Happy Taxday!

Urs Birchler

Meine Schwägerin hatte gestern Geburtstag und ging erwartungsvoll zum Briefkasten. Dass der Briefumschlag der Steuerverwaltung keine Gratulation enthalten würde, hatte sie vorsichtshalber vermutet. Gleichwohl frage ich mich: Müssen wir in der Steuererklärung als ersten Eintrag das Geburtsdatum eingeben, damit dann präzis am Geburtstag die Bundessteuer-Rechnung eintrudelt?

Verdrängung

Monika Bütler

Der heutige Tagesanzeiger titelt: Ausländer ziehen in die Stadt, Schweizer aufs Land. Im Artikel wird eine CS Studie besprochen, die zeigt, dass die neuen Wohnungen in den Städten vollumfänglich von ausländischen Zuwanderern absorbiert werden. So weit so gut. Weiter geht es dann wie folgt: „Gleichzeitig verdrängt dieser Siedlungsdruck Schweizer in ländlichere Wohngebiete.“ Oder wie es später heisst: Die Schweizer rücken näher zusammen.

Wirklich? Das mit der Verdrängung ist nur eine mögliche Interpretation der Daten.  Es könnte – wie so oft – auch umgekehrt sein. Die Schweizer ziehen freiwillig aufs Land. Weder die eine noch die andere Interpretation der Daten lässt sich nämlich zweifelsfrei beweisen. Auf meine Nachfrage reichte der Autor des Artikels, Michael Soukup, freundlicherweise die sehr schlanke Studie der CS nach. Er begründete zudem (auf Twitter) die Verdrängungsthese mit dem Hinweis auf die Megatrends Re-Urbanisierung und Landflucht, die gegen meine alternativen Hypothese „freiwillig aufs Land“ sprächen.

Klar ist: Der Erhöhung des Wohnungsangebots stehen drei Veränderungen in der beobachteten Belegung der Wohnungen gegenüber: Eine Erhöhung der Zahl ausländischer Mieter, ein leichter Rückgang der Anzahl einheimischer Mieter und ein leichter Rückgang des durchschnittlich beanspruchten Wohnraums (was ja schon mal good News ist). Von „Bedarf“, übrigens, kann nicht die Rede sein. Der lässt sich gar nicht beobachten. Wir sehen in den Daten lediglich die effektive Belegung der Wohnungen.

Nun zur Interpretation: Dass die Ausländer die Schweizer verdrängen, lässt sich anhand dieser Daten nie und nimmer zeigen. Es ist eine mögliche Interpretation – und wohl diejenige, die in der momentanen Stimmung die meisten Likes generiert. Das heisst aber noch lange nicht, dass sie die richtige ist.

Dass die Schweizer näher zusammenrücken ist schon gar nicht in den Daten drin. In den Daten steht lediglich, dass die Mieter in der Stadt näher zusammenrücken. Das könnten aber genau so gut die Ausländer sein. Es ist sogar möglich, dass sich die Schweizer platzmässig ausdehnen, während sich die Ausländer viel dünner machen. Oder noch wahrscheinlicher: Das Zusammenrücken hat mit der Demographie zu tun. Die Stadt wird nachweislich jünger. Und die jüngeren wohnen in der Regel noch dichter. Viele urbane Junge ziehen später freiwillig aufs Land. Es könnte daher genauso gut sein, dass die Schweizer in der Familienphase freiwillig aufs Land ziehen und dass die Ausländer daher eher in der Stadt fündig würden. Auf jeden Fall sind mir keine Fälle bekannt, bei denen Schweizer zu Gunsten von Ausländern bei der Wohnungsvergabe diskriminiert wurden.

Meiner alternativen Interpretation stünden die Megatrends Re-Urbanisierung und Landflucht gegenüber. Ich bin nicht überzeugt. Die Re-Urbanisierung ist nur unter einem relativ kleinen, jungen, gut ausgebildeten und gut verdienenden Teil der Bevölkerung auszumachen. Für einen grossen Teil der Bevölkerung bleibt der Traum eines Häuschens auf dem Land auch in der heutigen Zeit bestehen. Die Re-Urbanisierung beschränkt sich zudem auf die In-Quartiere. Gerade in diesen Quartieren ist der Anteil der Schweizer aber nicht gesunken sind. Stadtgärtnern in Schwamendingen ist noch nicht angesagt.

Auch meine Interpretation lässt sich selbstverständlich nicht beweisen. Unplausibel ist sie aber nicht. Gerade in der heutigen aufgereizten Stimmung hätte es dem Artikel gut getan, alternative Erklärungen zuzulassen. Verdrängt werden leider nicht (nur) die Schweizer, sondern auch das Denken über den Mainstream hinaus. Ob rechts oder links spielt schon gar keine Rolle mehr.

Full disclosure. Die Autorin ist begeisterte re-urbanisierte Stadtgärtnerin und ehemaliges Landei (erst noch aus dem Aargau). Sie wohnt auf leicht unterdurchschnittlich vielen Quadratmetern in einem aufstrebenden Quartier. Und sie weiss – wie viele andere – wie verzweifelt die Suche nach der passenden Wohnung in Zürich sein kann.

 

Bahnromantik

Urs Birchler

ICE Zürich-Hamburg. Ich zeige dem SBB-Zugbegleiters brav mein Billet und offeriere gleichzeitig einen Vorschlag, wie die Bahn ihre Kunden noch glücklicher machen könnte: Ich rege an, im Reservationssystem anstatt Ruhewagen, Handy-Empfang, Fensterplatz etc., auch die Rubrik „WLAN“ anzubieten (meine Spekulation, dies sei bei „Handy-Empfang“ mitgemeint hatte sich sich als um vier Waggons daneben erwiesen). Die Antwort des Zugbegleiters war barsch und klar: „Für sönigs hani kä Ziit. Da chönzi da ane schriibe!“ und trumpft mir eine Visitenkarte mit gebührenfreier SBB-Nummer auf den Tisch und stapft beleidigt davon. Ich schwöre, ich habe höchst freundlich gefragt. Mein verdutzter deutscher Mitpassagier im Abteil nebenan wäre Zeuge.

Ich berichte dies hier nicht in der naiven Hoffnung, der SBB Kundendienst werde meinen Eintrag lesen und das Reservationsprogramm umschreiben. Nein, ich schreibe das Erlebnis auf als Beleg. Wer würde mir die Geschichte dereinst noch glauben, wenn man in vielleicht nicht allzu ferner Zukunft dank Zusammenarbeit von SBB und Facebook bei der Sitzreservation auch gleich noch einen Sitznachbarn aus einem der 58 Geschlechter auswählen konnte.

Auch jenseits der Grenze waren wir im übrigen noch nicht im Serviceparadies. Mein Mitpassagier hätte gerne was von der Speisekarte „Sie wählen. Wir servieren.“ bestellt. Der (mittlerweile deutsche) Schaffner bedauert: „Da hab‘ ich leider keine Zeit. Wenn Sie ’ne halbe Stunde warten können… Oder holen Sie’s selber. Vier Waggons weiter vorn.“ Das tut der Nachbar denn auch und wen findet er an der Bar: den Schaffner im trauten Gespräch mit den Damen von der Bedienung.

So leiden wir wenigstens gemeinsam. Und das Schöne: Wahrscheinlich hätte keiner den andern bei der Reservation als Sitznachbarn angeklickt.

Alte Schule

Zum ersten Mal überhaupt äusserte unser Junior (ein 4. Klässler) heute morgen eine leise Kritik an einem Lehrer. Unser jüngerer Sohn begleitet mich momentan in meinem Sabbatical in Auckland, Neuseeland. Mit Neuseeland hat das Unbehagen allerdings nichts zu tun. Er war bisher begeistert von der Schule, seinen Kollegen und vor allem der Lehrerin, die sich immer an den Stärken der Kinder und nicht an deren Defiziten orientierte. Für die letzten Wochen unseres Aufenthalts erhielt er nun einen neuen Lehrer. Einen netten älteren Herrn, so meinte ich.

Mein Junior war etwas anderer Meinung. Superstreng und ungeduldig sei er, bei kleinster Unruhe würde er den Unterricht lange unterbrechen, er schimpfe, und so weiter. Und dann kursieren noch Gerüchte von seinen früheren Vertretungen in der Klasse. Ich kann und will dies alles nicht überprüfen, doch irgendwie erinnerten mich die Schilderungen meines Sohnes an meine eigene Schulzeit. Ständig tadelnde Lehrer (Männer und Frauen), fliegende Bücher und Kreidestifte, (ungerechte?) Strafen, offene Bevorzugungen von Schüler(inne)n.

Interessanterweise beklagen sich in Juniors Klasse gerade die Knaben über den neuen Lehrer. Müssten sie denn nicht froh sein, in der von Frauen dominierten Primarschulwelt endlich mal einer männlichen Autoritätsperson zu begegnen? Wenn man nämlich die schweizerischen Zeitungen liest, so scheint eines klar: An den – im Vergleich zu den Mädchen – schlechteren Leistungen der Knaben sind die weiblichen Lehrkräfte schuld.

Dass es die Knaben schwerer haben als die Mädchen in der Primarschule scheint mir (auch als Mutter zweier Knaben) unbestritten. Ich habe allerdings trotz aufwändiger Recherche noch keine Studie gefunden, die einen negativen Einfluss von Lehrerinnen auf die Leistungen der Jungs nachweisen würde. Falls überhaupt Effekte gezeigt wurden, war der Einfluss positiv. So zum Beispiel in der Studie von Escardíbul und Mora, bei der eine weibliche Lehrkraft zu einem besseren Testresultat in Mathematik führte – vor allem bei den Knaben. Dass die Verweiblichung des Lehrkörpers an den Problemen der Knaben schuld sein sollte, ist wohl genau so ein Mythos wie dass es früher (mit einer männlichen Lehrermehrheit) besser war.

Nur: Woran liegt es denn, dass weniger Knaben den Sprung ans Gymnasium schaffen? Knaben mehr Probleme in der Schule zu haben scheinen? Hier meine ganz persönlichen Beobachtungen ohne Anspruch auf Wissenschaftlichkeit.

Offenbar scheint es in der Schule nun üblich zu sein, dass bei der Notengebung nicht nur die Prüfungsleistungen berücksichtigt werden, sondern auch andere Aspekte wie Motivation, Sorgfalt und Anstrengung. Als ob Motivation, Sorgfalt und Anstrengung nicht schon einen direkten Einfluss auf die Prüfungsleistungen hätten. Wer also (vermeintlich) weniger motiviert ist, unsorgfältiger arbeitet oder sich nicht offensichtlich anzustrengen scheint, wird doppelt bestraft. Oder anders ausgedrückt: Zapplige Knaben und Mädchen (!) haben kleinere Chancen auf gute Noten. Solange diese Art der Beurteilung pädogischer Standard ist, spielt es gar keine Rolle, wer die Kinder unterrichtet. Im Sinne einer Selbstselektion wählen nämlich nur diejenigen jungen Menschen, ob Mann oder Frau, die Lehrerausbildung, die sich grundätzlich mit der gängigen Unterrichts- und Beurteilungsmethode identifizieren.

Mit der Erinnerung an meine eigene Schulzeit wurde mir allerdings noch ein anderer Grund für das Aufholen der Mädchen bewusst: Im Gegensatz zu früher werden die Mädchen von Eltern und Schule nicht mehr zurückgehalten, sondern genau so wie die Knaben aktiv gefördert. Also kein Bremsen des Ehrgeizes mehr (“sonst kriegst du keinen Mann”, “bringt nichts, du heiratest ja doch”), nicht mehr Häkeln und Stricken anstelle von Geometrie wie es bei mir noch teilweise der Fall war.

Es gibt wohl noch viele weitere Gründe für die unterschiedlichen Erfahrungen von Mädchen und Knaben in der Primarschule. Die frühe Selektion zum Beispiel. Auch dies ist hier ein Neuseeland – einem Spitenreiter bei den PISA Resultaten – anders.

Mein Junior hat sich auf dem langen Schulweg wieder abgeregt und freute sich am Schluss sogar auf den neuen Lehrer. Dass seine Mutter überhaupt nicht gerne zur Schule ging und kaum eine Gelegenheit ausliess, “krank” zu Hause zu bleiben, konnte er fast nicht glauben. Echt, Mama? fragte er immer wieder. Früher war eben nicht alles besser.

Professor Shylock

Urs Birchler

Die Bretter, die das Geld bedeuten. Die Theaterregisseurin Claudia Brier inszenierte in Baden-Baden die erste Folge einer Trilogie des Geldes. Und der Professor, angeheuert als Berater im Hintergrund, steht plötzlich auf der Bühne. Gottlob: Die Zeitungen sind ganz zufrieden mit mir. Die Kommentare (Schauspieltalent, Glücksgriff) klingen jedenfalls eine Spur generöser als jeweils meine „teaching evaluations“.

Eine Enttäuschung blieb mir gleichwohl nicht erspart: In der Probe trug ich meinen Shylock-Text in meinem besten Bühnendeutsch vor. Mit meinem Vorschlag, den Wucherer doch besser mit Schweizer Akzent zu geben, stiess ich auf Begeisterung. „Ja, genau so, wie Du ihn eben vorgetragen hast!“ Ich gab dann kleinlaut doch noch eine Probe mit Akzent. „Nee, das verstehn’se nich.“ Sollte ich wirklich einmal Hochdeutsch sprechen müssen, bleibt mir nur die Entgegnung von Friedrich Dürrenmatt: „Ich kann nicht höher.“

Twitter kaufen?

Urs Birchler

Angenommen, Sie verkaufen morgen vormittag ihr Haus für eine Million. Am Abend erfahren Sie, dass der Käufer das Haus bereits für 1,2 Millionen weiterverkauft hat. Sie klopfen sich auf die Schulter und öffnen eine Flasche Champagner?

Die meisten Beobachter würden Sie für zumindest sonderbar halten. Genau das beschriebene Verhalten ist aber die Regel, wenn nicht Häuser, sondern ganze Unternehmen verkauft werden. Der erstmalige Gang eines Unternehmens an die Börse heisst IPO (Initial Public Offering). Eines der robustesten Phänomene in der ganzen Finanzwelt ist das sogenannte IPO-Underpricing. Aktien, die via IPO ausgegeben werden, sind meist „zu billig“. Der Ausgabekurs, zu dem das Unternehmen die Aktien verkauft, sind in aller Regel tiefer, als der Kurs, zu dem die Aktie am ersten Börsentag gehandelt wird. Genau wie in unserem Haus-Beispiel. Weiterlesen

Ich bin auch eine Geldwäscherin

Monika Bütler

Als Vorbereitung für einen Forschungsaufenthalt im Ausland habe ich die Konti bei zwei Kreditkarten etwas gefüllt. Heute erhalte ich folgende Meldung:

Sehr geehrte Frau Bütler

Vielen Dank für Ihre Einkäufe mit der XYZ Card.

Bei einer internen Prüfung haben wir festgestellt, dass Sie ein Guthaben von CHF 3400.35 auf Ihrem Konto haben. Gemäss Vorgaben des Bundesgesetzes über Banken und Sparkassen sowie der Finanzmarktaufsicht (FINMA) dürfen keine Kundenguthaben > CHF 3000 verwaltet werden.

usw. Der nette Herr bei der XYZ Card hat mir dann am Telefon bestätigt, dass es sich um eine Massnahme zur Vermeidung von Geldwäscherei handelt. Und dass es für mich ja vorteilhalt sei, die Gelder zurückzuerhalten. Schliesslich würde XYZ Card keinen Zins bezahlen. Schon wieder etwas gelernt. Schön, dass sich die FINMA auch um die Kleinen kümmert. Mit den Zinserträgen der zurückbezahlten CHF 400.35 kann ich allerdings selbst im billigsten Land der Erde nichts kaufen.

Leben nach Mühleberg?

Urs Birchler

Unser jüngerer Sohn (9) lernte kürzlich stricken. Mit dem der Jugend eigenen Instinkt für Kommendes ahnte er, dass es mit Mühleberg nicht mehr lange dauern könnte. So griff er gelassen zur Nadel.

Ganz anders die Schweizer Politik: Sie scheint ganz aus dem Häuschen: Wie sollen wir (nach 2019) den Strom aus Mühleberg ersetzen? Importe aus dem bösen Ausland — Hunderte von Windturbinen in unserer schönen Landschaft?

Wiederum kein Wort darüber, dass der sauberste Strom aus der P-Dose kommt. P wie Preis. Höhere Strompreise reduzieren die Nachfrage: Wir könnten ein bisschen knapper heizen, mal die Treppe statt den Lift nehmen oder warme Socken stricken statt gamen. Drum ist auch der Preis ein Kraftwerk. Nur ohne Radioktivität oder CO2. Doch für Politiker ist der Preismechanismus offenbar noch schlimmer als Strahlung, verstellte Landschaft und Auslandsabhängigkeit zusammen; man darf das P-Wort fast nicht ausprechen. Der staatliche Respekt vor unserem Portemonnaie geht (hier zumindest) so weit, dass man uns statt einer höheren Stromrechnung lieber noch den Eierkochinspektor ins Haus schickt.

Ich persönlich würde lieber in den sauren Preis-Apfel beissen. Auch wenn unser Bub weiterhin mit unsubventionierten Nadeln stricken muss.

Die ewige Angst vor dem Abstieg – etwas Hintergrund

Monika Bütler

Das NZZ Folio hat meinen Beitrag zum Zustand des schweizerischen Mittelstands freundlicherweise bereits verlinkt. Was ich noch nachliefern möchte, sind die wissenschaftlichen Grundlagen und andere Texte, auf die ich mich direkt oder indirekt abgestützt habe. Oder einfach interessante Hintergrundliteratur.

Treue batz Leser(innen) werden das eine oder andere schon früher gelesen haben. Die Problematik der steigenden Wohnkosten habe ich in „Mietzinsakrobatik“ diskutiert, die Steuerbelastung des Mittelstandes in „Steuerbelastung inflationsbereinigt“ und in „Sind Steuerzahler bessere Menschen?“. Dass der Lebenszyklus wichtig ist für die Beurteilung der Einkommen stand in der NZZ am Sonntag und im batz:  Einkommensverteilung und Lebenszyklus. Zum Thema Einkommensverteilung haben auch meine Kollegen Marius Brülhart in Land der begrenzten Ungleichheiten und Reto Föllmi (mit Isabelle Martinez) in Reich sein in der Schweiz…  beigetragen. Dass es wichtiger wäre Tagesschulen zu organisieren statt das Hortwesen zu perfektionieren stand in „Familienartikel: Umbau der antiquierten Schulstruktur!“ Und meine Kollegin Christina Felfe ergänzte mit vielen interessanten Informationen zur Kinderbetreuung in der Schweiz.

Hier die wissenschaftliche Literatur und weitere Hintergrundliteratur geordnet nach Themen:
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Nobel Prize 2013

Monika Bütler und Urs Birchler

„I can calculate the motion of heavenly bodies, but not the madness of people“, stellte Isaac Newton entnervt fest, nachdem er sein Vermögen im Aktienmarkt verloren hatte.

Die diesjährigen Empfänger des Wirtschaftsobelpreises ehrt drei Forscher, die Newton’s Anregung aufgenommen haben und versuchten, die Bewegungen der Preise finanzieller oder realer Anlagen wie Aktien, Bonds, Immobilien zu verstehen. Genauer: Sie haben die Instrumente entwickelt, die die Vorhersehbarkeit solcher Preise untersuchen.

  • Eugene Fama:
    Fama fragte sich: Sind künftige Aktienpreisbewegungen prognostizierbar, z.B. aufgrund vergangener Preisbewegungen? Und: Wie schnell geht neue Information in die Preisbildung ein? Seine Resultate wurden bekannt unter dem Titel „Efficient Market Hypothesis“: Die Marktpreise enthalten stets alle (mindestens die öffentlich bekannten) Informationen; vergangene Preise sagen deshalb nichts über die Zukunft. [Korrektur: Im ursprünglichen Text hatten wir Fama auch noch das CAPM angedichtet, für welches bereits 1990 William Sharpe und Harry Markowitz ausgezeichnet wurden.]
  • Robert Shiller:
    Robert Shiller nahm Fama’s Ball auf: Wenn Aktienpreise über kurze Zeiträume nicht prognostizierbar sind, dann vielleicht über längere Zeiträume! Aktien schwanken viel zu stark im Verhältnis zu den Schwankungen der Dividenden. Über- und Unterbewertungen im Verhältnis zu Aktien liefern sogar eine Prognose über mittelfristige Kursbewegung. Mit seinem Buch Irrational Exuberance (2000) warnte Shiller vor der Internet Bubble (die kurz darauf platzen sollte). Shiller hat auch wichtige „Handwerksarbeit“ geleistet: Der Case-Shiller-Index (mit Subindizes) ist der Index der amerikanischen Immobilienpreise. Shiller ist durch seine Forschung auch zum Pionier der Behavioral Finance geworden, einem Zweig der Ökonomie, der eine Reihe von Verhaltensmustern identifiziert hat, die nicht mit dem homo oeconomicus im strikten Sinne vereinbar sind.
  • Lars Peter Hansen:
    Dass der dritte Geehrte, Lars Peter Hansen, viel weniger bekannt ist als die beiden anderen, hängt mit der Art seiner Forschung zusammen. Er entwickelt nämlich statistische Methoden um rationale Bewertungsmodelle zu testen. Sein bekanntester Beitrag ist die sogenannte Generalized Method of Moments, die er bereits 1982 (!) im Alter von 30 Jahren entwickelte. In der Zwischenzeit hat seine Methode weit über die Finance hinaus eine breite Anwendbarkeit erlangt. Lars Peter Hansen interessiert sich insbesonder für die makroökonomischen Implikationen der Finanzmärkte. Denn die Preise auf den Finanzmärkten werden nicht nur beeinflusst durch makroökonomische Grössen wie Produktion, Konjunkturbewegungen und Staatseingriffe, sie beeinflussen diese im Gegenzug auch.

Die drei Forscher, vor allem Fama und Shiller, haben auch die Praxis stark beeinflusst. Fama’s Nachweis, dass sich mit kurzfristiger Aktienprognose kein Geld verdienen lässt und dass „Stock Picking“ Zeitverlust ist, bereitete den Boden für den Erfolg der Indexfonds. Auch den Chartismus, der versucht die aufgrund von Kursen aus der Vergangenheit mittels Trendlinien und typischen Mustern die künftigen Preise vorhersagen wollen, entlarvte die Forschung von und nach Fama als Lesen im Kaffeesatz. Shiller hat gezeigt, dass es — entgegen Famas Auffassung! — auf den Finanzmärkten „Bubbles“ gibt und weshalb diese manchmal so „vernunftresistent“ sind. Hansens Einfluss auf die Praxis ist eher indirekt. Immerhin basieren sehr viele der heute in den Notenbanken verwendeten Modelle auf seinen Arbeiten.

Mit der Wahl des Themas Assetpreise ehrt das Nobelpreiskommitee Arbeiten, die zum Verständnis von Finanzkrisen beitragen. Die Überbewertung von Immobilien stand am Anfang der noch nicht überwundenen Finanzkrise von 2007-08. Und wer weiss, wohin die von Notenbankgeld getriebenen Kurssteigerungen an den Börsen noch führen werden — dies vielleicht der versteckte Wink des Kommitees.