Schlangenfangerei im Tagi

Urs Birchler

Heute empfängt uns Res Strehle — immerhin der Chefredaktor — auf S. 23 der Printausgabe mit dem Bild einer Warteschlange. Tatsächlich preist er Schlangestehen als gerechte Form der Verteilung von Gütern an. Denn: Weshalb sollen nur Reiche Museen besuchen dürfen? Als Aufhänger dient ihm das Erscheinen des Buches Was man mit Geld nicht kaufen kann, von Michael J. Sandel.

Res Strehle klagt über eine Welt, in der alles käuflich wird. Ein müdes Echo der Kirchenväter, welche sich in der Zeit der aufkommenden Geldwirtschaft darüber beklagten, dass der Besuch einer Prostituierten teurer war, als ein Auftragsgebet. Wir haben darüber berichtet. Alter Marzipan, würde Dürrenmatt sagen. Aber Res Strehles gutes Recht.

Wo das gute Recht des Journalisten aufhört, ist dort, wo er mit einem Mausklick überprüfen könnte, dass er die Leser hintergeht. Beispielsweise: „Wenn alles käuflich ist, … wird zwangsläufig die Korruption zunehmen, weil auch öffentliche Leistungen und Gefälligkeiten aller Art erwerbbar werden“. Genau dies ist falsch. Korruption blüht dort, wo der Markt unterdrückt wird, dort wo die Warteschlangen blühen. Ein Blick auf die Weltkarte der Korruption hätte genügt: Länder mit hohem Korruptionsindex liegen entweder in einem Gürtel um den Äquator oder sind ehemalige Mitglieder der planwirtschaftlichen Hemisphäre. Noch Jahrzehnte nach ihrem Untergang wirkt das Gift der ehemaligen sozialistischen Planwirtschaft. Die im TA abgebildete Schlange, als deren Wahrzeichen, soll uns eine Warnung sein.

Natürlich fällt jedem von uns ein Beispiel ein, für Dinge, die man nicht handeln darf. Meine Studenten beispielsweis können ihre Prüfungsnoten nicht durch Geschenke und Gefälligkeiten aufbessern. Es hat’s, ehrlich gesagt, auch noch niemand versucht. Und natürlich brauchen wir einen gesellschaftlichen Dialog darüber, wo der Markt spielen soll (zum Beispiel bei Flugtarifen) und wo offenbar nicht (im Zürcher Verkehrsstau). In die Diskussion sollte dann aber neben der Gerechtigkeit auch die Effizienz einfliessen. Ist es wirklich moralisch, Menschen ihre Zeit in Warteschlangen verbringen zu lassen? Macht es Sinn, wenn der Kinderarzt drei Stunden anstehen muss, um eine Eintrittskarte ins Museum zu kaufen. Und — warum das Kind nicht beim Namen nennen — auch der CEO einer Grossbank hat (oder hätte) Gescheiteres zu tun als Schlangestehen.

Den TA gibt’s einstweilen noch ganz marktwirtschaftlich unsubventioniert im Abo oder am Kiosk.

4 thoughts on “Schlangenfangerei im Tagi

  1. «Und — warum das Kind nicht beim Namen nennen — auch der CEO einer Grossbank hat (oder hätte) Gescheiteres zu tun als Schlangestehen.»

    Spontan dachte ich, ein Bank-CEO sollte so lange wie möglich Schlange stehen, denn dabei könne er keinen weiteren volkswirtschaftlichen Schaden einrichten. Dann kam mir in den Sinn, dass ich selbst beim Warten problemlos via Smartphone und Tablet arbeiten kann, ergo auch ein Bank-CEO.

    In jedem Fall halte ich den Vergleich zwischen Kinderarzt und Bank-CEO nicht für angebracht: Ein Kinderarzt schafft unbestritten Mehrwert für die Allgemeinheit, ein Bank-CEO richtet auf Kosten der Allgemeinheit schaden ein und profitiert von „Too Big to Jail“.

  2. Obwohl die Logik, dass eine „Marktgesellschaft“ zur Korruption führen soll, absurd ist, empfehle ich den genannten Artikel allen Lesern.
    Herr Birchlers Eintrag zeigt, dass viele Ökonomen festgefahren sind: Das Totschlagargument lautet: wieso sollte man es zwei Menschen verbieten, einen Handel abzuschliessen (zB. Schlange stehen gegen Geld), der beide besser stellt? Dies macht auch Sinn und ist ein gutes Argument.
    Wenn jemand jodoch einwendet, dass es vielleicht auch andere erstebenswerte Ziele gibt, als Parto-Effizienz, wird das sehr schnell, wie hier, in einem herablassenden Tonfall als unlogisches Geschwätz abgetan.

  3. Korruption blüht dort, wo der Markt unterdrückt wird? Käse! In diesen Ländern werden die Menschen nicht von bösen Sozialisten unterdrückt, sondern verfügen schlicht und einfach nicht über die liquiden Mittel, um am Marktgeschehen teilzunehmen. Ein kleiner, aber nicht besonders feiner Unterschied, den marktverblendete Ökonomen gerne übersehen. Lawlessness does not bring forth its own supply and supply does not bring forth its own demand.

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