Achtung Professoren: Die Weltwoche warnt

Die Anfrage der Weltwoche klang harmlos. „Für einen kommenden Artikel über die Universitätslandschaft in der Schweiz suchen wir nach Portraits von Professoren. Im Falle der HSG wären das Professor Manfred Gärtner & Professor Rolf Wüstenhagen.“ Mehr dazu stand in der email Anfrage nicht. Unsere Pressestelle war besorgt.

Zu Unrecht. Was da in Philipp Guts Warnung vor Schweizer Professoren steht, ist teilweise falsch, vor allem aber belanglos und oberflächlich. Genauso harmlos wie die Anfrage eben.

Das fängt schon bei der Auswahl der Professoren an, vor denen gewarnt werden muss. Es sind die usual suspects der Weltwoche, unter anderem Andreas Fischlin (Systemökologie/Klima ETHZ), Philipp Sarasin (Geschichte UZH), Andrea Maihofer (Gender Forschung, Uni Basel), Kurt Imhof (Soziologie, UZH). Neue, nicht schon x-fach wiederholte Informationen zu diesen Personen und zu ihren furchterregenden Forschungsgebieten fanden sich im Artikel jedenfalls keine. Die Anzahl gefährlicher Professoren scheint auf jeden Fall ziemlich klein zu sein.

An der HSG lokalisierte Philipp Gut genau zwei der Professoren (Manfred Gärtner und Rolf Wüstenhagen), die schon früher in lokalen Medien politisch angegriffen wurden.  So nach dem Motto: Die Wissenschaft solle sich nicht in die Politik einmischen. Wenn es Grund zur Besorgnis gegeben hätte, dann wäre es dieser Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit gewesen. Ich kann mich auf jeden Fall nicht erinnern, dass in St.Gallen je von linker Seite gegen einzelne HSG Professoren Stimmung gemacht wurde.

Ich teile, wie andere HSG Kolleg(inn)en, längst nicht alle Meinungen von Manfred Gärtner und Rolf Wüstenhagen. Doch die Ökonomie ist keine genaue Wissenschaft und man kann – wissenschaftlich fundiert – zu unterschiedlichen Schlüssen gelangen. Letztlich ist es der wissenschaftliche Diskurs, welcher die Forschung und dadurch auch deren wirtschaftspolitische Anwendung weiterbringt.  Dazu tragen meine beiden Kollegen bei – zum Glück. Wären denn der Weltwoche weltfremde Modellschreiner im Elfenbeinturm lieber?

Philipp Guts Analyse zur makroökonomischen Lehre an der HSG ist zudem nachweislich falsch. Er schreibt: Dieses weitverbreitete Gedankengut (MB: gemeint ist der Keynesianismus) wäre auszuhalten, wenn es innerhalb der HSG ein Gegengewicht zu Gärtner gäbe. Das ist nicht der Fall“. Wie bitte? Hat Gut denn überhaupt meine anderen Kollegen und ihre Forschung angeschaut. Wer die Debatte nach der Finanzkrise auch nur halbwegs verfolgt hat, muss zum Schluss kommen, dass der Autor die letzten fünf Jahre im Tiefschlaf verbracht haben muss. Wenn der HSG von verschiedenen Seiten etwas vorgeworfen wurde, dann dass sie sich dem neoliberalen Gedankengut verpflichtet fühlte und die Finanzkrise durch die unkritische Ausbildung ihrer Studenten mitverursachte.

Zum Schluss gibt Gut noch ein bisschen Entwarnung, indem er den Studenten ein Kränzchen windet. Er schreibt: „Bildet die HSG also seit Gärtners Stellenantritt 1986 nur noch Unternehmer und Ökonomen aus, die von höheren Staatsschulden träumen und die Finanzmärkte als Problem betrachten? So schlimm steht es nicht: Unter Absolventen mit Finance-Hintergrund kursierten nach Gärtners Veröffentlichungen E-Mails mit dem Betreff: «Wer stoppt Manfred Gärtner?» „ Na also. Wenn Philipp Gut noch ein wenig mehr recherchiert hätte und ein bisschen über den Tellerrand geblickt hätte, wäre ihm eventuell etwas Entscheidendes aufgefallen: Die Forschung ist sich nämlich in einer Frage einig: Studenten lassen sich von ihren Professoren ideologisch gar nicht beeinflussen.

 

Die UBS und ihre Aktienrendite

Urs Birchler und Alexander Wagner

Kürzlich gab Sergio Ermotti, CEO von UBS, ein Interview mit Finanz und Wirtschaft (15.9.2012). Daraus eine Frage und die (nicht allzu beruhigende) Antwort.

Sie haben das Ziel erwähnt, auf Gruppenebene 12 bis 17% Eigenkapitalrendite zu erreichen. Analysten schätzen die Kapitalkosten der UBS auf 11 bis 14%. Der neue CEO von Barclays hat als erste Amtshandlung erklärt, das Ziel der britischen Grossbank sei neu, mindestens die eigenen ­Kapitalkosten zu verdienen. Auf eine fixe Vorgabe des Return on Equity verzichtet er. Wieso halten Sie trotzdem an einem klar definierten RoE-Ziel fest?
Weil die Aktionäre ein Recht darauf haben, zu wissen, was wir mit ihrem Geld erreichen wollen. Die Aufgabe besteht darin, das Geschäftsmodell so auszurichten, dass die angestrebten 12 bis 17% Eigen­kapitalrendite zustande kommen. Als kotierte Bank wären wir unglaubwürdig, wenn wir nicht das Ziel hätten, mindestens unsere Kapitalkosten zu decken. Über den mehrjährigen Zyklus betrachtet darf der Aktionär zudem eine Prämie erwarten. Wenn wir ausserdem die Volatilität des Ertrags reduzieren, lassen sich mit der Zeit sogar die Kapitalkosten senken.

Was ist hier richtig und was nicht ganz?

  1. Richtig: Die Aussage, eine Unternehmung müsse ihre Kapitalkosten längerfristig decken können. Denn tatsächlich verschwindet sie sonst aus dem Markt.
  2. Irreführend: Die Annahme, die Kapitalkosten seien der Bank als exogenes Ziel für die Eigenmittelrendite (return on equity, ROE) vorgegeben. In Wirklichkeit ist es gerade umgekehrt: Die Kapitalkosten widerspiegeln die von der Bank beim Streben nach Eigenmittelrendite eingegangenen operativen und finanziellen Risiken, da die Investoren je nach Risiko eine entsprechende Risikoprämie verlangen. Der Versuch, eine hohe Eigenmittelrendite zu erzielen führt daher zu hohen Kapitalkosten — und nicht umgekehrt, wie behauptet.
  3. Richtig: Die Aussage, eine tiefere Volatilität der Erträge führe zu tieferen Kapitalkosten (wie gesagt: die Kapitalkosten sind die Folge, nicht die Ursache.) Dies gilt ceteris paribus, also zum Beispiel wenn die Marktvolatilität nicht noch stärker fällt.
  4. Falsch: Die Behauptung, über den mehrjährigen Zyklus dürfe der Aktionär eine Prämie (=Aktienrendite–Kapitalkosten) erwarten. Hier beisst sich die Katze in den Schwanz. In einem kompetitiven Markt gibt es keine Extra-Prämie, denn die Risikoprämie ist ja gerade die Quelle der Kapitalkosten.  Abweichungen gibt es nur, wenn zum Beispiel die Aktionäre systematisch die Risiken der Unternehmung unterschätzen oder mit Staatshilfe rechnen.
  5. Beunruhigend: Die Zielsetzung, zweistellige Zahlen für die Eigenmittelrendite anzustreben. Auch der angegebene Bereich von 12-17 Prozent ist noch hoch. Der Versuch, die Eigenmittelrendite im zweistelligen Bereich zu halten, kann kaum ohne entsprechende Risiken gelingen (zumal im gegenwärtigen Umfeld eines tiefen Zinsniveaus).

Die Problematik ist insofern brisant, als die Eigenmittelrendite die Mutter allen Unglücks im Bankensektor ist. Ein Ziel für den RoE ohne Berücksichtigung der Risiken haben wir in diesem Blog schon früher kritisiert.

P.S.: Unser Beitrag wurde zitiert im Tages-Anzeiger von heute (S. 16; ohne Hinweis auf batz.ch) und mit einer schönen Ergänzung von Mark Dittli (und Hinweis auf batz.ch) in der Finanz und Wirtschaft.

LIBOR-Reform

Urs Birchler

Die britischen Behörden haben heute die Pläne zur Reform des LIBOR vorgestellt. Die Reform ist die Antwort auf Manipulation der von der British Bankers Association berechneten LIBOR-Sätze durch die beteiligten Banken.

Sowohl das Treasury, als auch die FSA haben je eine eigene Webpage eingerichtet (Treasury, FSA), auf der die relevanten Dokument zur Verfügung stehen, namentlich der Wheatley Report und die dazugehörige Pressenotiz.

Hier das Wichtigste in Kürze[der Eintrag wird bei Bedarf aktualisiert]:

  • Der LIBOR wird vorerst nicht ersetzt. Er ist „broken but not beyond repair“. [Das scheint vernünftig. Zu viele ausstehenden Verträge beruhen auf dem LIBOR. Ferner ist es eineswegs einfach, einen Ersatz zu finden, der mehr Vor- als Nachteile hat.]
  • Sowohl die Berechnung, als auch die Datenlieferung durch die Banken werden inskünftig beaufsichtigte Aktivitäten (und für Missetaten werden Strafen eingeführt).
  • Die Berechnung des LIBOR soll auf einen neuen Träger übertragen werden. Dieser wird durch einen Submissionsprozess bestimmt. Der Bericht weist auf das Problem hin, dass die Berechnung kommerziell nicht lohnend sein könnte (private Kosten/öffentlicher Nutzen). [Unklar scheint, ob ausländische Bewerber das Rennen machen könnten, oder ob das „L“ in LIBOR gesetzt ist.]
  • Der neue Träger der Berechnung soll möglichst rasch selber einen Code of Conduct für die am LIBOR beteiligten Banken vorlegen.
  • Grössere Transparenz (ab sofort) soll der Manipulation vorbeugen: Die von den Banken der BBA gemeldeten Sätze sollen nach 3 Monaten publiziert werden. [Dies könnte gleichzeitig auch „window dressing“-Anreize liefern, wenn die Banken gut aussehen wollen]
  • Ein reines Abstellen auf effektiv getätigte Transaktionen wird abgelehnt, da die Märkte gerade in Stress-Zeiten zu dünn sind.

Der Bericht weist auch darauf hin, dass Marktteilnehmer die ihren Verträgen zugrunde liegenden Basissätze mit Bedacht wählen sollen.

Weiteres zum Libor in früheren Batz-Einträgen: Einfache Arithmetik und Wer beerbt den LIBOR.

Staatshilfe-Poesie

Urs Birchler und Sandra Ujpétery

Den Begriff „Bailout“ kannte man im 19. Jahrhundert noch nicht, aber Spekulanten – offenbar auch solche, die auf Staatshilfe hofften – schon. Sie waren nicht beliebt, wie das folgende, von Sandra gefundene Spottgedicht zeigt. Der „Stoßseufzer eines verunglückten Spekulanten“ wurde gegen die Gründung der Zürcher Kantonalbank geschrieben, die Grossrat Johann Jakob Keller aus Fischenthal 1866 gefordert hatte.

Sind Steuerzahler bessere Menschen?

Monika Bütler

Tribüne im Tagblatt (St. Gallen), 22. September 2012

Mitt Romney hätte Freude an unserem Land: In der Schweiz bezahlen nur 20% der Haushalte keine Einkommenssteuern. Anders als in den USA, wo dies 47% nicht tun und sich stattdessen – immer gemäss Romney – lieber an den staatlichen Tropf hängen. Offenbar übernehmen 80% der Schweizer Haushalte persönliche Verantwortung und halten ihr Leben in Ordnung. Doch sind wir Schweizer wirklich bessere Menschen, wie uns der republikanische Präsidentschaftskandidat suggeriert?

Viele (bürgerliche) Politiker sind der Meinung, dass die Besteuerung aller Einwohner wichtig sei. Oder wie es das Bundesgericht ausdrückt: “Aus dem aus [der Bundesverfassung] hergeleiteten Grundsatz der Allgemeinheit der Besteuerung kann auch gefolgert werden, dass alle Einwohner entsprechend ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit einen – wenn auch unter Umständen bloss symbolischen – Beitrag an die staatlichen Lasten zu leisten haben.” Damit würde auch allen bewusst, dass die Leistungen des Staates nicht gratis zu haben seien.

Wer daraus schliesst, dass nur Einkommenssteuern dieses Bewusstsein auslösen, verkennt drei wichtige Punkte. Erstens sind Einkommenssteuern nicht die einzigen Steuern. Zweitens zahlen viele heute Steuerbefreite in der Zukunft Einkommenssteuern oder haben sie in der Vergangenheit geleistet. Drittens sagt die Steuerlast eines Haushalts nichts aus über seinen effektiven Beitrag an die staatlichen Leistungen.

Zum ersten Punkt: Auch die Ärmeren beteiligen sich an den staatlichen Lasten, nämlich über Sozialversicherungsbeiträge, Konsumsteuern (wie die Mehrwertsteuer) und Gebühren. Diese Steuern sind in der Regel sogar leicht regressiv, sie belasten einkommensschwache Haushalte proportional stärker als gutverdienende. Ironischerweise sind es gerade bürgerliche Exponenten, die eine Reduktion der Einkommenssteuern zugunsten der Konsumsteuern fordern – was letztlich den Anteil der Einkommenssteuer-Befreiten erhöht.

Zum zweiten Punkt. Romneys Sichtweise blendet den Lebenszyklus aus. Unsere Student(inn)en an der HSG bezahlen ihre Einkommenssteuern nicht jetzt, sondern später im Leben. In der Momentaufnahme gehören die meisten von Ihnen zum „Romney-Proletariat“, den ominösen 47 Prozent in den USA bzw. zu den steuerbefreiten 20% in der Schweiz. Auf ein Leben am Busen des Staates spekuliert kaum eine(r) von ihnen. Im umgekehrten zeitlichen Verlauf gilt dasselbe für Pensionierte, deren Rente unter dem Grenzwert für die Einkommenssteuer liegt. Oder ist ein Rentner, der von seinen Ersparnissen lebt, ein linker Schmarotzer?

Der dritte Punkt geht in die andere Richtung. Wer in der Schweiz Einkommenssteuern bezahlt, ist nicht unbedingt ein Nettozahler. So erhalten Freunde von uns ihre Einkommensteuern fast auf den Franken genau als Prämiensubvention der Krankenkasse wieder zurück. Sie sind keine Ausnahme. Die Einnahmen aus der Einkommenssteuer werden dem Mittelstand in verschiedener Form als einkommensabhängige Subventionen teilweise wieder zurückerstattet. Diese Umlagerung von der rechten in die linke Hosentasche scheint, abgesehen vom administrativen Leerlauf, harmlos. Genau das ist sie aber nicht.

Was faktisch aussieht wie eine Einkommenssteuerbefreiung für kleinere und mittlere Löhne ist genau das Gegenteil – nämlich eine doppelte Besteuerung des Einkommens. Verdienten unsere Freunde einen Franken mehr, würden sie doppelt gestraft: Zum einen zahlten sie mehr Einkommenssteuern; zum andern erhielten sie weniger einkommensabhängige Prämiensubvention. Das Bewusstsein, dass die staatlichen Leistungen etwas kosten, wächst so kaum. Eher leidet dadurch das Ansehen des Staates.

Die USA versuchen seit Jahren, eben diese negativen Spar- und Arbeitsanreize für die einkommensschwächeren Haushalte zu mindern, sei es durch Steuergutschriften für Geringverdiener (sogenannte Earned Income Tax Credits) oder die Steuerbefreiung des Existenzminimums. Diese Politik wurde in der Vergangenheit sowohl von republikanischen wie auch demokratischen Präsidenten unterstützt. Der Anteil der Haushalte, die keine Einkommenssteuer bezahlen, ist in den USA genau aus diesem Grund höher als bei uns. Unsere Freunde gehören in der Schweiz zu den „Verantwortungsvollen“ 80%, in den USA hingegen zu den geschmähten 47%. 

Vielleicht sollten wir Romneys unbedarfte Bemerkungen als Anlass nehmen, über die Besteuerung des Existenzminimums nachzudenken. Zwar meinte das Bundesgericht vor einiger Zeit: Aus der verfassungsmässigen Existenzsicherung könne nicht abgeleitet werden, dass “ein bestimmter Betrag in der Höhe eines irgendwie definierten Existenzminimums von vornherein steuerfrei belassen werden könnte.” Ob es allerdings gescheiter ist, Einkommensteuern auch auf geringen Einkommen zu erheben und diese dann in Form von Subventionen wieder zurückzuerstatten, bezweifle ich. Das Dickicht von Steuern und einkommensabhängigen Subventionen bestraft in der Schweiz am härtesten diejenigen, die sich aus eigener Kraft aus der Armut befreien wollen.

Sei es in den USA oder bei uns: Man kann über das Steuersystem unterschiedlicher Meinung sein. Aber Steuern in irgendeiner Form zahlen wir letztlich alle. Und fast alle zahlen über das Leben gesehen auch Einkommenssteuern. Wir sind alle bessere Menschen.

 

Gebrannte Kinder …

Urs Birchler

… fürchten das Feuer, sagt der Volksmund. Daher könnte man erwarten: Banken, die gerettet werden mussten, sind nachher besonders vorsichtig. Aber ist das so? Die BIZ (Bank für Internationalen Zahlungsausgleich) in Basel hat dazu eine Studie von Michael Brei und Blaise Gadanecz veröffentlicht (Dank für den Hinweis an die Blick-Redaktion, die mit mir ein Interview geführt hat). Die Autoren vergleichen (am Beispiel des Markts für syndizierte Unternehmenskredite) das Verhalten der Banken, die in der Finanzkrise gerettet werden mussten, mit dem der Banken, die nicht gerettet werden mussten. Sie finden:

  • Sowohl die geretteten als auch die nicht-geretteten Banken reduzierten das Volumen der (syndizierten) Kredite nach der Finanzkrise von 2008.
  • Die geretteten Banken gingen nach der Rettung immer noch höhere Risiken ein als die anderen (wohl ebenfalls systemrelevanten) Banken.
  • Die geretteten Banken schlossen vor der Rettung riskantere Geschäfte ab als die später nicht geretteten Banken; sie scheinen auch eher schlecht bezahlte Risiken auf sich genommen zu haben.

Die Studie besagt allerdings nicht (1.) dass grosse (systemrelevante) Banken riskanter sind, da sie mit Rettung rechnen dürfen (alle Banken in der Untersuchung dürften systemrelevant sein) oder dass (2.) gerettete Banken eindeutig riskanter wären als nicht gerettete (nur der Sektor der syndizierten Anleihen wurde untersucht; ob dieser repräsentativ ist für das gesamte Bankgeschäft, bleibt offen).*

Dass die geretteten Banken nicht in Scham erstarrt sind und alle Risiken über Bord geworfen haben (zum Glück), überrascht nicht wirklich. Wichtig ist nicht, ob eine Bank gerettet wurde, sondern ob sie (bzw. ihre Geldgeber) beim nächsten Mal mit einer Rettung rechnen darf. Hierin dürften sich die geretteten und die nicht-geretteten kaum wesentlich unterscheiden. Was ich aber nie ganz verstanden habe: Weshalb die Retter (die Staaten) nicht viel kräftiger in die Risiokopolitik der geretteten Banken eingegriffen haben (und weshalb die Aktionäre der zu rettenden Banken immer wieder geschont werden).

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* Eine unterschiedliche Wirkung nach Grösse der Bank finden Lamont Black und Lieu Hazelwood in einem FED-paper bezüglich des amerikanischen TARP-Hilfsprogramms von 2008: TARP führte nicht zu der angestrebten Ausweitung des Kreditgeschäfts, aber zu einer unterschiedlichen Risikopolitik: Grosse Banken vergaben Kredite mit schlechterem Rating, kleine Banken solche mit besserem Rating.

Connecting Minds

Urs Birchler

Das Swiss Finance Institute zusammen mit NCCR/FinRisk hat unter dem Titel Connecting Minds ein neues Programm lanciert, das Praktiker und Forscher zusammenbringen will. Am Abend des 9. Oktober beispielsweise findet in Zürich eine kleine Konferenz mit illustren Namen statt (Jean-Charles Rochet, Claudio Borio, Barbara Ridpath, Hyun Song Shin, Markus Staub). Titel: „The post-crisis banking regulatory environment: A Swiss first-mover advantage?“ Die Schweiz wieder voraus? Da bin ich aber gespannt.

Obama vs. Romney: 70:30

Urs Birchler

In Meinungsumfragen hält Präsident Obama einen Vorsprung von je nach Umfrage 1-5 Prozentpunkten. Umfragen sind aber nicht immer zuverlässig. Eine eher bessere Treffsicherheit haben Prognosemärkte. Der IOWA Electronic Market bietet zwei Wetten auf die Präsidentschaft, nämlich auf:

  • die Stimmanteile
  • den Sieger

Die Wette auf die Anteile gibt Obama gegenwärtig einen Vorsprung von rund 6 Prozent, ist also etwas deutlicher als die Umfragen. Die Wette auf den Sieger steht allerdings 70:30 (Verhältnis der Gewinnwahrscheinlichkeiten) für Obama (siehe Grafik). Weniger als zwei Monate vor der Wahl darf man vermuten: Dieses Rennen ist — wenn nicht noch etwas ganz Wildes passiert — wohl gelaufen.

Das unsägliche Drehen an der Geschlechterschraube

Monika Bütler

Publiziert in der NZZ am Sonntag, 9. September 2012 (unter dem Titel: „Mädchen und Knaben sind mit der gleichen Elle zu messen“)

„Warum muss Blake gleich weit rennen wie Bolt; er ist doch kleiner?“, fragte unser Jüngster nach dem Olympia-Sprint. Als Erfinder der individualisierten Leistungsmessung darf er sich dennoch nicht fühlen. Der Kanton Waadt war ihm schon zuvorgekommen: Lange Zeit galten im Kanton von Liberté et Patrie (statt Egalité) für Mädchen strengere Eintrittsbedingungen in die Sekundarschule als für Knaben. Sonst hätten zu viele Mädchen bestanden. Erst 1982 stoppte das Bundesgericht auf Klagen der Eltern (und beflügelt durch den neu eingeführten Gleichstellungsartikel) diesen Unsinn.

Nun greift die Universität Wien in die Mottenkiste und wendet das umgekehrte Verfahren an. Weil in den letzten Jahren ein höherer Prozentsatz der Männer die Hürde des Eignungstests für das Medizinstudium meisterte, genügte den weiblichen Bewerbern heuer eine tiefere Punktezahl. Die Frauen seien offensichtlich durch den Test benachteiligt, gaben angewandte Psychometriker zu bedenken.

„Gleichberechtigung auf österreichisch“ spottete die Financial Times Deutschland. Doch Häme allein ist fehl am Platz. Auch in andern Fächern und Universitäten zerbrechen sich die Verantwortlichen die Köpfe, weshalb junge Frauen in den Zulassungsprüfungen und den Prüfungen im ersten Studienjahr häufiger scheitern. Es scheint, dass die Prüfungen ungewollt diskriminieren.

Tun sie dies wirklich? Könnte es nicht auch sein, dass die „Diskriminierung“ der Frauen in den Prüfungen beim Übergang in eine Universitätsausbildung andere Gründe hat? Bei der Maturandenquote liegen die Mädchen (rund 60%) noch vor den Buben. Obwohl Frauen also quasi die Vorläufe gewinnen, erreicht ein kleinerer Prozentsatz von ihnen den Final.

Die Lösung des Rätsels liegt in der Statistik: Im Durchschnitt sind Männer und Frauen bekanntlich gleich intelligent (wenn auch in anderen Dimensionen verschieden). Auch in den vielgescholtenen standardisierten IQ Tests unterscheiden sich, wie neue Studien belegen, die Intelligenz von Frauen und Männern nicht. Dies gilt, falls die Testpersonen repräsentativ, d.h. zufällig ausgewählt und nicht irgendwie gefiltert sind.

Die Gruppe „mit Matura“ ist aber eben gerade nicht repräsentativ. Weil es bei der Matura mehr Frauen hat, ist anzunehmen dass es unter ihnen einen höheren Prozentsatz hat, der die Anforderungen nur knapp übertrifft. Eine höhere Durchfallquote ist dann die logische Konsequenz – selbst wenn die Prüfung an sich ist perfekt geschlechterblind wäre. In den unterschiedlichen Erfolgszahlen widerspiegeln sich frühere Selektionsprozesse und freiwillige Entscheidungen.

Ironie der Geschichte: Gäbe es die alte Waadtländer Bevorzugung der Knaben beim Übertritt in die Sekundarschule noch, wären wohl die Unterschiede in den Durchfallquoten bei der Medizinerprüfung zwischen den Geschlechtern deutlich geringer. Trotzdem ist sie nicht die Lösung. Die Prüfungen sollen wenn schon, dahin verbessert werden, dass sie den Erfolg in der nächsten Stufe geschlechterblind prognostizieren.

Das Drehen an der Genderschraube bei jedem Schulstufenübergang macht hingegen wenig Sinn. Es versperrt nur den kritischen Blick auf die ganze Ausbildungszeit. Erstens hängt Prüfungserfolg nicht nur von der Intelligenz ab, sondern auch von früheren Entscheidungen. Sind diese unerwünscht, müssen sie direkt angegangen werden: Den Buben muss die Schule schmackhafter gemacht werden, den jungen Frauen die Mathematik.

Zweitens sind die Unterschiede innerhalb der Geschlechter sehr viel grösser als zwischen den Geschlechtern. Wenn die psychometrische Sicht zu Ende gedacht wird, müsste auch nach anderen Kriterien (soziale Herkunft, Körpergrösse, usw) differenziert werden. Im Endeffekt hätte jeder und jede einen individualisierte Punktezahl, die er/sie erreichen müsste. Und an der Olympiade gingen wir alle gleichzeitig durchs Ziel – samt Blake und Bolt.