Tipps für die (ökonomische) Sommerlektüre

Der Hochsommer ist zwar vorbei, aber Batz präsentiert dennoch Tipps für die Sommerlektüre – über den ökonomischen Tellerrand hinaus.  Aktuelle Bücher fehlen – Rezensionen zu ihnen sind in anderen Medien zu finden und Nutzenmaximierer warten, bis die Taschenbuchausgabe erscheint – ausser bei wirklichen Trouvaillen (eine solche wäre z.B.  „This Time is Different“ von Reinhart & Rogoff). Die Tipps sind unvollständig (es gibt zu viele gute Bücher). Bücher zur Finanzkrise brauchen einen speziellen Eintrag.

„The Holy Grail of Macroeconomics – Lessons from Japan’s Great Recession“ von Richard C. Koo (2009):

In Hochachtung zu den Batz-Gründern Monika Bütler und Urs Birchler, die ihre wohlverdienten Ferien im Land der aufgehenden Sonne verbringen. Koo analysiert Japan’s grosse Rezession (1990 – 2005), argumentiert, dass nicht strukturelle Probleme der japanischen Wirtschaft (Krugman), sondern Bilanzsummen-Ungleichgewichte Japan’s verlorenes Jahrzehnt erklären. Nach dem Preisturz am Aktien- und Immobilienmarkt investierten die Firmen trotz niedrigen (negativen) Realzinsen nicht, sondern zahlten ihre Schulden zurück, um ihre Bilanzsummen in Ordnung zu bringen. Er stellt Japan’s Situation in den Kontext der grossen Wirtschaftskrise der 1930er Jahre und zieht daraus Schlüsse für die derzeitige Finanzkrise.  Koo’s Plädoyer für den Einsatz von Fiskalpolitik ist aktuell in der Diskussion um Staatsverschuldung und Defizitfinanzierung.

„The Myth of the Rational Voter – why democracies choose bad policies“ von Bryan Caplan (2007):

Demokratie garantiert nicht die Annahme von Gesetzen, die im Interesse der gesamten Volkswirtschaft sind. Zwei Gründe sind Sonderinteressen von einflussreichen Gruppierungen (Lobbying) und die Unwissenheit der Wählerschaft. Caplan nennt einen dritten: Wähler sind nicht nur unwissend, sondern auch irrational. Sie verstehen die ökonomischen Grundprinzipien nicht. Weit verbreiteter Irrglauben existiert in vier Bereichen der Wirtschaftspolitik 1) Anti-Market-Bias: Die Leute verstehen das Konzept der „unsichtbaren Hand“ des Marktes nicht. Die Verfolgung von privaten Interessen liegt oftmals im öffentlichen interesse. 2) Anti-Ausländer-Bias: Freihandel und Immigration wird abgelehnt. Dabei bringt Interaktion mit Ausländern wirtschaftlichen Nutzen und ist für eine Gesellschaft befruchtend. 3) Make-work-Bias: Annahme, dass wirtschaftliches Wohlergehen auf Erwerbstätigkeit und nicht auf effizienter Produktion beruht. Wirtschaftswachstum kommt von Produktivitätszuwachs. Strukturwandel führt zur temporären Freilegung von Jobs, gleichzeitig werden neue kreiert, die sozial wertvoller sind. 4) Pessimismus-Bias: Die guten alten Zeiten waren schon immer besser. Doch in Wahrheit ist der Lebensstandard heute viel höher – und steigt weiter. Caplan liefert mit einem interessanten Datensatz überzeugende Argumente, dass Ökonomie nicht ein Mittel ist, um ein ideologisches Programm zu verfolgen. Im Gegensatz zur populären Auffassung (ein weiterer Irrglaube!) beschäftigen sich Ökonomen am meisten mit Marktversagen (öffentliche Güter, Externalitäten, Monopol, unvollständige Konkurrenz…). Er plädiert dafür, mehr auf Märkte und weniger auf Demokratie zu setzen. Und für Wissenschafter hat er einen Tipp: Mit einem Buch hat man manchmal mehr Einfluss als mit einem Journal-Artikel.

„Stumbling on Happiness“ von Daniel Gilbert (2007):

Wissen Sie, was Sie glücklich macht? Der Psychologe Gilbert zeigt in diesem Buch über Kognitionswissenschaft, dass Sie meinen es zu wissen, sich aber immer wieder irren (und das ist generell besser für unsere mentale Gesundheit). Er unterlegt sein Argument mit vielen Studien, ist ein brillanter Schreiber und witziger Unterhalter. Z.B:

„When we have an experience…on successive occassions, we quickly begin to adapt to it, and the experience yields less pleasure each time. Psychologists calls this habituation, economists call it declining marginal utility, and the rest of us marriage.”

Der Mensch ist das einzige Tier, das an die Zukunft denkt und sie planen kann. Wir können aber nicht voraussagen, was uns glücklich macht, weil wir uns verändern (machen Sie deshalb kein Tattoo von ihrer Jugendliebe). Ereignisse, auf die wir uns riesig freuen, machen uns am Ende oft weniger glücklich, als wir dachten. Retrospektiv beurteilen wir die Vergangenheit falsch – unangenehme  Dinge erscheinen weniger unangenehm (deshalb z.B. bekommen Frauen ein zweites Kind; im Übrigen: Kinder machen Sie weniger glücklich, als Sie denken – und wirken wie Heroin).

Einen Gilbert wünschen Sie sich an jeder Abendeinladung. Hier ein Interview mit ihm.

„Atlas Shrugged“ von Ayn Rand (1957):

Dieser Roman  – nach Sten Nadolny, Autor von „Die Entdeckung der Langsamkeit„, ein Ziegelstein und Schlachtschiff – hat bei amazon.com mehr Besprechungen als die Bibel (2‘110)  und ist nach einer Umfrage vom Library of Congress (1991) in Amerika neben der Heiligen Schrift das nächste Buch mit dem grössten Einfluss auf das Leben seiner Leserschaft– in Europa ist es weniger einflussreich und bekannt. Seit der Finanzkrise (und den vielen Staatseingriffen) hat er ein Revival erfahren und verkauft sich (wieder) wie warme Brötchen (englischsprachige Ausgabe im 2007: 185’000 verkaufte Exemplare; weltweit hat es sich total in zweistelliger Millionenhöhe verkauft). Ayn Rand setzt sich darin für einen strikten „laisser-faire“-Kapitalismus ein und präsentiert eine antikommunistische, antigewerkschaftliche, antibürokratische und antialtruistische Botschaft. Entrepreneure und produktive Kräfte werden vom (parasitären) Kollektiv ausgebeutet – durch die Hilfe einer Garde von Politikern. Würde man die produktiven, schöpferischen Unternehmer in Ruhe und Freiheit arbeiten lassen, würde das Land prosperieren. Was würde passieren, wenn die Wertschöpfer in einen Streik treten? Rand’s Leitmotiv: „I swear by my life and my love of it that I will never live for the sake of another man, nor ask a man to live for mine.”  Sie entwickelt eine krude Philosophie (Ideologie) namens Objektivismus und die Romanfiguren sind flach gezeichnet, aber nur wenige können sich der Anziehungskraft dieses Buches widersetzen. Der ehemalige amerikanische Notenbankchef Alan Greenspan war einer von Rand’s Anhängern. „Who is John Galt?“

„Presentation Zen Design – Simple design techniques to enhance your presentations“ von Garr Reynolds (2009):

Tod durch Power-Point, Slides voller Text und Nummerierungspunkte – das muss nicht sein. Garr Reynolds zeigt (auf sehr amerikanische Weise), wie man interessante Präsentationen macht und Power Point richtig nutzt.

The Wages of Destruction: The making and breaking of the Nazi economy” von Adam Tooze (2008):

Bücher und Fernsehsendungen über das Dritte Reich sind inflationär und häufig schlecht (obwohl die Welle langsam abklingt) – bei Büchern zur Finanzkrise erleben wir dasselbe. Dieses Buch ist aber ein Stück brillante Wirtschaftsgeschichte und füllt eine Lücke.

„Schrumpfende Gesellschaft – vom Bevölkerungsrückgang und seinen Folgen“ von Franz-Xaver Kaufmann (2005):

Das Altern und der Rückgang der Bevölkerung in vielen Industrienationen sind hochaktuell. Der Soziologe Kaufmann legt ein Referenzwerk vor.

„Ökonomie 2.0 – 99 überraschende Erkenntnisse“ von Norbert Häring und Olaf Storbeck (2007):

In diesem Buch wird (mehr oder weniger) aktuelle Forschung der Wirtschaftswissenschaften präsentiert. Der Überblick ist zwar selektiv, aber lesenswert und gut verständlich. Es ist in gewissem Sinne die deutsche Antwort auf die amerikanischen PopEcon-Bücher (à la Freakonomics) – wer es mag, mag es, wer nicht, nicht.

„Deutsch für Profis – Wege zu gutem Stil“ von Wolf Schneider (2001)

Dieses Buch ist empfehlenswert, wenn man seinen deutschen Schreibstil verbessern will. Störend sind allein die besserwisserische Art und die ständigen Seitenhiebe gegen den „Spiegel“ (der Autor war Leiter der Hamburger „Stern“-Journalistenschule). Die anderen Bücher von Wolf Schneider kenne ich nicht (ob diese Sequels  wie so oft nicht das Original herankommen, sondern vor allem Cash Cows sind?).

„Reckoning with Risk – Living in world with uncertainty“ von Gerd Gigerenzer (2003):

Statistik und Wahrscheinlichkeitsrechnung  stellt viele vor Probleme und wird häufig missbraucht – in einer Welt der Unsicherheit ist ein Verständnis davon aber immer wichtiger. Gigerenzer präsentiert dies überzeugend und liefert viele reale Beispiele (vor allem aus der Medizin). Bevor Sie sich als Frau für eine Mammografie entscheiden, lesen Sie dieses Buch – aber auch sonst.

An Buchverlage: Wenn sie uns Bücher im Themenbereich Volkswirtschaftslehre (weit gefasst) zusenden (auch Lehrbücher, Romane), schreiben wir für Sie hier eine Rezension (inkl. Verklinkung zu ihrer Seite; Adresse: SEW-HSG, zuhanden Lukas Schwank). Für das Ergebnis garantieren wir natürlich nicht.

Wir freuen uns auch über Büchertipps von Leserinnen und Lesern!

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