Wie sogar unverbesserliche Warmduscher plötzlich zu Energiesparern werden

Monika Bütler

Meine Kolumne Geld & Geist: Vom unverbesserlichen Warmduscher zum Energiesparer (nzz.ch) in der NZZ am Sonntag vom 2. Oktober in einer etwas ausführlicheren Version, ergänzt mit Links zu Forschungsarbeiten.  

«Die Deutschen erhalten die Gasrechnung – und werden wütend» titelte der Tagesanzeiger vor gut einer Woche. Die Wut ist verständlich. Die Haushalte leiden stark unter den gestiegenen Preisen. Dazu kommt ein Ohnmachtsgefühl, wenn erstens die Rechnung für den Energiekonsum erst dann kommt, wenn er nicht mehr verändert werden kann. Und wenn zweitens den meisten gar nicht klar ist, wo und wie sich Energiesparen lohnt. 

Genau um die Sichtbarkeit des Energiekonsums ging es in einem Experiment vor einigen Jahren in Zürich. Die WissenschaftlerInnen Verena Tiefenbeck, Lorenz Goette, Kathrin Degen, Vojkan Tasic, Elgar Fleisch, Rafael Lalive und Thorsten Staake Overcoming Salience Bias: How Real-Time Feedback Fosters Resource Conservation | Management Science (informs.org)*  wollte herausfinden, ob eine sofortige Rückmeldung zum Verbrauch das Verhalten den Menschen beeinflussen kann. Zu diesem Zweck installierten sie zusammen mit dem EWZ (Elektrizitätswerk Zürich) in mehreren hundert Haushalten digitale Geräte zur Messung des Energieverbrauchs beim Duschen in Echtzeit. Die Daten der Testhaushalte wurden anschliessend mit denjenigen einer Kontrollgruppe ohne Geräte verglichen. 

Das verblüffende Resultat: das Feedback noch unter der Dusche reduziert den Energieverbrauch um ganze 22%, oder um deutlich mehr, als der durchschnittliche Haushalt für die Beleuchtung ausgibt. Dies ohne irgendwelche Belohnungen für die Testgruppe und in einer Zeit, in der die Energiekrise noch in weiter Ferne schien. 

Die Einsparungen waren höher, länger anhaltend und treffsicherer als Kampagnen («Ogi kocht Eier») oder als Interventionen, die den Energieverbrauch zeitverschoben oder aggregiert zurückmeldeten, zum Beispiel als Wochenrechnung. Die Echtzeitfeedbacks wirkten nicht nur in der Anfangsphase, sondern über die ganze Versuchszeit von mehr als zwei Monaten. Und das Schönste: Gerade diejenigen, die bisherigen Lang-Warm-Duscherinnen reduzierten beim Echtzeit-Feedback ihren Verbrauch am meisten. 

Das Sprichwort «Ab Aug’ ab Herz» gilt auch hier: Menschen haben die Tendenz, sich auf Dinge oder Informationen zu konzentrieren, die sichtbar sind und auffallen, während sie eher ignorieren, was nicht ins Auge fällt. Die Forschung spricht von einem Salience Bias (etwas schwerfällig als «Hervorhebungsverzerrung» übersetzt). Das heisst nicht, dass die Leute irrational oder faul sind. Nur ist Informationsbeschaffung und -verarbeitung oft zeitaufreibend und teuer. (Für Interessierte: Etwas Hintergrund zur Rolle von Salience bei ökonomischen Entscheidungen Pedro Bordalo, Nicola Gennaioli und Andrei Shleifer Salience | NBER)

Die Wirkung der Salience von Informationen auf unser Verhalten ist nicht auf den Energieverbrauch beschränkt. Die empirische Forschung zeigt klar, dass auch die Sichtbarkeit von Steuern und Gebühren einen Einfluss auf das Verhalten der Konsumenten und Steuerzahlerinnen hat. 

So zeigen die amerikanischen Forscher Raj Chetty, Adam Looney, and Kory Kroft Chetty_SalienceTaxation.pdf (harvard.edu), dass die Verkaufssteuer in Geschäften unterschiedlich wirkt, je nachdem, ob sie bereits auf den Preisschildern im Regal eingerechnet und somit sichtbar ist (wie in den USA üblich) oder erst statt nachträglich an der Kasse erhoben wird. Mit Preisschildern inklusive Verkaufssteuer war die Nachfrage im Lebensmittelgeschäft um 8 Prozent geringer.

Auch eine Alkoholsteuer, die in den angegebenen Preisen enthalten ist, reduziert den Alkoholkonsum stärker als eine Steuer, die an der Kasse zum Rechnungsbetrag addiert wird. Für die Geschäfte und den Fiskus ist es somit profitabel, wenn die Steuer erst dann erhoben wird, nachdem die Kaufentscheidung bereits gefallen ist. Doch die geringe Sichtbarkeit von Lenkungssteuern verändert das Konsumverhalten und unterläuft die angestrebte Prävention. 

Eine geringe Sichtbarkeit von Verbrauch und Gebühren für die Konsumenten wirkt sogar zurück auf Preise und Steuersätze. Amy Finkelstein E-ZTax: Tax Salience and Tax Rates | NBER analysiert dies am Beispiel der Strassengebühren: Werden die Gebühren elektronisch erhoben – das heisst so, dass die Autofahrer sie nicht jedes Mal direkt sehen können, wenn sie eine Bezahlstation passieren – liegen die Gebühren um etwa 20-40% höher im Vergleich zu einer manuellen Bezahlung.

Je sichtbarer („salient“) eine Steuer ist, desto grösser der politische Druck, den Steuersatz tief zu halten. Daten aus den USA zeigen, dass der Übergang zur Quellenbesteuerung – anstelle der in der Schweiz üblichen Steuererhebung beim Individuum – tendenziell zu höheren Steuern führte. Versteckte Steuern wie die Quellensteuern lassen sich besser erheben und erhöhen als klar sichtbare Steuern. 

Ein interessantes Beispiel dafür ist die US amerikanische property tax (eine Art Grundsteuer, die sich am Wert des Grundstücks/Immobilie misst und die auf Gemeindeebene erhoben wird), wie Marika Cabral und Caroline Hoxby The Hated Property Tax: Salience, Tax Rates, and Tax Revolts | NBER zeigen: Als sichtbarste Steuer wird sich am vehementesten bekämpft, inclusive Steuerrevolten. Dies obwohl die meisten Amerikaner viel mehr Einkommenssteuern als property tax bezahlen.

Wir unterschätzen nicht nur unseren (Energie)Verbrauch, sondern auch Gebühren und Steuern, wenn sie nicht direkt sichtbar sind. Mit weitgehenden Konsequenzen: Unvollständig informierte Menschen können sich schlechter anpassen und sich auch weniger wehren. Die Verzerrungen kosten; nicht nur den Einzelnen, sondern gerade im Energie- und Klimabereich der Gesellschaft insgesamt. 

Bequemerweise müssen wir zum Duschen keine Münzen mehr einwerfen (obwohl die Geräte noch im Handel sind). Wie im EWZ-Versuch kann die Digitalisierung, Informationen in unserem Alltag in Echtzeit verfügbar machen. Und wir können unsere Entscheidungen so treffen, wie wir wirklich möchten. 

Sichtbarkeit im Sinne von Salience bedingt auch Fokussierung. Ein Haushalt mit dem Armaturenbrett eines Jumbo-Jets ist nicht die Lösung. Gerade dort, wo der Staat eine Echtzeit-Messung fördert, lohnt sich eine Konzentration auf das Wichtigste. Sonst kippt die Informationslücke in eine Informationsflut. In einer Energiekrise nützt der Kilowattzähler am Eierkocher kaum mehr als an Sparkoch Ogi zu denken.

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