AHV: Studie oder Wunschdenken?

Urs Birchler

Seit Jahren warnen seriöse Ökonomen vor den Gefahren der demografischen Alterung für unsere Sozialwerke. Dazu braucht es keine überzüchteten Modelle: Die Verschlechterung im Verhältnis Erwerbsbevölkerung zu Gesamtbevölkerung lässt sich an den Fingern abzählen.

Neuerdings kommt mit den Vorschlägen von Bundesrat Berset — endlich — Bewegung auf. Auch Jungparteien haben vor dem Rentenklau durch die Alten langsam genug, wie der Tages-Anzeiger heute online berichtet.

Aber dann zitiert der TA eine offenbar neue Studie von niemand geringerem als Nationalrat Stéphane Rossini (SP, VS), Professor an der Fachhochschule für Sozialarbeit in Lausanne und gemäss seiner homepage künftiger Nationalratspräsident ab Dezember 2014 (wurden die früher nicht jeweils vom Parlament gewählt?). Die Studie ist so neu, dass sie auf dem Internet noch nicht auffindbar ist (relevante Forschungsergebnisse werden heutzutage nicht mehr in trockenen Fachzeitschriften, sondern in süffig formulierten Tageszeitungen veröffentlicht). Drum kann ich nicht beurteilen, inwiefern das folgende Ergebnis der Studie oder dem Wunsch der TA-Redaktion entspringt:

Nicht die demografische Entwicklung bedrohe Sozialversicherungen wie die AHV, sondern der Verlust des kollektiven Wissens über das Solidaritätsprinzip unserer Sozialsysteme.

Klartext: Wenn die Jungen nur bereit sind auf alles zu verzichten, ist es kein Problem, dass sie bald für drei Alte und einen halben Pflegefall werden schuften müssen. Dass sie dies partout nicht mehr wollen, liege — so die Studie gemäss TA — im übrigen daran, dass in den Schulen mehr Selbstverantwortung als Solidarität unterrichtet werde. Das wäre zwar endlich eine gute Nachricht. Es gibt aber eine einfachere Erklärung: Der Glanz der Solidarität verblasst eben gerade, weil sich die älteren Generationen mit ihrer Weigerung zur Rentenreform eklatant unsolidarisch verhalten. Drum mein Verdacht: Die Jungen wissen nicht zuwenig über die Sozialsysteme. Sie wissen eher zuviel. Mindestens den Unterschied zwischen Selbstverantwortung und Selbstbedienung haben sie gesehen und — endlich! — kapiert.

3 thoughts on “AHV: Studie oder Wunschdenken?

  1. Ein wenig muss sich auch die aktuelle Generation an der Nase nehmen. Wenn Double income no kids sich über die erhöhte Last an Rentnern beklagen, kündeten sie den Generationendeal. Grundsätzlich bin ich aber bei Ihnen.

    Mich würde die Meinung der Batz Blogger zur zweiten Säule vs. Umlagesystem interessieren. Wenn man sieht, dass die Geburtenrate mit dem Wohlstand einer Gesellschaft zurückgeht, werden regelmässig riesige Pensions-Positionen aufgebaut, die nicht unbedingt produktiv investiert werden und nachher bezogen, ohne genügend „Nachschub“ zu haben. Für Japan mag es aufgehen, wenn die Auslandinvestitionen genügend Geld erwirtschaften, um die überalterte Bevölkerung mit zu finanzieren, aber geht es auch für Europa auf, dass etwas später kommt und erst recht für China mit der Ein-Kind Politik?

  2. Wer sagt denn, dass wir unsere AHV weiterhin überwiegend mit Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträgen finanzieren müssen? Die von BR Berset vorgeschlagene Erhöhung der Mehrwertsteuer betrifft doch auch die Rentnergeneration. Noch besser wäre die von der SP vorgeschlagene Erbschaftssteuer oder gar eine Umlagerung des ordentlichen Bundesbudgets (Verzicht auf den Gripen-Kauf, Abbau der Landwirtschaftssubventionen, etc.)

  3. Nicht nur die Beiträge dienen der Finanzierung sondern auch die Erträge der Fonds. Die Schieflage der Sozialwerke ist nicht erstaunlich, wenn die Erträge nicht das eingegangene Risiko wiederspiegeln. Welche Boni könnte man den Aktionären oder Obligationären noch vorenthalten, wenn ihre Anlagen nach den Zinssätzen, wie sie bei den Unternehmensbewertungen üblich sind, rentieren müssten? Ich wage die Behauptung, dass wir auch bei einer Inflation knapp über 2% noch immer eine Rente versprechen könnten, die auf „ewig“ angelegt ist.

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