Urs Birchler
Inke Nyborg hat mir einen tollen Link geschickt: Live-Übertragung einer Konferenz zur Sanierung von Banken, die mit erstklassigen Referenten in Reykjavik stattfindet.
Urs Birchler
Inke Nyborg hat mir einen tollen Link geschickt: Live-Übertragung einer Konferenz zur Sanierung von Banken, die mit erstklassigen Referenten in Reykjavik stattfindet.
Urs Birchler
Das am Euro-Gipfel geschnürte Massnahmenpaket ist ein Zauberkasten mit tollen Tricks.
Trick 1 ist die Hebelung des Stabilitätsfonds. Darüber muss ich nichts schreiben; der brilliante Artikel von Manuel Ammann in der jüngsten Ausgabe der Sonntagszeitungsagt alles. Für Eilige: Die Hebelung bewirkt, dass der EFSF statt dem durchschnittlichen Risiko aufeinem Kredit von 100 Euro die ersten (d.h. die wahrscheinlichsten) zehn Prozent Verlust auf 1000 Euro kauft. Der EFSF wird damit zu einem Kreditversicherer (der schlechtesten Risiken).
Trick 2 ist der Schuldendeal mit Griechenland. Griechenland erklärt nicht etwa seine Zahlungsunfähigkeit. Die Gläubiger verzichten „freiwillig“. Analogie: Der Gast im Restaurant hat zwei Tassen Kaffe getrunken, hat aber nur Geld für eine. Um dem Gast die Schmach zu ersparen, verrechnet der Kellner nur einen Kaffee. Weshalb diese Höflichkeit seitens der Gläubiger Griechenlands? Ein offizieller „default“ durch Griechenland hätte sämtliche Kreditversicherungen für griechische Anleihen ausgelöst. Solche Versicherungen werden meist in Form sogenannter „credit default swaps“ abgeschlossen (lesenswert dazu der Wikipedia-Artikel). Ein CDS ist im Prinzip einfach: A zahlt B eine Prämie, B zahlt A einen vereinbarten Betrag, wenn z.B. Griechenland nicht zahlt. Betrogen sind durch den „freiwilligen“ Verzicht der griechischen Gläubiger also alle, die sich gegen einen griechischen Default gewappnet und (zunehmend teure) CDS gekauft haben. Beglückt werden die Verkäufer dieser Versicherungen sein. Sie sind offenbar Too-big-to-fail oder Too-beautiful-to-suffer.
Trick 1, die Kreditversicherung auf dem gehebelten Betrag, enspricht im Grunde einem geschriebenen (leer verkauften) CDS. Sonst liebt die EU diese „naked CDS“ nicht. Vor gut einer Woche beschloss sie ein Verbot solcher Transaktionen. Mit Trick 2 wird sie diesen Markt nun wohl ohnehin trockenlegen (siehe dazu die gestrige Financial Times): Wer soll eine Versicherung kaufen, wenn das Auto nie in den Baum fährt, sondern immer der Baum ins Auto? Das scheint aber gerade der Zweck: Die (hohen) CDS-Prämien sind der böse Bote, der der ganzen Welt die Schuldenprobleme der EU-Staaten verkündet hat. Nicht überlegt hat sich die EU: Wer kauft ein Auto, wenn niemand eine Versicherung anbietet? Das heisst: Wer gibt den gefährdeten Staaten Kredit, wenn keine Absicherunginstrumente erhältlich sind? Und wie soll jemand, der an Italien glaubt, seine Meinung im Markt einbringen können, wenn das notwendige Instrument (ein naked CDS) verboten oder unmöglich gemacht wird? Die Zeche für den Trick werden die Schuldnerstaaten bezahlen.
Fazit: Probleme werden mit Konzepten gelöst, nicht mit Tricks.
Urs Birchler
Nach neuesten Berichten sollen die europäischen Banken zusätzliche Eigenmittel aufnehmen, vor allem um gegen einen Abschreiber auf griechischen Anleihen gewappnet zu sein. Dies tönt auf den ersten Blick plausibel. Ich habe immer weder für höhere Eigenmittel plädiert.
Nur — das Rezept stammt wieder aus der Hexenküche der europäischen Politik und ist ist von Anfang an vergiftet.
Vollends verquer ist die Koppelung der Eigenmittelanforderungen an die Bereitschaft der Banken, griechische Schulden zu erlassen. Es gibt weiss Gott vieles zu verhandeln dieser Tage. Aber eines braucht nicht verhandelt zu werden: Der griechische Schuldenschnitt. Den kann Griechenland einseitig deklarieren. Nur ist das nicht attraktiv, solange Geld aus Europa zufliesst.
Aleksander Berentsen
Anmerkung: Der folgende Artikel erschien am 11. Oktober in der Basler Zeitung.
Heute habe ich die Ehre, den ersten Preis für die unsinnigste Initiative des Jahrzehnts zu vergeben. Sie geht an die sogenannte „Ravioli-Initiative“.
Vielleicht werden Sie sich fragen, wie man einen solchen Preis bereits im ersten Jahr des neuen Jahrzehnts vergeben kann? Nun, ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass in den kommenden Neun Jahren eine Initiative lanciert wird, welche die „Ravioli-Initiative“ vom Thron stossen könnte.
Sie haben vielleicht schon erraten, wovon die Rede ist. Von der Initiative „Rettet unser Schweizer Gold (Gold-Initiative)“, welche im September 2011 von verschiedenen SVP-Exponenten lanciert wurde. Was hat diese Initiative mit Ravioli zu tun? Der Grund liegt in den Forderungen, die von der Initiative aufgestellt werden. Diese lauten wie folgt:
Erstens, die Goldreserven der Schweizerischen Nationalbank sind unverkäuflich.
Zweitens, die Goldreserven der Schweizerischen Nationalbank sind in der Schweiz zu lagern.
Drittens, die Schweizerische Nationalbank hat ihre Aktiven zu einem wesentlichen Teil in Gold zu halten. Der Goldanteil darf zwanzig Prozent nicht unterschreiten.
Die Goldreserven der Schweizerischen Nationalbank sollen also unverkäuflich werden. Lassen sie mich in Alltagssprache übersetzen, was diese Forderung bedeutet. Als Vorstand Ihres Haushalts beschliessen Sie, einen Notvorrat an speziellen, nie verderbenden Ravioli anzulegen. Sie tun das, weil sie nicht naiv sind und wissen, dass auf gute Zeiten auch schlechte folgen können. Ein Vorrat an Ravioli (und Mineralwasser) wird Ihnen im schlimmsten Fall das Überleben für ein paar Wochen garantieren.
Im Verlauf der Zeit entdecken Sie, dass Sie ab und zu eine Ravioli-Büchse öffnen und essen, obwohl keine Not besteht. Sie waren vielleicht einfach zu faul zum einkaufen oder die Zeiten waren derart lange so gut, dass Sie Ihren Vorrat inzwischen als zu gross einschätzen.
Trotzdem macht Ihnen der Schwund ihrer Ravioli Sorgen und Sie
beschliessen: Ab sofort wird nie wieder eine dieser Büchsen aufgemacht!
Diese Forderung schreiben Sie in Ihre Haushaltsverfassung und stellen sicher, dass der Grundsatz niemals umgestossen werden kann. (Wie Sie das wirklich sicher stellen können ist eine andere Frage, aber ich könnte Ihnen in meiner Spieltheorievorlesung ein paar Tipps geben.)
Die Jahre verstreichen, es folgen bessere und schlechtere Zeiten. Bisher bestand kein Grund, sich an Ihren Ravioli-Beständen zu vergreifen. Doch eines Tages tritt der Notfall ein: keine Nahrung weit und breit, die Welt ist in der Krise. Sie leiden Hunger und würden gerne an ihren Vorrat. Doch leider verbietet Ihnen der Ravioli-Artikel in Ihrer Verfassung den Zugriff. Sie werden mager und immer schwächer und schliesslich sterben Sie in Ihrem Keller, direkt vor dem prallgefüllten Lager an köstlichen Ravioli.
Jeder Mensch und erst recht jeder echte SVP-Schweizer weiss intuitiv, dass Ihre Ravioli-Initiative unsinnig war. Einen Notvorrat legt man an, weil die Absicht besteht, im Notfall auf ihn zurückzugreifen. Wie kommen die Initianten also darauf, einen solchen Unsinn zu fordern? Dazu muss man die Geschichte der Goldverkäufe der Schweizerischen Nationalbank kennen. Zurzeit besitzt sie noch 1040 Tonnen an Goldreserven. Im Verlauf der letzen 10 Jahre hat sie 1550 Tonnen verkauft allein in den Jahren
2000-2005 waren es 1300 Tonnen. Dieser Verkauf stand im Zusammenhang mit der Aufhebung der Goldbindung des Schweizer Frankens.
Die Initianten begründen Ihre Initiative mit eben diesen Verkäufen. Auch ich betrachte sie aus heutiger Sicht als einen Fehler. Im Nachhinein war das Timing falsch, weil ein grosser Teil der Bestände zu einem sehr niedrigen Preis veräussert wurde. Zudem lassen die Finanzkrise von 2007/2008 und die heute schwelende Schuldenkrise vermuten, dass die Bilanz der SNB heute besser da stünde, hätte sie damals nicht verkauft.
Aber im Nachhinein sind wir immer schlauer. Ende der 90er Jahre, als die Goldverkäufe beschlossen wurden, sah die Welt ganz anders aus. Die Ökonomen sprachen von „the great moderation“. Damit beschrieben sie den statistisch beobachtbaren Umstand, dass seit den 80er Jahren wirtschaftliche Krisen in hochentwickelten Volkswirtschaften milder ausfielen und seltener auftraten als früher. Zudem sass die Nationalbank auf Goldreserven, welche im Vergleich mit anderen Ländern äusserst hoch waren. Beide Umstände legten damals nahe, die Reserven an Gold (Ravioli) abzubauen.
Auch wenn man wegen den unglücklichen Goldverkäufen Sympathien für die Initiative entwickeln kann, sie ist fehl am Platz und kontraproduktiv.
Sie verbietet nicht nur, im Notfall auf die Reserven zurück zu greifen, sie schränkt die Anlage- und Geldpolitik der Schweizerischen Nationalbank durch ihre restriktive Vorgabe auch viel zu stark ein. Bei einer Annahme würde die Nationalbank einen Teil ihrer Unabhängigkeit verlieren, was allen Erkenntnissen der modernen wirtschaftswissenschaftlichen Forschung zuwider läuft. Diese zeigt nämlich, genau wie die praktische Erfahrung, dass die Unabhängigkeit der Zentralbank unabdingbar ist für eine erfolgreiche Währung und somit für eine florierende Volkswirtschaft.
Unabhängigkeit bedeutet, die Schweizerische Nationalbank vor dem direkten Zugriff der Politik zu schützen. Oder wollen Sie tatsächlich, dass die Herren Reimann, Schlüer und Stamm die Politik unserer Nationalbank bestimmen? Diese Herren präsidieren das Initiativkomitee der neuen Goldinitiative, welche gerade den ersten Preis für die unsinnigste Initiative des Jahrzehnts erhalten hat
Urs Birchler
Gestern hat mich der Blick zu Dexia und zur europäischen Bankenkrise befragt (in der online-Version hier).
Gerne hätte ich auch gesagt: Bei der Sanierung der Bank Dexia sollen jetzt einmal die Aktionäre bluten, nicht immer nur der Staat (d.h. die Steuerzahler). Aber leider: Dexia gehört (wie das aus dem Geschäftsbericht 2010 entnommene Diagramm zeigt) schon zur Hälfte staatlichen oder staatsnahen Institutionen. Zu den direkten Beteiligungen der Staaten (in der Grafik hellblau) kommen jene der staatlichen Institutionen Caisse des Dépôts et Consignations und Holding Communal (Anlage von Spargeldern und Pensionsfonds sowie Gemeinefinanzierung). Je ein Viertel entfällt ferner auf Genossenschaften, Versicherungen und auf übrige (zum Teil institutionelle) Anleger.
Bei einer Enteignung der Aktionäre hätte der Staat also zur Hälfte ins eigene Fleisch geschnitten und zur andern Hälfte in das „schützenswerter“ Anleger. Kein Wunder kommt hier die Marktwirtschaft (mit Verantwortung der Eigner) unter die Räder …
Monika Bütler
Dass es nicht ganz einfach ist, die Entscheidung aus
Stockholm zu antizipieren, ist verständlich. Aber die letzten zwei Jahre
präsent zu haben, sollte im Vorfeld der Wahl keine Hexerei sein. Dennoch meldet
Reuters froh:
„Im vergangenen Jahr wurden zwei Amerikaner und eine in Zypern geborene Britin für ihre Verdienste um die Arbeitsmarktforschung geehrt.“
Die in Zypern geboren Britin heisst Christopher Pissarides und der schien mir bei der letzten Begegnung ziemlich männlich. Bei der weiblichen Nobelpreisträgerin handelt es sich um Elinor Ostrom, welchen den Preis im Jahr zuvor erhalten hatte.
Die Agenturmeldung von Reuters wurde von vielen Zeitungen, selbst von der NZZ ungelesen übernommen.
Zu guter Letzt: herzliche Gratulation an Thomas Sargent (männlich) und Christopher Sims (männlich), sie haben den Preis hoch verdient!
Folgen Sie der Vergabe des Nobelpreises für Wirtschaftswissenschaften live auf batz.ch. Die Bekanntgabe ist auf 13:00 vorgesehen.
Monika Bütler
Wie alle Teenager wollte ich ab und zu meine Eltern ärgern. Dies gelang mit einem einfachen Rezept. Ich sagte ihnen abwechselnd, dass ich Ethnologie oder Japanologie oder Psychologie studieren möchte. Für meine Eltern war die akademische Welt schon weit genug weg, aber wenn schon unbedingt studieren, dann etwas „nützlicheres“. Mein Interesse an den drei genannten Fächern blieb auch im Mathematik- und Physikstudium. Japanologie hätte ich sogar als zweites Nebenfach abgeschlossen, wäre ich nicht an der damals noch existierenden Lateinhürde gescheitert.
Mit meinem Interesse auch für Geistes- und Sozialwissenschaften bin ich wohl eine ziemlich normale Vertreterin der Natur- und Ingenieurwissenschaften, auch wenn ich später in die Wirtschaftswissenschaften gewechselt bin. Umso mehr ärgert es mich, welch schlechten Ruf die Absolventen naturwissenschaftlicher und technischer Studienrichtungen haben: Fachidioten, Nerds, usw. Die heutige Kolumne in der NZZ am Sonntag trug ich daher schon lange in Gedanken (und in einigen Notizen) mit mir rum. Letztlich hat mir der Aufsatz von Michael Furger in der NZZaS vom 18. September den notwendigen Tritt gegeben, diese Kolumne endlich aufzuschreiben.
Hier also die Kolumne:
„Wer nur „Nützliches“ studiert, bleibt ein armer Tropf“, stand vor drei Wochen in dieser Zeitung. Stimmt genau, dachte ich mir. Nicht ganz aus demselben Grund wie der Autor jenes Artikels, Michael Furger.
Und tatsächlich: Wer eine technische oder naturwissenschaftliche Ausbildung wählt, muss sich ab und zu als Trottel fühlen. Das Studium ist anspruchsvoll und zeitraubend. Auf dem Arbeitsmarkt ist der Ingenieur zwar hoch begehrt, aber nur mittelmässig bezahlt. Und wenn dies nicht schon genug wäre: Die Mathematikerin und der Naturwissenschaftler gelten auch noch als weltfremd, asozial und unattraktiv, der Informatiker als Berufs-Autist. Auf gut neudeutsch: als Fachidioten ohne Reflexions- und kulturelle Kompetenz.
Kein Wunder tun sich dies viele nicht mehr an. Weshalb sollten sie: Die Nützlichkeit des Fachs klebt Ihnen doch wie Dreck an den Fingern. Die aristokratische Verachtung nützlicher Tätigkeiten gegenüber der Kontemplation fasst auch in der republikanischen Schweiz Fuss. Eine Firma, die aus Mangel an Ingenieuren ins Ausland abwandert, erregt die Gemüter kaum. Dies paradoxerweise in einem Land, dessen wichtigste Rohstoffe Ausbildung und Forschung sind, und das in Naturwissenschaft und Technik zur internationalen Spitzengruppe gehört.
Wo steckt der Wurm? Wer sich etwas umhört merkt schnell: In breiten Kreisen gilt als cool, wer in Mathematik schlechte Noten hatte. Kein Mathematiker käme hingegen auf die Idee, sich mit ungenügenden Sprachkenntnissen zu brüsten.
Technische Fähigkeiten stehen schon in der Schule hinten an. Das Mathematik-Übungsblatt ist nur auf den zweiten Blick als solches zu erkennen. Addieren und Multiplizieren alleine geht nicht, die Rechnungen werden in Geschichten verpackt. Dagegen hätte ich grundsätzlich nichts, wären neben der sprachlich angereicherten Mathematik nicht ohnehin eine Mehrheit der Prüfungsleistungen in sprachlichen Fächern abzulegen. Einseitig mathematisch begabte Kinder haben es schwerer als einseitig sprachbegabte.
Dass die bedauernswerten Tröpfe mit nützlichen Studien kein zweckfreies Wissen besässen, ist natürlich Unfug. Dazu müssten sie nicht nur während der gesamten Gymnasialzeit tief geschlafen haben, sondern auch nachher. Die ETH verlangt von allen Student(inn)en Leistungen in Sozial- und Geisteswissenschaften. An der HSG müssen sogar 25% der Credits im (mehrheitlich geisteswissenschaftlichen) Kontextstudium absolviert werden, nicht zuletzt auf Kosten der technischeren Methodenfächer. Von den Phil-I Fakultäten wären mir entsprechende Anforderungen in technischen Disziplinen hingegen nicht bekannt.
Der Ruf nach ganzheitlicher Bildung ist deshalb eine Einbahnstrasse geblieben. Der Eindruck, dass Naturwissenschaften und Technik, aber auch Wirtschaftswissenschaften im humanistischen Bildungsideal zweitklassige Wissenschaften sind, schlägt sich in den Köpfen nieder. Dabei spielt es keine Rolle, dass es ohne Physiker beispielsweise weder Computer noch andere elektronische Geräte gäbe.
Niemand wünscht sich eine Welt, in der nur direkt nutzbares Wissen Platz hat. Das Nachdenken über die Folgen der heutigen Entwicklung, deren historische und sozialpolitische Einordnung ist wichtig. Nur müssen wir aufpassen, dass uns vor lauter Reflexion nicht genau die Leute ausgehen, welche die Grundlage für diese Reflexionen erst schaffen. Immerhin ist bis heute noch keine Firma aus Mangel an Sozial- und Geisteswissenschaftlern ins Ausland abgewandert.
Nach einem halben Jahrhundert darf man sich zum Geburtstag etwas Utopisches wünschen. So wünsche ich mir heute mehr gesellschaftliche Anerkennung für Naturwissenschaft und Technik. Den Menschen, die sich damit befassen, verdanken wir nicht nur unseren Wohlstand. Denn – Hand aufs Herz – von wem, wenn nicht von Atomphysikern, Biochemikern und anderen, haben wir denn unser Weltverständnis?
Eva Deuchert
(Anmerkung Monika Bütler: Aus aktuellem Anlass – Bekanntgabe der Nobelpreisträger in Ökonomie am 10. Oktober – hier ein Beitrag zu einem Thema, welches nicht direkt mit Schweizerischer Wirtschaftspolitik zu tun hat. Dafür umso mehr mit einem
für Entwicklungsländer, insbesondere in Afrika, höchst dringenden Problem. Und
indirekt hat der Beitrag durchaus eine Verbindung zur (Schweizerischen)
Wirtschaftspolitik, mit der Schwierigkeit nämlich Kosten und Nutzen einer
Massnahme zu beurteilen. Eva Deuchert ist Assistensprofessorin am Centre for
Disability and Integration und hat sich in eigenen Forschungsarbeiten mit der Verbreitung des HIV befasst.)
Ende September wurde von einem Experten-Panel der rethinkHIV Initiative eine Prioritätenliste zur Bekämpfung der HIV/AIDS Epidemie im südlichen Afrika
veröffentlicht. Das Expertenpanel besteht aus fünf renommierten Ökonomen, wie z.B. Edward C. Prescott (erhielt zusammen mit Finn E. Kydland den Wirtschaftsnobelpreis für ihre Arbeiten zur dynamischen Makroökonomie), Vernon Smith (Nobelpreis zusammen mit Daniel Kahneman für Behavioral Economics und experimentelle Wirtschaftsforschung), und Thomas Schelling (Nobelpreis zusammen mit Robert J. Aumann für ihre Weiterentwicklung der Spieltheorie). Die Zusammensetzung des Experten-Panels scheint die altbekannte Weisheit „Ein Volkswirt kann alles, nur für Herzchirurgie muss er sich erst einlesen!“ zu bestätigen.
Die rethinkHIV Initiative hat einen ernsten Hintergrund. Sie geht der einfachen
Frage nach: Wenn in den nächsten 5 Jahren tatsächlich zusätzliche 10 Mrd. US $
für die Bekämpfung von HIV/AIDS zur Verfügung stehen (aus Gesichtspunkten von
starken negativen Externalitäten mag diese Investition aus wohlfahrttheoretischer Sicht berechtigt sein), wie sollen diese Mittel eigentlich ausgegeben werden?
Zur Beantwortung dieser Frage wird eine einfache Kosten-Nutzen-Analyse zu Grunde
gelegt. Falls der Nutzen einer Massnahme (also die Kosten, die durch eine Vermeidung von zusätzlichen HIV Ansteckungen vermieden werden) die Kosten der Massnahme übersteigt, soll diese Massnahme priorisiert werden.
Hier besteht jedoch das grundsätzliche Problem: Vielleicht haben wir einen guten
Überblick über die Kosten der einzelnen Massnahmen, bis auf wenige Ausnahmen
(Beispielsweise Antiretrovirale Therapien, Medikamente zur Verringerung des
Risikos von Mutter-zu-Kind Übertragung, sowie männliche Beschneidung) können
wir derzeit keinerlei Aussagen zur Wirksamkeit einzelner Massnahmen treffen. Es
gibt wenige Studien, die mit Hilfe von kontrolliert-randomisierten Feldexperimenten die „Wirksamkeit“ der Massnahmen auf bestimmte Verhaltensweisen (z.B. die Verwendung von Kondomen, die Anzahl von sexual Partnern, etc.) nachweisen, ob diese Verhaltensänderung jedoch tatsächlich zu dem gewünschten Ziel einer Reduzierung der Anzahl von HIV-Neuansteckungen führt, bleibt weitgehend unklar.
Wie wurde die Kosten-Nutzen Analysen also durchgeführt? Basierend auf mathematischen Modellen, ähnlich makroökonomischen Wachstumsmodellen. Wie in
der Makroökonomie auch, besteht jedoch kein klarer Konsensus, welche Modelwelt
denn die epidemische Situation im südlichen Afrika tatsächlich adäquat abbilden und wie diese Modelle vernünftig zu parametrisieren sind.
Die Ergebnisse der vorgelegten Kosten-Nutzen-Analysen erscheinen daher höchst
unsicher. Es bleibt Folgendes festzuhalten: Aus volkswirtschaftlicher Sicht ist die
Intention der rethinkHIV Initiative sicher zu befürworten. Gegeben der empirischen Datenlage ist das Vorgehen zum jetzigen Zeitpunkt wahrscheinlich zu ambitioniert.
Monika Bütler
Die Cleantech-Initiative der SP ist zustande gekommen. Begleitet wird sie von einer Studie, die uns von einer Umsetzung der Initiative bis zu 167‘000 zusätzliche Arbeitsplätze verspricht. Leser und Leserinnen dieses Blogs wissen, dass die berühmt-berüchtigte Input-Output Methode, auf der die Resultate der Studie beruhen, regelmässig dazu benutzt wird, bestimmten Wirtschaftsbranchen eine überhöhte Wichtigkeit zu attestieren. Florian Habermacher, Umweltingenieur der ETH Lausanne und Doktorand an der HSG, zeit in seinem Beitrag wo die grossen Probleme bei der Cleantech-Studie liegen. So wird beispielsweise der gesamte Arbeitsaufwand für die Sanierungen automatisch mit Wertschöpfung gleichgesetzt, unabhängig davon wie hoch der Nutzen aus der verbesserten Isolation ist. Die wirtschaftlichen Auswirkungen von Gebäudesanierungen scheinen umso positiver je teurer die Sanierungen (bei gleichbleibender Menge an eingespartem Heizöl) sind. Das macht keinen Sinn.
Leider sind auch die versprochenen 167‘000 Arbeitsplätze komplett unrealistisch – ganz abgesehen davon, dass gar nicht klar ist, woher diese Spezialisten kommen sollten. Florian Habermacher macht in seinem Beitrag klar, dass eine Regulierung über Preismechanismen, sprich eine ökologische Steuerreform, den CO2-Ausstoss der Schweiz ökonomisch effizienter senken könnte als spezifische staatliche Verbrauchsregulierungen und Subventionen. Dumm ist nur, dass der Preismechanismus so unpopulär ist, wie Urs Birchler im batz kürzlich schrieb.
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ich bin auch ein Heizpilz; Weil noch das Lämpchen glüht; Die kreative C02 Buchhaltung der SBB;