Alte Hypotheken

Monika Bütler

Werden ältere Menschen bei der Vergabe von Hypotheken benachteiligt? Medienberichte lassen dies vermuten. Die Ablehnungsquote für Hypotheken steigt mit dem Alter an, schon deutlich vor dem Rentenalter. Und natürlich sind die Schuldigen (vor allem in den Online Kommentaren) schnell gefunden: Die bösen Banken.

Doch ist die Sache wirklich so einfach? Die profitgierigen Banken würden wohl kaum auf ein profitables Geschäft verzichten. Ich möchte hier allerdings zwei andere Punkte machen: Erstens, die Finanzierung einer Hypothek im Alter hat durchaus ihre Tücken, wie ich an einem einfachen Zahlenbeispiel aufzeigen möchte. Und zweitens gibt es plausible Gründe, weshalb die Ablehnungsquote mit dem Alter steigen könnte.

Eine Hypothek ist auch im Rentenalter eine Hypothek

Ein kleines Beispiel: Ein Haus koste 1 Million CHF, die beantragte Hypothek 600‘000 Franken. Klingt harmlos, es ist keine Luxusimmobilie, die Belehnung ist nur moderat. Das sollte doch auch als Rentnerehepaar zu stemmen sein.

Schauen wir uns die Tragbarkeitskriterien an: 5% Zins auf der Hypothek und 1% des Kaufpreis für Unterhalt. Ja, wir hatten schon mal so hohe Zinssätze – sogar noch höhere.Die 5% sind daher durchaus konservativ, zumal sich im Alter das Einkommen nicht mehr so leicht steigern lässt.

Macht also 30‘000 Franken für Zinskosten und 10‘000 Franken Unterhalt, total 40‘000 Franken. Nach den geltenden Regeln sollten die jährlichen Kosten eines Hauses nicht mehr als 1/3 des Einkommens betragen. Also umgerechnet auf das Jahreseinkommen: 120‘000 Franken. 120‘000 Franken Jahreseinkommen bedeutet andererseits: Ein Ehepaar ohne Lücken in den AHV Beitragsjahren müsste rund 80‘000 Franken aus der beruflichen Vorsorge erhalten (40‘000 aus der AHV).

Bei einem Umwandlungssatz von 6.5% entsprechen 80‘000 Franken BVG Rente im Jahr einem Pensionskassenvermögen von rund 1.2 Millionen Franken. 1.2 Millionen sind aber fast dreimal mehr als der typische Rentner bei seiner Pensionierung angespart hat. Oder anders ausgedrückt: ein solch hoher BVG Kapitalstock ist nur bei einem Jahreseinkommen von mindestens 160‘000 Franken (wohl eher gegen 200‘000 Franken) erreichbar.

Man kann natürlich die Regel kritisieren, dass die jährlichen Kosten höchstens einen Drittel der Einkünfte ausmachen dürfen. Sind denn die 120‘000 Franken Einkommen zu konservativ, zumal mit 65 keine Kinder mehr finanziert werden müssen? Bei einem älteren Paar stellen sich allerdings andere Finanzierungsfragen: Was passiert, wenn ein Ehepartner stirbt? Statt 120‘000 Franken Rente bleiben dann nur noch etwa 75‘000 Franken. Zudem steigt die Wahrscheinlichkeit stark an, Pflegeleistungen finanzieren zu müssen.

Ganz so einfach ist es also nicht, im Alter eine sichere Finanzierung für Hypothek und Unterhalt aufzubringen. Das hat bereits Konsequenzen für Bewerber vor dem Rentenalter, schliesslich muss die Tragbarkeit langfristig erfüllt sein. Und selbst wenn die Tragbarkeitskriterien im Beispiel erfüllt wären: Die Bank würde sich bei einem Ehepaar mit 120‘000 Rente mit guten Gründen fragen, weshalb es bei einem so hohen Vorruhestandseinkommen bis ins Alter 65 nicht möglich war, eine viel höhere Eigenleistung aufzubringen.

Was mich zum zweiten Punkt bringt:

Eine 30 jährige Hauskäuferin ist anders als eine 50 jährigen Hauskäuferin.

Selbst ohne Tragbarkeitshürde ist zu erwarten, dass die Ablehnungsquote mit dem Alter steigt. Aus einem ganz einfachen Grund: Wer mit 30 Jahren ein Haus kauft, unterscheidet sich im Durchschnitt auch in anderen Aspekten von einer 50 jährigen Hauskäuferin. Was dann als Altersdiskriminierung erscheint, ist in Tat und Wahrheit durch andere Faktoren erklärbar.

So ist wahrscheinlich, dass wer in jungen Jahren kauft, reicher ist. Und selbst bei gleichem Einkommen dürften junge Käufer finanziell konservativer, weniger abenteuerlich, häuslicher und eher von den Eltern beim Hauskauf unterstützt sein. Anders ausgedrückt gibt es mit steigendem Alter einen immer kleineren Anteil solventer Bewerber unter denen, die noch kein Haus besitzen.

Mit 50 hat zudem ein grösserer Teil der Bewerber für eine Hypothek eine Scheidung hinter sich als mit 30. Natürlich haben auch Frischvermählte mit 30 eine Scheidungswahrscheinlichkeit von 50%. Die Scheidungswahrscheinlichkeit bleibt jedoch für ältere Verheiratete hoch, insbesondere bei Zweitehen. Den jüngeren bleibt nach einer Scheidung immerhin noch mehr Zeit, die Lücken in den Ersparnissen und der beruflichen Vorsorge wieder zu stopfen.

Zu guter Letzt sind die Daten für die älteren Bewerber auch weniger verlässlich und volatiler – weil es eben weniger hat. Ich vermute, dass bei einer Berücksichtigung aller Faktoren die Altersdiskriminierung verschwindet – oder sich sogar ins Gegenteil kehrt. Vielleicht lassen sich die Daten ja wissenschaftlich auswerten.

Zu viel direkte Demokratie? Die Unterschriftenhürde

Monika Bütler und Katharina Hofer

Im Vorfeld der eidgenössischen Wahlen hier noch etwas aus unserer aktuellen Forschung am Institut. Die Frage ist, wie sich eine Erhöhung der Unterschriftenzahl bei Volksinitiativen auf die Anzahl und die Art der eingereichten Initiativen auswirken würde. Die Kurzfassung der Antwort:  Daten und Modell zeigen, dass wohl tatsächlich mit weniger Initiativen zu rechnen wäre. Ob dies allerdings wünschenswert ist, ist a priori nicht so klar (und können wir auch nicht beurteilen).

Wer noch etwas mehr wissen will lese unten weiter. Wer noch viel mehr wissen will konsultiere unser Arbeitspapier (Autoren: Katharina Hofer, Christian Marti und Monika Bütler).

Bis zu viermal jährlich werden die Schweizer Stimmbürger an die Urnen gerufen, um über eidgenössische Vorlagen zu entscheiden. Viele Stimmen äussern sich kritisch zur „Initiativenflut“, welche insbesondere in den letzten Jahren einen Aufwärtstrend aufweist (die Abbildung  zeigt die Anzahl zustande gekommener Initiativen pro Dekade, Quelle: Bundesamt für Statistik (2015)). Der Stimmberechtigte werde überfordert, wie auch die eidgenössischen Räte, welche sich über den parlamentarischen Prozess mit einem möglichen Gegenvorschlag sowie Parteiparolen auseinander setzen müssen.

Initiativen1891bis2015

Unbestritten ist, dass die Hürden für neue Initiativen seit der Einführung der Eidgenössischen Volksinitiative 1891 deutlich gesunken sind: Mussten damals noch 3,4% der stimmberechtigten Männer das Begehren unterschreiben, sind es heutzutage nur noch 1.9%. Als Antwort auf die Verdoppelung der Stimmberechtigten durch Einführung des Frauenstimmrechts wurde die Unterschriftenhürde für das Zustandekommen von Volksinitiativen 1978 das erste und letzte Mal auf 100’000 erhöht. Bemerkenswert: zwischen der Einführung des Frauenstimmrechts 1971 und der Erhöhung der Unterschriftenzahl 1978 lag die Unterschriftenhürde noch tiefer als heute. (Vielleicht hat man damals den Frauen einfach noch nicht zugetraut, politisch aktiv zu sein). Auf jeden Fall stieg die Anzahl der zustande gekommenen Initiativen in dieser Zeit (71-80 versus 61-70) um mehr als das doppelte.

Um der direkten Demokratie eine Verschnaufpause zu gönnen und die Anzahl Initiativen zu reduzieren, wird heute wieder eine deutliche Erhöhung der Hürde propagiert. Avenir Suisse schlägt beispielsweise 211’200 Unterschriften vor, was einem Anteil von 4% der Stimmbevölkerung entsprechen würde.

Wie sich eine Erhöhung der Unterschriftenzahl auf die Zusammensetzung der Initiativen auswirken würde ist hingegen nicht so klar. Ist die Senkung der Anzahl der Volksbegehren das alleinige Ziel, wäre dies vermutlich ein effektives Instrument. Zwei weitere Effekte sollten jedoch nicht vergessen werden. Denn eine höhere Unterschriftenhürde bedeutet gleichzeitig höhere Sammelkosten zumal die Sammelzeit seit 1978 auf 18 Monate begrenzt ist.

Erstens bevorzugt eine höhere Unterschriftenzahl zahlungskräftige Initiativkomitees. Weniger einfach zu organisierende, aber vielleicht ebenso berechtigte Anliegen hätten eine geringere Chance, die Hürde zu nehmen. Zweitens beeinflusst die Erhöhung der Unterschriftenzahl die Zusammensetzung der zur Abstimmung kommenden Initiativen: Initiativkomitees mit grösserer Unsicherheit bezüglich ihrer Wahrscheinlichkeit, den Status Quo ändern zu können, werden möglicherweise durch die hohen Sammelkosten abgeschreckt. Initiativen mit höheren Erfolgschancen würden hingegen weiterhin lanciert und könnten folglich auch eher zu einem Gegenvorschlag oder gar zu einem direkten Erfolg an der Urne führen. Dabei können aber auch Initiativen mit ex ante geringer Erfolgswahrscheinlichkeit eine Bereicherung für die politische Diskussion darstellen.

In unserem Forschungspapier zeigen wir – auch anhand der Daten aller Volksinitiativen seit 1891 – auf, dass die Unterschriftenhürde nicht nur ein Filter für die Anzahl gestarteter Volksinitiativen ist, sondern gleichermassen auch die Charakteristika der zustande gekommenen Initiativen beeinflusst. Anliegen mit unsichereren Erfolgsaussichten, die aber potenziell ebenfalls einen Beitrag zur politischen Diskussion leisten, werden bei höheren Hürden womöglich nicht mehr lanciert. Dies sollte bei Reformvorschlägen der Initiative bedacht werden. Immerhin sind Initiativen in ihrer Natur ein Mittel der politischen Minderheiten.

 

BVG Vermögen und Vermögensverteilung

Monika Bütler

Die sehr ungleiche Vermögensverteilung der Schweiz beschäftigt das Land. Insbesondere erhoffen sich die Befürworter der Erbschaftssteuerinitiative eine Milderung der Ungleichheit. Die Gegner der Vorlage argumentieren hingegen, dass die Vermögensverteilung wenig Aussagekraft hat, aus verschiedenen Gründen. Einer davon ist, dass die gemessene Vermögensverteilung die Guthaben der beruflichen Vorsorge nicht erfasst.

Es gibt leider kaum Daten, die sowohl die regulären Vermögen (inklusive Immobilien!) wie auch die BVG Vermögen ausweisen. Ganz ohne empirische Evidenz müssen wir allerdings nicht auskommen: SHARE, der Survey of Health, Ageing and Retirement in Europe enthält Informationen zu Pensionskassenvermögen, Renten, sonstigen Haushaltvermögen (und vielem mehr). Es handelt sich dabei um ein EU finanziertes Grossprojekt in verschiedenen europäischen Staaten, welches die Lebenssituation der über 50 jährigen erfasst. In der Schweiz wurden die Daten (in vier Umfragewellen) vom Bundesamt für Statistik erhoben. Wir haben die Daten für wissenschaftliche Untersuchungen verwendet.

Ich habe mir die rund 3000 Datenpunkte von Personen über 65 Jahre nochmals angeschaut. Für rund 60% dieser Personen sind Informationen zu Renten- oder Kapitalbezug vorhanden. Diese Informationen erlauben die Berechnung des BVG Vermögens. Weshalb die anderen kein BVG Kapital ausweisen, ist nicht bekannt: Einige davon dürften nie einer Pensionskasse angehört haben, weil sie selbstständig oder nicht erwerbstätig waren, andere haben eventuell den Barbezug des BVG Kapitals in der Umfrage nicht angegeben. Ärmer sind diese 40% allerdings nicht, die Vermögen sind in beiden Gruppen sehr ähnlich verteilt.

Überraschenderweise gibt es keine statistische Korrelation zwischen regulärem Vermögen und Pensionskassenvermögen: Es gibt viele Personen mit grossem Vermögen ohne BVG Vermögen, und viele mit viel Geld in der Pensionskasse aber ohne reguläres Vermögen. Die untenstehende Graphik mit dem regulären Vermögen auf der horizontalen Achse und dem Pensionsvermögen auf der vertikalen Achse zeigt dies schön: Eine Wolke von Datenpunkten ohne eigentliche Struktur. Die rote Linie zeigt dabei die statistische Trendlinie: Eine Linie ohne Trend, die durchschnittlichen BVG Vermögen sind in allen regulären Vermögensklassen ungefähr gleich hoch.

BVGKapital

Die Beschränkung auf Personen über 65 hat natürlich ihre Tücken. Allerdings wissen wir aus den Steuerdaten, dass die älteren im Durchschnitt auch vermögender sind und gleichzeitig aus logischen Gründen auch höhere BVG Vermögen ausweisen. Ein grosser Teil der (ungleichen) Vermögensverteilung wird daher auch von den Vermögen der Älteren erklärt.

Fazit: Bei aller Vorsicht bei der Interpretation der Graphik: Der einigermassen repräsentative SHARE Datensatz liefert keine Hinweise dafür, dass vermögende Personen auch viel mehr Pensionskassenvermögen ausweisen. Der Einschluss der Pensionskassenvermögen dürfte die Vermögensverteilung daher deutlich „gleicher“ machen.

 

Geldpolitik und Finanzstabilität: Forschungsprogramm

Urs Birchler

Inke Nyborg hat was Leckeres aus London mitgebracht: Eine umfassende Forschungsagenda der Bank of England zu den Themen Geldpolitik, Makro-Finanzstabilität und Mikro-Finanzstabilität. Die Bank of England weist in der Einleitung stolz darauf hin, dass sie als eine der wenigen Notenbanken der Welt für alle drei Bereiche zuständig sei [Anm.: seit ihr nach der Finanzkrise die Bankenaufsicht wieder unterstellt wurde].

Die One Bank Research Agenda gibt nicht nur dem am Finanzsystem interessierten Leser einen einmaligen und ehrlichen Überblick über die offenen Fragen (und über die Gewichtungen seitens der BoE). Er ist auch eine Goldgrube für Studenten (und Dozenten, hmm), die ein Thema für eine Abschlussarbeit suchen.

Hier noch die Liste der fünf Kernthemen:

  1. Zentrabankpolitik angesichts der Wechselwirkungen zwischen
    Geldpolitik, makroprudentieller und mikroprudentieller Politik;
  2. Beurteilung von Regulierung und Abwicklung im Lichte der Finanzkrise und der sich verändernden Rolle der Finanzintermediation;
  3. Umsetzung der Zentralbankpolitik und Erfolgskontrolle;
  4. Verwendung neuer Daten, Methodologien und Ansätze zum Verständnis von Makroökonomie und Finanzrisiken;
  5. Zentralbankpolitik angesichts grundlegender Umwälzungen in Technologie, Institutionen, Gesellschaft und Umwelt.

Und als Student hatte ich seinerzeit Angst, die Dissertations-Themen könnten uns ausgehen…

Die Streberstrafe

Monika Bütler

Ein Mädchen aus der Nachbarschaft bemerkte vor einiger Zeit so beiläufig, dass sie ihrer Mutter „verboten“ hätte, an eine Gymi-Informationsveranstaltung zu gehen. Grund: Sie hatte Angst, als „bünzlige schweizerische Streberin“ verunglimpft zu werden.

Eine neue Studie zeigt nun, dass solche Ängste eine wichtige Rolle bei Bildungsentscheiden spielen. Wer sich anstrengt, riskiert, von den Kolleg(inn)en sozial abgestraft zu werden.

In ihrem Forschungspapier “How Does Peer Pressure Affect Educational Investments? beschreiben Leonardo Bursztyn (Anderson School of Management, LA, USA) und Robert Jensen (Wharton School, PA, USA) ein Experiment mit Schülern und Schülerinnen der 11. Klasse in den USA in zwei verschiedenen Leistungsniveaus: In „Honors“ Klassen sind die leistungsstärkeren Schüler(innen), in den non-Honors die anderen. Beiden Gruppen wurde ein kostenloser Vorbereitungskurs für den SAT Test angeboten. SAT ist ein standardisierter Test, der von Studienplatzbewerbern an (amerikanischen und gewissen internationalen) Universitäten gefordert wird.

Den Schülern wurden zwei Versionen der Anmeldung zufällig verteilt. In der einen Version stand explizit geschrieben, dass die Anmeldung geheim bleibt. In der anderen Version wurde darauf hingewiesen, dass die Anmeldung öffentlich ist. Resultat: Die Anmeldungshäufigkeit in den Honors Klassen hing nicht davon ab, ob die Anmeldung privat oder öffentlich war. In den non-Honors Klassen dagegen war die Anmeldungsrate 11 Prozentpunkte tiefer im Falle einer öffentlichen Anmeldung als bei einer geheimen Anmeldung.

Ein Teil des Unterschieds könnte allerdings davon rühren, dass in den Honors Klassen einfach die besseren Schüler sitzen. Die Entscheidung zur Weiterbildung würde dann nicht nur von Peer Effekten sondern auch von Selektionseffekten herrühren. Um dies auszuschliessen, verglichen die Forscher nun nur noch etwa gleich gute Schüler, also Schüler und Schülerinnen mit derselben Anzahl von Honors Klassen. (In den US High Schools ist es durchaus üblich, dass dieselben Schüler in einem Fach in einer Honors Klasse sitzen, in einem anderen Fach aber nicht).

Untersucht wurde nun, wie sehr das Verhalten ungefähr gleich guter Schüler davon abhing, ob sie am Testtag in einer Honors Klasse oder in einer nicht Honors Klasse sassen. Die Unterschiede waren noch grösser: Wurde der Gratiskurs in einer Non-Honors Klasse angeboten, war die Anmeldehäufigkeit bei öffentlicher Anmeldung 25 Prozentpunkte tiefer als bei einer privaten. In den Honors Klassen war dies genau umgekehrt, eine öffentlich bekannte Anmeldung erhöhte die Anmeldewahrscheinlichkeit um 25 Prozentpunkte.

Da in der zweiten Versuchsanordnung Leistungsunterschiede zwischen den Schülern ausgeschlossen wurden, lassen die Unterschiede in den Anmeldungszahlen auf Peer Effekte schliessen. Das heisst auf starke (leider oft negative) Beeinflussung durch Klassenkolleg(inn)en. In weniger leistungsstarken Klassen befürchteten Schüler(innen) sozial abgestraft zu werden, wenn sie sich für Bildungsangebote interessierten. Eine soziale Streberstrafe sozusagen.

Die Resultate dürften viele Eltern nicht überraschen. Mit der Bezeichnung Streber werden immer wieder Kinder „fertig gemacht“ und entweder ausgegrenzt oder vom Lernen abgehalten. Man sollte vielleicht die für Aussenstehende oft verbissen wirkenden Bemühungen gewisser Eltern, ihren Nachwuchs unbedingt zu einer gymnasialen oder Sek A Ausbildung zu bewegen, einmal in diesem Licht sehen. Sie tun dies vielleicht nicht immer aus Prestigegründen.

Das aufgeweckte und intelligente Nachbarsmädchen wird ihren Weg zweifellos machen. Nur: durch ihre offensichtliche Angst, ja nicht als Streberin aufzufallen, verbaut sie sich unter Umständen noch bessere Chancen. Ironischerweise ist das Nachbarsmädchen zwar durch und durch Schweizerin, hat wegen ihrer Vaters aber ein exotisches Aussehen. Und vielleicht dadurch noch mehr Angst, als Streberin zu gelten.

ADHS Therapie beim Literaturwissenschaftler

Monika Bütler

Aha, der NZZ von heute entnehme ich, dass nun auch ein Literaturwissenschaftler weiss, wie mit AHDS umzugehen ist. Beruhigend, dass er dieses Feld nicht einfach den Soziologen überlässt. Frei nach dem Motto: Je medizinisch ahnungsloser, desto besser wissen die Schreiber, was für die betroffenen Kinder und ihre Familien richtig ist.

Den betroffenen Familien macht diese Ahnungslosigkeit und die damit verbundene Stigmatisierung das Leben nicht leichter, wie wir vor einiger Zeit in der NZZ am Sonntag dargestellt haben (etwas ausführlicher und mit Links im batz.ch hier). Die Reaktionen auf unseren Artikel damals waren überwältigend: Sowohl Ärzte wie auch betroffene Menschen schilderten uns, wie sehr sie unter den negativen Vorurteilen litten. Niemand mag sich allerdings öffentlich äussern aus Angst vor Anfeindungen. ADHS, respektive Ritalin Bashing ist dermassen en-vogue.

Hat der Autor mal ein ADHS-Kind gesehen? Ich vermute nicht. Der Satz „ich war auch ein unruhiges Kind“ ist eine ADHS Verharmlosung der übleren Sorte. „Ach wissen Sie, ich bin manchmal auch vergesslich“ wäre für eine von Alzheimer betroffene Familie wohl auch nicht besonders tröstlich.

Der Literaturwissenschaftler geht auch ziemlich salopp mit der medizinischen Literatur um. So „beweist“ er die Nutzlosigkeit von Ritalin und ähnlichen Medikamenten mit einer Studie, die zeigt, dass mit Stimulanzien behandelte Kinder nur minimal bessere Leistungen erzielten als nichtstimulierte Kinder; sie schwänzten „nur“ weniger. Doch genau um letzteres geht es bei diesen Kindern – um die Chance, ein normales Leben zu führen. Nicht um Leistung. Auch dies ist in unserem Beitrag ausführlich erklärt.

Glücklicherweise finden sich in der NZZ auch ab und zu wissenschaftlich fundierte Beiträge zu ADHS (so zum Beispiel hier und hier). Sonst müssten wir befürchten, dass uns in der NZZ bald der Chirurg die Literatur erklärt.

Gutscheine statt rationierte Krippenplätze in der Kinderbetreuung

Monika Bütler

Als erste Gemeinde der Schweiz führte die Stadt Luzern 2009 Betreuungsgutscheine für die ausserfamiliären Kinderbetreuung ein (man spricht manchmal auch von einem Wechsel von der Objektfinanzierung zur Subjektfinanzierung der Krippenplätze). Mit dem neuen Finanzierungsmodell in Luzern werden staatliche Subventionen nicht mehr an die Betreuungseinrichtungen bezahlt (welche damit Plätze zu reduzierten Tarifen anbieten), sondern direkt an die Eltern. Eltern mit geringen oder mittleren Einkommen müssen somit nicht erst einen subventionierten Platz suchen, sondern können sich mit dem Gutschein in der Hand die Betreuungseinrichtung selber aussuchen.

Aus ökonomischer Sicht ist dieser Wechsel sinnvoll: Erstens wird die Anzahl der verbilligten Kinderbetreuungsplätze nicht mehr – wie heute in fast allen Städten – rationiert. Zweitens erhalten die Eltern Wahlfreiheit in der Betreuungseinrichtung. Diese Wahlfreiheit ermöglicht nicht nur einen Wettbewerb zwischen den Krippen, sondern erlaubt es den Eltern, die für sie passendere Lösung zu finden. Und nicht, wie bei der heute üblichen Objektfinanzierung, entweder keinen Platz zu erhalten oder durch die halbe Stadt reisen zu müssen.

Mit Betreuungsgutscheinen wird zudem Rechtsgleichheit geschaffen: Jeder Haushalt, der die notwendigen Kriterien zum Erhalt von Subventionen erfüllt, erhält diese auch. Lange Wartelisten werden vermieden und es gilt nicht „De gschneller isch de gschwinder“.  Dies ist umso wichtiger, weil bisherige Studien vermuten lassen, dass die Rationierung der subventionierten Plätze auf Kosten der weniger gut ausgebildeten Eltern geht. So ist die Wahrscheinlichkeit, dass Akademikereltern Krippenplätze beanspruchen rund dreimal höher als dies bei den übrigen Familien der Fall ist. Die Betreuungsgutscheine sind zudem an eine Erwerbstätigkeit geknüpft.

Nach der Einführung der Betreuungsgutscheine zeigte sich schnell: Auch in der Stadt Luzern überstieg die Nachfrage nach subventionierter Kinderbetreuung das Angebot bei weitem. Nach 2009 stieg die Anzahl betreuter Plätze steil an und stabilisierte schliesslich im Jahr 2013. Dies ohne Abstriche an der Betreuungsqualität dank Investitionen in die Qualität der Kinderbetreuung.

Kinderbetreuung ist ein kostspieliger Faktor  in der Schweiz. Die Kosten dürften ein Grund sein, dass Mütter dem Erwerbsleben fern bleiben oder nur mit geringem Pensum beschäftigt sind (siehe hier meine alte, aber noch immer gültige Analyse). Meine Doktorandin Alma Ramsden untersuchte im Rahmen ihrer Dissertation, welchen Einfluss das neue, universelle Kinderbetreuungssystem in der Stadt Luzern (sowie in den Gemeinden Emmen und Kriens) auf die finanzielle Sicherheit die Erwerbstätigkeit von Paaren mit Kindern und Alleinerziehenden hat.

Almas Analyse zeigt, dass die Verfügbarkeit von Betreuungsgutscheinen die Einkommen der betroffenen Familien positiv und signifikant erhöhten – sowohl für Paarhaushalte mit Kindern wie auch für Alleinerziehende. Da Alleinerziehende einem erhöhten Armutsrisiko ausgesetzt sind, ist vor allem letzterer Befund von sozialpolitischer Relevanz: Betreuungsgutscheine helfen, die wirtschaftliche Unabhängigkeit von Alleinerziehenden zu stärken. Weil eine Erhöhung der Einkommen immer auch mit grösseren Steuereinnahmen verbunden ist, ist davon auszugehen, dass die Betreuungsgutscheine die Ausgaben der Gemeinden (zumindest teilweise) wieder kompensieren. Die Resultate zeigen auch, dass Eltern mit Betreuungsgutscheinen nicht einfach von informeller zu formeller Kinderbetreuung wechselten. Betreuungsgutscheine erhöhten auch die Arbeitstätigkeit von Alleinerziehenden und ZweitverdienerInnen deutlich. Die positiven Effekte finden sich nicht nur in der städtischen Gemeinde Luzern, sondern auch in den kleineren, vorstädtischen Gemeinden Emmen und  Kriens.

Almas Forschung ist in den heutigen Diskussionen zur Aktivierung der Frauen in der Wirtschaft besonders wertvoll. Sie zeigt auf, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht nur davon abhängt, wie viel die Kinderbetreuung den Familien kostet (die Kosten veränderten sich nämlich in Luzern nicht), sondern vor allem auch davon, ob die Familien überhaupt Zugang zu subventionierten Plätzen haben. Den Blogleser(innen) sei hier die Lektüre des Berichts empfohlen.

 

PS: Wir bedanken uns an dieser Stelle ganz herzlich bei den Steuerbehörden der Stadt Luzern und den Gemeinden Emmen und Kriens, sowie bei der Abteilung Kind Jugend Familie der Stadt Luzern für die Bereitstellung der Daten und wertvolle Unterstützung.

Was Sie immer über Ungleichheit wissen wollten

Ernst Fehr

SCIENCE magazine has just published a series of articles on the „Science of Inequality“ written by economists such as Thomas Piketty (Paris School of Econ), Emanuel Saez (Berkeley), David Autor (MIT), Janet Currie (Columbia), etc.. The articles are freely available (without a pay wall) at: http://www.sciencemag.org/site/special/inequality/

Content of the Special Issue on the Science of Inequality

Review Papers by economists:

  • Inequality in the long run
    Thomas Piketty and Emmanuel Saez
  • Skills, education, and the rise of earnings inequality among the “other 99 percent”
    David H. Autor
  • Income inequality in the developing world
    Martin Ravallion
  • The intergenerational transmission of inequality: Maternal disadvantage and health at birth
    Anna Aizer and Janet Currie
  • On the psychology of poverty
    Johannes Haushofer and Ernst Fehr

Short pieces written by Science Editors or Scientists:

  • The Science of Inequality: What the numbers tell us
    Gilbert Chin and Elizabeth Culotta
  • The Science of Inequality: The ancient roots of the 1%
    Heather Pringle
  • The Science of Inequality: Our egalitarian Eden
    Elizabeth Pennisi
  • The Science of Inequality: Tax man’s gloomy message: the rich will get richer
    Eliot Marshall
  • The Science of Inequality: Can disparities be deadly?
    Emily Underwood
  • The Science of Inequality: While emerging economies boom, equality goes bust
    Mara Hvistendahl

Ehrendoktor an Banken-Kritikerin

Urs Birchler

Die Ökonomin Anat Admati ist seit heute Ehrendoktorin der Universität Zürich. Damit wurde diese Ehre nach Doug Diamond zum zweiten Mal hintereinander an eine(n) Vertreter(in) der Banken- und Finanztheorie vergeben.

Die ehemalige Studentin der Hebrew University, Jerusalem, ist heute (mit einem PhD von Yale) Professor of Finance and Economics in Stanford (CV). Ihre Forschung und Publikationen gelten Fragen der Informationsverarbeitung auf den Finanzmärkten und anderen Fragen auf dem Gebiet der sogenannten Mikrostruktur der Märkte.

Anat Admati gehört aber auch zur Gruppe jener Ökonomen, die nach der Finanzkrise aktiv die Öffentlichkeit gesucht haben und den Argumenten der Banken entgegengetreten sind. Das Buch The Bankers‘ New Clothes, verfasst mit Martin Hellwig, räumt auf mit den Argumenten der Banken, weshalb hohe Eigenmittel schädlich seien. Für Eilige: Eine kurze Zusammenfassung durch Admati im Video-Clip. Eine Zusammenfassung auf deutsch bei iconomix, in der FuW und in der FAZ.

Labor Schweiz: fiscalfederalism.ch

Marius Brülhart, Monika Bütler, Mario Jametti und Kurt Schmidheiny

Kein anderes Land ist institutionell und politisch so vielfältig wie die Schweiz. Ganz besonders ausgeprägt ist diese Vielfalt bei den öffentlichen Finanzen. Unsere 26 Kantone und gegen 2‘500 Gemeinden geniessen weltweit einmalige Freiheiten bei der Festlegung ihrer Steuern und der Verwendung ihrer Steuereinnahmen. Dieses dezentrale Staatsgebilde – wenn auch kein Allerheilmittel – ist fester Bestandteil des schweizerischen Selbstverständnisses und hat zweifelslos Anteil an der Stabilität und am wirtschaftlichen Erfolg unseres Landes.

Für eine Untergattung der Spezies Mensch ist der helvetische Fiskalföderalismus zudem eine ganz besonders willkommene Bescherung: den empirischen Wirtschaftswissenschaftler (männlichen wie  weiblichen Geschlechts und – wie es sich für die Schweiz gehört – in allen Landesteilen vertreten). Nichts ist für den angewandten Forscher nämlich so wertvoll wie die Kombination von vielen und langen Datenreihen. Da die Schweiz schon seit geraumer Zeit in ziemlich unveränderter Form existiert, bietet sie im Prinzip lange Beobachtungshorizonte; und dank ihrer dezentralen Organisation offeriert sie potentiell eine grosse Zahl an Beobachtungseinheiten – ein ideales statistisches Labor also.

Der Haken an der dezentralen Organisation ist allerdings, dass wirtschaftspolitische Daten oft nur auf lokaler Ebene erhoben und aufgehoben werden. Um das „Labor Schweiz“ so richtig wissenschaftlich nutzen zu können, muss daher vieles an statistischem Rohmaterial erst in den Kantonen und Gemeinden eingesammelt werden. Eben diese Datensammlerei ist zentraler Bestandteil eines Nationalfondsprojektes, welches wir seit 2010 gemeinsam leiten.

Um die Früchte unserer Arbeit einem breiten Publikum zugänglich zu machen (und zur Feier der kürzlich vom Nationalfonds gewährten Projektverlängerung um weitere drei Jahre!), haben wir eine neue Internetseite eingerichtet: fiscalfederalism.ch. Dort werden wir unsere Forschungsergebnisse laufend publizieren und auch neues Datenmaterial ablegen.

Als Zückerli sei dem geneigten Batz-Leser schon einmal unsere gestaltbare Datenanimation empfohlen, mittels welcher die Entwicklung der kantonalen Steuerlandschaft seit 1996 nach Belieben dargestellt werden kann.

Verfolgen Sie zum Beispiel die Entwicklung des Kantons Schwyz hin zum Steuerparadies für Gutverdienende – hier ein Screenshot, auf fiscalfederalism.ch jedoch in dynamischer Ausführung zu geniessen.

 SZParadies