„Armut“

Urs Birchler und Monika Bütler

Die Ferien sind vorbei, aber der Schock wirkt nach. Die Schlagzeile „Jeder 7. Schweizer von Armut bedroht“ erreichte uns in den Anden auf 3’500 müM. In Zürich hätte man gedacht: „Ach, schon wieder“, und hätte umgeblättert. Aber in Peru gelesen löst die Meldung Schreikrämpfe aus.

Monika hat in einem früheren Beitrag gezeigt, dass die international gebräuchliche relative Messung der Armut (z.B. die ärmsten 10 Prozent) absurd ist. Die Zielsetzung, die Armut zu halbieren erinnert deshalb an den Mathematiklehrer, der sagt: Ich möchte, dass möglichst viele in der besseren Hälfte der Klasse sind.

Das BFS misst die Armut ergänzend auch absolut, ausgehend von einem Existenzminimum. Dieses umfasst allerdings auch Versicherung, Kinobillette und selbstverständlich Fernsehen. Nicht berücksichtigt wird allerdings der Lebenszyklus (bereits gebatzt): Als Studenten waren wir gemäss BFS-Definition beide arm (und hatten es trotzdem lustig). Ebenfalls nicht berücksichtigt wird das Vermögen. Ein Rentner, der das Pensionskassenkapital anstelle einer Rente bezogen hat, wird dabei sofort „arm“. Wer sich einer brotlosen Kunst verschreibt, weil er eine Erbschaft erwartet, zählt ebenfalls als arm.

Wir haben hoch in den Anden und tief am Amazonas Menschen getroffen, die knapp ein Dach über dem Kopf haben, einige wenige Kleidungsstücke und grad genug zu Essen. Von einer Versicherung oder einem Kinobillet haben sie kaum je gehört, und die Schule wäre ein bis zwei Tage entfernt. Und jeder siebte Schweizer soll am Rande der Armut stehen!?

Weshalb nur brauchen wir solche eingebildeten Schreckmümpfeli? Ist das Leben in der Schweiz sonst zu langweilig? Oder kultivieren wir in der Schweiz eine „Insel der Angst“? (Siehe dazu den Beitrag über Ariel Magnus, ebenfalls im batz.ch).

Dass die Organisationen, die von der Armutsbekämpfung (bzw. von den zu diesem Zweck gespendeten Geldern) leben, unbelehrbar sind, ist noch verständlich. Aber warum nehmen die Medien (mit Ausnahme der BAZ) nicht zur Kenntnis, dass Armut in der Schweiz im wesentlichen eine statistische Fabel ist?

5 thoughts on “„Armut“

  1. Weil Journalisten normale Menschen und daher 1. nichts über Statistik wissen und 2. zu beeindruckt sind, wenn jemand mit Titel oder Hochschule eine Studie herausgibt, um nachher noch kritisch zu hinterfragen. Ich bin dafür, dass Statistik zum Pflichtfach in der Schule wird.

  2. Wir vergleichen die unteren Einkommen in der Schweiz nicht mit jenen in den peruanischen Anden. In jedem Land gibt es eine eigenständige Armutsdiskussion. Überall gilt „Keeping up with the Joneses“. Wir vergleichen mit unseren Nachbarn; mit den Leuten, denen wir täglich begegnen. Das ist unser Massstab und das ist auch richtig so. Schliesslich haben alle in diesem Land etwas dazu beigetragen, dass die Reichen so reich sind, wie sie eben sind.

  3. Es ist auch schwierig über den Tellerrand zu schauen, wenn die anderen Teller leer sind. Tut man nicht gern. So isst man dann widerwillig sein überteuertes, schrumpliges Biogemüse und hat das Gefühl – dennoch mit sattem Magen – man wird ungerecht behandelt. Da brauchts dann eine Gutenachtgeschichte, damit die Welt im Laufstall heile bleibt.

  4. Darf ich raten: Der Schreiber gehört nicht zu den „nur statistisch“ Armen?

    Wenn es ein wahres Honigschlecken ist, hier in der Schweiz zu den Armen zu zählen, kann der Schreiber ja alle, was über das Existenzminimum hinaus geht, nach Peru spenden.

  5. @Franz, wieso?

    Wäre es nicht angebracht, durch eine angepasste Preispolitik das Existenzminimum zu senken und dann von jedem das Ersparte nach Peru zu schicken? Oder wären sie dann etwa persönlich betroffen?

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