Die Reichen werden wieder reicher

Unsere begüterten Mitbewohner stehen gegenwärtig im Zentrum des politischen Interesses. Um das Feld in dieser Hinsicht nicht ganz den Soziologen zu überlassen, hier eine aktualisierte Version der langen Datenreihe von Dell, Piketty und Saez (2005), welche den Vermögensanteil des reichsten Prozentes der Steuerzahler erfasst.

Dell, Piketty und Saez hatten festgestellt, dass die Vermögenskonzentration in der Schweiz einerseits sehr hoch und andererseits relativ stabil war. Ihre Zahlen reichten jedoch nur bis 1997. Mittels jüngster Ausgaben der schweizerischen Vermögensstatistikist es nun möglich, diese Serie bis 2007 zu verlängern.

Aus den neuen Datenpunkten wird seit der Jahrtausendwende eine intensivierte Vermögenskonzentration auf die reichsten Steuerzahler ersichtlich. Ein weiterer Blick in die Statistik zeigt, dass das Durchschnittsvermögen der unteren 80 Prozent von 1997 bis 2007 um real 28 Prozent wuchs, von gut 38’000 auf knapp 49’000 Franken in Preisen von 2010. Im gleichen Zeitraum stieg das durchschnittliche Vermögen des obersten Prozentes jedoch um real 60 Prozent, von 7.5 auf gut 12 Millionen Franken.

Über die Ursachen dieser Tendenz und über ihren weiteren Verlauf seit Ausbruch der Finanzkrise kann man zur Zeit höchstens spekulieren. Und vor solcher Spekulation hütet sich der Ökonom bekanntlich.

Quiz: Welches Land gehört zu welcher Vermögensverteilung?

In den letzten Tagen wurde in der Schweiz sehr viel über die ungleiche Verteilung der Vermögen berichtet und diskutiert. Doch bevor wir an dieser Stelle näher auf die Tücken der Messung und der Interpretation der Vermögensverteilung eingehen, hier ein kleines Quiz.

In der untenstehenden Graphik finden Sie die Lorenzkurven der Vermögensverteilung von 5 Ländern. Um diese Kurven zu zeichnen, ordnet man die Haushalte eines Landes zuerst nach ihrem Vermögen. Danach berechnet man den kumulativen Anteil am Gesamtvermögen, den die ärmsten 10%, 20%, 30% etc besitzen. Betrachten wir als Beispiel die rote Kurve in der Graphik. Da die Kurve bei 20 waagrecht (x-Achse) ungefähr bei 0 liegt (y-Achse), heisst dies, dass die Vermögens-ärmsten 20% der Haushalte kein Vermögen besitzen. Geht man der Kurve entlang nach rechts, das heisst nimmt man statt der 20% ärmsten die 40% so landet man bei circa 6%. Die untere Hälfte der Vermögensverteilung besitzt zusammen circa 12% der Vermögen. Und so weiter. Nimmt man die Vermögensärmeren 90%, so besitzen diese zusammen 58% des Vermögens des Landes. Dies heisst auch, dass die reichsten 10% die restlichen 42% der Vermögen besitzen.

Je weiter weg die Lorenzkurve von der 45 Grad Linie (die gestrichelte Linie) entfernt ist, desto ungleicher sind die Vermögen verteilt. Die oben beschriebene rote Kurve entspricht also nicht einer gleichmässigen Verteilung der Vermögen, doch die braune und violette Kurve sind noch viel weiter „unten“, repräsentieren somit noch weit ungleichere Verteilungen.

Hier also endlich die Quiz-Frage: Um welche Länder handelt es sich bei den aufgeführten Vermögensverteilungen? Zur Auswahl stehen: Deutschland, Irland, Japan, und Schweden. Eine der Linien ist fiktiv (d.h. eine solche Verteilung findet sich in keinem Industrieland).

Antworten bitte als Kommentar zu diesem Eintrag. Die Auflösung erfolgt am Sonntag – zusammen mit einer möglichen Erklärung für die beobachteten Vermögensverteilungen in der NZZ am Sonntag.

PS: Wer mehr zu Lorenz-Kurve wissen möchte, konsultiere http://de.wikipedia.org/wiki/Lorenz-Kurve.

Mindeststeuersätze machen die Schweiz nicht gerechter

Die Befürworter der Steuergerechtigkeits-Initiative argumentieren gerne, dass ein Mindeststeuersatz nur eine kleine Gruppe von Steuerzahlern (die Reichen) betreffe. Und dies ohnehin nur in wenigen Kantonen. Der Mindestsatz sei daher für die effektive Steuerbelastung der weniger Reichen und für diejenigen Kantone irrelevant, in denen die Steuersätze bereits über den vorgeschlagenen Grenzen liegen. Doch eine Analogie mit den Mindestlöhnen zeigt, dass diese Einschätzung sehr wahrscheinlich falsch ist.

Eine Reihe empirischer und experimenteller Studien hat eindeutig gezeigt, dass die Einführung eines Mindestlohnes auch jene Löhne anheben kann, die bereits über dem neuen Mindestlohn liegen. Mindestlöhne haben somit einen Einfluss auf die gesamte Lohnverteilung und nicht nur auf die direkt betroffenen Arbeiter und Firmen. Einige der in der Literatur über Mindestlöhne diskutierten Erklärungen lassen sich auch für die Mindeststeuersätze übertragen.

Werden die Steuersätze für Reichere in den Kantonen mit tiefen Steuern angehoben, so gibt es zwei unmittelbare Auswirkungen und die auch von den Initianten nicht bestritten werden. Erstens vergrössert sich der Abstand in der Steuerbelastung zwischen Personen, deren Einkommen oder Vermögen gerade unter der Grenze liegt und den von der Initiative betroffenen Steuerzahlern. Zweitens verringert sich der Abstand zwischen den betroffenen Kantonen und den nicht betroffenen Kantonen. Doch damit ist die Anpassung der Steuertarife noch nicht fertig. Die beiden oben erwähnten Auswirkungen ziehen weitere nach sich.

Vergrössert sich der Abstand in der Steuerbelastung zwischen den von der Initiative betroffenen Steuerzahlern und jenen, die gerade nicht mehr betroffen sind, dann lohnt es sich für erstere, weniger zu arbeiten oder das Vermögen so umzuschichten, dass sie von der höheren Steuerbelastung nicht mehr betroffen sind. Die Kantone werden somit gezwungen sein, die Steuerbelastung auch für die weniger gut verdienenden Personen anzuheben. Genau wie Firmen die Löhne für jene Arbeiter, deren Lohn vor Einführung des Mindestlohnes über dem Mindestlohn lag, nach oben anpassen müssen.

Ein geringerer Abstand zwischen den betroffenen Kantonen und den nicht betroffenen Kantonen klingt auf den ersten Blick „gut“ im Sinne einer gerechteren Belastung der Steuerzahler. Doch wenn heute bereits ziemlich grosse Unterschiede toleriert werden (beispielsweise, weil der Hochsteuerkanton billigere Wohnmöglichkeiten anbietet oder sich einen besseren Public Service leistet), so ist es nicht einzusehen, dass dies nach der Einführung des Mindestsatzes anders sein sollte. Die Hochsteuerkantone haben somit mit wenig Widerstand zu rechnen, die Steuerbelastung weiter zu erhöhen. Zum Schluss bleiben die Unterschiede wohl bestehen – einfach auf einem höheren Niveau. Auch diesen Anpassungskanal kennen wir aus der Analyse von Mindestlöhnen: Auch Firmen, die von den Mindestlöhnen nicht betroffen sind (weil sie beispielsweise qualifiziertere Mitarbeiter haben), müssen nach der Einführung oder Erhöhung der Mindestlöhne ihre Lohnskala nach oben anpassen.

Es gibt gute Gründe, dem Steuerwettbewerb gewisse Schranken zu setzen. Mit dem neuen Finanzausgleich ist dies bereits zu einem gewissen Teil geschehen. Gut möglich, dass noch weitere Massnahmen nötig sind. Ein „gerechter“ Steuerwettbewerb ist aber nicht über eine Mindestbelastung gewisser Steuerzahler zu erreichen. Ein Mindestsatz löst eine ganze Reihe von Anpassungen aus, die die gesamte Einkommens- und Vermögensverteilung in allen Kantonen betreffen. Am Schluss werden die Unterschiede zwischen den Kantonen kaum kleiner. Es zahlen einfach alle mehr – ohne dass die Bürger und Bürgerinnen dafür notwendigerweise mehr erhalten. Mehr Gerechtigkeit sehe ich hier nicht.

Internationale Finanzmarkt“architektur“

In den vergangenen Tagen haben uns gleich zwei leitende internationale Gremien mit ihren Vorschlägen zur Bankenregulierung verwöhnt. Das von der G20 geschaffene FSB (Financial Stability Board) traf sich in Seoul und erliess Empfehlungen auf höchster Abstraktionsebene. Diese lesen sich wie ein Weihnachts-Wunschzettel. Mehr Kapital und Liquidität figurieren an erster Stelle. Es folgt der Wunsch nach einer Lösung der faktischen Staatsgarantie für Grossbanken (im Jargon: SIFIs, für „systemically important financial institutions“). Gefordert wird zum Beispiel eine „Capacity to resolve national and global SIFIs without disruption to the financial system and without taxpayer support“. Da auf einen richtigen Wunschzettel auch Dinge gehören, von denen man weiss, dass man sie nicht bekommen kann, folgt auch „Increasing supervisory intensity and effectiveness“. Leider sagt uns das FSF nicht, wie wir die Aufseher dazu bringen, einer Bank auf die Hühneraugen zu treten, deren Vertreter das Zehn- bis Hundertfache des Aufsehers verdienen, und die zu seinen wenigen möglichen künftigen Arbeitgebern zählt. Viel mehr als hübsches Geschenkpapier hat das FSF nicht geboten.

Der Inhalt der Päckli muss ohnehin von den nationalen Behörden und Gesetzgebern geliefert worden. Einen ersten Blick auf den Gabentisch hat die EU-Kommission mit ihrem Bericht vom 10. Oktober 2010 erlaubt. Da liegen die phantasielosen „Bessere Aufsicht“, „mehr Prävention“, die es zu jeder Weihnacht gibt, aber noch nie viel genützt haben. Dann aber schimmert durchs Papier die Aufschrift „Debt write down“. Das ist das, was wir uns sehnlichst gewünscht haben. Ohne Schuldenkürzung oder -umwandlung ist eine Insolvenz nicht zu beheben. Die ebenfalls vorhandenen Päckli „Umstrukturierung“, „Good bank — bad bank“, etc. sind nämlich unbrauchbar ohne klare Zuweisung der Verluste. Deshalb stürze ich mich auf „Debt write down“ und was finde ich? Erstens den richtigen Hinweis, dass es nicht ohne geht, und dann den ebenfalls richtigen Hinweis, dass nicht-EU-Jurisdiktionen eine Kürzung der Schulden einer EU-Bank kaum hinnehmen würden. Es folgen dann zwar genauere „Cross-Border“-Erläuterungen, aber bei der EU heisst „grezüberschreitend“ stets: innerhalb der EU.

Die Kernfrage, „Wie kürzt man Schulden, ohne das Insolvenzrecht zu bemühen und eine Rechtskrieg mit amerikanischen Behörden und Anlegern zu entfesseln?“ wird nicht weiter diskutiert, abgesehen von einer schüchtern-beiläufigen Erwähnung der Idee der „contingent convertibles“, wie sie von der Expertengruppe des Bundes vorgeschlagen wurden.

Anstatt sich mit der schwierigen, aber unvermeidlichen Frage der Schuldumwandlung auseinanderzusetzen, greift die EU-Kommission erneut zur Idee eines von den Banken zu äufnenden Stabilitätsfonds. Die hanebüchene Begründung: Die Banken, nicht die Steuerzahler, sollen für Bankenkrisen zahlen. Weshalb aber die guten Banken für die schlechten zahlen sollen, bzw. warum dies besser ist als wenn die Steuerzahler zahlen, wird nicht erklärt.

Kurz: Die EU-Kommission bietet ein Musterbeispiel an Entscheidungsschwäche und konzeptioneller Ratlosigkeit. Mangels konzeptionellem Kompass will sie von allem etwas: Mehr Kapital, mehr Liquidität, mehr Überwachung, weitergehende Kompetenzen für die Behörden, mehr Töpfe, aus denen Banken saniert werden können. Mehr Gremien, die mit vagen Aufträgen ausgestattet sind, hat sie letztes Jahr schon geschaffen. Wetten, wer inskünftig bezahlt: Steuerzahler oder Banken? Ganz einfach: Beide.

Les heures sont des trésors

Laut Pressemeldungen (zum Beispiel im Tagesanzeiger) will ein Teil der SVP die Sommerzeit abschaffen, da diese laut einer Ärztin zu verschiedenen Leiden führt. Wie sind keine Mediziner; wir möchten nur eine wirtschaftshistorische Fussnote anbringen. Sie lässt vermuten, dass die SVP auch nicht mehr ist, was sie einmal war.

Nämlich: Nicht nur die Sommerzeit, überhaupt diese weder kinder- noch erwachsenengerechte fixe Zeiteinteilung ist zutiefst unschweizerisch und gehört lebenslänglich ausgeschafft. Früher galt die Sonne als Zeitmessserin, und im Winter waren halt die Stunden am Tag kürzer und in der Nacht länger. Im Sommer umgekehrt. Erst die Kommerzialisierung des Handwerks führte dazu, dass der Küfer für die Herstellung eines Fasses im Sommer und im Winter gleich viele Stunden aufschreiben musste. Und die vermaledeite Globalisierung — sprich: Eisenbahn — zwang die Seuzacher dazu, ihre Kirchturmuhr mit der der Winterthurer zu synchronisieren. Und seither prügeln wir unsere Kinder im Sommer bei strahlendem Sonnenschein ins Bett und im Winter bei Stockdunkelheit hinaus.

Es gibt für die Schweiz nur zwei Lösungen. Entweder den konsequenten Alleingang, das heisst: die Uhren wieder nach der Sonne richten und das Teufelszeug der fixen Stunden und Zeitzonen, samt Staatseingriff in Form von Sommer- oder Winterzeit, fahren lassen. Oder sich der Globalisierung beugen und auf die vom Schweizer Industrieflaggschiff Swatch schon längst propagierte Internetzeit (näheres bei Wikipedia) umzustellen (Wir schreiben im Moment @361.beats, und zwar überall auf der Welt.) Die Internetzeit (der Nullmeridian verläuft durch Biel!) brächte der Schweiz einen immensen Standortvorteil, da sich unsere Jungen ohne Zeithandicap auf Facebook und Google tummeln könnten. Und niemand braucht ein schlechtes Gewissen zu haben, weil der Chef noch um Mitternacht Emails beantwortet.

Gesunder Alleingang oder global erfolgreiche Selbstaufgabe? Die Zeitbome, der Konflikt zwischen SVP und Economiesuisse, tickt bereits. Der bilaterale Weg des nationalen Herumschraubens an der Zeitmessung als Kompromiss ist jedoch keine Lösung. Die ewig wiederkehrende Diskussion über die Abschaffung der Sommerzeit (jetzt wo sich die Kühe endlich dran gewöhnt haben), bereitet mir tatsächlich schlaflose Nächte.

Schuldenabbau durch Inflation: Zu viele Nebenwirkungen

Hätten wir eine Inflation von 4% pro Jahr wäre unsere Hypothek in 10 Jahren real um einen Drittel kleiner. Eine verlockende Perspektive. Kein Wunder träumen Schuldner – vor allem aber Politiker von Staaten mit hoher Verschuldung –  von einer solch angeblich schmerzlosen Reduktion ihrer Lasten. Doch die Sache hat einen Haken. Mit der Inflation steigen auch die Zinsen. Wer knapp bei Kasse ist, also die meisten Staaten, wird die Zinskosten nur über eine höhere Neuverschuldung begleichen können. Am Ende des Tages wird die Schuld vielleicht gar nicht kleiner.

Die Realität ist allerdings noch viel komplizierter. In den Nominalzinsen sind nicht nur die aktuelle Inflation enthalten sondern auch die Erwartungen über künftige Inflationsraten.  Die Geschwindigkeit mit der Zinsen steigen und sinken hängt zudem davon ab , wie die Zentralbank kommuniziert und wie glaubwürdig ihre Ankündigungen sind. Möglicherweise steigt zu Beginn der Inflationsperiode die Zinsbelastung weniger schnell wie die Inflation. Auf diesen Effekt bauen wohl die meisten Befürworter einer „weg mit Schulden durch Inflation“ Strategie. Doch ebenso wahrscheinlich bleiben die hohen Schuldzinsen über die Inflationsperiode hinaus bestehen und belasten die Schuldner. Und je höher die Inflationsrate, desto volatiler ist sie. Mit den stärkeren Schwankungen der Inflationsraten steigen auch die Risikoprämien und die Zinslasten steigen noch mehr. Zu guter Letzt ist die Laufzeit der Schulden wichtig, wie sehr die Inflation den Schuldnern schadet oder nützt.

Angesichts dieser Komplexität ist es kaum verwunderlich, dass die effektiven Kosten und Nutzen einer Inflationierungsstrategie nur schwer abgeschätzt werden können.

Mein früherer Kollege aus der Zeit in Tilburg, Michael Krause, hat mit Stephan Moyen zusammen einen Versuch zur Quantifizierung der Kosten und Nutzen der Inflation gewagt. Die beiden Forscher der Deutschen Bundesbank bauen dazu ein (ebenfalls kompliziertes) Modell, welches die oben genannten Effekte berücksichtigen soll. Krause und Moyen finden, dass es in der Tat sehr schwierig ist mit einer vorübergehenden Inflationsperiode die Schulden durch Inflation zu beseitigen. Es bräuchte dazu eine permanent höhere Inflationserwartung der Märkte (auf deutsch: die Menschen müssen daran glauben, dass die Inflation für immer hoch bleibt). Doch selbst in einem solchen Szenario kann durch Inflation nur circa  25% der Schuldenlast weginflationiert werden. Um 40% der Schuld wegzuinflationieren bräuchte es eine Erhöhung der Inflation um ganze 8 Prozentpunkte.

Der Grund für die relativ geringe Reduktion der Schulden durch Inflation liegt in den Zinsen. Um die Inflation wirksam zu erhöhen, müssen auch die Märkte eine höhere Inflation erwarten. Damit steigen aber auch die (langfristigen) Zinsen und somit die Kosten der Schulden. Doch auch der Ausstieg aus der Inflation ist schwierig. Falls die Inflationspolitik „gut“ funktioniert, warum sollte die Öffentlichkeit dann nicht befürchten, dass Politiker der Versuchung erliegen, damit auch noch weiter zu machen.

Fazit: Die Schulden lassen sich nicht einfach schmerzlos durch höhere Inflation kurieren.  Schon die bekannten Nebenwirkungen sind nicht harmlos. Von den unbekannten ganz zu schweigen.

Gier gegen Fairness

Es sieht aus, als spiele Gott gegen den Teufel. Stellen Sie sich vor: Sie dürfen mit einem unbekannten Gegenüber 100’150 Britische Pfund teilen. Einziger Haken: Beide müssen in geheimer Abstimmung wählen zwischen „Teilen“ und „Stehlen“. Wenn beide teilen, wird 50:50 geteilt. Wählt einer „Stehlen“, der andere „Teilen“, geht die ganze Summe an den Stehlenden, der andere geht leer aus. Wollen beide Stehlen, gehen beide leer aus. Zur Veranschaulichung die Auszahlungmatrix.

Dieses üble Spiel existiert. In der Schlussrunde des  britisches Fernsehquiz „Golden Balls“ kämpfen die beiden Gegner mit Teilen oder Stehlen um den Jackpot. Wir empfehlen dringend eine Kostprobe. Hintergrundinformationen finden sich in Wikipedia.

Raten, wer kooperiert und wer stiehlt? Die empirische Analyse ergibt kaum Unterschiede im Verhalten zwischen Mann und Frau, Stadt und Land, Schwarz und Weiss, etc. Frauen sind jung etwas kooperativer, Männer eher mit dem Alter. „Gentleman-Effekte“ (Männer kooperieren mit Frauen) sind kaum feststellbar (wir schämen uns). Am traurigsten: Je höher die Beträge, desto eher wird gestohlen.

Das Spiel existiert auch im richtigen Leben. Ökonomen kennen es als Gefangenen-Dilemma. Es zeigt, dass Gier nicht unbedingt eine menschliche Schwäche ist, sondern in der strategischen Ausgangslage angelegt sein kann, in einem Spiel, in dem der Teufel von Anbeginn die besseren Karten hat als der liebe Gott.

Best of Batz

Wie Lukas im vorangegangenen Eintrag gemeldet hat, feierten wir den hundertsten Batz-Beitrag. Grund, kurz innezuhalten und zu fragen: Welche der hundert Artikel sind im nachhinein noch lesenswert? Die richtige Antwort ist: (fast) alle. Dennoch haben wir die magische Zahl von sieben Artikeln herausgepickt, die uns — jeder auf seine Art — irgendwie besonders scheinen. Die Auswahl ist hochgradig subjektiv und nicht als Qualitätsurteil gemeint. Ausgewählt wurden (in chronologischer Reihenfolge):

Der Erste (Urs Birchler, 1. Januar): „Daumendrücken für Philipp Hildebrand“ für die prophetische Aussage: „Bisher ging es darum, die Reputation in der Geldpolitik nicht aufs Spiel zu setzen mit einem Misserfolg in der Finanzmarktstabilität. In nächster Zukunft liegt die Sache genau umgekehrt. Die SNB darf sich keinen Fehler in der Geldpolitik leisten, um ihre Reputation in der Finanzmarktstabilität nicht zu gefährden.“

Der Feinste (Monika Bütler, 9. März): „Des Guten zuviel“ für die Sorgfalt, mit der die beiden Monikas zeigen, wie wir die Alten zum „Abzocken“ zwingen. Positiv ausgedrückt: „Der transferierende Staat senkt die Zahl der wählbaren Lebensentwürfe“.

Der Verzweifeltste (Monika Bütler, 11. März): „Harter Fall statt Härtefall“ für den beherzten Einsatz der polit-ökonomischen Ambulanz.

Der „Nützlichste“ (Monika Bütler, 9. April): „Ein Studium des Nutzens von Nutzenstudien“ für den Kampf gegen unausrottbare Nutzlosigkeiten.

Der Düsterste (Uwe Sunde, 15. Mai): „Verschuldung und Demographie: Wann werden Staatsanleihen toxisch?“ für die nüchterne Darstellung der demo-fiskalischen Zeitbombe. Niemand soll sagen, die Ökonomen hätten nicht gewarnt.

Der Aufrechteste (Gebhard Kirchgässner, 31. Mai): „Der Fünfer und das Weggli: Zur Reform der Besteuerung des privat genutzten Grundeigentums“ für die Lanze im Kampf gegen die Windmühlen der Subventionierung der Hauseigentümer.

Der Meistzitierte (Marius Brülhart, 3. Juli): „Imaginärer Steuerwettbewerb“ für den mustergültigen Einsatz ökonomischer Analyse zur Abwehr politischen Aberglaubens.

Wir danken an dieser Stelle nicht nur allen Autoren für die anregenden Beiträge, sondern auch den Lesern für die zahlreichen ermunternden Rückmeldungen. Wir freuen uns, den Batz(en) weiter rollen zu lassen.

Wie trostlos sind wir?

Ein Artikel in der Financial Times diskutiert die Nachfolge von EZB-Präsident Jean-Claude Trichet. Wie lautet das Anforderungsprofil für den neuen Zentralbankchef? Braucht es einen Ökonomen mit akademischem Hintergrund wie FED-Chef Ben Bernanke, jemand Fachfremdes (Mathematiker oder Physiker) oder einen Praktiker vertraut mit den politischen Mechanismen?

Interessant sind die Leserbriefe, die auf den Artikel folgten. Einer schlägt vor, dass die Volkswirtschaftslehre von der Physik übernommen werden sollte. Ein zweiter sagt, der Ausdruck „dismal science“ sei ein Oxymoron. Unser Fach sei zwar „dismal“ (trostlos), aber keine (exakte) Wissenschaft. Ein (aristotelischer) Philosoph soll die Volkswirtschaftslehre leiten. Der Letzte antwortet: Wir Ökonomen bräuchten weder einen Physiker noch einen Philosophen, sondern einen …Psychiater: „…he would not only bring a much needed knowledge of human behaviour to the dismal science but also be able to provide ongoing care to those who inhabit it.”

Dazu ein Buch mit dem Titel „The Dismal Science – How Thinking Like an Economist Undermines Community”.