Immobilienpreis-Blase?

Urs Birchler

Bevor ich The Economist vom vergangenen Samstag zum Altpapier legte, warf ich nochmals einen Blick auf die Statistik der Immobilienpreise. Danach sind die Hauspreise in der Schweiz sowohl gemessen an den Mieten, als auch im Verhältnis zu den Einkommen — unterbewertet! Nicht massiv, aber immerhin nicht überbewertet.

Besonders schön ist die interaktive Grafik aus der Online-Ausgabe. Sie zeigt die Entwicklung der Immobilienpreise seit 1975 in verschiedenen Ländern. In der Schweiz ist der Anstieg so schwach, dass man die Kurve (hellbraun) fast nicht sieht. Den Atem verschlug’s mir gleich zweimal: Zum erstenMal beim Blick auf die Kurve für die USA: Die Immobilienpreisblase von 2005-2007 ist zwar sichtbar, wirkt aber fast lächerlich klein. Die Linie liegt direkt über jener für die Schweiz. Und dieses Subprime-Bläschen stürzte die Welt (angesichts der Grösse der USA und der Höhe der Verbriefungspyramide) in die Finanzkrise! Zum zweiten Mal blieb mir der Schauf weg beim Blick hoch zu den erhabenen Gipfeln: Irland (inzwischen teilweise korrigiert) und Spanien (wenn das nur mal gutgeht).

Wer den Link (oben) anklickt, kann die abgebildete Zeitperiode (und die abgebildete Reihe: nominell, real, im Verhältnis zu Mieten, etc.) selbst wählen. Setzt man zum Beispiel bloss den Anfangszeitpunkt auf das 4. Quartal 2005, erscheint schon ein anderer Spitzenreiter — die Schweiz!

Sowohl die Anhänger als auch die Leugner einer Immobilienblase in der Schweiz (ein neues Wort: „Die Blasenleugner“!) finden also dank statistischem Basiseffekt Evidenz zu Ihren Gunsten.

Adventskalender 1

Diana Festl-Pell

Der Advent, die Zeit der Besinnung und Vergebung, scheint im Jahr 2011 in Europa, zumindest für einige politische Wortführer und krisengebeutelte Haushaltswächter, nicht ganz so besinnlich zu werden. Umso wichtiger, sich des zweiten moralischen Anspruches wieder bewusst zu werden – der Vergebung. Ganz gleich, ob religiös oder nicht: In der Weihnachtszeit finden Freunde und Familie zusammen, alte Kriegsbeile werden begraben.

Dass sich die Probleme der Menschheit seit Jahrtausenden nicht sonderlich verändert haben, mag ein kurzer Blick in das Gleichnis „Vom verlorenen Sohn“ (Lukas – Kapitel 15, 11-32; hier in Auszügen aus der schönen, alten Fassung der Luther-Bibel von 1912) belegen.

Eines der schönsten Barockbilder zu diesem Gleichnis wollen wir Ihnen ebenfalls nicht vorenthalten (Künstler war Bartolomé Esteban Murillo; 1618 – 1682).

Vom verlorenen Sohn

„Und er sprach: Ein Mensch hatte zwei Söhne. Und der jüngste unter ihnen sprach zu dem Vater: Gib mir, Vater, das Teil der Güter, das mir gehört. Und er teilte ihnen das Gut. Und nicht lange danach sammelte der jüngste Sohn alles zusammen und zog ferne über Land; und daselbst brachte er sein Gut um mit Prassen.

Da er nun all das Seine verzehrt hatte, ward eine große Teuerung durch dasselbe ganze Land, und er fing an zu darben. […] Und er machte sich auf und kam zu seinem Vater. Da er aber noch ferne von dannen war, sah ihn sein Vater, und es jammerte ihn, lief und fiel ihm um seinen Hals und küsste ihn. Der Sohn aber sprach zu ihm: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir; ich bin hinfort nicht mehr wert, dass ich dein Sohn heiße. Aber der Vater sprach zu seinen Knechten: Bringet das beste Kleid hervor und tut es ihm an, und gebet ihm einen Fingerreif an seine Hand und Schuhe an seine Füße, und bringet ein gemästet Kalb her und schlachtet’s; […].

Aber der älteste Sohn war auf dem Felde. […] Er aber antwortete und sprach zum Vater: Siehe, so viel Jahre diene ich dir und habe dein Gebot noch nie übertreten; und du hast mir nie einen Bock gegeben, dass ich mit meinen Freunden fröhlich wäre. Nun aber dieser dein Sohn gekommen ist, der sein Gut mit Huren verschlungen hat, hast du ihm ein gemästet Kalb geschlachtet. Er aber sprach zu ihm: Mein Sohn, du bist allezeit bei mir, und alles, was mein ist, das ist dein. Du solltest aber fröhlich und gutes Muts sein; denn dieser dein Bruder war tot und ist wieder lebendig geworden; er war verloren und ist wieder gefunden.“

Verschuldung und Demographie II

Monika Bütler

Vor einiger Zeit schrieb mein Kollege Uwe Sunde einen interessanten Beitrag über die
Auswirkungen des demographischen Wandels auf die Verschuldung der Staaten. Auch
wenn es momentan wohl niemanden mehr gibt, der die explodierenden Schulden
verniedlichen möchte: Es kann noch schlimmer kommen. Wenn es die Staaten nicht
rechtzeitig schaffen, die implizite Verschuldung durch die Sozialwerke in den
Griff zu bekommen.

Für interessierte Leser(innen) hier der Link auf den ursprünglichen batz Beitrag und das Grundlagenpapier von Cecchetti, Mohanty und Zampolli.

Durchleuchtete Bailouts

Urs Birchler

Hat die Federal Reserve, die amerikanische Notenbank, mit ihrer Liquiditätshilfe während der Finanzkrise den Geschäftsbanken 13 Mrd. USD „geschenkt“? Auf diesen Betrag beziffert Bloomberg den Zusatzertrag, den die Banken erzielten, indem sie beim Fed Hilfskredite zu günstigen Konditionen aufnahmen und dann zu besseren Konditionen anlegten.

Noch brisanter als diese Subvention scheinen die Beträge, mit denen das Fed den Banken zu Hilfe eilen musste. Öffentlich bekannt waren die Beträge des vom Kongress bewilligten TARP-Programms in der Grösse von rund 700 Mrd. USD. Dass die Fed-Liquiditätshilfe aber mit 7’700 Mrd. USD das Elffache des TARP betrug, wurde erst jetzt bekannt. Die Agentur Bloomberg hat, wie sie in einem Video darstellt, zwei Jahre lang gegen das Fed prozessiert und aufgrund der Freedom of Informations Act am Ende gewonnen. Deshalb musste das Fed nun ausweisen, welche Bank in der Finanzkrise wieviel Hilfskredite erhalten hat. Dabei kam zutage, dass zum Beispiel die Bank of America ihre ihre Position im November 2008 als stark darstellte (“one of the strongest and most stable major banks in the world”), obwohl sie gleichzeitig mit 84 Mrd. USD am Tropf des Fed hing.

Bloomberg hat die Schätzung der Subventionen durch die Hilfskredite in einer interaktiven Grafik zusammengestellt. Wer sorgfältig mit dem Mauszeiger über die Balken fährt, findet auch die Zahlen für die beiden Schweizer Grossbanken: Diese sollen auf den Fed-Hilfskrediten 284 Mio USD (CS), bzw. 154 Mio USD (UBS) verdient haben.

Spieglein, Spieglein an der Wand

Urs Birchler

Ein Blödsinn kommt selten allein. Vor kurzem lasen wir, Aktienhändler seien gemäss einer wissenschaftlichen Studie rücksichtsloser als Psychopathen. Noch war der Schock nicht verheilt, doppelte die englische Kirche mit einer Umfrage nach. Resultat: Banker sind geldgierig (und geben es noch zu!). Jetzt zielt der Tagesanzeiger mit einem dritten Schlag Richtung Gürtellinie: Manager sind Narzissten und Narzissten gehen übertriebene Risiken ein. Die Erkenntnis stammt aus dem Interview mit einem renommierten Psychoanalytiker.

Mit dem ersten Blödsinn (Aktienhändler und Psychopathen) haben Gebhard Kirchgässner und Florian Habermacher in der NZZ bereits aufgeräumt. (Das Experiment beruhte auf dem sogenannten Gefangenen-Dilemma, wo Kooperation klar nicht rational ist. Die Händler waren — wer hätte das gedacht — rationaler als Psychopathen und daher eben weniger kooperativ.) Die Umfrage der Kirche (und deren Interpretation) haben wir im Batz bereits besprochen.

Bleibt der Narzissmus der Manager. Da mich der Ausdruck Narzissmus in seiner Vagheit seit eh nervt, griff ich in der Not zur Wikipedia. Dort steht u.a. folgendes: „Das Wort entstammt der Sexualwissenschaft des ausgehenden 19. Jahrhunderts“. Der Begriff meint im „weitesten Sinn die Selbstliebe als Liebe …, die man dem Bild von sich entgegenbringt. Im engeren Sinn bezeichnet er eine auffällige Selbstbewunderung oder Selbstverliebtheit und übersteigerte Eitelkeit.“ Weiter heisst es dann, Narzissmus sei ein mehrdeutiger Begriff.

Sind Manager Narzissten? Als Ökonom sollte ich vorsichtig urteilen. Die Manager die ich persönlich kenne, vor allem die erfolgreichen, sind in erster Linie pragmatisch denkende, intelligente, kompromiss- und teamfähige Personen. Selbstverliebt? Ein bisschen Eitelkeit gehört vielleicht zur Leistungbereitschaft. Wer die Pflicht erfüllt, darf auch bei der Kür antreten. Warum sonst hätte die Evolution den Narzissmus als eine, wenn man den Psychologen glaubt, recht häufige Eigenschaft überleben lassen? Offenbar ist es — immmer noch Wikipedia — tatsächlich „nicht immer einfach, produktive Formen des Narzissmus, die von Initiative und visionärem Tun geprägt sein können, von destruktiven zu unterscheiden, beispielsweise in Bereichen der Politik und Wirtschaft.“ Gleichwohl: „Narzissten überschätzen ihre eigenen Fähigkeiten und zerstören aus Neid, was begabtere Menschen aufgebaut haben. Wenn Narzissten eine leitende Funktion ausüben, leiden die Betroffenen sehr. Wenn möglich, entziehen sich Mitbetroffene ihrem Einfluss.“

Meine Diagnose: Mit Narzissmus ist hier kein Erkenntnisgewinn zu holen. Es ist gegenwärtig alles recht, um Banker, Aktienhändler, Manager bis hin zu den Unternehmern schlecht zu machen. Ich habe in diesem Blog manch hartes Wort über die Banken gebraucht. Aber das letzte, was wir jetzt brauchen, sind Sündenbocktheorien. Daher meine narzisstische Wut.

Noch mehr Einwanderung – nach Australien

Monika Bütler

Die Zunahme der Einwanderung in die Schweiz wird meist der Personenfreizügigkeit
mit der EU zugeschrieben. Das ist zwar eine mögliche Erklärung, aber längst
nicht die einzige. Auch in Ländern ohne freizügige Zuwanderungsregeln wächst
die Immigration. Interessant ist, das dies sogar für Australien gilt.
Australien sorgt  nämlich mit einem relativ strengen Punktesystem dafür,
dass in erster Linie Leute ins Land kommen, für die eine Nachfrage auf dem
Arbeitsmarkt besteht. (siehe auch hier)

Unser älterer Sohn (nicht aber ich – zu alt wahrscheinlich ;-)) erhielt vor einigen
Tagen folgende email:

Dear Peter,

Welcome to the November 2011 Edition of the Migration Expert
Newsletter. Recent statistics released by the Department of Immigration And
Citizenship (DIAC) shows a 54.2 percent increase in Temporary Work Visa
(subclass 457) approvals compared to the previous year. The majority of 457
visas are being issued to skilled professionals in health & medical, and
construction industries.

If you have taken our Online Visa Eligibility Assessment and
passed, we recommend that you start your application now while you still meet
the criteria. If you took our assessment previously and did not meet the
criteria, we recommend you retake the assessment, or contact us for a telephone
consultation to discuss your options for immigration. Please contact Migration
Expert to find out more.

Kind Regards,

The Team at Migration Expert

Ineffiziente Grosszügigkeit

Marius Brülhart

Überdurchschnittlich viele Hausbesitzer hegen derzeit den Wunsch, ihr Eigentum noch vor den Festtagen an die jüngere Generation zu überschreiben – und dies obwohl, so ist anzunehmen, viele dieser Schenker kerngesund sind und eigentlich noch Freude haben an ihrem Immobilienbesitz.

Zugrunde liegt der vorweihnächtlichen Grosszügigkeit eine mögliche Veränderung des Steuersystems. Ab Neujahr besteht nämlich die Gefahr, dass verschenkte Vermögenswerte über der Zweimillionengrenze dereinst mit einem Steuersatz von 20 Prozent belangt werden. Eine Rückwirkungsklausel in der unlängst lancierten Initiative für eine nationale Erbschaftssteuer sieht es so vor.

Eine vorverschobene Vermögensübertragung angesichts der drohenden Besteuerung kann für die Betroffenen durchaus sinnvoll sein. Der Ansturm auf die Notariate ist somit weder überraschend noch verwerflich. Und dennoch ist diese Reaktion für die Betroffenen kostspielig, denn wäre das Steuergespenst nicht am Horizont aufgetaucht, hätten die meisten mit der Überschreibung noch zugewartet.

Volkswirtschaftlich betrachtet ist dies ein besonders augenscheinliches Beispiel der versteckten Kosten, die jede Steuer nach sich zieht. Den vorzeitigen Schenkern entsteht materieller und emotionaler Aufwand. Und manch einem Beschenkten dürfte es bei der Sache auch nicht ganz wohl sein – nicht zuletzt wenn er durch die Transaktion an die Vergänglichkeit seiner Eltern erinnert wird. Wie trefflich somit der englische Ausdruck für solch versteckte Kosten von staatlichen Eingriffen in die wirtschaftliche Freiheit: „deadweight loss“.

Und dennoch: Gerade hinsichtlich der versteckten Kosten schneidet die Erbschaftssteuer besser ab als andere Steuerarten. Steuern schaffen immer Anreize zur Vermeidung, aber die Ausweichmöglichkeiten bei der Erbschaftssteuer sind relativ gering. In den USA werden die Kosten von Ausweichmanövern auf 3 bis 8 Cents pro Dollar Erbschaftssteuereinnahmen geschätzt. Meine Schätzung für die Schweiz liegt zwischen 1 und 12 Rappen pro kantonalem Erbschaftssteuerfranken. Dies sind relativ tiefe Werte. Eine aktuelle amerikanische Studie (in der Schweiz gibt es meines Wissens noch nichts Vergleichbares) beziffert den „deadweight loss“ der Einkommenssteuer beispielsweise auf 20 Cents pro Dollar im Durchschnitt, und auf 34 Cents wenn man nur den obersten Teil des Steuertarifs betrachtet.

Die gegenwärtige Bescherungsfreude von Immobilienbesitzern liefert ein treffliches Beispiel der unseligen Nebenwirkungen von Steuern. Paradoxerweise erinnert sie uns gleichzeitig daran, dass die Erbschaftssteuer gerade hinsichtlich ihrer ökonomischen Nebenwirkungen eine der schmerzloseren Steuerarten ist.

Jungfräuliche Abwertung

Monika Bütler

Eine Abwertung der Währung kann positive Auswirkungen auf die wirtschaftliche Situation eines Landes haben. Erstens reduziert sie den Realwert der ausstehenden Schulden (allerdings nur fall diese in der eigenen Währung ausgestellt sind). Zweitens
verbessert eine Abwertung das reale Austauschverhältnis (terms of trade)
zwischen In- und Ausland und somit die internationale Wettbewerbsfähigkeit.
Gerade dieser zweite Einflusskanal wäre für Länder wie Griechenland sehr
wichtig, um aus der Abwärtsspirale auszubrechen. Doch Griechenland und andere
Krisenländer haben keine eigene Währung.

In einem neuen Forschungspapier zeigen Emmanuel Farhi (Harvard), Gita Gopinath (Harvard) und Oleg Itskhoki nun, dass ein Land auch ohne eigene Währung – und somit ohne eigene Geldpolitik – „abwerten“ und so das reale Austauschverhältnis
verbessern kann. Eine geeignete „fiskalische Abwertung“, wie es die
Autoren bezeichnen, hat die gleichen Auswirkungen wie eine eigentliche
Abwertung der Währung. Erreicht wird eine solche fiskalische Abwertung durch
eine Erhöhung der Mehrwertsteuer mit einer gleichzeitigen Senkung der
Einkommenssteuern. Eine Erhöhung der Mehrwertsteuer verteuert die Importgüter
und verbilligt die Exporte im Vergleich zu den inländischen Verkaufspreisen, da
Exporte von der Mehrwertsteuer ausgenommen sind und die Lohnkosten wegen der
reduzierten Einkommenssteuer sinken. Die Erhöhung der Mehrwertsteuer wirkt
damit ähnlich wie eine Steuer auf Importprodukten. Die gleichzeitige Reduktion
der Einkommenssteuer stellt sicher, dass sich die inländischen Produkte für die
Inländer real nicht verteuern. Der Gesamteffekt ist daher der gleiche wie eine
direkte Abwertung der Währung durch die Geldpolitik. Farhi, Gopinath und
Itskhoki zeigen, dass die Gleichwertigkeit einer „normalen“ Abwertung
und einer fiskalischen Abwertung unter den meisten realistischen Bedingungen
gültig ist.

Besteht demnach doch noch Hoffnung für Griechenland? Nur zum Teil. Die fiskalische Abwertung funktioniert nur, wenn die Exporte tatsächlich von der Mehrwertsteuer
ausgenommen werden. Für den für Griechenland so wichtigen Tourismus ist dies nicht  der Fall.

Nachtrag: Peter Moser (siehe Kommentar) hat mich drauf aufmerksam gemacht, dass in der ersten Version dieses Beitrags noch ein Fehler war: Fälschlicherweise habe ich angenommen, dass innerhalb der EU kein Ausgleich der Mehrwertsteuer an der Grenze besteht. Wie Peter Moser ausführt wird auch innerhalb der EU die inländischen Mehrwertsteuer zurückerstattet und die Mehrwertsteuer des Ziellandes belastet.