Das ZKB-Vertrauensbarometer

Urs Birchler

Die Anklageerhebung gegen ZKB-Vertreter in den USA hat die Investoren anscheinend kaum beeindruckt. Der beste Indikator für das Vertrauen in unsere Staatsbank ist der Kurs der im vergangenen Januar begangenen nachrangigen ewigen Anleihe. Diese absorbiert nämlich Verluste, noch bevor der Staat haften muss. Wie es in der Medienmitteilung der ZKB vom 13. Januar 2012 heisst: „Fällt die Kernkapitalquote unter 7% oder stellt die FINMA eine drohende Insolvenz fest, kommt es zu einem automatischen Forderungsverzicht. Der Investor erleidet in diesem Fall einen vollständigen oder teilweisen Verlust seiner Forderung.“ Der Kurs dieses Papiers müsste also sehr empfindlich auf Ängste bezüglich ZKB reagieren.

Hier dürfen wir beruhigt melden, dass der Markt heute nur knapp mit der Wimper gezuckt hat. Der Kurs ist bei konstantem Handelsvolumen um ein halbes Prozent zurückgegangen, wie die nebenstehende Grafik zeigt (Quelle: SIX-Swiss-Exchange).

LIBOR: Hand auf’s Herz

Urs Birchler

Nachdem wir jetzt bis hin zur Bundespräsidentin (Interview) alle unser Entsetzen geäussert haben, scheint es Zeit zum Gegenschnitt. Ich habe gestern in 10vor10 auf die enorme Versuchung hingewiesen: Zwei Händler können mit ein paar E-Mails oder Telefongesprächen zu einem Eigenheim kommen, für das der Normalbürger (mindestens) ein Leben lang schuftet. Libor-Manipulation ist einfacher als ein Ladendiebstahl. Ohne die Fehlbaren zu entschuldigen — hätten wir so einfach widerstehen können?

Schlangenfangerei im Tagi

Urs Birchler

Heute empfängt uns Res Strehle — immerhin der Chefredaktor — auf S. 23 der Printausgabe mit dem Bild einer Warteschlange. Tatsächlich preist er Schlangestehen als gerechte Form der Verteilung von Gütern an. Denn: Weshalb sollen nur Reiche Museen besuchen dürfen? Als Aufhänger dient ihm das Erscheinen des Buches Was man mit Geld nicht kaufen kann, von Michael J. Sandel.

Res Strehle klagt über eine Welt, in der alles käuflich wird. Ein müdes Echo der Kirchenväter, welche sich in der Zeit der aufkommenden Geldwirtschaft darüber beklagten, dass der Besuch einer Prostituierten teurer war, als ein Auftragsgebet. Wir haben darüber berichtet. Alter Marzipan, würde Dürrenmatt sagen. Aber Res Strehles gutes Recht.

Wo das gute Recht des Journalisten aufhört, ist dort, wo er mit einem Mausklick überprüfen könnte, dass er die Leser hintergeht. Beispielsweise: „Wenn alles käuflich ist, … wird zwangsläufig die Korruption zunehmen, weil auch öffentliche Leistungen und Gefälligkeiten aller Art erwerbbar werden“. Genau dies ist falsch. Korruption blüht dort, wo der Markt unterdrückt wird, dort wo die Warteschlangen blühen. Ein Blick auf die Weltkarte der Korruption hätte genügt: Länder mit hohem Korruptionsindex liegen entweder in einem Gürtel um den Äquator oder sind ehemalige Mitglieder der planwirtschaftlichen Hemisphäre. Noch Jahrzehnte nach ihrem Untergang wirkt das Gift der ehemaligen sozialistischen Planwirtschaft. Die im TA abgebildete Schlange, als deren Wahrzeichen, soll uns eine Warnung sein.

Natürlich fällt jedem von uns ein Beispiel ein, für Dinge, die man nicht handeln darf. Meine Studenten beispielsweis können ihre Prüfungsnoten nicht durch Geschenke und Gefälligkeiten aufbessern. Es hat’s, ehrlich gesagt, auch noch niemand versucht. Und natürlich brauchen wir einen gesellschaftlichen Dialog darüber, wo der Markt spielen soll (zum Beispiel bei Flugtarifen) und wo offenbar nicht (im Zürcher Verkehrsstau). In die Diskussion sollte dann aber neben der Gerechtigkeit auch die Effizienz einfliessen. Ist es wirklich moralisch, Menschen ihre Zeit in Warteschlangen verbringen zu lassen? Macht es Sinn, wenn der Kinderarzt drei Stunden anstehen muss, um eine Eintrittskarte ins Museum zu kaufen. Und — warum das Kind nicht beim Namen nennen — auch der CEO einer Grossbank hat (oder hätte) Gescheiteres zu tun als Schlangestehen.

Den TA gibt’s einstweilen noch ganz marktwirtschaftlich unsubventioniert im Abo oder am Kiosk.

Ist die Finma zuständig für die Wettbewerbsfähigkeit des Finanzplatzes?

Urs Birchler

Die Frage im Titel sorgt immer wieder für rote Köpfe zwischen FINMA (nein) und Bankenvertretern (ja). Die Weltwoche behauptet in der neuesten Ausgabe, die restriktive Auffassung der FINMA sei „nachweislich falsch“; im Gesetz stehe nämlich, die FINMA habe „zur Stärkung des Ansehens und der Wettbewerbsfähigkeit des Finanzplatzes Schweiz“ beizutragen.

Wir haben im Gesetz nachgeschlagen, konkret im Finanzmarktaufsichtsgesetz (FINMAG). Dort heisst der zitierte Artikel 5 im vollen Wortlaut: „Die Finanzmarktaufsicht bezweckt … den Schutz der Gläubigerinnen und Gläubiger, der Anlegerinnen und Anleger, der Versicherten sowie den Schutz der Funktionsfähigkeit der Finanzmärkte. Sie trägt damit zur Stärkung des Ansehens und der Wettbewerbsfähigkeit des Finanzplatzes Schweiz bei.“ Entscheidend ist das von der Weltwoche verschwiegene Wörtchen „damit“.

Kaum „nachweislich falsch“ scheint daher die Auffassung der FINMA): „Der Beitrag zur Wettbewerbsfähigkeit des Finanzplatzes ist nicht Ziel, sondern erhoffte und erwünschte Wirkung der Aufsichtstätigkeit.“ Soweit Konflikte zwischen Stabilität und Wettbewerbsfähigkeit entstehen, greift übrigens FINMAG Art. 7 Platz („Sie reguliert nur, soweit dies mit Blick auf die Aufsichtsziele nötig ist. Dabei berücksichtigt sie insbesondere … wie sich die Regulierung auf den Wettbewerb, die Innovationsfähigkeit und die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Finanzplatzes Schweiz auswirkt).

Ironischerweise sagt allerdings die Botschaft des Bundesrates zum FINMAG im Kommentar zu Artikel 5: „Der Schutz von Gläubigerinnen und Gläubigern, Anlegerinnen und Anlegern sowie der Versicherten vor Insolvenzrisiken wird am wirksamsten gewährleistet, wenn die Finanzintermediärinnen und -intermediäre wettbewerbsfähig sind.“ Stabilität ist damit nicht Ursache, sondern Folge der Wettbewerbsfähigkeit.

Kein Wunder erhielt die Schweiz vom Financial Stability Board (gestützt auf die Überprüfung der Schweiz im Rahmen des das Financial Assessment Programm des IWF) hier eine Hausaufgabe: Peer Review of Switzerland vom 25 Januar 2012, S. 34: „Review the provisions of the draft FINMA Act to avoid provisions that might limit FINMA’s operational independence and prudential powers.“ Konkret (S. 20; ähnlich S. 6): „the concerns expressed in the FSAP surrounding FINMA’s operational independence, particularly with respect to the competitiveness clause, remain unresolved since the relevant provisions in the FINMA Act have not been revised.“

Kurz und gut: Die internationalen Gremien stützen die Haltung der FINMA, möchten die gesetzliche Grundlage aber gefestigt sehen. Ebenfalls auf eine Gesetzesänderung, wenngleich in umgekehrter Richtung, zielt die Interpellation Lüscher. Einstweilen hilft uns nur der gegenseitige Respekt zwischen Banken und Behörden für ihre jeweiligen Aufgaben und Zielsetzungen. Artikel, welche die Sachlage verdrehen, helfen eher nicht.

Marktlogik — bis zum letzten Tropfen

Urs Birchler

Wir haben diese Woche den Film The Angel’s Share von Ken Loach gesehen. Im Film klaut eine Bande die letzten vier verfügbaren Flaschen eines legendären Whiskys. Nur leider schaffts der Trottel der Bande, zwei der Flaschen zu zerbrechen. „ist doch nicht schlimm“, tröstet er seine Kumpane, „wenn das wirklich so ein legendärer Whisky ist, dann sind die letzten zwei Flaschen doch sogar wertvoller als die letzten vier!“

Zuhause erzählte ich’s den Buben in der perversen Absicht, ihnen ein Gefühl für das Konzept der Nachfrage-Elastizität zu vermitteln. Entgegnet der Drittklässsler trocken: „Papa, wenn das wahr wäre, dann wäre der letzte Tropfen mehr wert als der ganze Rest.“

Fazit: Was ist der Unterschied zwischen einem Whisky und einem Ökonomen? Beim Whisky ist gewöhnlich der älteste der beste.

Hier noch eine Adventslektüre zur Herkunft des Begriffs Whisky („Lebenswasser“).

Congratulations, Charles!

Urs Birchler

Heute morgen verlieh die Uni Basel die Ehrendoktorwürde an den amerikanischen Ökonom und Bankenhistoriker Charles Calomiris (Columbia).

Bekannt wurde Charles Calomiris für seinen mit Charles Kahn verfassten Aufsatz in der American Economic Review von 1991 zur disziplinierenden Wirkung der Gefahr von Bank Runs. Doch zuvor und seitdem publizierte er eine eindrückliche Reihe von Arbeiten, viele davon zu Themen der Bankenstabilität und -überwchung. Roter Faden in seinem Werk ist das Thema Anreize. Auch in seinem Referat an der Uni Basel von gestern abend: Bankenregulierung hat nur eine Chance, wenn sie zwei Bedingungen erfüllt:

  1. Sie muss berücksichtigen, dass die Überwachten stets Anreize zur Umgehung haben,
  2. Sie muss berücksichtigen, dass auch die Überwacher Anreizen ausgesetzt sind, die das Ziel der Überwachung gefährden können (beispielsweise, weil ihre berufliche Weiterentwicklung nur bei einer der überwachten Banken möglich ist).

Charles Calomiris ging es immer auch um die die praktische Anwendbarkeit seiner Forschung. Verschiedene Regierungen und Behörden, namentlich in Lateinamerika, haben ihn denn auch als Berater beihezogen. Die lange Liste seiner Arbeiten findet sich bei IDEAS oder auf seiner Homepage.

Wir wünschen Charles alles Gute und gratulieren auch der Uni Basel zur klugen Wahl.

Städterivalitäten

Urs Birchler (ZH) und Monika Bütler (SG)

Wir haben uns die Ausstellung Kapital — Kaufleute in Venedig und Amsterdam im Zürcher Landesmuseum angesehen (bis 17. Februar 2013). Sie ist nicht ganz so faszinierend wie damals die Ausstellung Geld und Schönheit in Florenz. Trotzdem ist sie empfehlenswert; es gibt ja wenig gute Ausstellungen zu wirtschaftlichen Themen. Auch für Kinder ab ca. 4. Klasse ist das meiste zugänglich; die zahllosen Treppen des für Ausstellungen eigentlich unbrauchbaren Hauses bieten zudem Gelegenheit zur Bewegung.

Für uns die Hauptattraktion war der St. Galler Globus aus dem 16. Jahrhundert (näheres bei Wikipedia). Der Globus — 1712 von Zürcher Truppen bei der Plünderung des Klosters erbeutet — war vor 10 Jahren Gegenstand eines erbitterten Streits zwischen den revisionistischen St. Gallern und den kunsträuberischen Zürchern. Nur durch Vermittlung eines Bundesrates konnte eine bewaffnete Auseinandersetzung vermieden werden. Die Salomonische Lösung: Zürich behielt das Original und spendierte den St. Gallern eine prächtige Kopie.

In der Ausstellung Kapital war also dieser Globus zu bewundern. Allein: nicht etwa das hart erkämpfte Original, sondern — als Leihgabe aus St. Gallen! — die Kopie. Der hehre Altglobus, auf dessen patinierter Oberfläche nur noch Forscher etwas sehen, steht ein Stockwerk tiefer und gilbt verschmäht vor sich hin, derweil oben in der Ausstellung die Kopie in leuchtenden Farben die Zuschauer erfreut.

Die „Globalisierung“ zwischen Zürich und St. Gallen hat also, dies unsere Haupterkenntnis aus der Ausstellung, ihren friedlichen Abschluss gefunden. Vollkommen hätte man sie nennen können, hätte das Landesmuseum den St. Gallern einen Gratis-Eintritt offeriert. Das wäre dann aber wieder nicht nach Zürcher Art gewesen.

Genosse Birchler

Urs Birchler

Diese Woche macht die Weltwoche Spass: „Ein guter ­Sozi ist hingegen der Zürcher Professor Urs Birchler, Anti-Banken-Ideologe der Partei und Ehemann von Monika Bütler“ (Volltext unten). Tatsächlich: Ich bin der Ehemann von Monika Bütler, das lese ich auch immer wieder gerne. Gerne wäre ich auch ein guter Ehemann, aber leider bin ich nur ein guter Sozi — für die Weltwoche jedenfalls. In Wahrheit bin ich weder ein guter noch ein schlechter, sondern gar kein „Sozi“. Ich bin Ökonom und versuche, wissenschaftliche Überlegungen für die Praxis nutzbar zu machen. Zwar habe ich einmal eine Studie im Auftrag der SP Schweiz durchgeführt, aber ich habe mit genausoviel Engagement auch ein Gutachten für das Liberale Institut verfasst. Ob jetzt das Liberale Institut links oder die SP Schweiz neoliberal unterwandert ist, bleibe dahingestellt. Für mich war die Zusammenarbeit mit beiden Auftraggebern sehr erfreulich und vollkommen unideologisch.

„Anti-Banken-Ideologe“: Ich habe mich immer gegen die implizite unfreiwillige Staatsgarantie für Banken eingesetzt. Nicht weil ich etwas gegen Banken habe, sondern, weil mir die finanzielle Gesundheit der Eigenossenschaft und die Marktwirtschaft am Herzen liegen. Hingegen habe ich eben gerade keine Zerschlagung der Grossbanken propagiert, anders etwa als NR Christoph Blocher — mit Sukkurs der Weltwoche (21.11.2009, 2012), nota bene.

Ich verlange von der Weltwoche eine Richtigstellung: „Birchler ist ein guter Ehemann“. Sie darf uns dafür nachträglich in Ihrer Rubrik „Hochzeit“ bringen.

[Und hier noch der ganze Absatz aus der Weltwoche (vom 22.11.2012): „Unter Christian Levrats immer linkerer Parteiführung werden selbst Genossen, welche die Partei in hohen Ämtern vertreten und brav ihre Mandatssteuer entrichten, zu unerwünschten Personen. So möchte die SP-­Spitze zwei ihrer Finanzspezialisten aus der Experten­gruppe des Bundes entfernen, die eine Weissgeldstrategie zu skizzieren hätte. In einer internen Analyse wird «die Teilnahme von Serge Gaillard und Daniel Zuberbühler» als negativ bewertet. Gaillard war Chefökonom des Gewerkschaftsbundes und Mitglied des Bankrats der Nationalbank, später Direktor Arbeit im Staatsekretariat für Wirtschaft und heute Direktor der Eidgenössischen Finanzverwaltung. Ebenfalls nicht willkommen ist Genosse Zuberbühler, früher Direktor der Eidgenössischen Bankenkommission (EBK). Ein guter ­Sozi ist hingegen der Zürcher Professor Urs Birchler, Anti-Banken-Ideologe der Partei und Ehemann von Monika Bütler, HSG-Professorin und Bankrätin der Nationalbank. Birchlers Einsitz im Gremium wird als «positiv» taxiert.“]

Japan am Abgrund?

Urs Birchler

Vorab: Ich liebe Japan und seine freundlichen und fröhlichen Bewohner. Ich bin wie viele auch immer wieder beeindruckt vom Gemeinschaftssinn der Japaner. Nicht zufällig ist Japan auch das Land, das den Wohlfahrtsstaat erfunden hat.

Doch damit sind wir beim Problem. Der japanische Staat steckt in der Klemme. Auch die Presse (z.B. die NZZ) hat das Thema aufgenommen. Allerdings ist der Blick meist fixiert auf die bald erreichte Schuldenobergrenze und die politischen Ränkespiele um die Erhöhung oder Nichterhöhung dieser Grenze. Wird die Grenze nicht gelockert, droht die Zahlungsunfähigkeit. Dabei ist es im Grunde umgekehrt: Weil diese Grenzen (wie auch in den USA) immer wieder gelockert werden, wenn sie zu „beissen“ beginnen, ist der Staat am Ende nicht einfach technisch zahlungsunfähig, sondern fundamental bankrott.

Ist Japan soweit? Die Lage der japanischen Staatsfinanzen ist beschrieben im Länderbericht des IMF (2011). Daraus die Eckdaten:

  • Die Staatsschuld in prozenten der jährlichen Wirtschaftsleistung (BIP) liegt gegenwärtig bei 250% (brutto), bzw. 125% (netto). Tendenz: steigend, v.a. wegen strukturell bedingter Wachstumsschwäche und der Alterung der Bevölkerung.
  • Das Pimärdefizit (ohne Zinskosten) liegt bei 10% pro Jahr.
  • Der private Sektor weist einen Sparüberschuss auf, der die Zunahme der öffentlichen Verschuldung kompensiert. Dabei verschiebt sich die Spartätigkeit von den Haushalten zu den Unternehmen.

Japan ist allerdings nicht Griechenland oder Spanien. Es gibt zwei grosse Unterschiede:

  1. Die Schulden des japanischen Staats werden zum grossen Teil von Inländern gehalten.
  2. Japan hat eine eigene Währung.

Auf den ersten Blick machen diese beiden Unterschiede die japanische Situation einfacher. Weil die Gläubiger Japans die Japaner selbst sind, wird Japan also nie eine „Troika“ einladen müssen. Dank der eigenen Währung kann die Bank of Japan notfalls Geld für den Staat drucken. Erst der zweite Blick zeigt, dass dies beiden „Vorteile“ in Wirklichkeit Nachteile sein können:

  1. Ein Staat mit Schulden gegenüber dem Ausland kann sich dieser im Notfall mit einem Schuldenschnitt entledigen — praktiziert in Dutzenden von Fällen; zuletzt in Griechenland. Wie aber verordnet man den Inländern (d.h. den Stimmbürgern) einen Verzicht auf ihre Guthaben? Die Verteilung bereits eingetretener Verluste ist notorisch schwierig und dürfte auch einen Staat mit opferbereiten Bürgern wie Japan überfordern.
  2. Die Notenpresse als Mittel zur Zuordnung der Verluste scheint elegant, beraubt jedoch ein Land seines monetären Koordinatensystems.

Dann liest man immer wieder: „Japan ist anders“, auch heute wieder bei TA online. Beispielsweise: Japan könne einfach die Mehrwertsteuern erhöhen, um die Staatsdefizite zu beseitigen. Nur: Steuererhöhungen haben (genau wie Sparprogramme) Nachfragewirkungen; sie könnten eine Rezession auslösen, die den Staatsfinanzen das Genick bricht. Wenn die Haushalte mehr Steuerern bezahlen müssen, haben sie auch weniger Geld, um die jährlich notwendige Dosis von Staatspapieren (immerhin rund 10% des BIP) zu kaufen (dies erinnert daran, dass Defizite und Steuern zwei Namen für dasselbe sind). Das Argument „Japan tickt anders“ klingt deshalb nach einer Variante von This Time is Different. In einem Punkt allerdings ist Japan anders: Es hat noch die grössere Last in Form einer alternden Bevölkerung zu tragen als die meisten anderen Länder.

Deshalb als provisorisches Fazit: Japan hat mit seinen Staatsschulden den „Point-of-no-return“ längst überschritten. Es ist kein auch nur halbwegs plausibles Szenario denkbar, unter dem die japanischen Staatsschulden noch lange refinanzierbar sind. Ob die Politik einen Schuldenschnitt (mit expliziter Zuordnung der Verluste) erreichen kann oder ob die Schulden monetisiert (und letztlich inflationiert) werden, ist schwer zu sagen. Real gerechnet sind japanische Staatsanleihen in beiden Fällen Hochrisikopapiere. Der Wert dieser Papiere scheint getragen vom Vertrauen, nicht in den japanischen Staat, sondern vom Vertrauen darauf, dass die anderen Anleger auch noch nicht verkaufen. Wann er zusammenbrechen wird, ist daher schwer zu prognostizieren. Das kann in fünf Jahren geschehen oder morgen. Eines aber ist bekannt: Ein an sich völlig unwesentliches Ereignis, wenn es nur genügend Signalwirkung hat, kann der Auslöser sein. Und es kann rasch gehen.

Kickbacks

Urs Birchler

Das Bundesgericht hat entschieden (BGE 132 III 460), dass (vereinfacht gesagt) sogenannte Retrozessionen (etwa Rabatte für den Abschluss von Börsengeschäften; vulgo: Kickbacks) innerhalb von Vermögensverwaltungsaufträgen nicht dem Vermögensverwalter, bzw. der Bank, sondern dem Kunden gehören. Die Presse hat über die möglichen Implikationen und erste Prozessvorhaben berichtet.

Gleichzeitig, oder kurz vorher, berichteten die Medien, beispielsweise der Tagesanzeiger, über gewisse Hemmungen der Ärzteschaft, ihre Kickbacks, namentlich Rabatte und Vergünstigungen seitens der Pharmaindustrie, an die Kunden, sprich: Patienten und Krankenkassen, weiterzugeben. Anders als in der Vermögensverwaltung sind geldwerte Vorteile für die Mediziner im Bundesgesetz über Arzneimittel und Medizinprodukte (Art. 33) längst geregelt (mich dünkt: verboten). Das Bundesgericht scheint aber die Ärzte lieber zu haben als die Bankiers: Mit einem Entscheid vom 12. April 2012 wurde die Rechtsgrundlage der von Swissmedic ausgeübten Kontrolle in diesem Bereich bestritten.

Als Nicht-Jurist muss ich auf die Weisheit des Bundesgerichts blind vertrauen. Als Ökonom seien mir einige Bemerkungen erlaubt:

  • Banken und Ärzte stehen beide in einem besonderen Vertrauensverhältnis zum Kunden und unterstehen deshalb einem auch strafrechtlich geschützten Berufsgeheimnis; hinsichtlich finanzieller Hygiene scheint der Medizinsektor jedoch ins Hintertreffen zu geraten;
  • Die Medizin scheint, wenn der Tages-Anzeiger recht hat, mindestens für den Laien, dem Bankgeschäft sogar voraus in der Entdeckung von Umgehungsmöglichkeiten und Schlupflöchern.
  • Bei den Banken sind die Retrozessionen insofern ein Teil des Geschäftsmodells, als ihr Wegfall durch andere — transparentere — Gebühren ersetzt werden muss; verschiedene Kunden sind durchaus mit Kickbacks einverstanden. Bei den Ärzten sind Vergütungen der Pharmaindustrie kaum ein Teil eines akzeptierten Geschäftsmodells.

Die Bankiers sind in letzter Zeit oft gescholten worden. Drum wichtig, sich daran zu erinnern, dass sie nicht von Heiligen umgeben sind.