Kann die Nationalbank Pleite gehen?

Dieser Beitrag beruht auf dem
im Sommer 2023 erscheinenden
Buch das Autors

“Das Einmaleins des Geldes” (hep-Verlag)

Der Rekordverlust der SNB im Jahr 2022 hat die Frage aufgeworfen: Kann die Nationalbank Pleite gehen? Die Medien — z.B. Handelszeitung, Blick und NZZ — sind sich weitgehend einig: Nein. Doch die Sache ist komplizierter. Zunächst umschreibt “Pleite” mehrere unterschiedliche Tatbestände:

Das Pleiten-Vokabular

Illiquid ist, wer fällige Schulden nicht zahlen kann. 
Wenn Bill Gates in der SAC-Hütte übernachtet hat, und am Morgen merkt, dass er auf der Wanderung sein Portemonnaie verloren und in der Hütte keinen Handy-Empfang hat, ist er illiquid. Insolvent ist er aber keineswegs.

Insolvent ist, wer mehr Schulden hat als Vermögen.
Wenn ein Student bei der Grossmutter 100‘000 Franken borgt und mit der Hälfte eine Party schmeisst, ist er insolvent, aber mit 50‘000 Franken in der Tasche (einstweilen) noch liquid.

Konkurs (von concursus creditorum, dem Zusammenlaufen der Gläubiger) ist ein gerichtliches Verfahren, in welchem die Ansprüche der Gläubiger festgestellt (Kollokation) und die Verwendung der verbliebenen Vermögensteile (Konkursmasse) geregelt werden. Die Bank Lehman Brothers fiel 2007 in Konkurs, nachdem die Zeitlimite für eine Rettung verstrichen war. Für die Schuldnerin ist der Konkurs eigentlich eine Wohltat: Die Gäubiger erhalten den vorhandenen Rest des Vermögens; die Schuldnerin wird die Schulden los. Dies spiegelt sich in der Herkunft des Begriffs “Pleite” aus Hebräisch und später Jiddisch: “Rest, Überbleibsel; Entrinnen, Rettung, Flucht (vor den Gläubigern)”.

Bankrott ist wie Pleite ein umgangssprachlicher Begriff, der sowohl Illiquidität, Überschuldung oder Konkurs meinen kann. In Deutschland beinhaltet Bakrott auch ein Element der Strafbarkeit.

Die Begriffe Illiquidität, Insolvenz und Konkurs hängen zusammen: Illiquid heisst: Ich kann jetzt nicht zahlen. Insolvent heisst: Ich werde nach aller Voraussicht früher oder später nicht mehr zahlen können. Gelingt es nicht, Illiquidität oder Insolvenz zu beheben, z.B. durch eine Sanierung (Einschuss frischen Kapitals oder Verzicht von Gläubigern), folgt in der Regel ein Konkursverfahren.

Anwendung auf die SNB

Klar ist: Die Nationalbank kann nicht illiquid werden. Sie kann nämlich Geld drucken.

Wer für 50 Rappen pro Stück Tausendernoten drucken kann, sollte auch nicht insolvent werden. Doch der Eindruck täuscht. Die Nationalbank verbucht nämlich die ausgegebenen Banknoten als Schulden. Dies kommt aus der Zeit, da die Banknoten noch in Gold konvertibel waren. Die Nationalbank kann also buchhalterisch gesehen wie jede andere Aktiengesellschaft insolvent werden. Wenn sie mehr Schulden hat als Vermögen, ist sie überschuldet. Wenn sich der Jahresverlust von 2022 noch ein oder zweimal wiederholen sollte, wäre dies der Fall. 

Tatsächlich hatte die Nationalbank in den 1970er Jahren mehrmals, wie sie es nannte, ein “negatives Eigenkapital”. Grund war die damals starke Aufwertung des Frankens gegenüber dem amerikanischen Dollar. Der Bund “rettete” die Nationalbank, indem er (mit Billigung des Parlaments) eine unverzinsliche Schuld gegenüber der SNB einging. Die SNB tilgte diese später aus ihren Gewinnen (zum Teil durch Auflösung der massiven stille Reserven auf dem Goldbestand hatte, den die SNB damals zur offiziellen Parität, d.h. weit unter dem Marktwert bilanzieren musste).

Heute kann die SNB eine Überschuldung auf ähnliche Weise zum Verschwinden bringen: Sie kann den Posten “Reserve für die Gewinnausschüttungen an Bund und Kantone” als negativ ausweisen. Diese Ausschüttungsreserve war tatsächlich schon Ende 2010 und 2013 negativ. Anstatt wie in den 1970er Jahren ein Guthaben beim Bund, weist die SNB also eine negative Schuld bei Bund und Kantonen aus – da minus mal minus plus ergibt, kommt’s auf dasselbe raus: Die Buchhaltung zeigt nie direkt eine Überschuldung an – solange der Bund und allenfalls die Kantone mitspielen und der Nationalbank – als systemrelevanter Institution 😉 – Kredit einräumen.

Ein Konkurs der Nationalbank ist auch bei tiefer Überschuldung kaum möglich. Bei einer normalen Aktiengesellschaft kommt bei Überschuldung ein vom Gesetz definierter Prozess in Gang, der entweder zu einer Sanierung mit neuem Kapital oder Gläubigerverzicht führt oder in eine Konkursliquidation mündet. Bei der Nationalbank ist jedoch kein solcher Prozess vorgesehen. Den Feinschmeckern unter den Juristen sei der Fall überlassen, in dem der Bankrat und/oder die Generalversammlung (d.h. de facto die Kantone) die Jahresrechnung der SNB wegen einer negativen Ausschüttungsreserve in der Jahresrechnung ablehnen würde.

Geldpolitik mit negativem Eigenkapital

Eine Notenbank kann mit negativem Eigenkapital leben. Die tschechische Notenbank beispielsweise war nach 2002 jahrelang buchhalterisch überschuldet. Die australische Notenbank verlor ihr Kapital im Herbst 2022. Notenbanken erholen sich früher oder später, da die Erträge auf ihrem Vermögen langfristig höher sind als die Zinsen auf ihren Schulden. 

Doch ein Problem hat eine überschuldete Notenbank: Eine überschuldete Notenbank verliert Handlungsspielraum. Sie kann einen Teil der geschaffenen Geldmenge nicht mehr abbauen. Sie kann nur so viel Geld zurückkaufen, wie sie auf der Gegenseite Vermögen hat. Der Bestand an Notenbankgeld bekommt eine abbaubare (durch Vermögenswerte gedeckte) und eine nicht-abbaubare (ungedeckte) Komponente. Nicht-abbaubares Geld behindert die Geldpolitik und kann das öffentliche Vertrauen in die Währung gefährden. In der Wirkung ist nicht-abbaubares Geld gleich wie Helikoptergeld, das – einmal abgeworfen – nicht mehr eingesammelt werden kann. Zwar kann eine Notenbank Schuldverschreibungen ausgeben, die nicht als Geld zählen, aber diese haben ein Verfalldatum und schieben das Problem nur auf. Zudem müssen sie von der Notenbank verzinst werden; dadurch bleibt weniger Geld zum Wiederaufbau des Kapitals oder zur Ausschüttung.

Die SNB kann also nicht “Pleite” gehen im Sinne von Illiquidität oder Konkursliquidation. Aber sie kann durch eine Überschuldung ihre geldpolitische Handlungsfähigkeit einbüssen und das Vertrauen in die Währung schädigen. Ein solches Szenario ist vielleicht nicht das wahrscheinlichste. Aber mit einer weit über das längerfristig Vernünftige aufgeblähten Bilanz sind solche Überlegungen auch nicht ganz überflüssig.

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