Twitter kaufen?

Urs Birchler

Angenommen, Sie verkaufen morgen vormittag ihr Haus für eine Million. Am Abend erfahren Sie, dass der Käufer das Haus bereits für 1,2 Millionen weiterverkauft hat. Sie klopfen sich auf die Schulter und öffnen eine Flasche Champagner?

Die meisten Beobachter würden Sie für zumindest sonderbar halten. Genau das beschriebene Verhalten ist aber die Regel, wenn nicht Häuser, sondern ganze Unternehmen verkauft werden. Der erstmalige Gang eines Unternehmens an die Börse heisst IPO (Initial Public Offering). Eines der robustesten Phänomene in der ganzen Finanzwelt ist das sogenannte IPO-Underpricing. Aktien, die via IPO ausgegeben werden, sind meist „zu billig“. Der Ausgabekurs, zu dem das Unternehmen die Aktien verkauft, sind in aller Regel tiefer, als der Kurs, zu dem die Aktie am ersten Börsentag gehandelt wird. Genau wie in unserem Haus-Beispiel.

„Das gibt’s doch nicht!“, denken Sie. Doch! Hier sind die Zahlen (von Jay Ritter’s wunderbarer homepage): Im Zeitraum 1980-2012 wurden in den USA 7’700 Börsengänge mit einem Gesamtvolumen von 726 Mrd. USD durchgeführt. Die Differenz zwischen dem Schlusskurs am ersten Börsentag und dem Ausgabepreis betrug im Durchschnitt rund 18 Prozent. Mit anderen Worten: Die Unternehmen „verschenkten“ insgesamt 135 Mrd. USD.

Und waren dabei noch glücklich! Die Champagnerkorken knallen am Abend des Börsengangs umso lauter, je grösser die Kurssteigerung am ersten Tag ausfällt, je mehr Geld also das Unternehmen verschenkt hat. Natürlich feiern auch die Investoren, welche beim Börsengang mitgemacht haben; ihr Einsatz hat am ersten Tag schon mehr abgeworfen als sonst in einem Jahr.

Also: Nichts wie los und beim bevorstehenden Börsengang von Twitter alles setzen?

Vorsicht: Das Underpricing gilt im Durchschnitt. In Einzelfällen stürzt eine Aktie am ersten Tag auch einmal ab. Und genau dann bekommt man als Käufer eine Vollzuteilung der bestellten („gezeichneten“) Aktien. Bei den Börsengängen, bei denen sich der Kurs verdoppelt, erfolgen Zuteilungen nur stark gekürzt. Die Chancen sind also einseitig verteilt: Wenn es gut läuft, muss ich mit vielen andern teilen, wenn’s schlecht läuft, bin ich allein. Dies nennt man den (von Auktionen bekannten) Fluch des Siegers (winner’s curse).

Die winner’s curse ist nicht die einzige, aber für mich noch immer die plausibelste Erklärung für das Underpricing der IPOs. Interessant ist das Beispiel von Google. Das Unternehmen nahm den Rat namhafter Ökonomen wie Eric Budish und Paul Klemperer ernst und warnte die Investoren im Emissions-Prospekt (S.18) ausdrücklich vor der winner’s curse.

Also: Sichere Gewinne gibt es leider nicht. Auch wer erwartet, dass die Twitter-Aktie an der Börse ihren Ausgabepreis schlägt, soll nicht blind kaufen. Vielleicht ist der Spatz in der Hand mehr wert als die blaue Taube auf dem Dach.

One thought on “Twitter kaufen?

  1. Bei jedem Geschäft, ob Hauskauf, Börsenkauf oder Kauf eines Investitionsgutes glaubt man, ein gutes Geschäft zu machen, dies glauben beide Seiten, der Käufer und der Verkäufer, sonst würden sie das Geschäft nicht abschliessen. Auch bei einem IPO bestehen Risiken, für den Verkäufer der Aktien, wie auch für den Aktienzeichner beim IPO. In den guten alten Zeiten konnte selbst mit Obligationen-anleihen etwas Geld „verdient“ werden, der Markt half mit. Börsenhypes sind noch immer möglich, man denke nur an die Bewertung der Tesla-Aktie oder an die New Economy. „The Winner takes it all“, sagt ein anderes Sprichwort, natürlich kann der Winner auch der Verlierer sein! – Wenn allerdings mein Haus, welches ich mit einem guten Preis verkauft habe, eine Woche später wieder verkauft wird, dann öffnet aber vor allem das Steueramt die Champagnerkorken, denn der Gewinn wird zu Recht mehrheitlich wegbesteuert!

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