Münzenverweigerung

Urs Birchler & Monika Bütler

Monika ist ohne Tram-Abo unterwegs. Kein Problem: das Portemonnaie strotzt vor Münz, und der Billetautomat scheint zu funktionieren. Also: CHF 5.80, das sind 3 Fünfziger, 19 Zwanziger und 5 Zehner, alle echt. Die gehen grad noch rein, bevor das Tram kommt. Nur: Bei verbleibenden 30 Rappen Bezahlschuld kommen alle Münzen erst zögerlich dann laut scheppernd wieder raus. Man erinnert sich an einen Jahrzehnte zurückliegenden Gewinn am Spielautomaten. Zusammen mit dem Geräusch des bremsenden Trams und der Leuchtanzeige „Zu viele Münzen“ hält sich die Begeisterung allerdings in Grenzen. Und wirft eine grundsätzliche Frage auf: Wie war das schon wieder mit dem gesetzlichen Zahlungsmittel? Kürzlich haben wir uns über Österreichische Wechselstuben beklagt, die keine Euros auszahlen. Zürcher Tramautomaten verweigern sogar das Münz.

Klar, dass man die Scheidungsrente der/dem Ex nicht in Fünfrappenstücken vors Haus kippen darf. Klar auch, dass die Kinder beim Verkauf der Schoggitaler nicht auf einen Tausender rausgeben können. Aber kann ein VBZ-Automat boss eine beschränkte Anzahl Münzen zusammenzählen? Und wäre das nicht wenigstens einen Vermerk auf dem Automaten wert?

Wir verzichten auf die in solchen Fällen in der Presse übliche Berechnung, wieviele Arbeitsstunden oder Prozente des BIP jährlich verloren gehen, weil Trampassagiere den Anschluss wegen Münzverweigerung verpassen, zumal die Dunkelziffer bei knapp hundert Prozent liegen dürfte. Aber wir möchten uns doch für die Batzen, die unserem Blog den Namen gegeben haben, an dieser Stelle einsetzen. Wie heisst es doch so schön: Wer den Batzen nicht ehrt…

Die (vielleicht nicht so) böse Steuererklärung

Monika Bütler

Die GLP fordert, dass auch Schweizer und Schweizerinnen in den Genuss der Quellensteuer kommen sollten.(Nachtrag: Die Einführung der Quellensteuer wird im Juni 2015 auch im Kanton Basel-Stadt diskutiert). Grund des Vorschlags: Das Ausfüllen der Steuererklärung ist mühsam (ja!) und ist vor allem für Personen mit kleineren Einkommen unverhältnismässig. Das ist wohl so.

Die GLP hat sich in liberaler Manier dafür ausgesprochen, dass die Arbeitnehmer(innen) selber wählen dürfen, ob sie Quellen-besteuert werden wollen oder die Steuererklärung nach konventioneller Manier ausfüllen möchten.

Mein Bauchweh mit dem Vorschlag: Die empirische Forschung zeigt in überwältigender Weise, dass die Sichtbarkeit der Steuern („Salience“) einen Enfluss auf die Höhe des Steuersatzes hat. Einen negativen. Je sichtbarer („salient“) die Steuer, desto grösser der politische Druck, den Steuersatz tief zu halten. Denn leider sind die meisten Menschen nicht ganz rational. Wir tendieren dazu die Steuern zu unterschätzen, wenn wir sie nicht direkt bezahlen müssen.

Einige Beispiele:

a) Die Konsumsteuer: Das Verhalten der Konsumenten unterscheidet sich, je nachdem ob die Konsumsteuer im Preis inbegriffen ist oder nicht. Das Papier enthält im übrigen noch weitere hochinteressante Beispiele sowie eine Theorie der Sichtbarkeit von Steuern.

b) Strassengebühren: Werden die Gebühren elektronisch erhoben – das heisst so, dass sie die Autofahrer nicht jedes mal direkt sehen können, wenn sie eine Bezahlstation passieren – liegen die Gebühren um etwa 20-40% höher im Vergleich zu einer manuellen Bezahlung.

c) Ein besonders spannendes Beispiel ist die US amerikanische property tax (eine Art Grundsteuer, die sich am Wert des Grunstücks/Immobilie misst und die auf Gemeindeebene erhoben wird): Als sichtbarste Steuer wird sich am vehementesten bekämpft. Die Autorinnen erwähnen sogar Steuerrevolten. Dies obwohl die meisten Amerikaner viel viel mehr Einkommenssteuern als property tax bezahlen.

Nun kann man natürlich argumentieren, dass der Vorschlag auf Freiwilligkeit basiert. Doch auch hier gibt es einen Haken: Bei freier Wahl der Art der Steuererklärung dürfte die administrative Belastung für Steuerämter und vor allem für die Arbeitgeber eher steigen als sinken. Die Gefahr besteht, dass die Freiwilligkeit nur der erste Schritt zu einer obligatorischen Quellensteuer ist. Ganz verschwinden wird die Steuererklärung allerdings nie, weil familiäre Verhältnisse und Sonderabzüge (sei es nur für karitative Spenden) mit der Quellensteuer nicht abgebildet werden können.

Es gibt noch einen weiteren Grund gegen die (obligatorische oder freiwillige) Quellensteuer: Die Steuergerechtigkeit. Die Quellensteuer bevorzugt wieder einmal die Schlaueren und Informierteren, die wissen, unter welchen Umständen sich (trotz Quellensteuer) ein Ausfüllen einer Steuererklärung lohnt. Die Daten aus den USA zeigen, dass gerade die weniger gut gebildeten und fremdsprachigen sich scheuen, eine Steuererklärung auszufüllen, auch wenn sie mit Rückzahlungen rechnen dürften. Insofern lohnen sich vielleicht sogar die geringen Investitionen ins Steuererklärungsausfüllen in der Jugend in der Schweiz.

Fazit: Ein geringerer Druck, die Steuern tief zu halten, müsste eigentlich die Linke freuen (und nicht die GLP). Die administrativen Vereinfachungen für den einzelnen sind klein, für die Steueradministration und die Arbeitgeber dürfte es nicht einfacher werden. Und zu guter letzt hilft ein bischen Steuerformularfitness auch der Steuergerechtigkeit. Gescheiter wäre es im übrigen, die Steuererklärung für alle zu vereinfachen.

PS: Ich habe 4 Jahre lang Steuern in den Niederlanden bezahlt, Quellensteuern. Da ich damals Öffentliche Finanzen unterrichtete, füllte ich sozusagen im Selbstversuch dennoch die Steuererklärung aus. Und habe jedes Jahr einen stolzen Betrag zruück erhalten, obwohl ich als Single und nahe bei der Uni wohnend kaum Abzüge machen konnte.

Mehr als Bratwurst und Cervelat

Monika Bütler

Die gestrige SF (Abstimmungs-)Arena zu den Tankstellen war ja ziemlich bedrückend. Bundesrat Schneider-Ammann wirkte total eingeschüchtert (weshalb hat man denn dem armen Mann nicht noch eine zweite Stimme zur Seite gestellt?). Mindestens hatte er gut argumentierende Hinterbänkler. Die Tankstellenchefin Susanna Gubelmann war grandios; bodenständig und schlau: „Wie um Himmels Willen erkläre ich jemandem, dass er zwar 7 Weggli aber keinen Zopf kaufen darf?“.

A propos: Himmels Wille ist offenbar, dass Sonntags- und Nachtarbeit für die Kirche edel, für alle anderen hingegen pfui ist und deshalb verboten werden muss. So etwa die Kurzfassung der gegnerischen Argumentation. Gelernt habe ich auch, dass es offenbar zwei Arten von Menschen gibt: Arbeiter und Konsumenten (oder neudeutsch: Arbeitende und Konsumierende). Oder, etwas anders interpretiert, dass mein arbeitendes ich vor meinem konsumierenden ich per Gesetz geschützt werden muss. Fragt sich nur, wer genau den Schutz bestimmt. Die Gegner der Vorlage wussten es.  Das mit der Kirche als moralischen Kompass hatten wir übrigens früher schon mal. (Bevor ich böse emails erhalte: Ich habe gar nichts gegen die Kirche, ich stamme aus einer katholischen Grossfamilie, zu der auch die erste Schweizer Heilige gehörte).

Es geht zwar in der Vorlage nicht um Sonntags- oder Nachtarbeit, sondern um die Korrektur einer ziemlich unsinnigen Einschränkung des Angebots in der Nacht. Es ist aber durchaus angebracht, den grösseren Kontext der Vorlage anzuschauen. Leider hat dies Bundesrat Schneider-Ammann versäumt. Die Diskussion über die Länge der Ladenöffnungszeiten und die Rolle des Sonntags (als Ruhetag) ist wichtig. Und entgegen aller Vorurteile sind nicht einfach alle Ökonomen partout für unbeschränkte Öffnungszeiten der Läden. Ich erinnere mich an den Vortrag meines Berliner Kollegen Michael Burda (übrigens amtierender Präsident des Vereins für Socialpolitik, des Vereins der deutschsprachigen Ökonom(inn)en). Er wollte eigentlich zusammen mit seinem Brüsseler Kollegen Philippe Weil zeigen, dass die Einschränkung der Ladenöffnungszeiten – songenannte Blue Laws – volkswirtschaftliche Kosten hat.

Herausgekommen ist etwas differenzierteres: Die Blue Laws reduzieren zwar (a) die relative Beschäftigung in einer Volkswirtschaft, erhöhen aber (b) auch die Löhne der Beschäftigten und deren Produktivität und führen (c) erst noch zu tieferen Verkaufspreisen.

Auch andere Studien nehmen sich der Blue Laws an. So finden Yu und Kaffine, dass die Aufhebung des Verbots, am Sonntag Alkohol kaufen zu können, die Alkohol-bedingten Unfallzahlen nicht beeinflusst hat. Hingegen finden Gerber, Gruber und Hungermann, dass die Aufhebung des Verkaufsverbots am Sonntag zu einem doch recht starken Rückgang der Kirchenbesuche führt. Honi soit qui mal y pense. Die Vertreter der Kirche und der linken Parteien haben bestimmt einen viel edleren Grund, das Sonntagsverkaufsverbot beizubehalten: die Sorge um die Stimmbeteiligung. Gerber, Gruber und Hungermann finden nämlich, dass die Stimmbeteiligung unter den Sonntagsverkäufen litt (über den weniger häufigen Kirchenbesuch). Womit wir wieder bei den Abstimmungen wären.

Sparsocken

Unser Jüngster spielt Fussball bei den E-Junioren. Nach dem letzten Match entspann sich folgende E-Mail-Korrespondenz (Namen geändert, Text original):


Liebe Eltern
befindet sich in einer Club-Tasche Antons zweite grüne Stulpe sowie darin eine schwarze Angry Birds-Socke?


Hallo
Boris vermisst folgendes:
– Trainingsjacken
– Stulpen
– Trainings-T-Shirt


Carlo vermisst:
– grüne kurze Club-Hose (ohne Namen).
Carlo hat übrig:
– Club-Regentrainerjacke (ohne Namen).


Der real existierende Realtausch ist offensichtlich selbst dann mühsam, wenn die Bedürfnisse eigentlich gegenseitig übereinstimmen müssten (double coincidence of wants).

In den Wirtschaftslehrbüchern wird mit der Mühsal der Tauschwirtschaft gerne die Existenz des Geldes als Tauschmitel erklärt. Wie kommt — ohne Geld — der Friseur zu seinem Braten, wenn der Metzger kahl ist? Oder die Socke wieder zur Stulpe?

Jetzt bin ich plötzlich nicht mehr sicher. Im vorliegenden Fall würde Geld als Tauschmittel wenig nützen. Seine Stärke liegt daher wohl eher in der Wertaufbewahrung. Dazu eignet es sich besser als eine gebrauchte Angry Birds-Socke. Drum ist der stabile Geldwert so wichtig. Und drum haben Währungen, die morgen alles oder nichts wert sein können, wie die Bitcoins keine wirkliche Chance. Jedenfalls nicht gegen stabile Währungen. Wenn natürlich die grosse Hyperinflation kommt, dann liegt die Währung von morgen vielleicht heute schon in Mutter Shaqiris Sockenschublade.

Zollunion CH-EU

Urs Birchler und Monika Bütler

Erster Akt. Flughafen Wien Schwechat, Terminal 3. Zwei Stunden bis zum Abflug nach Zürich. Im Handgepäck mein neuer Wintermantel. Da wir immer brav verzollen, möchte ich auch die „Detaxe“ (offiziell: Mehrwertsteuer-Rückerstattung) geltend machen. Darf man aber erst nach erfolgtem Check-in. Check-in ist weiter kein Problem, ausser dass ich den Koffer nicht abgeben darf, bevor die Steuerrückerstattung geregelt ist. Der Hinweis, dass ich die „Ware“ (ein fades Wort für meinen dunkelblauen Mantel) im Handgepäck habe, sticht nicht. Der Koffer muss zum Zollschalter und geht dann von dort direkt weiter nach ZRH.

Zweiter Akt. Am Zollschalter stehen zwei Dutzend nahöstliche Familien mit Bergen von Gepäck in der Warteschlange. Der Beamte, mit einer Hand am Telefon, stempelt geduldig ganze Bündel von Kaufquittungen. Nach 20 Minuten trotzdem noch kein Zentimeter weiter. Monika, als fast einzige Frau unverschleiert, macht ein besorgtes Gesicht. Daher Plan B: Im Terminal 1 hat’s auch einen Zollschalter.

Dritter Akt. Am Schalter in Terminal 1 kommen wir gleich dran. Nur: Hier können wir den Koffer nicht lassen, da er von Terminal 1 nicht nach ZRH kommt. Es gebe aber einen Zollschalter auch nach der Passkontrolle. Daher Plan C: Zurück zum Terminal 3, den Koffer halt doch einchecken und mit dem Handgepäck an den Zoll-Schalter hinter der Passkontrolle. Bis zum Einsteigen bleiben immer noch 30 Minuten. Sicherheitskontrolle mit Fehlalarm bei Monika. Bitte dahin stehen, gnädige Frau. Bitte Arme heben, etc. Zollschalter zwei Treppen höher.

Vierter Akt. Ein Beamter in bester Laune (er durfte grad frisch von der Nahost-Schlange an den ruhigeren Schalter wechseln) drückt den begehrten Stempel aufs Formular: Gleich nebenan erhalten Sie das Geld. Voreilig beglückt warten wir, bis am Auszahlungsschalter die Dame mit dem Kollegen auf Ungarisch fertig geredet hat. Immer noch 20 Minuten bis zum Einsteigen. Bis alles kontrolliert ist, bleibt Zeit, die Wechselkurstabelle zu studieren: Zwischen An- und Verkauf klafft eine Differenz von rund 30 Prozent. Zum Glück sind wir nicht zum Wechseln hier. Dachten wir jedenfalls. Die Dame will uns nämlich Schweizer Franken oder US-Dollars auszahlen: In Euro hätten sie eine Cash-Limite. Ist der Euro nicht offizielles Zahlungsmittel in Österreich? Bloss: Wie sollen wir das Recht auf Euro einklagen, ohne den Flieger zu verpassen? In der Zwischenzeit ist’s nämlich noch zehn Minuten bis zum Einsteigen. Gutschrift auf Kreditkarte? Ja, gerne. Nur dauert das weitere 5 Minuten.

Vierter Akt. Endlich ausbezahlt möchten wir gerne zum Gate. Jetzt platzt die Bombe: Da müssen Sie wieder aus der Flughafenzone raus und nochmals durch die Sicherheitskontrolle. Und wo lang bitte? Da zwei Treppen runter. Nichts wie los, nur leider Sackgasse. Zum Glück treffen wir auf eine Beamten. Wie kommen wir zu den F-Gates bitte, Einsteigen ist in 5 Minuten? Das können Sie gleich vergessen!

Fünfter Akt. Nach einem weiteren Fehlalarm bei der Sicherheitskontrolle (diesmal piepst’s bei mir) haben wir den Flieger im Schweisse nicht nur des Angesichts noch erwischt. Zum Glück wurden wir nicht als Schmuggler entlarvt, denn streng genommen hatte ich doch beim vorübergehenden Verlassen der Flughafenzone meinen neuen Wintermantel, ohne ihn zu verzollen, für kurze Zeit zurück nach Österreich eingeführt.

Per Saldo: 13% österreichische MWst gespart, 8% Schweizer Zoll bezahlt, für die esparten 5% (und das gute Gewissen) eineinhalb Stunden herumgeirrt, dass selbst Franz Kafka gestaunt hätte, und schliesslich noch fast den Flieger verpasst. Dazu die Arbeitszeit all derer, durch deren Hände die Formulare gehen. Volkswirtschaftlich ein sicheres Verlustgeschäft. Schmuggeln wäre billiger!

Drum unsere Folgerung: Zollunion mit der EU! Für Artikel bis 2’000 Franken am besten sofort. Die Schweiz übt sich dumm und dämlich, um mit der EU bezüglich Abgeltungssteuern auf verwalteten Vermögen oder einen Informationsaustausch ins Reine zu kommen, sie hofft auf ein Dienstleistungsabkommen, sie übernimmt laufend Regulierungen — aber das Einfachste geht vergessen: Ein Schengen-Abkommen nicht nur für Personen, sondern auch für Güter.

Batz.ch erteilt deshalb dem Bundesrat ein Verhandlungsmandat. Mal sehen, ob mein Wintermantel den Abschluss noch erleben wird.

Büchsenravioli

Monika Bütler und Urs Birchler

Wir sind beide in kulinarisch eher bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen. Kochen war – um es einmal vorsichtig auszudrücken – nicht die Stärke unserer Mütter. Suppen aus dem Beutel (machte man damals so), keine Auswahl, kaum Abwechslung (immer der gleiche Wochenplan), nie Restaurants (schon gar keine im Ausland, da waren wir ohnehin nie (Monika) oder nur auf dem italienischen Zeltplatz (Urs)). Etwas Kompensation brachte, dass alle Gemüse, Früchte und Eier bei Monikas Familie aus eigenem Anbau stammten. Doch „biologisch“ macht die nach 30 Minuten aus dem Wasser gezogenen Kohlrabi auch nicht viel schmackhafter. Kein Wunder hatten wir eine Lieblingsspeise gemeinsam: Büchsenravioli.

Ganz anders unsere Söhne. Sie essen – meist mit Vergnügen – nicht nur die uns damals unbekannten Auberginen, Artischocken und Rucola, sondern auch Barba dei Frati, Trevisano und wie die südlichen Gemüsearten alle heissen. Die Buben kennen nicht nur mehr Tiere aus der freien Natur, sondern auch auf dem Teller (so zum Beispiel Meerschweinchen in Peru). Die Japanische und Thailändische Küche ist ihnen genau so bekannt wie die Schweizerische. Wir gehen zwar in Zürich fast nie ins Restaurant, auf unseren Reisen dafür umso mehr. Und zu guter Letzt bilden wir uns Eltern ein, dass wir einigermassen kochen können. Mindestens tun wir dies oft, gerne und mit frischen Zutaten (teilweise wieder aus eigenem Anbau).

Und dann dies: Als wir uns kürzlich wieder in einer Nostalgiephase an die Büchsenravioli erinnerten, entschieden wir uns, einen Test zu machen. Das Urteil der Söhne war vernichtend: Megafein.

Die obligaten „Learnings“ aus der Geschichte: Vielleicht sind unsere Kochkünste doch bescheidener als wir dachten. Oder – für uns etwas vorteilhafter – die kulinarische Beeinflussbarkeit der Kinder durch die Eltern ist bescheidener als wir dachten. Wir werden uns entsprechend mit Büchsen ausrüsten. Als Notvorrat getarnt.

„Armut“

Urs Birchler und Monika Bütler

Die Ferien sind vorbei, aber der Schock wirkt nach. Die Schlagzeile „Jeder 7. Schweizer von Armut bedroht“ erreichte uns in den Anden auf 3’500 müM. In Zürich hätte man gedacht: „Ach, schon wieder“, und hätte umgeblättert. Aber in Peru gelesen löst die Meldung Schreikrämpfe aus.

Monika hat in einem früheren Beitrag gezeigt, dass die international gebräuchliche relative Messung der Armut (z.B. die ärmsten 10 Prozent) absurd ist. Die Zielsetzung, die Armut zu halbieren erinnert deshalb an den Mathematiklehrer, der sagt: Ich möchte, dass möglichst viele in der besseren Hälfte der Klasse sind.

Das BFS misst die Armut ergänzend auch absolut, ausgehend von einem Existenzminimum. Dieses umfasst allerdings auch Versicherung, Kinobillette und selbstverständlich Fernsehen. Nicht berücksichtigt wird allerdings der Lebenszyklus (bereits gebatzt): Als Studenten waren wir gemäss BFS-Definition beide arm (und hatten es trotzdem lustig). Ebenfalls nicht berücksichtigt wird das Vermögen. Ein Rentner, der das Pensionskassenkapital anstelle einer Rente bezogen hat, wird dabei sofort „arm“. Wer sich einer brotlosen Kunst verschreibt, weil er eine Erbschaft erwartet, zählt ebenfalls als arm.

Wir haben hoch in den Anden und tief am Amazonas Menschen getroffen, die knapp ein Dach über dem Kopf haben, einige wenige Kleidungsstücke und grad genug zu Essen. Von einer Versicherung oder einem Kinobillet haben sie kaum je gehört, und die Schule wäre ein bis zwei Tage entfernt. Und jeder siebte Schweizer soll am Rande der Armut stehen!?

Weshalb nur brauchen wir solche eingebildeten Schreckmümpfeli? Ist das Leben in der Schweiz sonst zu langweilig? Oder kultivieren wir in der Schweiz eine „Insel der Angst“? (Siehe dazu den Beitrag über Ariel Magnus, ebenfalls im batz.ch).

Dass die Organisationen, die von der Armutsbekämpfung (bzw. von den zu diesem Zweck gespendeten Geldern) leben, unbelehrbar sind, ist noch verständlich. Aber warum nehmen die Medien (mit Ausnahme der BAZ) nicht zur Kenntnis, dass Armut in der Schweiz im wesentlichen eine statistische Fabel ist?

Service Privé

Monika Bütler und Urs Birchler

Reisen in der Schweiz. Da und dort trifft man auf den stillen Abbau des Service Public. Wir möchten (nur mit Rucksack) von Arosa nach Davos wandern und dann mit der Bahn weiter nach Muottas Muragl. Eine Tasche mit Reservekleidern soll schon mal per Bahn voraus. Nur befördert die RhB Reisegepäck nicht mehr zur Muottas Muragl Bahn (weder Berg- noch an die RhB-Talstation Punt Muragl); ja nicht einmal mehr zum Bündner Bahnknotenpunkt Filisur.

Samedan wäre im Angebot. Nur: die kurze Umsteigezeit erlaubt dort kein Abholen. Da springt der Bahnhofvorstand von Samedan grosszügig ein und offeriert, die Tasche aufs Perron zu bringen. Man müsse dann nur kurz vorher anrufen. Das macht die geplante Reise wieder möglich. Als der Zug verspätet ist, ruft der Stationsvorstand seinen Kollegen bei der Muottas-Muragl-Bahn an, es käme eine Familie etwas knapp, man möge doch notfalls mit der Abfahrt eine Minute warten.

Auf dem Rückweg hätten wir die Tasche gerne über Nacht am Bahnhof Filisur eingestellt. Doch: Der nur noch halb-bemannte Bahnhof (bei dem sich immerhin drei Linien kreuzen) bietet keine Gepäckaufbewahrung mehr. An Stelle des Service Public tritt aber wiederum ein freiwilliger Service Privé: Die Betreiberin des Bahnhofcafé, die auch die Billete verkauft, erlaubt uns, den Koffer eine Nacht neben dem Kühlschrank zu lagern.

Die private Flexibilität und der Sinn für pragmatische Lösungen kompensieren Lücken im offiziellen Angebot. Vielleicht ist es — so der Schluss aus unserer Wanderung — dieser Service Privé, der die Schweiz im innersten zusammenhält. Wieviel Abbau des Service Public er verträgt, bzw. kompensieren kann, ist allerdings die andere Frage.

Jedenfalls: Danke an die RhB, den Bahnhof Samedan (insbesondere Herrn Marco Kollegger) und ans Bahnhofcafé Filisur — mit den gemütlichen Tischen unter dem romantischen Vordach allein schon die Reise wert. (Ab ZH stündlich in 2h24, inbegriffen die Fahrt über den Landwasser-Viadukt).

Titelökonomie 2

Urs Birchler

Vor gut einem Jahr fand Monika Bütler eine beeindruckende Auswahl von Titeln, unter denen man sich beim Internet-Kauf eines Wiener Konzertbillets anmelden kann. Heute registrierte ich mich für eine Konferenz an der Universität Cambridge. Und siehe da: Die Briten stehen den Österreichern in nichts nach — einige Titel wie „Sultan“ oder „Wing Commander“ schienen mir sogar besonders reizvoll. Hier die vollständige Liste:
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AHV: Studie oder Wunschdenken?

Urs Birchler

Seit Jahren warnen seriöse Ökonomen vor den Gefahren der demografischen Alterung für unsere Sozialwerke. Dazu braucht es keine überzüchteten Modelle: Die Verschlechterung im Verhältnis Erwerbsbevölkerung zu Gesamtbevölkerung lässt sich an den Fingern abzählen.

Neuerdings kommt mit den Vorschlägen von Bundesrat Berset — endlich — Bewegung auf. Auch Jungparteien haben vor dem Rentenklau durch die Alten langsam genug, wie der Tages-Anzeiger heute online berichtet.

Aber dann zitiert der TA eine offenbar neue Studie von niemand geringerem als Nationalrat Stéphane Rossini (SP, VS), Professor an der Fachhochschule für Sozialarbeit in Lausanne und gemäss seiner homepage künftiger Nationalratspräsident ab Dezember 2014 (wurden die früher nicht jeweils vom Parlament gewählt?). Die Studie ist so neu, dass sie auf dem Internet noch nicht auffindbar ist (relevante Forschungsergebnisse werden heutzutage nicht mehr in trockenen Fachzeitschriften, sondern in süffig formulierten Tageszeitungen veröffentlicht). Drum kann ich nicht beurteilen, inwiefern das folgende Ergebnis der Studie oder dem Wunsch der TA-Redaktion entspringt:

Nicht die demografische Entwicklung bedrohe Sozialversicherungen wie die AHV, sondern der Verlust des kollektiven Wissens über das Solidaritätsprinzip unserer Sozialsysteme.

Klartext: Wenn die Jungen nur bereit sind auf alles zu verzichten, ist es kein Problem, dass sie bald für drei Alte und einen halben Pflegefall werden schuften müssen. Dass sie dies partout nicht mehr wollen, liege — so die Studie gemäss TA — im übrigen daran, dass in den Schulen mehr Selbstverantwortung als Solidarität unterrichtet werde. Das wäre zwar endlich eine gute Nachricht. Es gibt aber eine einfachere Erklärung: Der Glanz der Solidarität verblasst eben gerade, weil sich die älteren Generationen mit ihrer Weigerung zur Rentenreform eklatant unsolidarisch verhalten. Drum mein Verdacht: Die Jungen wissen nicht zuwenig über die Sozialsysteme. Sie wissen eher zuviel. Mindestens den Unterschied zwischen Selbstverantwortung und Selbstbedienung haben sie gesehen und — endlich! — kapiert.