Zitat des Tages II

„Why did the banks – the sausage makers, so to speak – hold so many of the sausages for their own consumption when they knew what went into them?”

Raghuram Rajan über die Verbriefung in „Fault Lines“ (2010). Bei der Verbriefung von Hypotheken werden mehrere Hypothekarforderungen zu einer Obligation gebündelt – zu einer Wurst verarbeitet – und auf dem Finanzmarkt weiterverkauft. Verbriefung sollte die Finanzmärkte stabilisieren (das Risiko wird von denjenigen getragen, die es am besten können), ist aber eine der Ursachen der Finanzkrise. Der Inhalt der „Würste“ waren mehrheitlich Subprime-Hypotheken.

Zitat des Tages I

“Morally, we are all communists; practically, we are capitalists.”

“You have to try everything when you are desparate.” (für Wissenschaftler)

Frei nach Iván Werning (am Doktorandenkurs in Gerzensee). Die Zeitschrift „Economist“ zählt Werning zu den acht jungen aufstrebenden Ökonomen (neben „Clarks Medal“-Gewinnerin Esther Duflo, Jesse Shapiro, Roland Fryer, Amy Finkelstein, Raj Chetty, Xavier Gabaix, Marc Melitz). Der MIT-Professor ist ein Makro-Theoretiker und beschäftigt sich mit der optimalen Ausgestaltung von Steuersystemen (in dynamischen Modellen: „New Dynamic Public Finance“).

In seinem neusten Artikel schlägt der Argentinier Werning altersabhängige Einkommenssteuern vor (Steuer nimmt mit dem Alter zu). Umverteilung über Steuern ist eine Art Versicherung – hinter einem „Schleier des Nichtwissens“ oder bei Unsicherheit über die Zukunft. Junge Erwerbstätige wissen nicht – oder nur mit grosser Unsicherheit -, wie hoch ihr Lebenseinkommen sein wird. Entscheidungen zu Beginn des Erwerbslebens haben weitreichende Folgen für das zukünftige Wohlergehen (wo und wieviel arbeite ich? Wie begabt bin ich? Wie schnell werde ich befördert? Wie viel verdiene ich?). Mit steigendem Alter nimmt die Bedeutung von Ereignissen am Arbeitsplatz ab und das Lebenseinkommen kann präziser geschätzt werden (Unsicherheit über die Zukunft nimmt ab). Entscheidend für Werning’s Resultat ist, dass das Einkommen ein „random walk“ ist (siehe Grafik): Persistente Produktivitätsschocks (z.B. Beförderung aufgrund guter Leistungen) zu Beginn des Erwerbslebens haben einen viel grösseren Einfluss auf die Höhe des Lebenseinkommens als spätere. Die Steuer ist eine „Versicherung“ in dem Sinne, dass sie den Effekt solcher Schocks auf die Nettoeinkommen verringert. Die Steuer nimmt mit dem Alter zu und der Steueranstieg ist proportional zur Kovarianz zwischen dem Konsumwachstum und der Produktivität (positiv aufgrund von Arbeitsanreizen). Für altersabhängige Steuern spricht auch die Tatsache, dass die Streuung der Einkommensverteilung mit dem Alter zunimmt.

Werning ist bekannt für kontraintuitive Resultate. In „Liquidity and Insurance for the Unemployed” schlussfolgert der Sohn eines Mathematikers (zusammen mit Robert Shimer), dass die Arbeitslosenunterstützung nicht nach einer gewissen Zeit enden sollte.

Eine Steuer auf Ausbildung

Eine Universitätsausbildung ist teuer und die Finanzierung umstritten. Grossbritannien’s liberaldemokratischer Wirtschaftsminister Vince Cable schlägt eine Akademikersteuer anstelle von Studiengebühren vor. Diese Steuer würde von Universitätsabgängern ab ihrem Eintritt ins Erwerbsleben bezahlt. Spontan fällt mir da nur ein, dass es eine solche eigentlich schon gibt – die normale Einkommenssteuer. Eine Akademikersteuer verringert den Anreiz zu einer Hochschulbildung. Um die Steuer zu umgehen, könnten Absolventen auswandern („brain drain“). Das nationale Bildungsniveau wäre tiefer. Was halten Sie davon?

Batz wird 100

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

dies ist der 100. Batz-Beitrag.

Beiträge geschrieben haben die drei Batz-Gründer Monika Bütler (43), Urs Birchler (32) und Marius Brülhart (8), sowie: Lukas Schwank (6), Gebhard Kirchgässner (3), Marc Chesney (2), Uwe Sunde (2), James Davis (1), Christine Hirszowicz (1) , Inke Nyborg (1) und Mark Schelker (1).

Wir danken Ihnen für Ihr Interesse und hoffen, dass Sie uns weiterhin treu bleiben.

Wir haben drei Bitten:

– Schicken Sie uns Themen, die Sie gerne behandelt haben möchten, interessante Links und andere Hinweise. Vielleicht wird daraus ja ein Beitrag. Email

– Schreiben Sie Kommentare. Wirtschaftspolitische Themen sind kontrovers (George Bernard Shaw hat ja gesagt: „If all economists were laid end to end, they would not reach a conclusion.”). Interaktionen mit und zwischen Leserinnen und Lesern machen diesen Blog interessant.

– Machen Sie Werbung für Batz. Erzählen Sie Ihrem Freundes- und Bekanntenkreis und Ihren Arbeitskollegen davon. Verlinken Sie uns auf Ihrer Webseite.

Herzlichen Dank!

Bücher zur Finanzkrise

Im Beitrag zur ökonomischen Sommerlektüre versprach ich Literatur zur Finanzkrise. Da ich den Grossteil selber nicht gelesen habe, lasse ich die Bücher unkommentiert. Es ist ein Überblick und soll Ihnen eine erste Orientierungshilfe sein (viele Bücher sind auch auf Deutsch übersetzt worden). Ergänzen Sie die Liste mit Kommentarbeiträgen!

Für diejenigen, die es lieber kurz haben: Hier eine lehrreiche und unterhaltsame Präsentation zur Finanzkrise von Paul Embrechts (Direktor vom RiskLab ETH; gehalten am diesjährigen International Pension Workshop von Netspar)

Eine hilfreiche Webapplikation ist „Read it Later“: Mit ihr können Webseiten gespeichert werden, die man später lesen möchte (Dank geht an einen Kollegen für den Hinweis).

2010

“Fault Lines: How Hidden Fractures Still Threaten the World Economy” von Raghuram Rajan

“Crisis Economics: A Crash Course in The Future of Finance” von Nouriel Roubini und Stephen Mihm Lesen Sie bitte hier weiter

Vom Versuch zu Investieren

Als 17-Jähriger habe ich das erste selbstverdiente Geld, das ich als Tierpfleger in der Novartis und als Migros-Mitarbeiter verdient habe, investiert – den Lohn von der Migros in meine erste Reise ohne Eltern mit Freunden nach Holland (eine sehr lohnende Investition!) und das Geld der Novartis in einen Aktienfonds (weniger lohnend, wie Sie gleich sehen werden). Seitdem habe ich jeden Monat 25 Franken in diesen Fonds einbezahlt.

Der Fonds hiess „Profitline“ (!) und war von der Swiss Life. Bald wurde er von einer Tochter der AIG übernommen (des amerikanischen Versicherungsriesen, der von der US-Regierung im September 2008 gerettet werden musste). Die jetzige Station dieser Odysee ist die schweizerische Bank bankzweiplus. Bankzweiplus informierte mich, dass mein Fonds „zu vorteilhaften Konditionen weitergeführt wird“.  Ferner wurde mir geschrieben, dass „auf [ehemaligen] Anlagefonds der AIG weiterhin keine Depotgebühren erhoben werden“.  Im Januar 2010 teilte mir bankzweiplus mit, dass ich doch bitte „den neuen Gebührentarif“ auf ihrer Webseite beachten soll. Bald merkte ich beim Lesen des Bankauszuges, was das für mich heisst: Jedes Jahr Mindestdepotgebühren von 80.72 Franken. Dazu kommen noch die Kommissionen. Bei meinem geringen Investitionsvolumen lohnt sich das natürlich nicht. Der angerufene Kundenberater der bankzweiplus hat mich allerdings nicht auf die geringe Rendite  aufmerksam gemacht und riet mir nicht zu einem Verkauf.  Mir bleibt aber nichts anderes übrig als mein Fondsvermögen aufzulösen in einem schlechten Marktumfeld – obwohl ich den Fond doch langfristig halten wollte. Der Verkauf kostet natürlich auch was – 50 Franken. Lesen Sie bitte hier weiter

Zum Stand der ökonomischen Forschung und Lehre

Die Finanzkrise hat die Defizite der heutigen Forschung in Volkswirtschaftslehre und „Finance“ offengelegt. Nur wenige Ökonomen haben vor dem jetzt eingetretenen Szenario gewarnt (z.B. Raghuram Rajan oder der umstrittene Nouriel Roubini; aber auch andere unbekanntere wie Harry Makropolos, welcher im Jahr 2005 (!) der amerikanischen Aufsichtsbehörde SEC geschrieben hat, dass Madoff ein Ponzi-Schema aufbaut). Dieses „Unwissen“ widerspiegelt sich im ökonomischen Curriculum, wie es an den meisten Universitäten gelehrt wird. Ein Student, der z.B. Gregory Mankiw’s Bestseller-Lehrbuch liest, versteht die Mechanismen der jetzigen Situation nicht. Natürlich braucht es Zeit,  bis neuere Forschung geschrieben ist und sich in der Lehre wiederfindet, aber doch illustriert es, dass mehrere „Fault Lines“ (neues Buch von Rajan über die Finanzkrise) in der heutigen ökonomischen Forschung und Lehre existieren.

 Standardisierung der ökonomischen Lehre (und Forschung?) ist ein erstes (kleineres) Problemfeld. Es wäre interessant, zu wissen, wie hoch der Marktanteil von Mankiw’s Buch ist (sehr hoch). Die meisten Programme sind heute austauschbar geworden. Ob ich z.B. in Lausanne oder in Boston studiere, es werden die gleichen Textbücher und Curricula verwendet. Das Internet fördert dies zusätzlich mittels „Plagiarismus“ – ein Dozent nimmt z.B. Übungen von einem anderen Kurs. In Bezug auf das Lernen von „technischen“ Fähigkeiten ist das eine positive Entwicklung (race-to-the-top – es werden dafür die besten Textbücher und Übungen verwendet)  und auch aus Sicht von positiven Skaleneffekten erwünscht (das Rad muss nicht immer wieder neu erfunden werden – allgemein akzeptierte Theorie muss nicht neu geschrieben werden). Ich würde auch nie soweit gehen und behaupten, dass damit ein „homo oeconomicus“ gezüchtet wird, aber die Gefahr besteht, dass Originalität und die innovative Schaffenskraft darunter leidet. Lesen Sie bitte hier weiter

Tipps für die (ökonomische) Sommerlektüre

Der Hochsommer ist zwar vorbei, aber Batz präsentiert dennoch Tipps für die Sommerlektüre – über den ökonomischen Tellerrand hinaus.  Aktuelle Bücher fehlen – Rezensionen zu ihnen sind in anderen Medien zu finden und Nutzenmaximierer warten, bis die Taschenbuchausgabe erscheint – ausser bei wirklichen Trouvaillen (eine solche wäre z.B.  „This Time is Different“ von Reinhart & Rogoff). Die Tipps sind unvollständig (es gibt zu viele gute Bücher). Bücher zur Finanzkrise brauchen einen speziellen Eintrag.

„The Holy Grail of Macroeconomics – Lessons from Japan’s Great Recession“ von Richard C. Koo (2009):

In Hochachtung zu den Batz-Gründern Monika Bütler und Urs Birchler, die ihre wohlverdienten Ferien im Land der aufgehenden Sonne verbringen. Koo analysiert Japan’s grosse Rezession (1990 – 2005), argumentiert, dass nicht strukturelle Probleme der japanischen Wirtschaft (Krugman), sondern Bilanzsummen-Ungleichgewichte Japan’s verlorenes Jahrzehnt erklären. Nach dem Preisturz am Aktien- und Immobilienmarkt investierten die Firmen trotz niedrigen (negativen) Realzinsen nicht, sondern zahlten ihre Schulden zurück, um ihre Bilanzsummen in Ordnung zu bringen. Er stellt Japan’s Situation in den Kontext der grossen Wirtschaftskrise der 1930er Jahre und zieht daraus Schlüsse für die derzeitige Finanzkrise.  Koo’s Plädoyer für den Einsatz von Fiskalpolitik ist aktuell in der Diskussion um Staatsverschuldung und Defizitfinanzierung.

„The Myth of the Rational Voter – why democracies choose bad policies“ von Bryan Caplan (2007):

Demokratie garantiert nicht die Annahme von Gesetzen, die im Interesse der gesamten Volkswirtschaft sind. Zwei Gründe sind Sonderinteressen von einflussreichen Gruppierungen (Lobbying) und die Unwissenheit der Wählerschaft. Caplan nennt einen dritten: Wähler sind nicht nur unwissend, sondern auch irrational. Sie verstehen die ökonomischen Grundprinzipien nicht. Weit verbreiteter Irrglauben existiert in vier Bereichen der Wirtschaftspolitik 1) Anti-Market-Bias: Die Leute verstehen das Konzept der „unsichtbaren Hand“ des Marktes nicht. Die Verfolgung von privaten Interessen liegt oftmals im öffentlichen interesse. Lesen Sie bitte hier weiter

Krankenversicherung – einfach erklärt

Im Rahmen eines Projektes für die iconomix-Plattform der Schweizerischen Nationalbank, schreibt unser Lehrstuhl drei Fallstudien über Sozialversicherungen. Iconomix hat zum Ziel, einen Beitrag zur Verbesserung der ökonomischen Grundausbildung der schweizerischen Bevölkerung, insbesondere von Schülerinnen und Schülern, zu leisten.

Lesen Sie hier die Fallstudie zur Gesundheitsversicherung (Entwurf). Die Anschlussfragen sind integraler Bestandteil des Textes. Testen Sie sich doch mal selber. Der Text ist so geschrieben, dass ihn Schülerinnen und Schüler verstehen. Kommentare und Verbesserungsvorschläge sind erwünscht.

Hier ein guter Werbespot einer deutschen Versicherung mit dem Slogan „Hört doch auf, mich zu verunsichern, und fangt endlich an, mich zu versichern“.

Beim Schreiben dieser Fallstudie wurde mir wieder einmal bewusst, wie schlecht die Datengrundlage und wie schwierig der Datenzugang zu Gesundheitsthemen / Krankenkassen ist (einen Überblick dazu gibt diese Publikation). Wie viele Versicherte wechseln jedes Jahr ihre Krankenkasse? Wie hoch ist der prozentuale Anteil der teuersten 20 Prozent an den Gesundheitsausgaben? Wie viele MRI-Maschinen gibt es in der Schweiz? Zwar gibt es den Datenpool von Santésuisse  (Dachverband der Krankenkassen), aber eine Erlaubnis zur Dateneinsicht zu erhalten, ist aufwendig und nicht einfach möglich. Kennzahlen zum schweizerischen Gesundheitswesen finden sich auch beim Bundesamt für Statistik, reichen aber oftmals nicht aus. Natürlich sind die Grenzen des Datenschutzes zu beachten, aber dafür gibt es Lösungen. Die Bevölkerung hat ein Anrecht, die Statistiken der Grundversicherung zu kennen. Schliesslich liefern letztere die Entscheidungsgrundlage für Reformen des schweizerischen Gesundheitswesens.  Und da gibt es Handlungsbedarf.

Wie wichtig ist der Finanzsektor?

In einem interessanten Buchkapitel* (mit exzellenten Grafiken) argumentiert Andrew Haldane – der Geschäftsführer für Finanzstabilität der Bank von England – , dass der volkswirtschaftliche Beitrag der Banken überschätzt wird und die jüngsten Gewinne weniger ein Wunder als viel mehr eine Fata Morgana sind. 

Die Bruttowertschöpfung des Bankensektors wird üblicherweise berechnet als Differenz zwischen dem effektiven Zinssatz und einem Referenzzinssatz, multipliziert mit ausstehenden Forderungen. Nach Haldane widergibt dies ein falsches Bild, da diese Definition die reine Risikoübernahme als Wertschöpfung betrachtet und nicht risiko-bereinigt ist. Der wahre Beitrag des Finanzsektors für eine Volkswirtschaft  ist die akkurate Bewertung und Bepreisung von Kredit- und Liquiditätsrisiken. In diesem Bereich haben viele Banken schlecht abgeschnitten.

Die üblichen Schätzungen zeigen auch ein überdurchschnittlich hohes Produktivitätswachstum des Bankensektors über die letzten 20 Jahre.  Dies widerspiegelt sich in gestiegenen Löhnen und Eigenkapitalrenditen. Haldane erklärt dies damit, dass Banken höhere Risiken eingegangen sind. Nicht nur die Bruttowertschöpfung, sondern auch die Gewinne der Banken erschienen rosig aufgrund einer Falschbemessung von Risiko.

Was bis vor wenigen Jahren eine sprudelnde Geldquelle zu sein schien, erweist sich im Nachhinein zumindest teilweise als Fata Morgana. 

Ich danke Urs für seinen Tipp. Haldane’s Artikel wird auch in der Buttonwood-Kolumne im Economist besprochen.

* Erscheint im Buch „The Future of Finance: The LSE report“.