Monika Bütler
Mit einer gekürzten Version dieses Aufsatzes (unter dem Titel «Eine Sondersteuer auf Kriegsgewinne ist verlockend, hat aber zu viele Nebenwirkungen») beginnt meine dritte Zeit als Kolumnistin bei der NZZaS. Als Abwechslung alle vier Wochen im Wirtschaftsteil. Herzlichen Dank dem NZZaS Team für die freundliche Begrüssung und die angenehme Zusammenarbeit.
Die Kriegsgewinnsteuer, lanciert von SP und Grünen, ist in der politischen Mitte angekommen. Die Idee: Erzielt eine Unternehmung wegen einer Krise überhöhte Gewinne, soll der Staat auf diesen sogenannten Windfall Gains zusätzliche Steuern erheben können. Der Charme einer Kriegsgewinnsteuer liegt darin, dass die durch den Krieg ausgelösten Kosten jenen Unternehmen belastet werden, die von der Krise überproportional profitieren. Kein Wunder ist die ausserordentliche Besteuerung so populär und wird in vielen Ländern diskutiert (GB, USA, Ungarn) und in Italien bereits beschlossen.
Der Vorschlag entspringt nicht einfach linker Umverteilungslogik. Wie Krisen finanziert und Verlierer entschädigt werden, gehört zum Kern des Steuer- und Transfersystems eines Staates. Der Staat, als Versicherer of Last Resort, greift dort verteilend ein, wo eine herkömmliche Versicherung versagt – bei Pandemien, Kriegen, Wirtschaftskrisen. Die Pandemie hat gezeigt, dass eine kluge Finanzierung und Kompensation der Verluste entscheidend zu Bewältigung der durch die Krise verursachten wirtschaftlichen Einbrüche beitragen kann.
Im ungünstigsten Fall haben eine mangelhafte Effizienz und Zielgenauigkeit der Krisenkompensationen langfristig negative Konsequenzen für ein Land. Das Beispiel USA zeigt dies eindrücklich: bei ungefähr gleichem Wirtschaftseinbruch kostete das Schuldenfinanzierte flächendeckende Unterstützungsprogramm bereits im ersten Jahr der Krise rund 2.5 mal mehr pro Kopf als in der Schweiz. Nach Donald Trump legte Joe Biden mit einem weiteren grossen Konjunkturprogramm zur Abfederung der Krise nach. Zusammen sind die Programme letztlich mitverantwortlich für die Auslösung der schlimmsten Inflation seit den Ölschocks in den 70er Jahren.
Was Befürworter wie Gegner bisher anscheinend übersehen haben: Die Schweiz kennt eine Kriegsgewinnsteuer bereits. Von 1915-1920 und 1939-1946, hiess sie auch tatsächlich so. Sie wurde während der beiden Weltkriege auf notrechtlicher Basis und befristet eingeführt. Zwischen und nach den Kriegen wurde sie – verfassungsrechtlich zweifelhaft – als ausserordentliche Kriegssteuer, Wehropfer oder Wehrsteuer weitergeschrieben. Erst seit 1983 ist sie als Direkte Bundessteuer Teil des ordentlichen Rechts.
Durch ihre auch im internationalen Vergleich stotzige Progression wirkt die Direkte Bundessteuer noch immer als eine Art Krisengewinnsteuer. Wer dank einer Krise doppelt so viel verdient, bezahlt deutlich mehr als das doppelte an Steuern.
Unternehmenssteuern hingegen sind nicht progressiv – aus guten Gründen. Anders als eine natürliche Person kann man eine Firma halbieren und dadurch – bei einem progressiven Tarif – Steuern sparen. Unter bestimmten Umständen lassen sich Gewinne von einem guten Jahr auf ein schlechteres schieben. Ist dies nicht möglich, bestraft eine progressive Steuer Firmen stark schwankenden Gewinnen über die Zeit. Verschont werden die betrieblichen Übergewinne ohnehin nicht: Höhere Gewinne führen auch zu höheren Steuerbelastungen. Und über Dividenden und Löhne ausbezahlte Erträge werden sehr wohl progressiv besteuert.
Die Bundessteuer unterscheidet sich in einem anderen Punkt von der vorgeschlagenen Kriegsgewinnsteuer: Sie ist blind für die Ursache der erhöhten Einkommen, indem sie nicht zwischen Geschick und Glück unterscheidet.
Hier haben die Befürworter der Kriegsgewinnsteuer durchaus einen Punkt. Im Grunde genommen sollte die – für die Besteuerung zentrale – Leistungsfähigkeit das erzielbare und nicht das erzielte Einkommen berücksichtigen. Ein Teil der Verantwortung für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit liegt nämlich bei den Individuen und den Firmen. Eine Ungleichbehandlung im Steuer- und Transfersystem wäre nicht einmal neu: Wer eine wirtschaftliche Notlage selber verursacht hat, erhält im Sozialversicherungssystem oft eine geringere Unterstützung als Menschen, die einfach Pech hatten etwas durch eine Krankheit oder einen Firmenkonkurs. Eine solche Unterscheidung ist breit akzeptiert, aber nicht unumstritten, weil die Abgrenzung nicht immer klar ist.
Doch der bedenkenswerte Versuch der Kriegsgewinnsteuer, auch in der Unternehmensbesteuerung zu unterscheiden zwischen «verdienten» und «unverdienten» Gewinnen, hat Tücken. Wie auch immer die Abgrenzung zwischen glückhaften Übergewinnen und durch Anstrengung erreichte Erfolge definiert wird, sie erzeugt Ineffizienzen und Ungleichbehandlungen zwischen Firmen.
Erste mögliche Definition einer Abgrenzung: Übergewinne werden im Vergleich zu den Gewinnen der Vorjahre festgelegt. Dies entspricht genau der aktuellen Gesetzesvorlage in den USA: Grosse Unternehmen sollen auf Gewinnen, die den durchschnittlich ausgewiesenen Gewinn der Jahre 2015 bis 2019 übersteigen, eine 95-Prozent-Steuer bezahlen. Eine solche Definition hängt entscheidend vom Referenzzeitraum ab, wie Dominika Langenmayr in ihrem klugen FAZ Aufsatz Warum eine Übergewinnsteuer keine gute Idee ist dokumentiert.
Je nach Geschäftsmodell, Branche und vergangenem Geschäftsverlauf führt sie zu völlig unterschiedlichen Belastungen von Unternehmen mit ähnlichen Margen. So definiert, ist die Kriegsgewinnsteuer daher willkürlich und verletzt die Gleichbehandlung in eklatanter Weise.
Zweite mögliche Definition der Übergewinne: Der Fiskus bestimmt einen Schwellenwert für die Gewinnmarge, zum Beispiel 20%, ab welchem eine Zusatzabgabe geschuldet wird. Dies bedeutet letztlich die Einführung einer progressiven Unternehmenssteuer durch die Hintertür mit all ihren Nachteilen.
Dritter Ansatz: Natürlich tragen nicht alle Firmen mit hohen Gewinnen in Krisenzeiten gleichermassen zum Allgemeinwohl bei. Verlockend wäre es daher, zwischen guten (Pharmakologie) und schlechten Kriegsgewinnern (Rohöllieferanten) zu unterscheiden. Doch die zahlreichen Abgrenzungsfragen böten im politischen Markt – Stichwort: Mehrwertsteuersätze – förmlich eine Nährlösung fürs Lobbying. Abgrenzungen sind daher immer willkürlich und teuer in der Umsetzung. Das Steuersystem ist ein schlechtes Instrument bei Fragen der Moral.
Wenn Übergewinne besteuert werden, so müssten konsequenterweise auch Untergewinne direkt kompensiert werden. Der Staat hat zwar eine wichtige Rolle bei der Absicherung von nicht versicherbaren Risiken in Krisen, die Übernahme eines Teils des unternehmerischen Risikos gehört nicht dazu. In einer Krise sollte der Staat in erster Linie die Individuen (respektive deren Lebensgrundlage) retten und nicht Firmen.
Es besteht zudem die Gefahr, dass ausgerechnet diejenigen, die zur Linderung einer Krise beitragen, mit einer Sondersteuer bestraft werden. Die angeblich überhöhten Gewinne mit Impfstoffen während der Pandemie in der Krisenzeit waren nämlich deutlich kleiner als der gesellschaftliche Nutzen der Impfung. Sie waren zudem die Entschädigung für jahrzehntelange Entwicklungskosten mit höchst unsicherem Erfolg. Mit einer Krisengewinnsteuer bleiben wenig Anreize, hohe Entwicklungskosten zu stemmen und unternehmerische Risiken einzugehen. Der Staat besteuert so indirekt den sozialen Nutzen von technologischen und medizinischen Innovationen.
Die Erfahrungen zeigen, dass hohe Gewinne in Krisen nicht von langer Dauer sind, weil neue Wettbewerber in den Markt eintreten. Dauern sie dennoch an, deutet das eher auf Marktversagen hin, die mit der Krise wenig zu tun haben. Der Staat riskiert dann, dass er mit einer Krisensteuer Gewinne abschöpft, die erst durch staatliche Protektion oder Wettbewerbseinschränkungen überhaupt ermöglicht wurden.
Die Konstrukteure der schweizerischen Wehrsteuer und später der Souverän haben erkannt, wie eine effiziente Abschöpfung ausserordentlicher Gewinne funktioniert. Auch wenn sie nicht mehr Kriegsgewinnsteuer heisst: Die progressive Einkommenssteuer genügt. Eine zusätzliche Spezialabgabe brauchen wir nicht.