschottung tatsächlich negativ ist, dann wäre es aus Kostengründen optimal die Grenzen dicht zu machen. Ich habe allerdings auch noch nie eine Studie gesehen, welche zu solchen Schlüssen kommt. Auch den armen und dem Mittelstand geht es in offenen Ländern besser. Das alles spricht nicht gegen eine Lenkung der Einwanderung, aber gegen starre und bürokratische Kontingente.

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