Alte Schule

Zum ersten Mal überhaupt äusserte unser Junior (ein 4. Klässler) heute morgen eine leise Kritik an einem Lehrer. Unser jüngerer Sohn begleitet mich momentan in meinem Sabbatical in Auckland, Neuseeland. Mit Neuseeland hat das Unbehagen allerdings nichts zu tun. Er war bisher begeistert von der Schule, seinen Kollegen und vor allem der Lehrerin, die sich immer an den Stärken der Kinder und nicht an deren Defiziten orientierte. Für die letzten Wochen unseres Aufenthalts erhielt er nun einen neuen Lehrer. Einen netten älteren Herrn, so meinte ich.

Mein Junior war etwas anderer Meinung. Superstreng und ungeduldig sei er, bei kleinster Unruhe würde er den Unterricht lange unterbrechen, er schimpfe, und so weiter. Und dann kursieren noch Gerüchte von seinen früheren Vertretungen in der Klasse. Ich kann und will dies alles nicht überprüfen, doch irgendwie erinnerten mich die Schilderungen meines Sohnes an meine eigene Schulzeit. Ständig tadelnde Lehrer (Männer und Frauen), fliegende Bücher und Kreidestifte, (ungerechte?) Strafen, offene Bevorzugungen von Schüler(inne)n.

Interessanterweise beklagen sich in Juniors Klasse gerade die Knaben über den neuen Lehrer. Müssten sie denn nicht froh sein, in der von Frauen dominierten Primarschulwelt endlich mal einer männlichen Autoritätsperson zu begegnen? Wenn man nämlich die schweizerischen Zeitungen liest, so scheint eines klar: An den – im Vergleich zu den Mädchen – schlechteren Leistungen der Knaben sind die weiblichen Lehrkräfte schuld.

Dass es die Knaben schwerer haben als die Mädchen in der Primarschule scheint mir (auch als Mutter zweier Knaben) unbestritten. Ich habe allerdings trotz aufwändiger Recherche noch keine Studie gefunden, die einen negativen Einfluss von Lehrerinnen auf die Leistungen der Jungs nachweisen würde. Falls überhaupt Effekte gezeigt wurden, war der Einfluss positiv. So zum Beispiel in der Studie von Escardíbul und Mora, bei der eine weibliche Lehrkraft zu einem besseren Testresultat in Mathematik führte – vor allem bei den Knaben. Dass die Verweiblichung des Lehrkörpers an den Problemen der Knaben schuld sein sollte, ist wohl genau so ein Mythos wie dass es früher (mit einer männlichen Lehrermehrheit) besser war.

Nur: Woran liegt es denn, dass weniger Knaben den Sprung ans Gymnasium schaffen? Knaben mehr Probleme in der Schule zu haben scheinen? Hier meine ganz persönlichen Beobachtungen ohne Anspruch auf Wissenschaftlichkeit.

Offenbar scheint es in der Schule nun üblich zu sein, dass bei der Notengebung nicht nur die Prüfungsleistungen berücksichtigt werden, sondern auch andere Aspekte wie Motivation, Sorgfalt und Anstrengung. Als ob Motivation, Sorgfalt und Anstrengung nicht schon einen direkten Einfluss auf die Prüfungsleistungen hätten. Wer also (vermeintlich) weniger motiviert ist, unsorgfältiger arbeitet oder sich nicht offensichtlich anzustrengen scheint, wird doppelt bestraft. Oder anders ausgedrückt: Zapplige Knaben und Mädchen (!) haben kleinere Chancen auf gute Noten. Solange diese Art der Beurteilung pädogischer Standard ist, spielt es gar keine Rolle, wer die Kinder unterrichtet. Im Sinne einer Selbstselektion wählen nämlich nur diejenigen jungen Menschen, ob Mann oder Frau, die Lehrerausbildung, die sich grundätzlich mit der gängigen Unterrichts- und Beurteilungsmethode identifizieren.

Mit der Erinnerung an meine eigene Schulzeit wurde mir allerdings noch ein anderer Grund für das Aufholen der Mädchen bewusst: Im Gegensatz zu früher werden die Mädchen von Eltern und Schule nicht mehr zurückgehalten, sondern genau so wie die Knaben aktiv gefördert. Also kein Bremsen des Ehrgeizes mehr (“sonst kriegst du keinen Mann”, “bringt nichts, du heiratest ja doch”), nicht mehr Häkeln und Stricken anstelle von Geometrie wie es bei mir noch teilweise der Fall war.

Es gibt wohl noch viele weitere Gründe für die unterschiedlichen Erfahrungen von Mädchen und Knaben in der Primarschule. Die frühe Selektion zum Beispiel. Auch dies ist hier ein Neuseeland – einem Spitenreiter bei den PISA Resultaten – anders.

Mein Junior hat sich auf dem langen Schulweg wieder abgeregt und freute sich am Schluss sogar auf den neuen Lehrer. Dass seine Mutter überhaupt nicht gerne zur Schule ging und kaum eine Gelegenheit ausliess, “krank” zu Hause zu bleiben, konnte er fast nicht glauben. Echt, Mama? fragte er immer wieder. Früher war eben nicht alles besser.

Die ewige Angst vor dem Abstieg – etwas Hintergrund

Monika Bütler

Das NZZ Folio hat meinen Beitrag zum Zustand des schweizerischen Mittelstands freundlicherweise bereits verlinkt. Was ich noch nachliefern möchte, sind die wissenschaftlichen Grundlagen und andere Texte, auf die ich mich direkt oder indirekt abgestützt habe. Oder einfach interessante Hintergrundliteratur.

Treue batz Leser(innen) werden das eine oder andere schon früher gelesen haben. Die Problematik der steigenden Wohnkosten habe ich in „Mietzinsakrobatik“ diskutiert, die Steuerbelastung des Mittelstandes in „Steuerbelastung inflationsbereinigt“ und in „Sind Steuerzahler bessere Menschen?“. Dass der Lebenszyklus wichtig ist für die Beurteilung der Einkommen stand in der NZZ am Sonntag und im batz:  Einkommensverteilung und Lebenszyklus. Zum Thema Einkommensverteilung haben auch meine Kollegen Marius Brülhart in Land der begrenzten Ungleichheiten und Reto Föllmi (mit Isabelle Martinez) in Reich sein in der Schweiz…  beigetragen. Dass es wichtiger wäre Tagesschulen zu organisieren statt das Hortwesen zu perfektionieren stand in „Familienartikel: Umbau der antiquierten Schulstruktur!“ Und meine Kollegin Christina Felfe ergänzte mit vielen interessanten Informationen zur Kinderbetreuung in der Schweiz.

Hier die wissenschaftliche Literatur und weitere Hintergrundliteratur geordnet nach Themen:
Weiterlesen

Teure Eigenmittel, billige Wissenschaft

Urs Birchler

Der unbedingte Glaube, Eigenmittel seien für die Banken teuer (im Vergleich zu Fremdmitteln, d.h. Schulden) kommt mehr und mehr ins Wanken. Das Buch The bankers‘ new clothes von Martin Hellwig und Anat Admati hat einem weiteren Leserkreis klar gemacht, dass es sich um einen Aberglauben handelt. In der Schweiz drängen SP und SVP denn auch auf strengere Eigenmittel-Anforderungen.

Jetzt bekommen die Banken Hilfe aus Wissenschaft und Presse. Schon im April lancierten Harry de Angelo und René Stulz ein Working Paper, in welchem sie die These von den teuren Eigenmitteln verteidigen. Das Argument: Bankeinlagen sind beim Publikum wegen ihrer Liquidität geschätzt, deshalb kosten sie die Banken weniger als Eigenmittel. Bereitwillig ist The Economist in der letzten Ausgabe unter dem Titel („Capital Punishment“) aufgesprungen und titelt: „Forcing banks to hold more capital may not always be wise“.

Die Bankenvertreter werden es mit Genuss gelesen haben. Sie hätten aber das Original-Papier lesen müssen. Dort passt nämlich einiges nicht zusammen. Beispiel: de Angelo und Stulz nehmen in ihrem Modell an, dass die Banken risikolose Portefeuilles halten. Wenn die Banken aber risikolos sind, so können sie sich natürlich problemlos zu 100% mit Fremdmitteln (Einlagen) finanzieren. Ein Schiff, das auf dem Trockenen steht, braucht auch keine Rettungsboote. Dass die Banken in Wirklichkeit nicht risikolos sind, müsste sich zwar herumgesprochen haben. Und, dass sie gerade dann, wenn sie wenig Eigenmittel haben, d.h. stark fremdfinanziert sind, gerne hohe Risiken eingehen, käme dann noch dazu.

Eine ausführlichere Kritik des Modells von de Angelo und Stulz muss ich meinen Fachkollegen überlassen. Aber soviel sei festgehalten: Offenbar ist es schwierig (wenn nicht unmöglich), ein solides Argument zugunsten der teuren Eigenmittel zu führen. Wenn es René Stulz nicht schafft (er ist einer der renommiertesten Finance-Professoren und war lange Herausgeber des Journal of Finance), wer dann?

Die Behauptung, Eigenmittel seien teuer, bleibt daher einstweilen, was sie war: eine — ziemlich leere — Behauptung.

Mehr als Bratwurst und Cervelat

Monika Bütler

Die gestrige SF (Abstimmungs-)Arena zu den Tankstellen war ja ziemlich bedrückend. Bundesrat Schneider-Ammann wirkte total eingeschüchtert (weshalb hat man denn dem armen Mann nicht noch eine zweite Stimme zur Seite gestellt?). Mindestens hatte er gut argumentierende Hinterbänkler. Die Tankstellenchefin Susanna Gubelmann war grandios; bodenständig und schlau: „Wie um Himmels Willen erkläre ich jemandem, dass er zwar 7 Weggli aber keinen Zopf kaufen darf?“.

A propos: Himmels Wille ist offenbar, dass Sonntags- und Nachtarbeit für die Kirche edel, für alle anderen hingegen pfui ist und deshalb verboten werden muss. So etwa die Kurzfassung der gegnerischen Argumentation. Gelernt habe ich auch, dass es offenbar zwei Arten von Menschen gibt: Arbeiter und Konsumenten (oder neudeutsch: Arbeitende und Konsumierende). Oder, etwas anders interpretiert, dass mein arbeitendes ich vor meinem konsumierenden ich per Gesetz geschützt werden muss. Fragt sich nur, wer genau den Schutz bestimmt. Die Gegner der Vorlage wussten es.  Das mit der Kirche als moralischen Kompass hatten wir übrigens früher schon mal. (Bevor ich böse emails erhalte: Ich habe gar nichts gegen die Kirche, ich stamme aus einer katholischen Grossfamilie, zu der auch die erste Schweizer Heilige gehörte).

Es geht zwar in der Vorlage nicht um Sonntags- oder Nachtarbeit, sondern um die Korrektur einer ziemlich unsinnigen Einschränkung des Angebots in der Nacht. Es ist aber durchaus angebracht, den grösseren Kontext der Vorlage anzuschauen. Leider hat dies Bundesrat Schneider-Ammann versäumt. Die Diskussion über die Länge der Ladenöffnungszeiten und die Rolle des Sonntags (als Ruhetag) ist wichtig. Und entgegen aller Vorurteile sind nicht einfach alle Ökonomen partout für unbeschränkte Öffnungszeiten der Läden. Ich erinnere mich an den Vortrag meines Berliner Kollegen Michael Burda (übrigens amtierender Präsident des Vereins für Socialpolitik, des Vereins der deutschsprachigen Ökonom(inn)en). Er wollte eigentlich zusammen mit seinem Brüsseler Kollegen Philippe Weil zeigen, dass die Einschränkung der Ladenöffnungszeiten – songenannte Blue Laws – volkswirtschaftliche Kosten hat.

Herausgekommen ist etwas differenzierteres: Die Blue Laws reduzieren zwar (a) die relative Beschäftigung in einer Volkswirtschaft, erhöhen aber (b) auch die Löhne der Beschäftigten und deren Produktivität und führen (c) erst noch zu tieferen Verkaufspreisen.

Auch andere Studien nehmen sich der Blue Laws an. So finden Yu und Kaffine, dass die Aufhebung des Verbots, am Sonntag Alkohol kaufen zu können, die Alkohol-bedingten Unfallzahlen nicht beeinflusst hat. Hingegen finden Gerber, Gruber und Hungermann, dass die Aufhebung des Verkaufsverbots am Sonntag zu einem doch recht starken Rückgang der Kirchenbesuche führt. Honi soit qui mal y pense. Die Vertreter der Kirche und der linken Parteien haben bestimmt einen viel edleren Grund, das Sonntagsverkaufsverbot beizubehalten: die Sorge um die Stimmbeteiligung. Gerber, Gruber und Hungermann finden nämlich, dass die Stimmbeteiligung unter den Sonntagsverkäufen litt (über den weniger häufigen Kirchenbesuch). Womit wir wieder bei den Abstimmungen wären.

Zur Emeritierung von Gebhard Kirchgässner

Monika Bütler

Mein HSG Kollege und Mit-Batzer Gebhard Kirchgässner wird auf Ende des Frühlingssemesters 2013 emeritiert (Nein, nicht eremitiert, wie es kürzlich einmal irrtümlich in einem Dokument stand). Gebhard wird uns an allen Enden und Ecken fehlen, als freundlicher aber auch immer wieder kritischer Kollege, als Lehrer. Als Freund, Forscher und Mit-Batzer bleibt er uns glücklicherweise erhalten. Hier meine Würdigung, die ich für den HSGFocus verfasst habe:

On Minimal Morals“, „Econometric Estimates of Deterrence of the Death Penalty: Facts or Ideology?”, “Introduction to Modern Time Series Analysis”, “The Effect of Direct Democracy on Income Redistribution: Evidence for Switzerland”, und “Kaderschmieden der Wirtschaft und/oder Universitäten? Der Auftrag der Wirtschaftsuniversitäten und -fakultäten im 21. Jahrhundert“. Die schwindelerregende Breite der von Gebhard Kirchgässner in Forschung und Lehre abgedeckten Themen stellte die School und die verantwortliche Dekanin vor ein unlösbares Problem. Es hätte mindestens drei Wissenschaftler gebraucht um die Lücken zu schliessen. Selbst in Zeiten ohne Budgetkürzungen ein frommer Wunsch.

Mit Gebhard Kirchgässner wird nicht nur die Vielseitigkeit in Person emeritiert, sondern auch eine moralische Instanz und ein Brückenbauer zwischen verschiedenen Strömungen der Ökonomie, zwischen Theorie und Praxis. Vor allem aber ein brillanter Volkswirt, hochgeschätzter Kollege und Freund.

Gebhard Kirchgässner studierte und promovierte an der Universität Konstanz. Nach seiner Habilitation an der Universität Konstanz und der ETH Zürich wirkte er als Oberassistent an der ETHZ bevor er 1985 als ordentlicher Professor für Finanzwissenschaft an die Universität Osnabrück berufen wurde. Trotz seines – aus heutiger Perspektive – eher traditionellen Werdegangs: Mit Gebhard Kirchgässner kam 1992 ein Vertreter der modernen Generation von Volkswirtschaftsprofessoren – forschungsorientiert und international vernetzt – an die HSG. Zusammen mit seinen damaligen Kollegen leitete er die Modernisierung der volkswirtschaftlichen Abteilung ein und legte so die Grundlage der Erfolge der School in Forschung, Lehre und Wirtschaftspolitischem Engagement.

In der Lehre ist Gebhard Kirchgässner kein Entertainer, er glänzt vielmehr durch Tiefgang und ein enormes Wissen auch in anderen Disziplinen, insbesondere der Philosophie und der Wissenschaftstheorie. Für die SEPS ist er ein wichtiges Bindeglied zwischen den beiden Disziplinen Volkswirtschaftslehre und Politikwissenschaft. Gebhard prägte den Kontext lange bevor es das Kontextstudium an der HSG gab.

Gebhard Kirchgässner gehört seit Jahren zu den profiliertesten und erfolgreichsten Wirtschaftswissenschafter der Schweiz, was sich in mehr als 130 Aufsätzen in Fachzeitschriften (darunter auch in internationalen Top Journals) sowie zahlreichen weiteren Publikationen zeigt. Dabei schreibt er nicht nur für seine Forscherkolleginnen, sondern auch für Studierende, Politiker und die Allgemeinheit.

Die neue politische Ökonomie, die angewandte Ökonometrie, vor allem aber die Finanzwissenschaft mit all ihren Facetten gehören zu seinen Hauptforschungsgebieten. Gebhard Kirchgässner ist einer der Väter der empirischen Forschung zu Föderalismus und Fiskalpolitik. Die Schweiz mit ihren dezentralen Entscheidungsstrukturen und der Vielfalt politischer Systeme diente ihm dabei als Labor. Viele seiner Doktorand(inn)en, die ihn bei diesen Arbeiten begleiteten, sind heute selber erfolgreich in Forschung und Wirtschaftspolitischer Beratung im In- und Ausland tätig. So ist Gebhard sozusagen der akademische Vater von Frau Merkels Schuldenbremse(r).

A propos Schweiz: „Wie viel Schweiz muss in einem Produkt drin stecken, damit Schweiz draufstehen darf?“ fragte sich das Parlament kürzlich im Rahmen der Swissness Vorlage. Obwohl erst vor wenigen Jahren eingebürgert, steckt bei Gebhard Kirchgässner sehr viel Schweiz drin; seine lokale Verankerung ist beispielhaft. In seiner Wohngemeinde engagiert er sich in der Geschäftsprüfungkommission, er nahm unzählige politische Beratungsmandate für die Eidgenossenschaft wahr und präsidierte bis 2007 die eidgenössische Kommission für Konjunkturfragen.

Eine Würdigung von Gebhard Kirchgässner wäre unvollständig ohne einige Worte zu seiner Persönlichkeit. Zwei – nur auf den ersten Blick altmodische – Eigenschaften kommen mir dabei in den Sinn: Treue und Ehrlichkeit. Was Gebhard Kirchgässner sagt, meint er auch. Das ist natürlich ausgesprochen angenehm. Allerdings: Was er meint, sagt er auch. Das ist dann nicht immer so gemütlich, weil Gebhard auch unangenehme Wahrheiten ausspricht, wenn es der Sache dient.

Wer von Gebhard einen Rat erhält, tut gut daran, ihn zu befolgen. Oder aber sich genau und ehrlich zu überlegen, weshalb man seinen Rat nicht befolgen möchte. Gebhards Prinzipientreue und Aufrichtigkeit sind in unserer Zeit geradezu hochmodern.

Im Verlaufe seiner Forschertätigkeit erhielt Gebhard Kirchgässner zahlreiche Preise und Ehrungen. Die wichtigste Auszeichnung: Das Ehrendoktorat der Universität Freiburg im Uechtland im Jahre 2011. Hoch verdient, wie wir finden. Einen Ehrenplatz wird Gebhard in der School ohnehin erhalten. Allerdings hoffen wir, dass er uns als Sparringpartner und Lehrer noch lange erhalten bleibt. Als Freund sowieso.

Heimatschutz an Universitäten?

Monika Bütler

Mit etwas Verspätung meine Kolumne in der NZZ am Sonntag vom 24. März 2013. (Dafür bereits mit konstruktiven Reaktionen, u.a.: „Dass Sie einen solchen Dreck in einer Zeitung abdrucken lassen ist ein Skandal.“)

 „Nur deutsche Bewerber für Lehrstuhl an Schweizer Uni eingeladen!“ Dieser Aufschrei geht in regelmässigen Abständen durch die Medien. Es scheint offenkundig: Schweizer werden benachteiligt.

Meine eigene, langjährige Erfahrung mit Berufungen deckt sich nicht mit dem Klagelied; es wird wohl eher zugunsten der Schweizer entschieden. Nur gibt es dazu wenig Gelegenheit. Unbestreitbare Tatsache ist: Um akademische Positionen bewerben sich kaum Schweizer(innen).

Es fehlen eben – so argumentieren die Differenzierteren – einheimische Kandidaten, weil der Nachwuchs vernachlässigt werde. Doch halt: Geben nicht Hochschulen und Nationalfonds jedes Jahr riesige Summen für die Nachwuchsförderung aus? Auch wenn die Treffsicherheit bei der Vergabe manchmal zu wünschen übrig lässt: So unattraktiv können diese Programme nicht sein. An Bewerbern – Schweizern und Ausländern – fehlt es in der Regel nicht. Weiterlesen

LEGOnomics

Urs Birchler und Inke Nyborg

Wer Kinder hat, weiss: Lego-Bausteine sind teuer. Aber sind sie eigentlich teurer oder billiger als damals? Oder ersteht der Eindruck bloss, weil die meisten Lego-Sets so komplex geworden sind? Die Antwort liegt jetzt, wissenschaftlich abgesichert, vor: Real gesehen sind die Klötzchen billiger als 1960 und viel billiger als auf dem Höhepunkt von 1985 (siehe Abbildung). Diese und andere interessante Berechnungen hat der Blog Reality Prose veröffentlicht.

priceperpiece1

Wir haben Lego schon unser Silvesterquiz gewidmet. Den Mut, die Euro-Krise in Lego darzustellen, hatten wir allerdings nicht — im Gegensatz zu JP Morgan.

[Nachtrag: Lego und Network Complexity]

Sind Professor(inn)en Mimosen?

Monika Bütler

Kolumne in der NZZ am Sonntag, 4. November (veröffentlicht unter dem Titel: Professoren wollen nicht mehr an die Öffentlichkeit; Angst vor Anfeindungen, Forschungsdruck – Rückzug in den Elfenbeinturm ist schlecht)

 Warum machst Du das bloss?», fragten mich zwei Kolleginnen kürzlich anlässlich einer Konferenz. Dabei mache ich gar nichts Unanständiges. Ich hatte nur erzählt, dass wir – eine Gruppe von Volkswirtschaftsprofessoren an den Universitäten Zürich, Lausanne und St. Gallen – einen Blog betreiben; ein Online-Forum zu aktuellen wirtschaftspolitischen Fragen, das ab und zu auch für Aufregung sorgt. Etwa wenn der Chef einer Grossbank selber einen Kommentar auf dem Blog hinterlässt. Oder wenn Beiträge von der Presse aufgenommen werden – freundlich oder weniger freundlich.

Die mögliche Aufregung fanden meine Kolleginnen fast schon bedrohlich. Zwar sind beide keine stereotypen Modellschreinerinnen im Elfenbeinturm, sondern international beachtete Forscherinnen mit relevanten Themen. Zum Beispiel: Wie reagieren Individuen auf aktive Arbeitsmarktmassnahmen? Führt eine Erhöhung des Rentenalters zu mehr Arbeitslosigkeit? Wie unterscheidet sich die Sozialhilfeabhängigkeit zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen? Themen, die auch die Allgemeinheit interessieren. Gleichwohl ist ihnen Öffentlichkeitsarbeit nicht geheuer.

Warum die Zurückhaltung? Zum einen frisst Öffentlichkeitsarbeit der Forschung wertvolle Zeit weg. Sie kostet sogenannten Impact, das heisst Zitate in vielzitierten Publikationen – die Einheitswährung im Forschungsbetrieb. Da ist privates Schreiben und öffentliches Schweigen Gold. Allgemein verständliche Aufsätze zu schreiben oder mit den Medien zu reden, ist bestenfalls Blei. Dieses zieht nach unten: Jede Minute verlorene Forschungszeit rächt sich: weniger Forschungsgelder, tieferes Ansehen, noch weniger Forschungszeit, usw. Attraktiv bleibt die Öffentlichkeitsarbeit für jene, die in der Forschung nichts zu verlieren haben – nicht immer die besten Ratgeber des Volkes.

Die öffentliche Sprechhemmung vieler Kollegen liegt, zum andern, auch an der Angst vor Anfeindungen und Angriffen. Besonders ausgeprägt ist dies in Disziplinen, in denen sich wissenschaftliche Inhalte nicht so leicht von politischer Meinung unterscheiden lassen. In den Sozialwissenschaften riecht – anders als in den meisten Naturwissenschaften – ein Forschungsergebnis oft gleich nach Politik. Jede(r) ist Experte für das Rentenalter oder die Sozialhilfeabhängigkeit. So löst schon das Wort «Anreiz» gereizte Reaktionen aus. Immer.

Sind Forscher Mimosen? Zur Wissenschafts- und Meinungsäusserungsfreiheit gehört nämlich auch die Bereitschaft, Kritik – selbst unfaire – zu ertragen. Obschon noch immer davon überzeugt, kamen mir in den letzten Monaten Zweifel. Medienschelte ist das eine; sie zeigt immerhin, dass man gelesen wird. Was aber, wenn Forscher für ihre Aussagen nicht bloss kritisiert, sondern auch rechtlich zur Verantwortung gezogen werden? So wie kürzlich die Seismologen in Italien. Oder wenn unter tatkräftiger Mithilfe aus den Universitäten vertrauliche Interna in den Medien breit getreten werden. Nicht aufzufallen, ist immer noch der beste Schutz.

Traurige Ironie: Dank einer grösseren Forschungsorientierung sind die Schweizer Universitäten in den letzten Jahren qualitativ viel besser geworden; gleichzeitig verbreiteten sich die Gräben zwischen Akademie und Öffentlichkeit. Ausgerechnet in einer Zeit, in der wir am meisten von der Forschung lernen könnten, schweigen viele Wissenschafter. Und jeder Angriff ist – je nach Standpunkt – guter Grund oder billiger Vorwand für ein weiteres Stockwerk im Elfenbeinturm.

Es liegt an allen Seiten, den Dialog lebendig zu erhalten und Gräben zu überbrücken. Professoren sollten ihr Wissen der Öffentlichkeit zugänglich machen können, bevor diese fragt: «Was machen die bloss?» Die Professoren, die sich die Mühe machen, mit der interessierten Öffentlichkeit zu reden, sollten sich anderseits nicht ständig fragen müssen: «Warum mache ich dies bloss?»

Achtung Professoren: Die Weltwoche warnt

Die Anfrage der Weltwoche klang harmlos. „Für einen kommenden Artikel über die Universitätslandschaft in der Schweiz suchen wir nach Portraits von Professoren. Im Falle der HSG wären das Professor Manfred Gärtner & Professor Rolf Wüstenhagen.“ Mehr dazu stand in der email Anfrage nicht. Unsere Pressestelle war besorgt.

Zu Unrecht. Was da in Philipp Guts Warnung vor Schweizer Professoren steht, ist teilweise falsch, vor allem aber belanglos und oberflächlich. Genauso harmlos wie die Anfrage eben.

Das fängt schon bei der Auswahl der Professoren an, vor denen gewarnt werden muss. Es sind die usual suspects der Weltwoche, unter anderem Andreas Fischlin (Systemökologie/Klima ETHZ), Philipp Sarasin (Geschichte UZH), Andrea Maihofer (Gender Forschung, Uni Basel), Kurt Imhof (Soziologie, UZH). Neue, nicht schon x-fach wiederholte Informationen zu diesen Personen und zu ihren furchterregenden Forschungsgebieten fanden sich im Artikel jedenfalls keine. Die Anzahl gefährlicher Professoren scheint auf jeden Fall ziemlich klein zu sein.

An der HSG lokalisierte Philipp Gut genau zwei der Professoren (Manfred Gärtner und Rolf Wüstenhagen), die schon früher in lokalen Medien politisch angegriffen wurden.  So nach dem Motto: Die Wissenschaft solle sich nicht in die Politik einmischen. Wenn es Grund zur Besorgnis gegeben hätte, dann wäre es dieser Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit gewesen. Ich kann mich auf jeden Fall nicht erinnern, dass in St.Gallen je von linker Seite gegen einzelne HSG Professoren Stimmung gemacht wurde.

Ich teile, wie andere HSG Kolleg(inn)en, längst nicht alle Meinungen von Manfred Gärtner und Rolf Wüstenhagen. Doch die Ökonomie ist keine genaue Wissenschaft und man kann – wissenschaftlich fundiert – zu unterschiedlichen Schlüssen gelangen. Letztlich ist es der wissenschaftliche Diskurs, welcher die Forschung und dadurch auch deren wirtschaftspolitische Anwendung weiterbringt.  Dazu tragen meine beiden Kollegen bei – zum Glück. Wären denn der Weltwoche weltfremde Modellschreiner im Elfenbeinturm lieber?

Philipp Guts Analyse zur makroökonomischen Lehre an der HSG ist zudem nachweislich falsch. Er schreibt: Dieses weitverbreitete Gedankengut (MB: gemeint ist der Keynesianismus) wäre auszuhalten, wenn es innerhalb der HSG ein Gegengewicht zu Gärtner gäbe. Das ist nicht der Fall“. Wie bitte? Hat Gut denn überhaupt meine anderen Kollegen und ihre Forschung angeschaut. Wer die Debatte nach der Finanzkrise auch nur halbwegs verfolgt hat, muss zum Schluss kommen, dass der Autor die letzten fünf Jahre im Tiefschlaf verbracht haben muss. Wenn der HSG von verschiedenen Seiten etwas vorgeworfen wurde, dann dass sie sich dem neoliberalen Gedankengut verpflichtet fühlte und die Finanzkrise durch die unkritische Ausbildung ihrer Studenten mitverursachte.

Zum Schluss gibt Gut noch ein bisschen Entwarnung, indem er den Studenten ein Kränzchen windet. Er schreibt: „Bildet die HSG also seit Gärtners Stellenantritt 1986 nur noch Unternehmer und Ökonomen aus, die von höheren Staatsschulden träumen und die Finanzmärkte als Problem betrachten? So schlimm steht es nicht: Unter Absolventen mit Finance-Hintergrund kursierten nach Gärtners Veröffentlichungen E-Mails mit dem Betreff: «Wer stoppt Manfred Gärtner?» „ Na also. Wenn Philipp Gut noch ein wenig mehr recherchiert hätte und ein bisschen über den Tellerrand geblickt hätte, wäre ihm eventuell etwas Entscheidendes aufgefallen: Die Forschung ist sich nämlich in einer Frage einig: Studenten lassen sich von ihren Professoren ideologisch gar nicht beeinflussen.

 

Staat–Banken–Wirtschaft

Urs Birchler

Am 5./6. September findet an der Universität Zurich das 30. SUERF Colloquium statt. Es trägt den Titel: „States, Banks, and the Financing of the Economy“.
Wichtige Referenten werden sich mit den wirtschaftlich-politischen Folgen der Finanz- und Schuldenkrise auseinandersetzen. SUERF (Société Européenne de Recherches Financierès) ist ein nicht gewinnorientiertes Netzwerk von Vertretern aus Universitäten, Notenbanken und Praxis. Das Colloquium ist öffentlich (Platzzahl beschränkt). Alles weitere: siehe Programm.

[Transparenzhinweis: Der Autor dieses Eintrags ist Präsident des Council of Management von SUERF. In dieser Funktion möchte er auch hier allen Sponsoren und anderen Beteiligten, die das Colloquium möglich machen, ganz herzlich danken.]