Lehrverkäufe

Urs Birchler

Vor 200 Jahren prägte der amerikanische Investor Daniel Drew den Satz: „He who sells what isn’t his’n, must buy it back or go to pris’n.“ Einige Hedge Funds und andere professionelle Investoren scheinen diese Warnung vergessen zu haben. Sie verkauften auf Termin Aktien des Spielehändlers Gamestop, die sie selber noch gar nicht hatten.

70 Mrd. US$ sollen sie dadurch verloren haben. Scharen von Kleinanlegern haben sich offenbar via Online-Foren zusammengetan, die Gamestopp-Aktien en masse aufgekauft und dadurch die Leerverkäufer ins Leere laufen lassen (NZZ, TA). Diese müssen sich jetzt zu steigenden Preisen eindecken. 70 Mrd. US$, das ist immerhin ungefähr der Börsenwert von UBS und CS zusammen. Das verliert man nicht jeden Tag.

Finanzbehörden sind alarmiert und bereits erklingt der Ruf nach Regulierung. Vielleicht etwas rasch. Erstens wissen Hedge Funds und andere Professionelle ganz genau, dass Leerverkäufe besonders riskante Geschäfte sind, bei denen man unbegrenzt verlieren kann. Sie brauchen keinen Schutz. Zweitens ist es noch nicht lange her, als die Behörden gerade die Hedge Funds selber als Bösewichte im Visier hatten.

Drittens ist (gute) Regulierung eine Kunst. Dazu zwei Erinnerungen zu Leerverkäufen und Hedge Funds:

  • Eine Sitzung der WAK-SR vor 20 Jahren (ich durfte ein Papier über Finanzderivate vertreten): Ein sonst eher marktfreundliches Mitglied der Kommission wetterte über mein viel zu pessimistisches Papier, meinte aber, eine Geschäftsform würde man am besten gerade sur place verbieten: nämlich die Verkäufe von Titel, die man selber gar nicht hat, vulgo die Leerverkäufe.
  • Die Diskussion im Basler Ausschuss für Bankenaufsicht: Eine Regulierung der Hedge Funds blieb schon am Definitionsproblem stecken. Die Idee, statt von Hedge Funds von Highly Leveraged Institutions zu sprechen, schien die Lösung, bis jemand herausfand, dass die internationalen Grossbanken eine höhere Leverage aufwiesen als die wilderen unter den Hedge Funds.

Die Behörden sollten dem Gamestop-flashmob also eher dankbar sein. Dieser hat für einmal den Dreckjob für die Regulierer erledigt. Wir nehmen an, die neueste Erfahrung sei künftigen Leerverkäufern eine Lehre, das weise Wort von Daniel Drew übers Bett zu hängen. Aber auch die vorübergehenden Gewinner sollten nicht vergessen, dass ein Berg von Dollars, der nur auf der Not klammer Leerverkäufer ruht, seinerseits auf Leere gebaut ist.

Verbot der Staatshilfe an die Kantonalbank

Urs Birchler und Christoph Basten

Der Kanton Glarus hat nichts weniger als eine Pioniertat vor.
Wir haben kürzlich über sein Vorhaben berichtet, die Kantonalbank zu privatisieren. In der Zwischenzeit hat die Glarner Regierung die gesamten diesbezüglichen Unterlagen an den Landrat publiziert. Zu diesen Unterlagen gehört namentlich ein Rechtsgutachten von Prof. Christoph Bühler (UZH) zur Frage der sogenannten impliziten, d.h. nicht ausdrücklich im Gesetz abgestützten Staatsgarantie.

Das Gutachten Bühler nennt drei mögliche Gründe einer Staatshaftung ohne gesetzliche Staatsgarantie:

  1. Haftung aus aktienrechtlicher Verantwortlichkeit (Art. 39 BankG, Art. 754 OR)
  2. Vertrauenshaftung des Kantons (Art. 2 ZGB)
  3. Risiko eines „Faktischen Beistandszwangs“ (keine gesetzliche Verankerung)

Die ersten beiden Risiken sind zivilrechtlicher Natur. Der Kanton kann diese Risiken — immer gemäss Gutachten — minimieren, indem er seine konkreten Einflussmöglichkeiten auf die Geschäftstätigkeit der Bank aufgibt und auf die Formulierung einer eine Eignerstrategie verzichtet. Der Kanton würde sich wie ein gewöhnlicher Aktionär verhalten und sich beschränken auf Wahrnehmung seiner Interessen an der jährlichen Generalversammlung. Ferner wäre im Auftritt sowohl des Kantons als auch der Bank jeder Anschein auf eine Garantie oder Solidarbürgschaft strikt zu vermeiden; zusätzlich wäre sicherheitshalber ausdrücklich im Gesetz festzuhalten, das der Kanton nicht für die Verbindlichkeiten der Bank haftet.

Das drittgenannte Risiko — der faktische Beistandszwang — beruht darauf, dass der Kanton auch ohne ausdrückliche Haftung für die Verbindlichkeiten im Krisenfall versucht sein könnte, die Kantonalbank “freiwillig“ finanziell zu unterstützen, anstatt sie zu liquidieren (siehe dazu auch unser ökonomisches Gutachten. Gegen dieses Risiko empfiehlt das Gutachten Bühler lediglich, im Kantonalbankgesetz vorbeugend eine komfortable Eigenmittel-Ausstattung zu verlangen. Es weist ferner auf den entscheidenden Faktor hin, dass das Bankensanierungs- und -insolvenzrecht des Bundes (bei nicht international verflochtenen Banken) bereits verschiedene Mittel zum Verhindern einer Bankliquidation und einer Kantonshilfe bietet.

Der Kanton Glarus fasst nun aber auch den letzten Schritt ins Auge: Er formuliert in der revidierten Verfassung ein ausdrückliches Verbot von Staatshilfe:

Der Kanton garantiert nicht für die Verbindlichkeiten der Kantonalbank. Eine Unterstützung ist selbst in einer Notlage und anderen Fällen zeitlicher Dringlichkeiten gestützt auf Artikel 99 Absatz 1 Buchstabe d ausgeschlossen.

[Jener Artikel besagt: Der Regierungsrat ist zuständig für … Verordnungen und Verfügungen in Notlagen und andern Fällen zeitlicher Dringlichkeiten, insbesondere zur raschen Einführung von Bundesrecht; diese Erlasse sind sobald als möglich dem Landrat oder der nächsten Landsgemeinde vorzulegen.]

Damit dürfte die Glarner Kantonalbank zur ersten Kantonalbank werden, bei der im Rahmen einer Privatisierung auch die Risiken konsequent privatisiert werden.

Privatisierung der Glarner Kantonalbank?

Christoph Basten und Urs Birchler

Der Glarner Regierungsrat (Exekutive) hat heute dem Landrat (Legislative) eine grundlegende Änderung im Verhältnis des Kantons zur Kantonalbank beantragt. Dies geht hervor aus einer entsprechenden Medienmitteilung.

Kernpunkte sind:

  1. Aufhebung der Staatsgarantie
  2. Umwandlung in eine privatrechtliche Aktiengesellschaft
  3. Aufgabe der Mehrheitsbeteiligung des Kantons

Der Regierungsrat hatte im Juni 2020 eine Vorlage zur Vernehmlassung gegeben. Dies basierte zum Teil auf einem Gutachten, das wir im Herbst 2019 im Auftrag des Departements für Finanzen und Gesundheit verfassten. Die Vernehmlassung ist in der Zwischenzeit abgeschlossen (die einzelnen Eingaben werden anders als beim Bund nicht publiziert) und die Ergebnisse sind in die neue Vorlage eingeflossen.

Diese geht nun in den Landrat (sie wird vermutlich in den nächsten Tagen publiziert). Geändert werden sollen nicht nur das Kantonalbankgesetz. Die Revision erfordert auch eine Änderung der Kantonsverfassung. Daher bedarf sie auch der Zustimmung durch die Landsgemeinde. Dies könnte zu einer Verzögerung führen, falls die Landsgemeinde wegen der Covid-19 Pandemie nicht abgehalten werden kann. Eine schriftliche Abstimmung ist nämlich nicht zulässig, da an einer Landsgemeinde nicht nur JA oder NEIN beschlossen, sondern auch Abänderungsanträge eingebracht werden können.

Wir haben bei der Arbeit an unserem Gutachten vieles gelernt, aber jetzt auch noch etwas zur Glarner und damit zur Schweizer Demokratie.

Willkommen in unserem Vorgarten

Urs Birchler

Die Pläne der Stadt Zürich zur Vergesellschaftung der Grünflächen begrüsse ich sehr. Bloss ist mir nach längerem Nachdenken noch kein Areal eingefallen, welches (a) grün ist, (b) mehr als 10qm misst und (c) nicht schon im Eigentum der öffentlichen Hand wäre. Das Letzigrund-Stadion gehört m.W. der Stadt und könnte schon unter geltendem Recht zum Grillieren, Hundetraining und Bumerang-Werfen freigegeben werden. Dito der Car-Parkplatz hinter dem Hauptbahnhof. Dieser zählt aber vielleicht bei spitzfindigen Bürokraten nicht als Grünfläche. Eigentlich kommt mir als Kandidat nur unser Vorgarten in Zürich Wiedikon in den Sinn, wo doch eine “Rasen“-Fläche von schätzungsweise 5×5 Metern zur Verfügung stünde.

Anbieten kann ich nicht viel: Ich habe nur einen einzigen Rasenmäher, und den Löwenzahn habe ich selber bereits ziemlich ausgejätet. Aber attraktiv wäre es sicher, bei mir am Gartentischchen zu sitzen und meinen fast zu allen Themen fundierten Meinungen zu lauschen („Warnung vor dem Dozenten“), anstatt diese hier bei batz.ch mühsam nachlesen zu müssen.

Unterstützung bräuchte ich von der Stadt. Sie hat ja in bewährter Mafia-Art ihre Hilfe in Form von Beratung angeboten (unentgeltlich, aber kaum ohne Kostenfolge). Dürfen meine Besucher — Gäste darf ich ja nicht mehr sagen, da keine Einladung eforderlich sein wird — auf dem Parkplatz jener Nachbarn parkieren, die weitblickend ihre ver-stadt-lichungsgefährdeten Vorgärten zubetoniert haben? Muss ich für Katzenhaar-Allergiker*Innen ein Warnschild aufstellen? Und was mache ich mit dem WC, welches bei uns nicht ohne Treppensteigen erreichbar ist? Wird mir Blau-Grün Zürich ein Toi-Toi aufstellen? Das darf ich wohl hoffen! Aber eins weiss ich jetzt schon: Drauf stehen wird dann nicht Toi-Toi. Sondern: Moi-Moi!!!

Die Skischuhe des Nobelpreisträgers

Urs Birchler

Den diesjährigen Nobelpreis für Wirtschaft erhielten heute Paul Milgrom und Robert Wilson (beide Stanford). Ein Zusammenfassung ihrer Beiträge können wir uns sparen, das machen andere besser. Beispielsweise The Guardian mit vielen zusätzlichen Links.

Erwähnenswert ist hingegen ein Beispiel für (übertriebene) Bescheidenheit des neugekrönten Robert Wilson: Er habe selber noch nie an einer Auktion teilgenommen, meint er heute früh (3h Lokalzeit) am Telefon mit einem Journalisten. Worauf Frau Wilson aus dem Hintergrund korrigierte: “Doch, Deine Skischuhe haben wir per eBay gekauft!”

Bescheidenerweise (und weil er zu nachtschlafener Stunde wohl keine Vorlesung halten wollte) verschwieg Robert Wilson, dass Auktionen auch unter anderem Namen allgegenwärtig sind, vom Ausverkauf bis zum Architekturwettbewerb. Auf die Frage, welchen ökonomischen Fachartikel ich allen Laien empfehlen würde, habe ich deshalb vor einiger Zeit den Artikel von Paul Klemperer gewählt. Why Every Economist Should Learn Some Auctions Theory. Die Begründung steht hier und macht auch verständlich, weshalb die Auktionstheorie den diesjährigen Nobelpreis verdient hat (nachdem schon 1996 William Vickrey, der Vater des in der Auktionstheorie wichtigen “Revenue Equivalence Theorem” geehrt worden ist.)

Die Nationalbank muss transparenter werden

Yvan Lengwiler

Die Unabhängigkeit der Schweizer Notenbank ist unbestritten. Weil wir so viel Macht an sie delegieren, sollte sie uns aber wesentlich besser informieren.

Es ist nicht möglich nachzuvollziehen, wie die SNB ihre Entscheidungen fällt.

Die Geldpolitik berührt jeden Bürger: Sie steuert die Rendite unserer Vorsorge und den Wechselkurs, sie beeinflusst den Gang der Wirtschaft, die Lage auf dem Arbeitsmarkt und die Entwicklung des Preisniveaus. Sie ist eine der wichtigsten Komponenten der Wirtschaftspolitik, und dennoch löst sie kaum öffentliche Diskussionen aus.

Die SNB, welche die Geldpolitik verantwortet, geniesst ausserordentlich grosse Unabhängigkeit von der Politik. Sie ist noch unabhängiger als das Bundesgericht, dessen Richter abgewählt werden können. Mitglieder des Direktoriums können nur bei Fehlverhalten abgewählt werden und unterstehen auch keiner Amtszeitbeschränkung.

Dieses einmalige Mass an Unabhängigkeit und Machtfülle muss in einem demokratischen Staat mit ebenso umfassender Rechenschaftspflicht und Transparenz und einer funktionierenden Aufsicht gepaart sein.

Die Aufsicht obliegt dem Bankrat, der allerdings interessanterweise einen wesentlichen Teil dieser Kompetenz an das erweiterte Direktorium der SNB zurückübertragen hat (Art 10.2 lit i Organisationsreglement SNB). Die Aufsicht umfasst nur die Beurteilung der Rechtmässigkeit des Handelns der SNB, nicht den Inhalt ihrer Entscheidungen. Das ist das Wesen der Unabhängigkeit.

Die Rechenschaftspflicht wird wahrgenommen, indem die SNB der Bundesversammlung jährlich einen Bericht übergibt, welcher aber explizit ausschliesslich «zur Information» dient. Der Öffentlichkeit gegenüber wird Rechenschaft in Form einer grossen Anzahl öffentlicher Reden wahrgenommen.

Kaum Debatten über die Geldpolitik

Interessanterweise findet in der Schweiz praktisch keine Debatte über die Geldpolitik statt. Das kann daran liegen, dass die Menschen zufrieden sind, oder es kann daran liegen, dass die Geldpolitik als sehr technisches Gebiet betrachtet wird, das Experten überlassen werden sollte. (Die Auswahl des Modelltyps von Militärflugzeugen ist allerdings auch etwas für Experten, und in diesem Bereich finden immer wieder öffentliche Debatten statt.)

Es könnte auch daran liegen, dass die Menschen nur vage verstehen, was die SNB wirklich tut, denn die Transparenz der SNB lässt zu wünschen übrig. Notenbanken waren früher alle sehr intransparent. Aber das hat sich in den letzten Jahrzehnten verändert. Es gehört heute zum Mindeststandard, zumindest die Protokolle der Sitzungen der entscheidenden Gremien zu veröffentlichen. Die SNB tut das nicht.

Es ist nicht möglich nachzuvollziehen, wie die SNB ihre Entscheidungen fällt. Was waren die Entscheidungsgrundlagen für die Einführung der negativen Zinsen? Wie kam die Einführung der Wechselkursuntergrenze zustande? Weshalb wurde deren Aufhebung entschieden? Gab es im Direktorium Dissens? Nach welchen Regeln erfolgen Deviseninterventionen? Diese und weitere Fragen bleiben dem Publikum schleierhaft, obwohl es eigentlich Transparenz erwarten dürfte.

Nur drei Personen entscheiden

Das ist besonders problematisch, weil in der Schweiz die wichtige Geldpolitik von einem Gremium entschieden wird, das, anders als in anderen grossen Notenbanken, aus nur drei Personen besteht.

Einer der grössten Ökonomen des 20. Jahrhunderts, Milton Friedman, hat vermerkt, dass eine unabhängige Notenbank zwar besser sei als eine politisch gesteuerte Notenbank, aber dennoch nicht unproblematisch: «Ein weiterer Mangel der Delegation der Geldpolitik an eine unabhängige Zentralbank, die über einen grossen Spielraum und viel Macht verfügt, ist das enorme Ausmass, in dem die Politik von einzelnen Persönlichkeiten abhängig gemacht wird.» (Milton Friedman, «Dollars and Deficits», 1968, S. 186.)

Die Unabhängigkeit der SNB von der Politik ist unbestritten. Aber die Öffentlichkeit sollte im Gegenzug über die Geldpolitik debattieren können. Die Voraussetzung dafür ist viel mehr Transparenz, als Gegenstück zur umfassenden Delegation von Macht an die SNB.

Artikel ist in der NZZ am Sonntag erschienen.

Frau darf nicht mehr neben Schnarcher schlafen

Urs Birchler

Bitte, wer kann mir helfen? Mein Weltverständnis liegt in Trümmern. Meine Frau darf aufgrund eines Gerichtsentscheids nicht mehr in unserem gemeinsamen Schlafzimmer nächtigen. Grund: Mein Schnarchgeräusch liegt über dem gesetzlichen Grenzwert von 55dB(A) (Kategorie: Erholung, nachts).

Dass der Staat mein Frau vor gesundheitlichen Schäden schützen möchte, weiss diese durchaus zu schätzen. Aber sie versteht nicht, weshalb nicht — nach dem Verursacherprinzip — ich des Bettes verwiesen worden bin. Vielleicht haben die Richter ein Lehrbuch der Mikroökonomie angeschaut und dort gefunden, dass es ein Verursacherprinzip im Prinzip gar nicht gibt. Meine Frau und ich möchten des Schlafzimmer bloss unterschiedlich nutzen: sie zum Schlafen, ich zum Schnarchen. Erst, wenn in einem solchen Nutzungskonflikt die Eigentumsrechte zugeordnet sind,
lässt sich von einem „Verursacher“ sprechen. Wenn das Schlafzimmer meiner Frau gehört, bin ich der Verursacher externer Kosten (ihrer Schlaflosigkeit). Wenn das Zimmer mir gehört, verursacht meine Frau die externen Kosten in Form etwa von schlechter Laune infolge Schlafentzug. Die richterliche Ausweisung der Frau deutet also darauf hin, dass Bett und Luftraum mir, dem Schnarcher, gehören.

Selbstverständlich hat ein derartiger Gerichtsentscheid nie stattgefunden. Zu absurd würde man meinen. Doch nicht in Zürich. Es mehren sich die Fälle in denen Gerichte das Erstellen von Wohnungen verbieten, wenn die Bewohner einem Verkehrslärm ausgesetzt wären, welcher die gesetzlichen Grenzwerte übersteigt. So geschehen, wie der Tagesanzeiger berichtet, bezüglich der Überbauung Brunaupark. Ähnliches droht der Wohnüberbauung beim geplanten Fussballstadion — über das wir demnächst zum dritten Mal vielleicht für die Katz abstimmen werden.

Es werden in diesen Fällen also die potentiellen Mieter prophylaktisch weggewiesen, weil ihnen der Verkehr mit übermässigem Lärm schaden könnte.
Als ob die Stadt den Schnarchern, d.h. den Autofahrern, gehörte. Dabei schien die Sache klar: Als Verursacher der externen Kosten gelten guteidgenössisch nicht die ruhebedürftigen Bewohner, sondern die Erzeuger des Lärms (die Schnarcher). Das BAFU schreibt:

Es bestehen noch wesentliche externe Kosten in der Höhe von ca. 1–1.6 Mrd. CHF, die ausschliesslich vom Verkehr verursacht werden. … Die Lärmquelle Nummer eins ist der Verkehr. … Handlungsbedarf besteht … bei den externen Kosten. Im Vordergrund steht dabei die Durchsetzung des Vorsorgeprinzips, d.h. die Reduktion von Lärm an den Emissionsquellen (BUWAL 2002a, 169).

Spinnen jetzt die Zürcher Richter oder spinnen das BAFU und ich?

NZZ reitet auf totem Pferd — Kommentar von Oliver Kessler

Urs Birchler

Gestern habe ich einen Beitrag von Oliver Kessler in der NZZ kritisiert. Dazu ist folgende Stellungnahme des Autors eingegangen:

Vielen Dank für Ihre Zeilen und Ihren Beitrag, den ich im Sinne des Wettstreits der Ideen natürlich begrüsse und mit Interesse gelesen habe.

In Ihrem Beitrag erkenne ich drei Argumente, die die Thesen von Rothbard angeblich widerlegen:

1.) Die als „Beweis“ angeführten Käufe der FED von Staatsobligationen sind nur ein Teil des Ganzen: Die gleichzeitig auslaufenden Guthaben der FED werden dabei ausgeblendet.

Rothbard hatte konkret aufgezeigt, wie die Geldmenge von 1921-29 stark gewachsen ist. Es geht da nicht nur um Staatsanleihenkäufe, sondern um das Wachstum der Geldmenge, das eines der wichtigsten Kriterien für die Beurteilung ist, ob eine Geldpolitik expansiv oder restriktiv ist. Wächst die Geldmenge in nur 8 Jahren um satte 62 Prozent, kann man meiner Meinung nach nicht sagen, es sei falsch, hier von einer expansiven Geldpolitik zu sprechen. Sonst haben wir hier einfach unterschiedliche Definitionen von „expansiv“.

2.) Die FED war in diesen Jahren keineswegs autonom, sondern operierte unter dem Goldstandard. Unter diesem floss aber aufgrund der Entwicklung in Europa in grösserem Ausmass Gold in die USA. Die eigenständigen Massnahmen der FED zielten darauf ab, diese expansiven Einfluss wenigstens teilweise zu kompensieren.

Ob die Fed in diesen Jahren autonom war oder nicht, spielt für die Feststellung, dass eine expansive Geldpolitik zu Zeiten vor und am Anfang der Krise vorherrschte, letztlich keine Rolle. Der Grund für eine expansive Geldpolitik wäre eine andere Diskussion.

3.) Sie zitieren anschliessend noch aus dem Buch von Friedman und Schwarz:

Doch auch aus diesem Zitat entnehme ich ausser einer Behauptung keine Belege, die darauf hinweisen, dass es sich um eine restriktive Geldpolitik gehandelt haben soll.

Ich kann Ihnen daher nicht folgen, wenn Sie schreiben: „Die „übermässig expansive“ Politik der FED ist daher eine Legende“.

Gibt es noch andere (nicht genannte) Gründe, weshalb Sie zu diesem Schluss kommen? Diese würden mich interessieren.

Mit freundlichen Grüssen,
Olivier Kessler

Ich erlaube mir dazu zwei Bemerkungen:

  • War die Politik der FED expansiv, weil sie die durch den Goldstandard bedingten Zuflüsse nicht energisch genug oder nur mit unzulänglichen Mitteln bekämpfte? Hier besteht die Gefahr, um Worte zu streiten. Ich finde es etwas irreführend, die FED zu kritisieren für ein Problem, das letztlich am Goldstandard liegt.
  • Die Geldpolitik war weder besonders expansiv noch restriktiv, sondern ungefähr „akkomodierend“. Die von Rothbard behauptete Geldmengenexpansion von 1921-29 von 62 Prozent entspräche einer Wachstumsrate von 7.75 Prozent pro Jahr. Rothbard schliesst aber in der Geldmenge den Wert ausstehender Lebensversicherungspolicen ein, was bereits von Milton Friedman kritisiert wurde. Ohne diese Policen stieg die Geldmenge um 46 Prozent oder 5.75 Prozent im Jahr, das heisst ungefähr im Gleichschritt mit dem realen BIP.

Friedensvorschlag: Eine aus meiner Sicht faire Beurteilung gibt Mark Skousen in einem informativen Blog-Beitrag. Er weist auch darauf hin, dass die Vertreter der Österreichischen Schule Ludwig von Mises und Friedrich A. Hayek vor einer kommenden Krise warnten, während deren Gegner John M. Keynes und Irving Fisher völlig überrascht und mit herben finanziellen Verlusten bestraft wurden. (Keine Rehabilitation erfährt jedoch Murray Rothbard).

NZZ reitet auf totem Pferd

Urs Birchler

In der NZZ von gestern präsentiert der Direktor des Liberalen Instituts, Oliver Kessler, unter dem Titel „Falsche Lehren aus der Grossen Depression“ eine alte, längst widerlegte Kritik an der amerikanischen Zentralbank FED.

Die Federal Reserve soll die Krise von 1929 mit einer übermässig expansiven Geldpolitik (mit)verursacht haben. Kessler bezieht sich auf den 1995 verstorbenen radikalen Vertreter der (staatskritischen) Österreichischen Schule (Mises, Hayek u.a.) Murray Rothbard, Autor des Buches America’s Great Depression (1963).

Das Argument von Rothbard/Kessler, die FED habe in den Jahren 1921-29 die Geldmenge ausgeweitet, ist aber falsch:

  • Die als „Beweis“ angeführten Käufe der FED von Staatsobligationen sind nur ein Teil des Ganzen: Die gleichzeitig auslaufenden Guthaben der FED werden dabei ausgeblendet.
  • Die FED war in diesen Jahren keineswegs autonom, sondern operierte unter dem Goldstandard. Unter diesem floss aber aufgrund der Entwicklung in Europa in grösserem Ausmass Gold in die USA. Die eigenständigen Massnahmen der FED zielten darauf ab, diese expansiven Einfluss wenigstens teilweise zu kompensieren.

Die „übermässig expansive“ Politik der FED ist daher eine Legende, bzw. eine Folge des Goldstandards, der gerade bei der Östereichischen Schule einen guten Ruf geniesst. Auch die Interpretation des Börsenbooms bis 1929 als „verdrängte Inflation“ wurde schon von Friedmann und Schwarz „A Monetary History of the United States 1867-1960“ — nach wie vor dem Standardwerk zur amerikanischen Geldgeschichte (siehe zum Beispiel die detaillierte Diskussion durch Michael Bordo) — ausdrücklich verworfen:

„The widespread belief that what goes up must come down … plus the dramatic stock market boom, have led many to suppose that the United States experienced severe inflation before 1929 and the Reserve System served as an engine of it. Nothing could be further from the truth.“ Noch weiter von der Wahrheit entfernt dürfte dennoch Rothbards Behauptung sein, die FED sei nach dem Börsencrash von 1929 zu expansiv gewesen.

Die NZZ und der Leiter des Liberalen Instituts reiten hier auf einem zumindest lahmen Pferd. Das ist schade: Wer selber liberal fühlt (wie der Autor dieses Beitrags) wünscht sich den Wettstreit der (gerne auch neuen) Ideen und nicht das Aufwärmen längst abgetischter Irrtümer.

P.S.: Dieser Beitrag ist in keiner Weise gemeint als Verharmlosung der Geldmengenexpansion der meisten Notenbanken seit Beginn der Finanzkrise von 2007.

Das Theater mit dem Virus

Urs Birchler

Am Zürcher Theaterspektakel inszeniert der in Genf lebende holländische Regisseur Yan Duyvendak das Stück Virus. Bemerkenswert ist, dass er dieses vor der Corona-Zeit konzipiert hat. Bemerkenswert ist auch, dass im Stück die Zuschauer selbst mitspielen. Duyvendak hat die Zuschauer schon 2013 als Richter/innen darüber entscheiden lassen, ob Hamlet am Tod von Ophelia schuldig ist. Ein bisschen waren wir vermutlich davon inspiriert, als wir mit Cash on Trial (Zürich 2015, Frankfurt 2019) die Teilnehmer über das Bargeld zu Gericht sitzen liessen. Hier aber geht es um die Kontrolle eines plötzlich aufgetauchten Virus.

Duyvendak lässt (Zitat NZZ) „sein Publikum «Virus» spielen und dabei versuchen, in der Rolle eines real existierenden Players – eines Vertreters der Wirtschaft, der Forschung, der Sicherheit, der Gesundheit, der Presse zum Beispiel – eine globale Pandemie in den Griff zu bekommen.“

Nicht überraschend für die bei James Buchanan geschulten Ökonomen läuft dabei, wie die NZZ berichtet, nicht alles rund: „Mit einem Schlag erhalten Partikularinteressen mehr Gewicht als verbindende Strategien. Die «Sicherheit» will Polizei an die Grenze stellen und sucht dafür bei der «Wirtschaft» nach Geld. Die Gruppe «Presse» wiederum verlautbart ihre Krisencommuniqués, die im Tumult ungehört bleiben, jeder ist mit sich selbst beschäftigt und mit wildem Aktivismus.“

Die Leserschaft der NZZ mag grossenteils, ohne zu husten auch den folgenden Satz geschluckt haben: „Die «Forschung» aber sieht ihre Stunde gekommen und stellt bei ihren Mitspielern reihum irrwitzig hohe finanzielle Forderungen.“ Ich nicht. Ich habe mich nicht nur verschluckt, sondern auch fast noch die Kaffeetasse fallen lassen. Nicht nur, weil die Pharma-Industrie mit vielen Beispielen bewiesen hat, dass sie in einer allgemeinen Notlage Gemeinnutz über Gewinnstreben stellen kann. Vielmehr ist der Kaffee auf meinem Hemd dem Gedanken an die Covid-19 Task Force geschuldet: Als Ehemann eines Task Force Mitglieds kann ich bezeugen, dass die Mitglieder der Task Force (und ihrer Untergruppen) über Wochen fast tägliche Videokonferemzen abhielten, dazwischen Forschungsergebnisse aufbereiteten und die Diskussionsergebnisse zu (elektronischem) Papier brachten, und dies — la réalité dépasse le théatre — gratis und franko, in Fronarbeit als Dienstleistung an die Schweiz. Da alle Mitglieder daneben einen „Job“ haben, wie z.B. die Leitung eines Spitals, des Schweizerischen Nationalfonds, oder eines Forschungsinstituts, fanden die Konferenzen in der Regel abends und an den Wochenenden statt. Nicht immer zur Begeisterung der Familien.

Wenn laut NZZ das Theaterstück (das ich in keiner Weise kritisieren möchte!) „eine fiese Lektion in Menschenkunde“ darstellt, bietet die Realität (auch der Einsatz des Gesundheitspersonals und vieler anderer an der viralen „Front“ bis hin zu freiwilligen Maskenträgern) auch die eine oder andere eine Lektion in Gemeinsinn.