Verdrängung

Monika Bütler

Der heutige Tagesanzeiger titelt: Ausländer ziehen in die Stadt, Schweizer aufs Land. Im Artikel wird eine CS Studie besprochen, die zeigt, dass die neuen Wohnungen in den Städten vollumfänglich von ausländischen Zuwanderern absorbiert werden. So weit so gut. Weiter geht es dann wie folgt: „Gleichzeitig verdrängt dieser Siedlungsdruck Schweizer in ländlichere Wohngebiete.“ Oder wie es später heisst: Die Schweizer rücken näher zusammen.

Wirklich? Das mit der Verdrängung ist nur eine mögliche Interpretation der Daten.  Es könnte – wie so oft – auch umgekehrt sein. Die Schweizer ziehen freiwillig aufs Land. Weder die eine noch die andere Interpretation der Daten lässt sich nämlich zweifelsfrei beweisen. Auf meine Nachfrage reichte der Autor des Artikels, Michael Soukup, freundlicherweise die sehr schlanke Studie der CS nach. Er begründete zudem (auf Twitter) die Verdrängungsthese mit dem Hinweis auf die Megatrends Re-Urbanisierung und Landflucht, die gegen meine alternativen Hypothese „freiwillig aufs Land“ sprächen.

Klar ist: Der Erhöhung des Wohnungsangebots stehen drei Veränderungen in der beobachteten Belegung der Wohnungen gegenüber: Eine Erhöhung der Zahl ausländischer Mieter, ein leichter Rückgang der Anzahl einheimischer Mieter und ein leichter Rückgang des durchschnittlich beanspruchten Wohnraums (was ja schon mal good News ist). Von „Bedarf“, übrigens, kann nicht die Rede sein. Der lässt sich gar nicht beobachten. Wir sehen in den Daten lediglich die effektive Belegung der Wohnungen.

Nun zur Interpretation: Dass die Ausländer die Schweizer verdrängen, lässt sich anhand dieser Daten nie und nimmer zeigen. Es ist eine mögliche Interpretation – und wohl diejenige, die in der momentanen Stimmung die meisten Likes generiert. Das heisst aber noch lange nicht, dass sie die richtige ist.

Dass die Schweizer näher zusammenrücken ist schon gar nicht in den Daten drin. In den Daten steht lediglich, dass die Mieter in der Stadt näher zusammenrücken. Das könnten aber genau so gut die Ausländer sein. Es ist sogar möglich, dass sich die Schweizer platzmässig ausdehnen, während sich die Ausländer viel dünner machen. Oder noch wahrscheinlicher: Das Zusammenrücken hat mit der Demographie zu tun. Die Stadt wird nachweislich jünger. Und die jüngeren wohnen in der Regel noch dichter. Viele urbane Junge ziehen später freiwillig aufs Land. Es könnte daher genauso gut sein, dass die Schweizer in der Familienphase freiwillig aufs Land ziehen und dass die Ausländer daher eher in der Stadt fündig würden. Auf jeden Fall sind mir keine Fälle bekannt, bei denen Schweizer zu Gunsten von Ausländern bei der Wohnungsvergabe diskriminiert wurden.

Meiner alternativen Interpretation stünden die Megatrends Re-Urbanisierung und Landflucht gegenüber. Ich bin nicht überzeugt. Die Re-Urbanisierung ist nur unter einem relativ kleinen, jungen, gut ausgebildeten und gut verdienenden Teil der Bevölkerung auszumachen. Für einen grossen Teil der Bevölkerung bleibt der Traum eines Häuschens auf dem Land auch in der heutigen Zeit bestehen. Die Re-Urbanisierung beschränkt sich zudem auf die In-Quartiere. Gerade in diesen Quartieren ist der Anteil der Schweizer aber nicht gesunken sind. Stadtgärtnern in Schwamendingen ist noch nicht angesagt.

Auch meine Interpretation lässt sich selbstverständlich nicht beweisen. Unplausibel ist sie aber nicht. Gerade in der heutigen aufgereizten Stimmung hätte es dem Artikel gut getan, alternative Erklärungen zuzulassen. Verdrängt werden leider nicht (nur) die Schweizer, sondern auch das Denken über den Mainstream hinaus. Ob rechts oder links spielt schon gar keine Rolle mehr.

Full disclosure. Die Autorin ist begeisterte re-urbanisierte Stadtgärtnerin und ehemaliges Landei (erst noch aus dem Aargau). Sie wohnt auf leicht unterdurchschnittlich vielen Quadratmetern in einem aufstrebenden Quartier. Und sie weiss – wie viele andere – wie verzweifelt die Suche nach der passenden Wohnung in Zürich sein kann.

 

One thought on “Verdrängung

  1. Aus Multifaktoriellen Daten kann man sich nach Belieben mögliche Ursachen zusammenreimen, die stimmen können oder auch nicht.
    Alles reine Spekulation.
    Wenn man es wirklich wissen will, frage man die Leute präzise danach und dann erhält man die richtigen Antworten.
    Von den genannten möglichen Gründen können es auch mehrere sein.
    So wie in Berlin: Neues Landleben in Brandenburg, Zuzug von hippen Entrepreneueren ins dt. Gründerparadies, von arabischen Clans beherrschte No-go-areas etc.
    Alles dabei.
    Doch ein paar Nettozahlen reichen nicht, sondern man muss detaillierter hinschauen.

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