Die Griechen und ihre Kohle

Urs Birchler

„Ich fahre häufig Kunden zur Bank, die 50’000 oder 60’000 Euro abheben, um sie daheim zu verstecken“, berichtet der Athener Taxifahrer Stavros [Name geändert]. Nur: Damit sei das Problem nicht gelöst. Die Zahl der Einbrüche sei nämlich in letzter Zeit stark angestiegen. Die Einbrecher fänden das versteckte Bargeld rasch: „Sie kommen mit Metalldetektoren, welche die Metallfäden in den Banknoten spüren.“ Drum sein Rat: „Die oberste Schicht der Banknoten mit Kohlenstoff einreiben; der verwirrt die Detektoren…“. Also nicht erschrecken, wenn Sie in Griechenland schwarzes Geld bekommen. Vielleicht gibt es bald, wie in Indien, professionelle Geldwäscher, die die Scheine wieder in alter Pracht scheinen lassen. Die Alternative wäre ein funktionierendes Bankensystem.

Das Geld: Europas Schicksal?

Urs Birchler

Bei Frühjahrs-Aufräumen meines Arbeitszimmers (endlich!) kam neben manch anderem eine Postkarte von De Nederlandsche Bank mit einem historischen Zitat zum vorschein:

L’Europe se fera par la monnaie ou ne se fera pas.

Es stammt vom französischen Ökonomen und Finanzexperten Jacques Rueff (1896-1978), einem Berater von General De Gaulle und datiert von 1949. Rueff, ein Liberaler mit Hang zum Goldstandard, beeinflusste Frankreichs kritische Haltung zum Bretton-Woods-System und der auf ihm beruhenden amerikanischen Defizitwirtschaft stark (nachzulesen hier). De Gaulle erklärte dem Dollarstandard 1965 den Krieg und rettete Frankreich viel Gold anstelle von (später stark abgewerteten) Dollars.

Rueff traute dem politischen Einfluss auf das Geld in keiner Weise. (Dank Rueff heisst die „Währung“ des IWF „Sonderziehungsrechte“ und nicht „Currency Reserve Unit“, da er eben keine Währung in der Hand des IWF wollte.) Mit dem Zitat meinte Rueff, dass Europa nur auf einem gesunden (d.h. dem politischen Einfluss entzogenen) monetären Fundament gedeihen könne. Die Idee, „Europa“ mit Hilfe des EURO zu erzwingen, wäre eine Pervertierung des Zitats. Leider eine, die sich bei den Euro-Politikern durchgesetzt hat. Ihnen würde Rueff wohl eher sagen: „L’Europe se défera par la monnaie.“

Deutschland-Griechenland 1:0

Urs Birchler

Die heutige Unterhaltung zwischen dem griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis und seinem deutschen Amtskollegen Wolfgang Schäuble liest sich wie ein Dialog in Geheimsprache. Ihn zu entziffern hilft der Satz „We cannot agree to disagree“ vom Spieltheoretiker und Wirtschaftsnobelpreisträger Robert Aumann. Aumann meinte damit, dass zwei rationale Gesprächspartner, die einander ernst nehmen, letztlichzu einer Übereinstimmung in Sachfragen kommen müssten. (Anders verhält es sich natürlich in Geschmacksfragen, in denen keine Annäherung stattfinden muss).

Wolfgang Schäuble wird zitiert mit: „We agree that we disagree“. Übersetzt: „Einer von uns ist irrational“, oder: „Wir haben jetzt lange genug argumentiert; vergiss es einfach.“ Gegenüber dem Spieltheoretiker Varoufakis eine klare Beleidigung, aber natürlich höchst strategisch. Es sind zwei Varianten möglich: Schäuble will Varoufakis zu verstehen geben, er (Varoufakis) sei irrational. Oder Schäuble will sagen: „Ich selber bin irrational“, was ein spieltheoretischer Vorteil sein kann, weil es die Erpressbarkeit beseitigt.

Yanis Varoufakis soll geantwortet haben: „No, Mr. Schäuble, we do not agree that we disagree.“ Übersetzt: „Du hast mir noch nicht mal zugehört“, oder „werd‘ jetzt bitte mal ernsthaft, wir haben einander (ich Dir) noch viel zu sagen.“ Dies klingt eher wie ein verzweifelter Hilferuf an eine weitere Öffentlichkeit: Wer hilft mir, diesen Starrkopf zum Zuhören zu bringen.

Die heutige Runde im Schuldenpoker geht daher wohl eher an Deutschland. Spätestens im Final um die Rettung der griechischen Bankenn werden die beiden aber wieder aufeinandertreffen.

Endspiel Griechenland: Achtung Profis am Tisch!

Urs Birchler

In der neuen griechische Regierung sitzen mehrere Minister, die als Beruf „Ökonom“ und/oder „Mathematiker“ angeben könnten. Allen voran der neue Finanzminister Yanis Varoufakis. Varoufakis Spezialgebiet ist Spieltheorie (die Theorie strategischen Verhaltens); er hat u.a. zwei Lehrbücher dazu mitverfasst (siehe unten).

Dies verheisst den Gegenparteien wie EU, EZB oder IMF im Verhandlungspoker kein leichtes Spiel. Aber es erlaubt eine Vermutung, wie es kommen könnte, wenn alle Seiten rational spielen. Varoufakis hat seine Sicht bereits in einem Aufsatz vom Februar 2012 offengelegt: „Greek default does NOT equal Greek exit“. Er skizziert darin einen „dritten Weg“ zwischen Austerität Austritt aus der Euro-Zone. Im Klartext: „Greece must default within the eurozone!“

Strategisch geht das dann so: Griechenland ist nahe an einem Primärüberschuss. Die alten Schulden sind aber zu hoch. Diese sind zu kürzen (was in der Zwischenzeit auch bereits geschah). Das einzige Problem, das dann verbleibt, sind die griechischen Banken; sie sind weiterhin auf Unterstützung durch die EZB angewiesen. Es liegt aber gar nicht im Interesse der EU und der EZB, die griechischen Banken fallen zu lassen: „the ECB will not knowingly take steps which will destroy the eurozone“. Im Gegenteil: „Europe’s optimal strategy is to let Greece default, to allow the Greek government to find ways to live within its tax take for the next year or so and, at the same time, work out the Overall Solution to the euro crisis that was promised last year and never delivered.“

Der GREFAULT ist also das Resultat, wenn sowohl Griechenland als auch die EU je ihrer optimalen Strategie folgen. Das nennt man ein Nash-Gleichgewicht, und es liegt nahe, dieses als Prognose des Kommmenden zu verwenden.

Die EZB hat sich bereits selbst zu fesseln versucht mit dem Hinweis darauf, dass ihr ein Schuldenerlass gesetzlich untersagt sei. Der IMF seinerseits wird auf dem Vorrang seiner Guthaben bestehen. Verschiedene Politiker aus der EU haben einen Austritt Griechenlands als verkraftbar bezeichnet. Was aber, wenn Varoufakis‘ Poker aufgeht, und die EU (wie schon 2012) einen GREXIT letztlich eben doch nicht will, bzw. ihn sich nicht leisten kann?

Dann bleibt — spieltheoretisch — wohl nur ein dritter Weg innerhalb des dritten Wegs: Ein versteckter GREFAULT, bei dem die griechischen Schulden so umgemischelt werden, dass Griechenland lange nichts zahlen muss, aber die Gläubiger im Moment keine Abschreiber verbuchen müssen.

Studenten und Studentinnen sind herzlich eingeladen, den genauen Spielbaum zu zeichnen und Fehler in meiner Argumentation zu melden!

Yanis Varoufakis zur Spieltheorie:

  1. Rational Conflict, Oxford: Blackwell, 1991.
  2. Game Theory: A Critical Introduction (mit Shaun P. Hargreaves Heap), London, Routledge, 1995.
  3. Game Theory: A Critical Text (with Shaun Hargreaves-Heap), London and New York: Routledge, 2004.

Untergrenze: Ist diesmal alles anders?

Urs Birchler

Vor lauter Aufregung über die Aufgabe der Untergrenze zum Euro durch die Nationalbank vor einer Woche ging vergessen, dass genau heute vor 42 Jahren eine andere Untergrenze fiel: Am 23. Januar 1973 stellte die Nationalbank die Stützungskäufe von US-Dollars ein. Zeit für eine Schweigeminute für das Fixkurs-System von Bretton-Woods, die Währungsordnung der Nachkriegszeit.

In einer Minute gehen Fragen durch den Kopf. Wie war es eigentlich damals? Wieviel Geld hatte die Nationalbank als Folge der Devisenkäufe schaffen müssen, bis sie aus der Wechselkursbindung ausstieg?

Die nachfolgende Grafik vergleicht die Entwicklung vor dem Ausstieg aus der Euro-Untergrenze und mit jener vor der Aufgabe der Dollarkäufe. Abgebildet ist die Entwicklung der Notenbankgeldmenge (M0), der Basis des Geldsystems, in den jeweils letzten 10 Jahren vor dem Ausstieg.

Die Grafik zeigt zwei unterschiedliche Grössenordnungen: 1973 stoppte die Nationalbank die Deviseninterventionen, nachdem die Notenbankgeldmenge auf rund 250% ihres normalen Betrags gestiegen war. Vergangene Woche bei Aufgabe der Kursgrenze lag die Notenankgeldmeng bei 900% ihres Vorkrisenniveaus.

Kursuntergrenze

Der Anstieg der Notenbankgeldmenge bis 1973 mag im nachhinein bescheiden wirken. Dennoch stiess die Inflationsrate in den folgenden Jahen in den zweistelligen Bereich vor, und ihre Bekämpfung erforderte eine schmerzhafte Rezession. Der Anstieg der Notenbankgeldmenge bis Anfang 2015 ist um ein Vielfaches stärker. Von Inflation jedoch fehlt bisher jede Spur. Aber vielleicht ist ja diesmal alles anders.

Bankenrettung ohne Staat?

Urs Birchler

Der portugiesische Banco Espírito Santo muss (trotz Werbung durch Cristiano Ronaldo) gerettet werden. „Ohne Staatsgeld“, lügen die Verantwortlichen. Die Elemente der Rettung:

  1. Die Bank wird aufgespaltet in eine „bad bank“ und eine gute namens Novo Banco.
  2. Der Novo Banco erhält eine Finanzspritze von 4,9 Mrd. Euro.
  3. Der Novo Banco wird (bis zu einem Verkauf) übernommen von einem Auffang-Fonds, den die Banken selbst gebildet haben. Der Fonds hat aber nur wenig Mittel; der grösste Teil der 4,9 Mrd. Euro bestehen deshalb in einem Hilfskredit des Staates (aus Geldern der „Troika“, genauer: aus dem IMF/EU-Hilfsprogramm für Portugal).
  4. Die normalen Einleger kommen in die gute Bank; Aktionäre (von der Börse seit Juni schon mit einem Verlust von 90% gebeutelt) sowie nachrangige und „junior“ Gläubiger und erhalten die „bad bank“.

Die gute Seite: Aktionäre und ungeschützte Gläubiger werden nicht gerettet. (Ob auch Cristiano Ronaldo die bis 2022 versprochenen Werbeeinnahmen verlieren wird?). Die schlechte Seite: Ohne Geld vom Staat geht es immer noch nicht. Erstens ist auch Geld aus einem Banken-Rettungsfonds Steuergeld, nur wurde es anstatt von den allgemeinen Steuerzahlern von den Banken erhoben. Die guten Banken zahlen also für die schlechten. Zweitens war der Hilfskredit von knapp 5 Mrd. Euro kaum zu den geltenden Bedingungen am Markt erhältlich. Der portugiesische Staat subventioniert also den Novo Banco durchaus — trotz allen gegenteiligen Beteuerungen. Und hinter ihm (falls er nicht zahlen kann) die europäischen Geldgeber und der IMF (also ein kleines bisschen auch der Schweizer Steuerzahler).

Münzenverweigerung

Urs Birchler & Monika Bütler

Monika ist ohne Tram-Abo unterwegs. Kein Problem: das Portemonnaie strotzt vor Münz, und der Billetautomat scheint zu funktionieren. Also: CHF 5.80, das sind 3 Fünfziger, 19 Zwanziger und 5 Zehner, alle echt. Die gehen grad noch rein, bevor das Tram kommt. Nur: Bei verbleibenden 30 Rappen Bezahlschuld kommen alle Münzen erst zögerlich dann laut scheppernd wieder raus. Man erinnert sich an einen Jahrzehnte zurückliegenden Gewinn am Spielautomaten. Zusammen mit dem Geräusch des bremsenden Trams und der Leuchtanzeige „Zu viele Münzen“ hält sich die Begeisterung allerdings in Grenzen. Und wirft eine grundsätzliche Frage auf: Wie war das schon wieder mit dem gesetzlichen Zahlungsmittel? Kürzlich haben wir uns über Österreichische Wechselstuben beklagt, die keine Euros auszahlen. Zürcher Tramautomaten verweigern sogar das Münz.

Klar, dass man die Scheidungsrente der/dem Ex nicht in Fünfrappenstücken vors Haus kippen darf. Klar auch, dass die Kinder beim Verkauf der Schoggitaler nicht auf einen Tausender rausgeben können. Aber kann ein VBZ-Automat boss eine beschränkte Anzahl Münzen zusammenzählen? Und wäre das nicht wenigstens einen Vermerk auf dem Automaten wert?

Wir verzichten auf die in solchen Fällen in der Presse übliche Berechnung, wieviele Arbeitsstunden oder Prozente des BIP jährlich verloren gehen, weil Trampassagiere den Anschluss wegen Münzverweigerung verpassen, zumal die Dunkelziffer bei knapp hundert Prozent liegen dürfte. Aber wir möchten uns doch für die Batzen, die unserem Blog den Namen gegeben haben, an dieser Stelle einsetzen. Wie heisst es doch so schön: Wer den Batzen nicht ehrt…

Banking Union in der Schweiz

Ich war am Montag nicht in erster Linie wegen des (Wintermantels) in Wien, sondern für ein Referat bei Erste Bank zum Thema „European Banking Union — a Swiss Perspective“. Dazu wurde sogar ein Trailer gedreht:

Hier die Kurzfassung:

In der Schweiz sind die politische Union (1848) und die Währungsunion (1848: Münzen; 1907: Banknoten) zuerst erfolgt. Anschliessend folgte über einen längeren Zeitraum (1834-2011) verteilt die „Bankenunion“ (zentrale Aufsicht, einheitliches Sanierungsrecht, harmonisierte Einlagenversicherung). Das Beispiel Schweiz zeigt, dass für eine erfolgreiche Bankenunion nicht nur das Konzept stimmen muss, sondern, dass der Erfolg im Detail liegt.

Wichtig für die EU-Staaten wären insbesondere das Konkursprivileg für Bankeinlagen und die Möglichkeit zur Zwangssanierung einer Bank unter Einbezug der Aktionäre und Gläubiger. Die diesbezügliche Gesetzgebung in der Schweiz bietet zahlreiche Anhaltspunkte, wie die Bestimmungen im einzelnen gestaltet werden müssten.

Ein neues Steuerdelikt

Urs Birchler

Wie die Presse berichtet, haben sich die Euro-Finanzminister auf direkte Hilfszahlungen an Banken aus dem Rettungsfonds geeinigt. 60 Milliarden Euro. Steuergelder.

Sogar Deutschland stimmt zu. Ausser Martenstein. Harald Martenstein hat im ZEITmagazin schon vor einigen Wochen seine Kolumne unter den Titel „Über ein ganz neues Steuerdelikt“ gestellt. Darin verurteilt er Steuerhinterziehung, hält aber gleichzeitig fest:

Ich finde, dass man auch das Delikt „Steuererschleichung“ unter Strafe stellen sollte … mit Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren. … Wenn aber Steuern für Normalverdiener erhöht werden mit der Begründung, diese Menschen seien reich und es müsse endlich Gerechtigkeit herrschen in Deutschland, dann aber wird ein Teil des Geldes, statt an Obdachlose verteilt zu werden, für die Stützung von Großbanken verwendet, dann hilft nur noch Sicherungsverwahrung.

Ich bin für Steuerehrlichkeit. Sie darf aber keine Einbahnstraße sein.

Danke, Herr Martenstein.

Warum der Euro scheitert

Ein Ende der Euro-Krise ist leider ebenso wenig in Sicht wie ein einfacher Ausweg, schreibt Prof. Gebhard Kirchgässner in Replik auf einen Vortrag von Prof. Heiner Flassbeck an der HSG.

Von Gebhard Kirchgässner

Heiner Flassbeck weiss es ganz genau, und er hat es in einem öffentlichen Vortrag, der an der Universität St. Gallen stattfand, allen erklärt: Die Eurozone steckt in einer Währungskrise, und diese wird dazu führen, dass sie spätestens in fünf Jahren auseinanderbrechen wird. Er sieht nur zwei Möglichkeiten. Entweder steigen die südlichen Länder aus und führen wieder eine eigene Währung ein, die dann stark abgewertet werden müsste, oder die gesamte Eurozone gerät in eine massive Krise.

Flassbeck weiss auch, warum dies so sein wird: Der Euro scheitert, weil die Inflation in Deutschland seit Einführung des Euro zu gering war. Deutschland hat sich nach seiner Auffassung nicht an die Abmachung gehalten, die mit der Einführung der gemeinsamen Währung verbunden war: die Preise jährlich um 2 Prozent steigen zu lassen. Deshalb sind die Lohnstückkosten in Deutschland sehr viel weniger stark angestiegen als insbesondere in den südlichen Ländern der Eurozone, aber auch als in Frankreich.

Dies hat die Wettbewerbsfähigkeit dieser Länder beeinträchtigt. Da ihnen das traditionelle Mittel einer Abwertung nicht mehr zur Verfügung stand, musste diese Währungskrise eintreten. Die Finanz- und Wirtschaftskrise der vergangenen Jahre war zwar der Auslöser, aber nicht die Ursache für die heutige Währungskrise in der Eurozone.
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