Spieglein, Spieglein an der Wand

Urs Birchler

Ein Blödsinn kommt selten allein. Vor kurzem lasen wir, Aktienhändler seien gemäss einer wissenschaftlichen Studie rücksichtsloser als Psychopathen. Noch war der Schock nicht verheilt, doppelte die englische Kirche mit einer Umfrage nach. Resultat: Banker sind geldgierig (und geben es noch zu!). Jetzt zielt der Tagesanzeiger mit einem dritten Schlag Richtung Gürtellinie: Manager sind Narzissten und Narzissten gehen übertriebene Risiken ein. Die Erkenntnis stammt aus dem Interview mit einem renommierten Psychoanalytiker.

Mit dem ersten Blödsinn (Aktienhändler und Psychopathen) haben Gebhard Kirchgässner und Florian Habermacher in der NZZ bereits aufgeräumt. (Das Experiment beruhte auf dem sogenannten Gefangenen-Dilemma, wo Kooperation klar nicht rational ist. Die Händler waren — wer hätte das gedacht — rationaler als Psychopathen und daher eben weniger kooperativ.) Die Umfrage der Kirche (und deren Interpretation) haben wir im Batz bereits besprochen.

Bleibt der Narzissmus der Manager. Da mich der Ausdruck Narzissmus in seiner Vagheit seit eh nervt, griff ich in der Not zur Wikipedia. Dort steht u.a. folgendes: „Das Wort entstammt der Sexualwissenschaft des ausgehenden 19. Jahrhunderts“. Der Begriff meint im „weitesten Sinn die Selbstliebe als Liebe …, die man dem Bild von sich entgegenbringt. Im engeren Sinn bezeichnet er eine auffällige Selbstbewunderung oder Selbstverliebtheit und übersteigerte Eitelkeit.“ Weiter heisst es dann, Narzissmus sei ein mehrdeutiger Begriff.

Sind Manager Narzissten? Als Ökonom sollte ich vorsichtig urteilen. Die Manager die ich persönlich kenne, vor allem die erfolgreichen, sind in erster Linie pragmatisch denkende, intelligente, kompromiss- und teamfähige Personen. Selbstverliebt? Ein bisschen Eitelkeit gehört vielleicht zur Leistungbereitschaft. Wer die Pflicht erfüllt, darf auch bei der Kür antreten. Warum sonst hätte die Evolution den Narzissmus als eine, wenn man den Psychologen glaubt, recht häufige Eigenschaft überleben lassen? Offenbar ist es — immmer noch Wikipedia — tatsächlich „nicht immer einfach, produktive Formen des Narzissmus, die von Initiative und visionärem Tun geprägt sein können, von destruktiven zu unterscheiden, beispielsweise in Bereichen der Politik und Wirtschaft.“ Gleichwohl: „Narzissten überschätzen ihre eigenen Fähigkeiten und zerstören aus Neid, was begabtere Menschen aufgebaut haben. Wenn Narzissten eine leitende Funktion ausüben, leiden die Betroffenen sehr. Wenn möglich, entziehen sich Mitbetroffene ihrem Einfluss.“

Meine Diagnose: Mit Narzissmus ist hier kein Erkenntnisgewinn zu holen. Es ist gegenwärtig alles recht, um Banker, Aktienhändler, Manager bis hin zu den Unternehmern schlecht zu machen. Ich habe in diesem Blog manch hartes Wort über die Banken gebraucht. Aber das letzte, was wir jetzt brauchen, sind Sündenbocktheorien. Daher meine narzisstische Wut.

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