Wo Reiche und Arme die U-Bahn nehmen

Urs Birchler

Wer in Zürich mit der Tramlinie 8 fährt, stellt fest, dass sich die Zusammensetzung der Fahrgäste auf beiden Ästen der Linie oft deutlich unterscheidet. So hat jede Linie ihr Benutzerprofil. Wissenschaftlich untersucht hat es m.W. bisher noch niemand — jedenfalls nicht für Zürich. Für New York hat The New Yorker einen Artikel mit interaktiver Grafik publiziert, welche die Medianeinkommen nach U-Bahn-Stationen abbildet. Dass die grösste Differenz der Medianeinkommen auf derselben Linie zwischen Manhattan und der Bronx fast 200’000 Dollar beträgt, mag vielleicht nicht überraschen. Aber die grösste Differenz zwischen benachbarten Stationen von 142’000 Dollar (Fulton Street und Chambers Street) ist dann doch beträchtlich — mehr wohl als zwischen Stauffacher und Börse.

Dank an: Alice Korngold (@alicekorngold) 16. April 2013

Das garantierte Grundeinkommen: Eine (leider) nicht bezahlbare Idee

Von Florian Habermacher und Gebhard Kirchgässner

In der Schweiz wurde eine Initiative zur Einführung eines garantierten Mindesteinkommens lanciert. Gedacht ist an eine Rente in Höhe von 2’500 CHF für Erwachsene und 625 CHF für Kinder. Der Gesamtaufwand betrüge etwa 200 Milliarden CHF. Das von den Initianten vorgeschlagene Finanzierungskonzept trägt nicht. Aber auch eine Finanzierung über die Mehrwertsteuer oder über die Einkommensteuer wäre nicht realisierbar. Damit zeigt sich wieder einmal das bereits aus anderen Studien bekannte Ergebnis, welches analog auch für das Konzept der Negativen Einkommensteuer gilt: Ein garantiertes Mindesteinkommen ist entweder zu niedrig, um (ohne zusätzliches Einkommen) ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen, oder es ist, falls es dazu hoch genug ist, nicht finanzierbar. Zudem ist ein bedingungsloses Grundeinkommen auch aus ethischer Perspektive kaum zu rechtfertigen. Dieser Beitrag wurde kürzlich in der Ökonomenstimme publiziert.

Hier gehts zum Artikel: Garantiertes Grundeinkommen

Vermögen in der Eurozone korrigiert?

Monika Bütler

In einem sehr lesenswerten Aufsatz in der NZZ vom 13. April weist Claudia Aebersold Szalay zurecht darauf hin, dass die Hauspreisentwicklung eine wichtige Komponente bei den Haushaltsvermögen ist. Die sehr ungleiche Entwicklung der Immobilienpreise bereitete den Forschern der Umfage (siehe Beitrag von gestern) Sorgen und dürfte einer der Gründe für die Verzögerung der Publikation gewesen sein.

Ich habe in meinem Beitrag von gestern daher vor allem auf die Vermögen der Haushalte ohne Hausbesitz hingewiesen. Diese Auswahl hat narürlich ihre Tücken, da in den EU Ländern die Verteilung des Immobilienbesitzes sehr ungleich ist: In Deutschland und Österreich hat die Mehrheit der Haushalte kein Haus, während beispielsweise in der Slowakei fast jeder Haushalt (90%) ein Haus besitzt (Spanien 83%, Zypern 77%). Da die Hausbesitzer tendentiell reicher sind, überschätzt ein Vergleich der Vermögen der Nichthausbesitzer die Vermögen in Deutschland und Österreich gegenüber den südlichen Ländern. 

Genau am gleichen Problem – sogar noch verstärkt – leidet die von Claudia Aebersold Szalay in der NZZ präsentierte Korrektur der Vermögenswerte. In dieser Korrektur wurde zwar die unterschiedliche Hauspreisentwicklung herausgerechnet, dafür aber nur Hausbesitzer miteinander verglichen. Die beiden Graphiken in der NZZ vergleiche somit nicht die gleichen Haushalte miteinander. Für Deutschland und Österreich ist der Unterschied ganz entscheidend: Der Medianhaushalt aller Haushalte ist einer OHNE Haus. Der Medianhaushalt in der korrigierten Auswahl hingegen einer MIT Haus: Der mittlere von den nur 44% (D), resp. 48% (Ö) Hausbesitzern. Kein Mensch würde wohl behaupten, der mittlere Hausbesitzer in der Schweiz sei repräsentativ für die Vermögenssituation in der Schweiz.

Ärgerlich ist, dass der „richtige“ korrigierte Vergleich aller Haushalte in der Originalstudie aufgeführt ist (Paper 02, Graphik 4.6, Seite 83). Und siehe da: Wenn man die unterschiedliche Preisentwicklung (die Housing Bubbles) herausrechnet, verkleinern sich die Unterschiede zwar ein wenig, das Bild bleibt aber: Von einem reichen Norden und einem armen Süden kann nicht die Rede sein.

MedianNetWealthEval2002

Die Mär vom armen Süden

Monika Bütler

Viele Ökonomen wussten es schon lange, erste Daten sickerten vor einigen Wochen auch an die Öffentlichkeit durch (batz war dabei): Die von der EZB (resp. dem Eurosystem Household Finance and Consumption Network) in langjähriger und wissenschaftlich höchst seriös durchgeführter Arbeit zusammengetragenen Haushaltdaten der EU Länder bieten einiges an Sprengstoff. So sind deutsche Haushalte sowohl im Durchschnitt als auch im Median weniger vermögend als die Haushalte südlicher Länder, insbesondere Italien und Spanien.

Vorgestern nur veröffentlichte die EZB endlich die ausführlichen Statistiken sowie wichtige Hintergrundinformationen (insbesondere Methodik). Doch viele Schweizer Zeitungen scheinen die Informationen irgendwie verstecken zu wollen (im Tagi verschwand der Beitrag in kürzester Zeit von der Frontpage). Die Zahlen wollen so gar nicht passen zum Bild der armen Südstaaten, die von den knausrigen Deutschen kurz gehalten werden. So werden denn auch zig Gründe angeführt, weshalb man den Statistiken nicht trauen darf. Die Haushalte seien unterschiedlich gross (wobei wohl ein Zyprischer Haushalt im Schnitt nicht 5 mal grösser ist als ein Deutscher), der Hausbesitz verzerre die Statistiken und so weiter.

Wer allerdings die mehr als 100 Seiten des Berichts durchblättert sieht, dass trotz aller Bedenken über die Güte der Daten und die Bewertung der Vermögen klar ist: Man kann es drehen und wenden wie man will, die südlichen Haushalte sind nicht ärmer als die nördlichen. Zwei Beispiele zur Illustration: Weiterlesen

Wieder einmal Arbeitsproduktivität

Eine slowenische Journalistin will wissen, weshalb die Arbeitsproduktivität in der Schweiz im europäischen Vergleich nur mittelmässig ist (was auch die OECD immer wieder anprangert) und fragt mich, was ich dazu meine. Immerhin hat sie meine NZZaS Kolumne zum Thema schon gelesen.

Es schadet ohnehin nicht, das Thema Arbeitsproduktivität (= der pro Arbeitsstunde produzierte Wert von Gütern und Dienstleistungen) wieder einmal aufzunehmen. Zur Illustration vergleiche ich zwei hypothetische Länder, welche sich in der Ausbildung und Produktivität der Menschen sowie dem Technologieniveau weder im Durchschnitt noch in der Verteilung unterscheiden.   

Es gibt mindenstens 3 Gründe weshalb sich die „Arbeitsproduktivität“ zweier sonst gleicher Länder unterscheiden kann:

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Mietzinsakrobatik

Der Mieterverband ist empört. In 10 Jahren sind die Durchschnittmieten um mehr als 20% gestiegen (es sind genau 21.2%). Flugs – wie könnte es anders sein – folgt der Ruf nach staatlichen Massnahmen; eine stärkere Regulierung der Wohnungspreise, Mindestlöhne.

Doch wie hoch sind die Preissteigerungen wirklich? Immerhin sind in der Vergleichsperiode auch Preise und Löhne gestiegen. Hier also die Zahlen: Das Bruttoinlandprodukt pro Kopf der Bevölkering stieg zwischen 2000 und 2010 um 21.5% also ziemlich genau gleich viel wie die Durchschnittsmieten. Der Anteil des Einkommens, welches für die Miete aufgewendet werden muss, blieb somit genau gleich hoch. Die Löhne stiegen tatsächlich etwas weniger stark, um 16.4%. Entscheidend für die Belastung ist allerdings das Haushalteinkommen, welches wegen der höheren Arbeitsmarktbeteiligung der Frauen etwas stärker gestiegen sein dürfte als das Durchschnittseinkommen (daher auch der Vergleich mit dem BIP/Kopf).

Weitere Faktoren bleiben beim empörten Vergleich auf der Strecke: Die Grösse der Wohnungen dürfte gestiegen sein, ebenso die Qualität und Ausstattung (wer wäscht heute noch von Hand ab?).

In der Tendenz geben wir vielleicht tatsächlich einen etwas grösseren Teil unseres Einkommens fürs Wohnen aus. Doch gleichzeitig sinken die Kosten anderer Güter (Freizeit, Mobilität, Unterhaltungselektronik). Ich kann mich nicht erinnern, dass es bei sinkenden relativen Kosten einen Zeitungsartikel gab.

Falls überhaupt, hätte die Klage über steigende Mietpreise 10 Jahre früher kommen sollen. Zwischen 1990 und 2000 stiegen die Durchschnittsmieten um 29%, die Löhne aber nur um 23% und das Bruttoinlandprodukt pro Kopf der Bevölkerung sogar nur um 20%.

Heimatschutz an Universitäten?

Monika Bütler

Mit etwas Verspätung meine Kolumne in der NZZ am Sonntag vom 24. März 2013. (Dafür bereits mit konstruktiven Reaktionen, u.a.: „Dass Sie einen solchen Dreck in einer Zeitung abdrucken lassen ist ein Skandal.“)

 „Nur deutsche Bewerber für Lehrstuhl an Schweizer Uni eingeladen!“ Dieser Aufschrei geht in regelmässigen Abständen durch die Medien. Es scheint offenkundig: Schweizer werden benachteiligt.

Meine eigene, langjährige Erfahrung mit Berufungen deckt sich nicht mit dem Klagelied; es wird wohl eher zugunsten der Schweizer entschieden. Nur gibt es dazu wenig Gelegenheit. Unbestreitbare Tatsache ist: Um akademische Positionen bewerben sich kaum Schweizer(innen).

Es fehlen eben – so argumentieren die Differenzierteren – einheimische Kandidaten, weil der Nachwuchs vernachlässigt werde. Doch halt: Geben nicht Hochschulen und Nationalfonds jedes Jahr riesige Summen für die Nachwuchsförderung aus? Auch wenn die Treffsicherheit bei der Vergabe manchmal zu wünschen übrig lässt: So unattraktiv können diese Programme nicht sein. An Bewerbern – Schweizern und Ausländern – fehlt es in der Regel nicht. Weiterlesen

Steuern in der Schweiz: The Sequel

Marius Brülhart

Nach einem etwas abgehobenen filmemacherischen Debüt kann Batz nun mit einem Streifen für Otto Normalsteuerzahler aufwarten. Während unser Erstlingswerk noch Haushalten im Top1%-Segment galt, zeichnen wir diesmal für einen Medianhaushalt nach, wie sich die Steuerbelastung in den Kantonen und Gemeinden entwickelt hat. Zudem sind wir nun auch im Tonfilmzeitalter angelangt (mit Dank an Stefanie Brilon und George Harrison).

Steuern in der Schweiz: The Sequel.

Wiederum verfolgen wir die Einkommenssteuerbelastung in den 2‘596 Gemeinden über die Zeitspanne 1984-2011. Diesmal nehmen wir den Steuersatz für ein kinderloses Ehepaar, dessen Einkommen im jeweiligen Jahr genau in der Mitte aller Haushalte lag, die direkte Bundessteuern zahlten (statt wie in unserem Debütwerk beim obersten Perzentil). Das so definierte Median-Reineinkommen entsprach 37’800 Franken im Jahr 1984 und 61’000 Franken im Jahr 2011.

Unsere Animation macht wiederum klar, wie sich die helvetische Steuerlandschaft ziemlich kunterbunt entwickelt hat und zeugt damit von der Lebendigkeit des schweizerischen Fiskalföderalismus.

Beim Verglich mit dem Film für die Top-1%-Einkommen fallen uns folgende Aspekte besonders auf: Weiterlesen

Deutsch reich?

Monika Bütler und Urs Birchler

Der Deutschen Bundesbank ist der Geduldsfaden offenbar gerissen. Seit geraumer Zeit werkelt die EZB an der Auswertung einer neuen Erhebung (alles dazu auf einer speziellen Internetseite). Gegenstand: die Haushaltsvermögen in Europa. Ländervergleichend. Normalerweise werden die Ergebnisse solcher Grossuntersuchungen mit gebührendem Pomp vorgestellt. Diesmal ganz anders: Die EZB traut sich anscheinend nicht. Deshalb erfahren wir die Ergebnisse (zum Teil) aus einer eher verschämten Pressemeldung der Deutschen Bundesbank (die auch ein Arbeitspapier zur Methodologie hat.).

Und die Resultate zu den Haushaltsvermögen sind — gelinde gesagt — interessant: „Durchschnitt in Deutschland nicht weit unter den anderen großen Ländern“, steht unter der nachstehenden Tabelle aus der Pressenotiz zur „vorauseilenden Beschwichtigung“ der Leser.

Haushaltsvermoegen2

Deutschland ärmer als Spanien? Das wird zu reden geben, und als erstes wird man die Zahlen relativieren. Aber der Europahymne „Deutschland soll zahlen!“ geben die Zahlen bestimmt keinen Auftrieb!

Kapitalverkehrskontrollen und die Schweiz

Urs Birchler

Mit dem auf heute abend erwarteten Rettungspaket für die zypriotischen Banken wird voraussichtlich eine weitere tragende Wand des EU-Gebäudes eingerissen, nämlich die Freiheit des Kapitalverkehrs.

Artikel 63 EU-Vertrag
(1) Im Rahmen der Bestimmungen dieses Kapitels sind alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern verboten.
(2) Im Rahmen der Bestimmungen dieses Kapitels sind alle Beschränkungen des Zahlungsverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern verboten.

Damit ist ein Euro in Zypern nicht mehr gleich einem Euro in Frankfurt, wie die FT schreibt. Gleichzeitig entsteht im EU-Raum ein neues Delikt Kapitalflucht. In der Schweiz ist Kapitalflucht kein Strafdelikt, ebensowenig wie Majestätsbeleidigung oder Steuerhinterziehung. Damit haben wir gleich nochmals dasselbe Problem wie mit der Steuerhinterziehung: Die Schweiz darf Zypern keine Rechtshilfe leisten, wenn Geld aus zypriotischen Banken oder Matratzen in die Schweiz gelangt. Friktionen sind vorgespurt. Aber Zypern bleibt ja ein Einzelfall…