Mindeststeuersätze machen die Schweiz nicht gerechter

Die Befürworter der Steuergerechtigkeits-Initiative argumentieren gerne, dass ein Mindeststeuersatz nur eine kleine Gruppe von Steuerzahlern (die Reichen) betreffe. Und dies ohnehin nur in wenigen Kantonen. Der Mindestsatz sei daher für die effektive Steuerbelastung der weniger Reichen und für diejenigen Kantone irrelevant, in denen die Steuersätze bereits über den vorgeschlagenen Grenzen liegen. Doch eine Analogie mit den Mindestlöhnen zeigt, dass diese Einschätzung sehr wahrscheinlich falsch ist.

Eine Reihe empirischer und experimenteller Studien hat eindeutig gezeigt, dass die Einführung eines Mindestlohnes auch jene Löhne anheben kann, die bereits über dem neuen Mindestlohn liegen. Mindestlöhne haben somit einen Einfluss auf die gesamte Lohnverteilung und nicht nur auf die direkt betroffenen Arbeiter und Firmen. Einige der in der Literatur über Mindestlöhne diskutierten Erklärungen lassen sich auch für die Mindeststeuersätze übertragen.

Werden die Steuersätze für Reichere in den Kantonen mit tiefen Steuern angehoben, so gibt es zwei unmittelbare Auswirkungen und die auch von den Initianten nicht bestritten werden. Erstens vergrössert sich der Abstand in der Steuerbelastung zwischen Personen, deren Einkommen oder Vermögen gerade unter der Grenze liegt und den von der Initiative betroffenen Steuerzahlern. Zweitens verringert sich der Abstand zwischen den betroffenen Kantonen und den nicht betroffenen Kantonen. Doch damit ist die Anpassung der Steuertarife noch nicht fertig. Die beiden oben erwähnten Auswirkungen ziehen weitere nach sich.

Vergrössert sich der Abstand in der Steuerbelastung zwischen den von der Initiative betroffenen Steuerzahlern und jenen, die gerade nicht mehr betroffen sind, dann lohnt es sich für erstere, weniger zu arbeiten oder das Vermögen so umzuschichten, dass sie von der höheren Steuerbelastung nicht mehr betroffen sind. Die Kantone werden somit gezwungen sein, die Steuerbelastung auch für die weniger gut verdienenden Personen anzuheben. Genau wie Firmen die Löhne für jene Arbeiter, deren Lohn vor Einführung des Mindestlohnes über dem Mindestlohn lag, nach oben anpassen müssen.

Ein geringerer Abstand zwischen den betroffenen Kantonen und den nicht betroffenen Kantonen klingt auf den ersten Blick „gut“ im Sinne einer gerechteren Belastung der Steuerzahler. Doch wenn heute bereits ziemlich grosse Unterschiede toleriert werden (beispielsweise, weil der Hochsteuerkanton billigere Wohnmöglichkeiten anbietet oder sich einen besseren Public Service leistet), so ist es nicht einzusehen, dass dies nach der Einführung des Mindestsatzes anders sein sollte. Die Hochsteuerkantone haben somit mit wenig Widerstand zu rechnen, die Steuerbelastung weiter zu erhöhen. Zum Schluss bleiben die Unterschiede wohl bestehen – einfach auf einem höheren Niveau. Auch diesen Anpassungskanal kennen wir aus der Analyse von Mindestlöhnen: Auch Firmen, die von den Mindestlöhnen nicht betroffen sind (weil sie beispielsweise qualifiziertere Mitarbeiter haben), müssen nach der Einführung oder Erhöhung der Mindestlöhne ihre Lohnskala nach oben anpassen.

Es gibt gute Gründe, dem Steuerwettbewerb gewisse Schranken zu setzen. Mit dem neuen Finanzausgleich ist dies bereits zu einem gewissen Teil geschehen. Gut möglich, dass noch weitere Massnahmen nötig sind. Ein „gerechter“ Steuerwettbewerb ist aber nicht über eine Mindestbelastung gewisser Steuerzahler zu erreichen. Ein Mindestsatz löst eine ganze Reihe von Anpassungen aus, die die gesamte Einkommens- und Vermögensverteilung in allen Kantonen betreffen. Am Schluss werden die Unterschiede zwischen den Kantonen kaum kleiner. Es zahlen einfach alle mehr – ohne dass die Bürger und Bürgerinnen dafür notwendigerweise mehr erhalten. Mehr Gerechtigkeit sehe ich hier nicht.

Internationale Finanzmarkt“architektur“

In den vergangenen Tagen haben uns gleich zwei leitende internationale Gremien mit ihren Vorschlägen zur Bankenregulierung verwöhnt. Das von der G20 geschaffene FSB (Financial Stability Board) traf sich in Seoul und erliess Empfehlungen auf höchster Abstraktionsebene. Diese lesen sich wie ein Weihnachts-Wunschzettel. Mehr Kapital und Liquidität figurieren an erster Stelle. Es folgt der Wunsch nach einer Lösung der faktischen Staatsgarantie für Grossbanken (im Jargon: SIFIs, für „systemically important financial institutions“). Gefordert wird zum Beispiel eine „Capacity to resolve national and global SIFIs without disruption to the financial system and without taxpayer support“. Da auf einen richtigen Wunschzettel auch Dinge gehören, von denen man weiss, dass man sie nicht bekommen kann, folgt auch „Increasing supervisory intensity and effectiveness“. Leider sagt uns das FSF nicht, wie wir die Aufseher dazu bringen, einer Bank auf die Hühneraugen zu treten, deren Vertreter das Zehn- bis Hundertfache des Aufsehers verdienen, und die zu seinen wenigen möglichen künftigen Arbeitgebern zählt. Viel mehr als hübsches Geschenkpapier hat das FSF nicht geboten.

Der Inhalt der Päckli muss ohnehin von den nationalen Behörden und Gesetzgebern geliefert worden. Einen ersten Blick auf den Gabentisch hat die EU-Kommission mit ihrem Bericht vom 10. Oktober 2010 erlaubt. Da liegen die phantasielosen „Bessere Aufsicht“, „mehr Prävention“, die es zu jeder Weihnacht gibt, aber noch nie viel genützt haben. Dann aber schimmert durchs Papier die Aufschrift „Debt write down“. Das ist das, was wir uns sehnlichst gewünscht haben. Ohne Schuldenkürzung oder -umwandlung ist eine Insolvenz nicht zu beheben. Die ebenfalls vorhandenen Päckli „Umstrukturierung“, „Good bank — bad bank“, etc. sind nämlich unbrauchbar ohne klare Zuweisung der Verluste. Deshalb stürze ich mich auf „Debt write down“ und was finde ich? Erstens den richtigen Hinweis, dass es nicht ohne geht, und dann den ebenfalls richtigen Hinweis, dass nicht-EU-Jurisdiktionen eine Kürzung der Schulden einer EU-Bank kaum hinnehmen würden. Es folgen dann zwar genauere „Cross-Border“-Erläuterungen, aber bei der EU heisst „grezüberschreitend“ stets: innerhalb der EU.

Die Kernfrage, „Wie kürzt man Schulden, ohne das Insolvenzrecht zu bemühen und eine Rechtskrieg mit amerikanischen Behörden und Anlegern zu entfesseln?“ wird nicht weiter diskutiert, abgesehen von einer schüchtern-beiläufigen Erwähnung der Idee der „contingent convertibles“, wie sie von der Expertengruppe des Bundes vorgeschlagen wurden.

Anstatt sich mit der schwierigen, aber unvermeidlichen Frage der Schuldumwandlung auseinanderzusetzen, greift die EU-Kommission erneut zur Idee eines von den Banken zu äufnenden Stabilitätsfonds. Die hanebüchene Begründung: Die Banken, nicht die Steuerzahler, sollen für Bankenkrisen zahlen. Weshalb aber die guten Banken für die schlechten zahlen sollen, bzw. warum dies besser ist als wenn die Steuerzahler zahlen, wird nicht erklärt.

Kurz: Die EU-Kommission bietet ein Musterbeispiel an Entscheidungsschwäche und konzeptioneller Ratlosigkeit. Mangels konzeptionellem Kompass will sie von allem etwas: Mehr Kapital, mehr Liquidität, mehr Überwachung, weitergehende Kompetenzen für die Behörden, mehr Töpfe, aus denen Banken saniert werden können. Mehr Gremien, die mit vagen Aufträgen ausgestattet sind, hat sie letztes Jahr schon geschaffen. Wetten, wer inskünftig bezahlt: Steuerzahler oder Banken? Ganz einfach: Beide.

Les heures sont des trésors

Laut Pressemeldungen (zum Beispiel im Tagesanzeiger) will ein Teil der SVP die Sommerzeit abschaffen, da diese laut einer Ärztin zu verschiedenen Leiden führt. Wie sind keine Mediziner; wir möchten nur eine wirtschaftshistorische Fussnote anbringen. Sie lässt vermuten, dass die SVP auch nicht mehr ist, was sie einmal war.

Nämlich: Nicht nur die Sommerzeit, überhaupt diese weder kinder- noch erwachsenengerechte fixe Zeiteinteilung ist zutiefst unschweizerisch und gehört lebenslänglich ausgeschafft. Früher galt die Sonne als Zeitmessserin, und im Winter waren halt die Stunden am Tag kürzer und in der Nacht länger. Im Sommer umgekehrt. Erst die Kommerzialisierung des Handwerks führte dazu, dass der Küfer für die Herstellung eines Fasses im Sommer und im Winter gleich viele Stunden aufschreiben musste. Und die vermaledeite Globalisierung — sprich: Eisenbahn — zwang die Seuzacher dazu, ihre Kirchturmuhr mit der der Winterthurer zu synchronisieren. Und seither prügeln wir unsere Kinder im Sommer bei strahlendem Sonnenschein ins Bett und im Winter bei Stockdunkelheit hinaus.

Es gibt für die Schweiz nur zwei Lösungen. Entweder den konsequenten Alleingang, das heisst: die Uhren wieder nach der Sonne richten und das Teufelszeug der fixen Stunden und Zeitzonen, samt Staatseingriff in Form von Sommer- oder Winterzeit, fahren lassen. Oder sich der Globalisierung beugen und auf die vom Schweizer Industrieflaggschiff Swatch schon längst propagierte Internetzeit (näheres bei Wikipedia) umzustellen (Wir schreiben im Moment @361.beats, und zwar überall auf der Welt.) Die Internetzeit (der Nullmeridian verläuft durch Biel!) brächte der Schweiz einen immensen Standortvorteil, da sich unsere Jungen ohne Zeithandicap auf Facebook und Google tummeln könnten. Und niemand braucht ein schlechtes Gewissen zu haben, weil der Chef noch um Mitternacht Emails beantwortet.

Gesunder Alleingang oder global erfolgreiche Selbstaufgabe? Die Zeitbome, der Konflikt zwischen SVP und Economiesuisse, tickt bereits. Der bilaterale Weg des nationalen Herumschraubens an der Zeitmessung als Kompromiss ist jedoch keine Lösung. Die ewig wiederkehrende Diskussion über die Abschaffung der Sommerzeit (jetzt wo sich die Kühe endlich dran gewöhnt haben), bereitet mir tatsächlich schlaflose Nächte.

Expertenbericht TBTF

Der Schuss ist raus: die Expertenkommission des Bundes zur „Limitierung von volkswirtschaftlichen Risiken durch Grossunternehmen“ (Too big to fail, TBTF) hat ihren Schlussbericht publik gemacht. Eine erste Durchsicht zeigt Gutes und Schlechtes.

Zuerst die gute Nachricht: Der Bericht nennt das Kind beim Namen: Die faktische Staatsgarantie ist eine Subvention mit hohen Kosten und Risiken für die Steuerzahler. Der Bericht schlägt vier Kernmassnahmen vor (Eigenmittel, Liquidität, Risikoverteilung, Organisation). Der eigentliche Kern sind jedoch die Vorschläge zum Thema Eigenmittel. Hier übernimmt der Bericht im wesentlichen die Vorschläge unseres Gutachtens vom Juli 2010: Es braucht deutlich mehr haftende Substanz, bestehend aus Eigenmitteln und aus Schulden, die im Krisenfall gekürzt oder in Eigenmittel verwandelt werden können. Die gesamten Anforderungen müssen über Basel 3 hinausgehen. Ebenfalls übernommen wurde der von der Grösse (Bilanzsumme, Marktanteil) abhängige Eigenmittelzuschlag. Ein Teil der geforderten Eigenmittel soll als „contingent convertible bonds“ (bedingte Pflichtwandelanleihen), kurz: CoCos, emittiert werden können.

Leider gibt es auch schlechte Nachrichten. Erstens bemessen sich die Eigenmittelanforderungen an den risikogewichteten Assets, genau wie bei Basel 3. Wenn aber die Finanzkrise eines gezeigt hat, dann dass die Risikomessung im entscheidenden Moment versagt. Krisen kommen oft oder meist aus dem toten Winkel. Risikomessung ist sogar dann unzuverlässig, wenn sie nach bestem Wissen und Gewissen vorgenommen wurde. Aber erst recht gefährlich wird sie, wenn die Banker ein Interesse haben, geringe Risiken auszuweisen (zum Beispiel damit Boni fliessen). Sie beherrschen die Kunst, die gemessenen Risiken abzubauen, aber die effektiven Risiken zu erhöhen.

Zweite schlechte Nachricht. Auf den Eigenmittelzuschlag für Grösse, den mutigsten Teil der Vorschläge, gibt es einen Rabatt. Je besser die Bank glaubhaft machen kann, sich durch ihre Organisation im Krisenfall aufteilbar gemacht zu haben, desto grösser der Rabatt. Leider funktionieren diese Aufteilungspläne nur in behördlichen Wunschträumen.

Ein grundsätzlich richtiges Konzept wird also an zwei nicht tragfähigen Nägeln aufgehängt: Der Messbarkeit der Risiken durch die Banken selbst und der Organisierbarkeit der Aufteilung im Krisenfall.

Drittens schliesslich sind die vorgesehenen Eigenmittelanforderungen zwar strenger als Basel 3, aber nicht streng genug, um das TBTF-Problem zu lösen. Die Anforderungen wurden kalibriert auf die schweizerischen Erfahrungen aus der Finanzkrise. Dabei geht vergessen, dass die Finanzkrise für die Schweiz und die UBS, als Hauptbetroffene, trotz allem eigentlich glimpflich ablief, gemessen an früheren Krisen und an ausländischen Erfahrungen. In der Krise der frühen 1990er Jahre („Regionalbankenkrise“) verloren die Grossbanken 12,5 Prozent des Kreditvolumens. Dies wären heute rund 75 Milliarden Franken. Die von der Expertengruppe geforderten (bei heutigen Zahlen) 19 Prozent der risikogewichteten Assets beträgt gerade etwa so viel. Dabei ist aber nicht eingerechnet, dass die Banken ihre Bilanzen an das neue Konzept anpassen werden; auch nicht eingerechnet ist, dass die Banken die vorgesehenen Grössenpuffer wesentlich abbauen werden, indem sie den Organisationsrabatt abholen.

Dass die Arbeitsgruppe überhaupt soweit gekommen ist, ist namentlich den Behördenvertretern hoch anzurechnen. Die Banken und ihre Verbündeten haben massiv Druck gemacht, mit Abwanderung, Kreditklemme und der Pest gedroht. Sie haben sogar hart auf den Mann gespielt. Nur eines haben sie nicht: Ein einziges vernünftiges Argument gebracht, weshalb mehr Eigenmittel anstelle hoher Fremdfinanzierung teuer sein soll. Eigenmittel sind nur teuer für TBTF-Banken und für Manager, die ihre Boni nicht gerne mit den Aktionären teilen. Jeder, der diese Botschaft im Bundesrat und im Parlament verbreitet, tut etwas zur Lösung des TBTF-Problems und zur Erhaltung der Schweiz als Wirtschaftsstandort.

Link zum Bericht der Expertenkommission des Bundesrates
Link zur Studie Faktische Staatsgarantie für Grossbanken

Schuldenabbau durch Inflation: Zu viele Nebenwirkungen

Hätten wir eine Inflation von 4% pro Jahr wäre unsere Hypothek in 10 Jahren real um einen Drittel kleiner. Eine verlockende Perspektive. Kein Wunder träumen Schuldner – vor allem aber Politiker von Staaten mit hoher Verschuldung –  von einer solch angeblich schmerzlosen Reduktion ihrer Lasten. Doch die Sache hat einen Haken. Mit der Inflation steigen auch die Zinsen. Wer knapp bei Kasse ist, also die meisten Staaten, wird die Zinskosten nur über eine höhere Neuverschuldung begleichen können. Am Ende des Tages wird die Schuld vielleicht gar nicht kleiner.

Die Realität ist allerdings noch viel komplizierter. In den Nominalzinsen sind nicht nur die aktuelle Inflation enthalten sondern auch die Erwartungen über künftige Inflationsraten.  Die Geschwindigkeit mit der Zinsen steigen und sinken hängt zudem davon ab , wie die Zentralbank kommuniziert und wie glaubwürdig ihre Ankündigungen sind. Möglicherweise steigt zu Beginn der Inflationsperiode die Zinsbelastung weniger schnell wie die Inflation. Auf diesen Effekt bauen wohl die meisten Befürworter einer „weg mit Schulden durch Inflation“ Strategie. Doch ebenso wahrscheinlich bleiben die hohen Schuldzinsen über die Inflationsperiode hinaus bestehen und belasten die Schuldner. Und je höher die Inflationsrate, desto volatiler ist sie. Mit den stärkeren Schwankungen der Inflationsraten steigen auch die Risikoprämien und die Zinslasten steigen noch mehr. Zu guter Letzt ist die Laufzeit der Schulden wichtig, wie sehr die Inflation den Schuldnern schadet oder nützt.

Angesichts dieser Komplexität ist es kaum verwunderlich, dass die effektiven Kosten und Nutzen einer Inflationierungsstrategie nur schwer abgeschätzt werden können.

Mein früherer Kollege aus der Zeit in Tilburg, Michael Krause, hat mit Stephan Moyen zusammen einen Versuch zur Quantifizierung der Kosten und Nutzen der Inflation gewagt. Die beiden Forscher der Deutschen Bundesbank bauen dazu ein (ebenfalls kompliziertes) Modell, welches die oben genannten Effekte berücksichtigen soll. Krause und Moyen finden, dass es in der Tat sehr schwierig ist mit einer vorübergehenden Inflationsperiode die Schulden durch Inflation zu beseitigen. Es bräuchte dazu eine permanent höhere Inflationserwartung der Märkte (auf deutsch: die Menschen müssen daran glauben, dass die Inflation für immer hoch bleibt). Doch selbst in einem solchen Szenario kann durch Inflation nur circa  25% der Schuldenlast weginflationiert werden. Um 40% der Schuld wegzuinflationieren bräuchte es eine Erhöhung der Inflation um ganze 8 Prozentpunkte.

Der Grund für die relativ geringe Reduktion der Schulden durch Inflation liegt in den Zinsen. Um die Inflation wirksam zu erhöhen, müssen auch die Märkte eine höhere Inflation erwarten. Damit steigen aber auch die (langfristigen) Zinsen und somit die Kosten der Schulden. Doch auch der Ausstieg aus der Inflation ist schwierig. Falls die Inflationspolitik „gut“ funktioniert, warum sollte die Öffentlichkeit dann nicht befürchten, dass Politiker der Versuchung erliegen, damit auch noch weiter zu machen.

Fazit: Die Schulden lassen sich nicht einfach schmerzlos durch höhere Inflation kurieren.  Schon die bekannten Nebenwirkungen sind nicht harmlos. Von den unbekannten ganz zu schweigen.

Dänk für en Porno us em Internet, Teil 2

Die NZZ und andere Zeitungen melden, dass der Ständerat eine Motion von Rolf Steiger, FDP Zug, für einen obligatorischen Medienführerschein mit 22 zu 14 Stimmen angenommen hat. Damit trägt ausgerechnet die FDP zu einer weiteren Bürokratisierung der Schule bei. Dabei steht auf ihrer Webseite so schön:

FDP. Die Liberalen bieten Hand an gegen die Regulierungsflut.

Hier nochmals meine Argumente gegen obligatorische Medienkurse an Schulen in der NZZ am Sonntag vom 15. August. Die online Version der NZZ hat die Kolumne sogar selber verlinkt.

Das AHV Rentenalter kommt ins Rentenalter

Wer 65 wird, bezieht schon fast reflexartig die AHV, auch aktive und gesunde Menschen. In meiner NZZ-Kolumne vom 12. September plädiere ich für eine Anpassung des ordentlichen Rentenalters an die gestiegene Lebenserwartung. Nur so kann sicher gestellt, dass genügend Mittel für jene bleiben, die aus gesundheitlichen Gründen nicht länger arbeiten können.

Wer mehr Hintergrund zur Debatte ums AHV Rentenalter haben möchte, dem sei das Buch von Katja Gentinetta und Christina Zenker empfohlen (erschienen im NZZ Verlag)

Was versichert eine Sozialversicherung?

George Sheldon plädiert in der NZZ vom 9. September für eine risikogerechte Prämie in der Arbeitslosenversicherung. Sein Argument ist, dass nicht nach Risiko abgestufte Prämien die Entscheidungen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer verzerrten. In riskanteren Berufen (wie beispielsweise im Gastgewerbe) würden daher Leute zu schnell entlassen, da die Kosten der Allgemeinheit aufgebürdet werden könnten. So weit so gut. Die vorgeschlagene Lösung – risikogerechte Prämien, nach Berufsgruppen abgestuft – hat allerdings ihre Tücken.

 So gibt es erstens beträchtliche Unterschiede in den Arbeitslosenquoten innerhalb einer Branche. Die Umverteilung passiert dann von den “Guten” innerhalb einer Branche zu den “Schlechten”. Wenn schon risikogerechte Prämien müsste, wie dies in der Risikoversicherung des BVG bereits passiert, nach Betrieb, respektive Kasse, unterschieden werden.

 Zweitens sind die höheren Risiken vor allem bei den wenig Verdienenden zu finden. Eine Abstufung der Prämien nach Berufsgruppe scheint mit aus sozialen, und politischen Gründen wenig opportun. Es gibt auch Sozialversicherungen, bei denen die Umverteilung zu den besser Verdienenden geht, wie ich in meiner NZZ Kolumne vom 24. Januar geschrieben habe. Ich kann mir schlecht vorstellen, dass der Vorschlag eine politische Mehrheit findet. “Weniger Prämien für Beamte und Banker” wäre doch eine wunderbare Schlagzeile. Beim Volk dürfte das Begehren wenig Begeisterung auslösen (bei mir auch nicht).

 Das bringt mich zum dritten und eigentlich wichtigsten Punkt: Die Frage ist, was eine Sozialversicherung überhaupt versichern soll. Ist es lediglich die Absicherung der Existenz gegen die finanziellen Folgen von Krankheit, Erwerbslosigkeit und Alter? Oder gehörte nicht noch dazu, dass eine Sozialversicherung auch gegen das Risiko, ein schlechtes Risiko zu sein, versichern soll? Wer noch nicht weiss, ob er/sie zu den schlechten oder guten Risiken gehört, würde sich – unter dem Schleier der Unwissenheit – für eine Versicherung ohne Abstufung nach Risiko entscheiden.

Gier gegen Fairness

Es sieht aus, als spiele Gott gegen den Teufel. Stellen Sie sich vor: Sie dürfen mit einem unbekannten Gegenüber 100’150 Britische Pfund teilen. Einziger Haken: Beide müssen in geheimer Abstimmung wählen zwischen „Teilen“ und „Stehlen“. Wenn beide teilen, wird 50:50 geteilt. Wählt einer „Stehlen“, der andere „Teilen“, geht die ganze Summe an den Stehlenden, der andere geht leer aus. Wollen beide Stehlen, gehen beide leer aus. Zur Veranschaulichung die Auszahlungmatrix.

Dieses üble Spiel existiert. In der Schlussrunde des  britisches Fernsehquiz „Golden Balls“ kämpfen die beiden Gegner mit Teilen oder Stehlen um den Jackpot. Wir empfehlen dringend eine Kostprobe. Hintergrundinformationen finden sich in Wikipedia.

Raten, wer kooperiert und wer stiehlt? Die empirische Analyse ergibt kaum Unterschiede im Verhalten zwischen Mann und Frau, Stadt und Land, Schwarz und Weiss, etc. Frauen sind jung etwas kooperativer, Männer eher mit dem Alter. „Gentleman-Effekte“ (Männer kooperieren mit Frauen) sind kaum feststellbar (wir schämen uns). Am traurigsten: Je höher die Beträge, desto eher wird gestohlen.

Das Spiel existiert auch im richtigen Leben. Ökonomen kennen es als Gefangenen-Dilemma. Es zeigt, dass Gier nicht unbedingt eine menschliche Schwäche ist, sondern in der strategischen Ausgangslage angelegt sein kann, in einem Spiel, in dem der Teufel von Anbeginn die besseren Karten hat als der liebe Gott.