Keine Spekulation — kein Wasser

Urs Birchler

São Paulo geht das Wasser aus, und die Regierung mag (im Hinblick auf bevorstehende Wahlen) nicht rationieren. Die WM-Fussballer werden also vielleicht weder kalt noch warm duschen können.

Weshalb mitten in der Regenzeit das Wasser knapp wird, mögen die Meteorologen oder Klimatologen beantworten. Die Ökonomie lehrt aber, wie man mit Knappheit am besten umgeht: Indem man die knappe Ressource dem Markt, d.h. — jawoll! — der Spekulation überlässt.

Markt heisst natürlich nicht, dass an die Stelle des Staates ein Mafia-Monopol tritt. Markt heisst, dass Wasser gehandelt werden kann. Der bei drohender Trockenheit ansteigende Preis zwingt dann zu frühzeitigem Sparen. Auch den Armen ist am besten geholfen, wenn das Wasser nicht von den Bessergestellten zu Tiefpreisen in Swimming Pools und bei der Autowäsche verschleudert wird. Ein Existenzminimum kann und soll der Staat durch Gutscheine oder Gratisabgaben sicherstellen. Und wer unbedingt im Juli Wasser braucht, kann es bereits im März auf Termin kaufen. So könnte der mit allen Wassern gewaschene Othmar Hitzfeld seinen Torschützen eine richtige Dusche versprechen.

Twitter kaufen?

Urs Birchler

Angenommen, Sie verkaufen morgen vormittag ihr Haus für eine Million. Am Abend erfahren Sie, dass der Käufer das Haus bereits für 1,2 Millionen weiterverkauft hat. Sie klopfen sich auf die Schulter und öffnen eine Flasche Champagner?

Die meisten Beobachter würden Sie für zumindest sonderbar halten. Genau das beschriebene Verhalten ist aber die Regel, wenn nicht Häuser, sondern ganze Unternehmen verkauft werden. Der erstmalige Gang eines Unternehmens an die Börse heisst IPO (Initial Public Offering). Eines der robustesten Phänomene in der ganzen Finanzwelt ist das sogenannte IPO-Underpricing. Aktien, die via IPO ausgegeben werden, sind meist „zu billig“. Der Ausgabekurs, zu dem das Unternehmen die Aktien verkauft, sind in aller Regel tiefer, als der Kurs, zu dem die Aktie am ersten Börsentag gehandelt wird. Genau wie in unserem Haus-Beispiel. Weiterlesen

Fama: „dramatisch“ mehr Eigenmittel

Urs Birchler

Gestern hat Eugene Fama den Nobelpreis erhalten, morgen gedenken wir der UBS-Rettung vor fünf Jahren. Die Verbindung zwischen den beiden Ereignissen findet sich in einem früheren Batz-Beitrag über ein Fernsehinterview mit Eugene Fama vom Fri 28 May 2010 (Video).

Fama spricht im Interview über die hohe (Informations-)Effizienz der Finanzmärkte und deren Rolle in einer Marktwirtschaft sowie (gegen Schluss des Interviews) über TBTF (faktische Staatsgarantie für Banken) als den Markt pervertierenden Eingriff („Dies ist nicht Kapitalismus“). Die richtige Medizin sieht er nicht in einer — meist nutzlosen — Detail-Regulierung sondern in „dramatisch höheren Eigenmittelanforderungen“ für Banken, „nicht von drei Prozent auf fünf Prozent, sondern auf vielleicht 40 oder 50 Prozent“ (gemeint in Prozenten der Bilanzsumme).

Die moralisch-analytische Damenhandtasche

Urs Birchler

Durch einen Tweet von Alice Kohli June 18, 2013 stiess ich auf einen Artikel im Tages-Anzeiger über das Kleinkredit-Inserat mit der Handtasche.

HandtascheOriginal

Das Inserat kam mir bekannt vor, hatte ich es doch letzten Herbst im Kurs History of Economics and Banking verwendet — siehe Folie unten. Der Hintergrund: Das (von allen monotheistischen Religionen getragene) mittelalterliche Wucher(=Zins)-Verbot hatte für die ökonomische Analyse ein Gutes: Die Kirche musste den Beichtvätern Richtlinien geben, wann Zinsnehmen besonders verwerflich und wann es vielleicht entschuldbar war. Dies zwang zu Fragen wie: Warum ist jemand bereit, Zins zu zahlen? Warum leiht niemand Geld aus, ohne Entschädigung? Mein pädagogischer Hintergedanke: Je mehr jemand über solche Fragen nachdenkt, desto weniger wird er vorschnell moralisieren.

Ich hielt mich bezüglich Wucherverbot für abgeklärt — aber dann: die Schulden-Werbung mit der Handtasche. Die warf mich in Sekundenbruchteilen zurück ins innere Mittelalter: Durch die Blutbahn rauschte Moralin. „Das darf doch nicht wahr sein!“ war noch mein züchtigster Gedanke. Nur geht’s mir jetzt nicht besser als den Beichtvätern. Vielleicht ist es nicht immer gleich schlimm, jemanden zu einem Kredit zu verführen. Studienkredit zum Beispiel. Vielleicht sind auch wohlakzeptierte Kredite wie Hypotheken manchmal heikel. So zwingt uns die Moral stets zum Nachdenken und zur ökonomischen Analyse.

Die erwähnte Vorlesung ist meine Reaktion auf die oft unbefriedigende Diskussion über Ethik in der Wirtschaft. Die Studenten sollen verstehen, wie sich im Lauf der Geschichte ethische und analytische Fragen wie Wirt und Parasit gemeinsam entwickelt haben. Damit wir einander nicht die moralischen Handtaschen um die Ohren hauen müssen. [Die Vorlesung im kommenden Herbstsemester ist ausgebucht.]

Handtasche

[Der Titel diese Beitrags ist eine Widmung an Pipilotti Rist und ihren Vortrag von 1993 an der ETH zum Thema Die audiovisuelle Damenhandtasche]

Bankenplatz Schweiz: quo vadis?

Urs Birchler

Das Institut für Banking und Finance der Universität Zürich verliert einen der aufrechtesten und gradlinigsten Ökonomen der Schweiz. Drum am besten den Termin vormerken:

Abschiedsvorlesung Prof. Dr. Martin Janssen
Datum: Mittwoch, 12. Juni 2013
Thema: „Bankenplatz Schweiz: Quo vadis?“
Zeit: 18:15 Uhr
Ort: Aula (Raum KOL-G-201, Hauptgebäude der Universität Zürich, Rämistrasse 71, 8006 Zürich)

Aus der offiziellen Einladung:
Prof. Dr. Martin Janssen, Professor für Finanzmarktökonomie am Institut für
Banking & Finance (IBF) und bekannter Exponent des Schweizer Finanzplatzes,
wird Ende dieses Semesters nach 35 Jahren als Professor emeritiert. Neben
seiner Arbeit an der Universität Zürich gründete er 1985 das Beratungs- und
Software-Unternehmen Ecofin, welches massgeblich an der Entwicklung des
Swiss Market Index (SMI) beteiligt war. Martin Janssen ist Verfasser
mehrerer Bücher und Aufsätze im Bereich der Finanzmarktökonomie und zu
staatspolitischen Themen, sowie regelmässig Experte in verschiedensten Fach-
und Tageszeitschriften.

Vermögen in der Eurozone korrigiert?

Monika Bütler

In einem sehr lesenswerten Aufsatz in der NZZ vom 13. April weist Claudia Aebersold Szalay zurecht darauf hin, dass die Hauspreisentwicklung eine wichtige Komponente bei den Haushaltsvermögen ist. Die sehr ungleiche Entwicklung der Immobilienpreise bereitete den Forschern der Umfage (siehe Beitrag von gestern) Sorgen und dürfte einer der Gründe für die Verzögerung der Publikation gewesen sein.

Ich habe in meinem Beitrag von gestern daher vor allem auf die Vermögen der Haushalte ohne Hausbesitz hingewiesen. Diese Auswahl hat narürlich ihre Tücken, da in den EU Ländern die Verteilung des Immobilienbesitzes sehr ungleich ist: In Deutschland und Österreich hat die Mehrheit der Haushalte kein Haus, während beispielsweise in der Slowakei fast jeder Haushalt (90%) ein Haus besitzt (Spanien 83%, Zypern 77%). Da die Hausbesitzer tendentiell reicher sind, überschätzt ein Vergleich der Vermögen der Nichthausbesitzer die Vermögen in Deutschland und Österreich gegenüber den südlichen Ländern. 

Genau am gleichen Problem – sogar noch verstärkt – leidet die von Claudia Aebersold Szalay in der NZZ präsentierte Korrektur der Vermögenswerte. In dieser Korrektur wurde zwar die unterschiedliche Hauspreisentwicklung herausgerechnet, dafür aber nur Hausbesitzer miteinander verglichen. Die beiden Graphiken in der NZZ vergleiche somit nicht die gleichen Haushalte miteinander. Für Deutschland und Österreich ist der Unterschied ganz entscheidend: Der Medianhaushalt aller Haushalte ist einer OHNE Haus. Der Medianhaushalt in der korrigierten Auswahl hingegen einer MIT Haus: Der mittlere von den nur 44% (D), resp. 48% (Ö) Hausbesitzern. Kein Mensch würde wohl behaupten, der mittlere Hausbesitzer in der Schweiz sei repräsentativ für die Vermögenssituation in der Schweiz.

Ärgerlich ist, dass der „richtige“ korrigierte Vergleich aller Haushalte in der Originalstudie aufgeführt ist (Paper 02, Graphik 4.6, Seite 83). Und siehe da: Wenn man die unterschiedliche Preisentwicklung (die Housing Bubbles) herausrechnet, verkleinern sich die Unterschiede zwar ein wenig, das Bild bleibt aber: Von einem reichen Norden und einem armen Süden kann nicht die Rede sein.

MedianNetWealthEval2002

Kapitalverkehrskontrollen und die Schweiz

Urs Birchler

Mit dem auf heute abend erwarteten Rettungspaket für die zypriotischen Banken wird voraussichtlich eine weitere tragende Wand des EU-Gebäudes eingerissen, nämlich die Freiheit des Kapitalverkehrs.

Artikel 63 EU-Vertrag
(1) Im Rahmen der Bestimmungen dieses Kapitels sind alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern verboten.
(2) Im Rahmen der Bestimmungen dieses Kapitels sind alle Beschränkungen des Zahlungsverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern verboten.

Damit ist ein Euro in Zypern nicht mehr gleich einem Euro in Frankfurt, wie die FT schreibt. Gleichzeitig entsteht im EU-Raum ein neues Delikt Kapitalflucht. In der Schweiz ist Kapitalflucht kein Strafdelikt, ebensowenig wie Majestätsbeleidigung oder Steuerhinterziehung. Damit haben wir gleich nochmals dasselbe Problem wie mit der Steuerhinterziehung: Die Schweiz darf Zypern keine Rechtshilfe leisten, wenn Geld aus zypriotischen Banken oder Matratzen in die Schweiz gelangt. Friktionen sind vorgespurt. Aber Zypern bleibt ja ein Einzelfall…

LIBOR: Hand auf’s Herz

Urs Birchler

Nachdem wir jetzt bis hin zur Bundespräsidentin (Interview) alle unser Entsetzen geäussert haben, scheint es Zeit zum Gegenschnitt. Ich habe gestern in 10vor10 auf die enorme Versuchung hingewiesen: Zwei Händler können mit ein paar E-Mails oder Telefongesprächen zu einem Eigenheim kommen, für das der Normalbürger (mindestens) ein Leben lang schuftet. Libor-Manipulation ist einfacher als ein Ladendiebstahl. Ohne die Fehlbaren zu entschuldigen — hätten wir so einfach widerstehen können?

Japan am Abgrund?

Urs Birchler

Vorab: Ich liebe Japan und seine freundlichen und fröhlichen Bewohner. Ich bin wie viele auch immer wieder beeindruckt vom Gemeinschaftssinn der Japaner. Nicht zufällig ist Japan auch das Land, das den Wohlfahrtsstaat erfunden hat.

Doch damit sind wir beim Problem. Der japanische Staat steckt in der Klemme. Auch die Presse (z.B. die NZZ) hat das Thema aufgenommen. Allerdings ist der Blick meist fixiert auf die bald erreichte Schuldenobergrenze und die politischen Ränkespiele um die Erhöhung oder Nichterhöhung dieser Grenze. Wird die Grenze nicht gelockert, droht die Zahlungsunfähigkeit. Dabei ist es im Grunde umgekehrt: Weil diese Grenzen (wie auch in den USA) immer wieder gelockert werden, wenn sie zu „beissen“ beginnen, ist der Staat am Ende nicht einfach technisch zahlungsunfähig, sondern fundamental bankrott.

Ist Japan soweit? Die Lage der japanischen Staatsfinanzen ist beschrieben im Länderbericht des IMF (2011). Daraus die Eckdaten:

  • Die Staatsschuld in prozenten der jährlichen Wirtschaftsleistung (BIP) liegt gegenwärtig bei 250% (brutto), bzw. 125% (netto). Tendenz: steigend, v.a. wegen strukturell bedingter Wachstumsschwäche und der Alterung der Bevölkerung.
  • Das Pimärdefizit (ohne Zinskosten) liegt bei 10% pro Jahr.
  • Der private Sektor weist einen Sparüberschuss auf, der die Zunahme der öffentlichen Verschuldung kompensiert. Dabei verschiebt sich die Spartätigkeit von den Haushalten zu den Unternehmen.

Japan ist allerdings nicht Griechenland oder Spanien. Es gibt zwei grosse Unterschiede:

  1. Die Schulden des japanischen Staats werden zum grossen Teil von Inländern gehalten.
  2. Japan hat eine eigene Währung.

Auf den ersten Blick machen diese beiden Unterschiede die japanische Situation einfacher. Weil die Gläubiger Japans die Japaner selbst sind, wird Japan also nie eine „Troika“ einladen müssen. Dank der eigenen Währung kann die Bank of Japan notfalls Geld für den Staat drucken. Erst der zweite Blick zeigt, dass dies beiden „Vorteile“ in Wirklichkeit Nachteile sein können:

  1. Ein Staat mit Schulden gegenüber dem Ausland kann sich dieser im Notfall mit einem Schuldenschnitt entledigen — praktiziert in Dutzenden von Fällen; zuletzt in Griechenland. Wie aber verordnet man den Inländern (d.h. den Stimmbürgern) einen Verzicht auf ihre Guthaben? Die Verteilung bereits eingetretener Verluste ist notorisch schwierig und dürfte auch einen Staat mit opferbereiten Bürgern wie Japan überfordern.
  2. Die Notenpresse als Mittel zur Zuordnung der Verluste scheint elegant, beraubt jedoch ein Land seines monetären Koordinatensystems.

Dann liest man immer wieder: „Japan ist anders“, auch heute wieder bei TA online. Beispielsweise: Japan könne einfach die Mehrwertsteuern erhöhen, um die Staatsdefizite zu beseitigen. Nur: Steuererhöhungen haben (genau wie Sparprogramme) Nachfragewirkungen; sie könnten eine Rezession auslösen, die den Staatsfinanzen das Genick bricht. Wenn die Haushalte mehr Steuerern bezahlen müssen, haben sie auch weniger Geld, um die jährlich notwendige Dosis von Staatspapieren (immerhin rund 10% des BIP) zu kaufen (dies erinnert daran, dass Defizite und Steuern zwei Namen für dasselbe sind). Das Argument „Japan tickt anders“ klingt deshalb nach einer Variante von This Time is Different. In einem Punkt allerdings ist Japan anders: Es hat noch die grössere Last in Form einer alternden Bevölkerung zu tragen als die meisten anderen Länder.

Deshalb als provisorisches Fazit: Japan hat mit seinen Staatsschulden den „Point-of-no-return“ längst überschritten. Es ist kein auch nur halbwegs plausibles Szenario denkbar, unter dem die japanischen Staatsschulden noch lange refinanzierbar sind. Ob die Politik einen Schuldenschnitt (mit expliziter Zuordnung der Verluste) erreichen kann oder ob die Schulden monetisiert (und letztlich inflationiert) werden, ist schwer zu sagen. Real gerechnet sind japanische Staatsanleihen in beiden Fällen Hochrisikopapiere. Der Wert dieser Papiere scheint getragen vom Vertrauen, nicht in den japanischen Staat, sondern vom Vertrauen darauf, dass die anderen Anleger auch noch nicht verkaufen. Wann er zusammenbrechen wird, ist daher schwer zu prognostizieren. Das kann in fünf Jahren geschehen oder morgen. Eines aber ist bekannt: Ein an sich völlig unwesentliches Ereignis, wenn es nur genügend Signalwirkung hat, kann der Auslöser sein. Und es kann rasch gehen.