Wechselkursampel: grün mit gelbem Blinklicht

Urs Birchler

Die neuesten Zahlen, die die SNB dem IMF liefert, deuten darauf hin, dass die Märkte nach wie vor an die Wechselkursgrenze von 1.20 zum Euro, bzw. an den Willen der SNB zu deren Verteidigung glauben, dass dieser Glaube aber auch nicht überstrapaziert werden darf. Im März lagen die gemeldeten Währungsreserven noch komfortabel unter dem Niveau vom vergangenen August, d.h. kurz vor der Einführung der Wechselkursgrenze. Gleichzeitig übertrafen sie zum ersten Mal im laufenden Jahr den Vormonatsstand (Ende Februar). Die Zunahme um 4,5 Prozent liegt wohl im Streubereich. Wer aus der Zunahme schliesst, eine Anhebung der Wechselkursgrenze wäre eine schlechte Idee und die Ernennung eines Präsidenten eine gute (siehe Eintrag von gestern), dürfte dennoch nicht ganz falsch liegen.

Währungsreserven der SNB (gemäss IMF data dissemination standard; Monatsenden in Mio. CHF:

237’454 Mar 2012
227’230 Feb 2012
227’212 Jan 2012
254’254 Dez 2011
229’278 Nov 2011
245’036 Oct 2011
282’352 Sep 2011
253’351 Aug 2011

Bundesrätliche Ladehemmung

Urs Birchler

Wird die Nationalbank ihre Generalversammlung am 27. April ohne gewählten Präsidenten abhalten müssen? Dessen Amt bliebe damit seit bald vier Monaten verwaist. Das ist zwar noch kein Weltrekord: In Indonesien blieb der Sitz des Gouverneurs während neun Monaten vakant; in Pakistan 2010 und während drei Monaten (2010) und einem Monat (2011). Aber es ist auch kein gutes Zeichen.

Zuständig für die Ernennung des Präsidenten des Direktoriums der Nationalbank ist gemäss Nationalbankgesetz (Art. 43) der Bundesrat — und zwar nicht auf Empfehlung des Bankrates. Eine Empfehlung des Bankrates ist nur notwendig zur Wahl ins Direktorium (Art. 34 Abs. 2); welches Mitglied des Direktoriums dann Präsident oder Vizepräsident wird, liegt allein in der Kompetenz des Bundesrates (Art. 34 Abs. 2).

Dass es ein Schildbürgerstreich wäre, dem amtierenden Vizepräsidenten Thomas Jordan einen Externen vor die Nase zu setzten, scheint unbestritten. Warum dann Thomas Jordan mit der provisorischen Zwei auf dem Rücken die GV leiten lassen? Glaubt am Ende jemand, ihn weichklopfen zu müssen? Anders kann ich mir die Ladehemmung im Bundeshaus beim besten Willen nicht erklären. In Zeiten, wo die einen von Wechselkursen von 1.40 zum Euro schwärmen, während die Nationalbank täglich dem lieben Gott danken muss, wenn sie mit 1.20 über die Runden kommt, scheint es vielleicht attraktiv, den Bewerber fürs Präsidium noch etwas zu grillieren. Ob es klug ist, ist eine andere Frage.

Wer hat hier Regeln verletzt?

Urs Birchler

Es hört einfach nicht auf. Nachdem der renommierte Journalist Arthur Rutishauser vom Tagesanzeiger mit dem nicht-existierenden Hummer nach Jean-Pierre Danthine geworfen hat und aus dem journalistischen Abseits zurückgepfiffen werden musste, versucht er von den Vorwürfen noch einen Zipfel zu retten. Heute schreibt er zusammen mit Romeo Regenass: „Die Devisentransaktionen von Hildebrand und Direktoriumsmitglied Jean-Pierre Danthine wären [nach den Reglementen anderer Notenbanken] klare Regelverstösse gewesen.“ (Dienstag 13. März 2012, S. 39).

Ist das wirklich so? Gerne möchte ich wissen (nur bezogen auf JPD): Um welches Reglement welcher Notenbank handelt es sich konkret? Welche Bestimmungen in diesem Reglement wurden wie verletzt? Und bei welchen Notenbanken wären das keine Regelverstösse (ich wette: bei der überwiegenden Mehrheit)?

Falls diese Fragen klar beantwortbar sind, danke ich für das Füllen einer Verständnislücke. Andernfalls sind mir Sinn und Zweck der zitierten Aussage nicht klar. In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass nicht nur die Schweizerische Nationalbank ein Reglement hat, sondern auch der Schweizerische Presserat (siehe z.B. Ziff. 1, 3, 5). (Das Reglement gilt im Prinzip auch für Sonntags-Journalisten):

Erklärung der Pflichten der Journalistinnen und Journalisten

Die Journalistinnen und Journalisten lassen sich bei der Beschaffung, der Auswahl, der Redaktion, der Interpretation und der Kommentierung von Informationen, in Bezug auf die Quellen, gegenüber den von der Berichterstattung betroffenen Personen und der Öffentlichkeit vom Prinzip der Fairness leiten. Sie sehen dabei folgende Pflichten als wesentlich an:

  1. Sie halten sich an die Wahrheit ohne Rücksicht auf die sich daraus für sie ergebenden Folgen und lassen sich vom Recht der Öffentlichkeit leiten, die Wahrheit zu erfahren.
  2. Sie verteidigen die Freiheit der Information, die sich daraus ergebenden Rechte, die Freiheit des Kommentars und der Kritik sowie die Unabhängigkeit und das Ansehen ihres Berufes.
  3. Sie veröffentlichen nur Informationen, Dokumente, Bilder, und Töne deren Quellen ihnen bekannt sind. Sie unterschlagen keine wichtigen Elemente von Informationen und entstellen weder Tatsachen, Dokumente, Bilder und Töne noch von anderen geäusserte Meinungen. Sie bezeichnen unbestätigte Meldungen, Bild -und Tonmontagen ausdrücklich als solche.
  4. Sie bedienen sich bei der Beschaffung von Informationen, Tönen, Bildern und Dokumenten keiner unlauteren Methoden. Sie bearbeiten nicht oder lassen nicht Bilder bearbeiten zum Zweck der irreführenden Verfälschung des Originals. Sie begehen kein Plagiat.
  5. Sie berichtigen jede von ihnen veröffentlichte Meldung, deren materieller Inhalt sich ganz oder teilweise als falsch erweist.
  6. Sie wahren das Berufsgeheimnis und geben die Quellen vertraulicher Informationen nicht preis.
  7. Sie respektieren die Privatsphäre der einzelnen Personen, sofern das öffentliche Interesse nicht das Gegenteil verlangt. Sie unterlassen anonyme und sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen.
  8. Sie respektieren die Menschenwürde und verzichten in ihrer Berichterstattung in Text,Bild und Ton auf diskriminierende Anspielungen, welche die ethnische oder nationale Zugehörigkeit, die Religion, das Geschlecht, die sexuelle Orientierung, Krankheiten sowie körperliche oder geistige Behinderung zum Gegenstand haben. Die Grenzen der Berichterstattung in Text, Bild und Ton über Kriege, terroristische Akte, Unglücksfälle und Katastrophen liegen dort, wo das Leid der Betroffenen und die Gefühle ihrer Angehörigen nicht respektiert werden.
  9. Sie nehmen weder Vorteile noch Versprechungen an, die geeignet sind, ihre berufliche Unabhängigkeit und die Äusserung ihrer persönlichen Meinung einzuschränken.
  10. Sie vermeiden in ihrer beruflichen Tätigkeit als Journalistinnen und Journalisten jede Form von kommerzieller Werbung und akzeptieren keinerlei Bedingungen von seiten der Inserenten.
  11. Sie nehmen journalistische Weisungen nur von den hierfür als verantwortlich bezeichneten Mitgliedern ihrer Redaktion entgegen, und akzeptieren sie nur dann, wenn diese zur Erklärung der Pflichten der Journalistinnen und Journalisten nicht im Gegensatz stehen.

Darf Jean-Pierre Danthine zurücktreten?

Urs Birchler

Vorab: Ich habe mehr als zwei Jahrzehnte bei der SNB gearbeitet. Jean-Pierre Danthine war noch nicht bei der SNB, aber ich kenne ihn gleichwohl. Ich bin also doppelt voreingenommen. Aber wenn es um die Unabhängigkeit der Nationalbank geht, kenne ich keinen Spass.

Es ist eine historisch zig-mal belegte Tatsache, dass politische Abhängigkeit einer Notenbank früher oder später ins monetäre Verderben (Inflation) führt. Mehr Geld alias tiefe Zinssätze alias ein tiefer Wechselkurs sind einfach zu verführerisch. Gleichzeitig ist in der Schweiz mit einem ausgeklügelten Mechanismus sichergestellt, dass die SNB trotz ihrer Unabhängigkeit nicht abgehoben handeln kann. Dazu gehört, dass sich die Nationalbank auf ein messbares Ziel (Infation unter 2%) verpflichtet und regelmässig Rechenschaft ablegt.

Leider ist die Unabhängigkeit einer Notenbank immer gefährdet. Beispielsweise versucht der Bundesrat gegenwärtig zu zeigen, wer die Hosen anhat, indem er die Ernennung von Thomas Jordan zum Präsidenten bis an die nationale Schmerzgrenze verzögert (derselbe Bundesrat, der sich so enorme Sorgen gemacht hat, der Abgang von Philipp Hildebrand könnte die Glaubwürdigkeit der Wechselkursgrenze zum Euro gefährden).

Schlimmer als der Bundesrat ist aber ein Teil der Presse, die versucht Jean-Pierre Danthine zu demontieren , (zum Sonntags-Vergnügen von Kreisen, welche die Unabhängigkeit der SNB ohnehin nicht mögen). Aufmerksame Journalisten sind natürlich das Salz der Demokratie, aber zur Aufmerksamkeit gehört auch ein minimales Interesse für Fakten und vielleicht ab und zu eine kurze Reflexion. Hier möchte ich zwei Gedanken zu den Transaktionen von JPD offerieren (die absurde Spesengeschichte des Tages-Anzeiger ist keinen Kommentar wert ausser, dass JPD — genau wie ich und die meisten unserer Fachkollegen — froh ist über jeden Restaurant-Hummer, den er nicht essen muss, und statt dessen zuhause mit Frau oder Familie einen Salami aufschneiden darf):

  • Die SNB-Pensionskasse ist leicht asymmetrisch strukturiert: Die Bank zahlt mehr als die Hälfte der Beiträge, behält aber auch viel zurück, wenn jemand austritt. Dahinter steht die heute vielleicht altväterisch anmutende, aber grundanständige Überlegung, dass SNB-Mitarbeiter für die Treue zur Institution belohnt werden sollen. Vorzeitige Abgänger — wie Philipp Hildebrand — werden durch diese eingeschränkte (aber gesetzeskonforme) Freizügigkeit finanziell bestraft. Wer spät eintritt, wie JPD, wird ebenfalls bestraft, weil er Beträge einkaufen muss, die anderen Mitarbeitern über die Jahre hin zum Teil von der SNB bezahlt worden sind. Wenn JPD einen grossen Betrag einkaufen musste (und deshalb Euro verkaufte) ist das also normal. Wenn die SNB einen Teil des Einkaufs übernahm, ist es zumindest nicht unfair.
  • Die zweite Verkaufs-Transaktion in Euro (auf Initiative seiner Bank und vom SNB-Reglement innerhalb eines Jahres gefordert) erfolgte im nachhinein im „dümmsten“ Moment, d.h. auf einem kurzfristigen Höhepunkt des Euro-Franken-Kurses. Betonung: „im nachhinein“. Die nachträgliche Unterstellung, die Kursbewegungen vorausgesehen (und wissentlich ausgenützt zu haben) ist selbst an ein Direktoriumsmitglied der SNB absurd. Viele Journalisten ahnen nicht, wie schwierig Finanzmärkte zu prognostizieren sind, auch für sogenannte „Insider“. Ich habe an manchen Sitzungen zur Vorbereitung geldpolitischer Entscheide teilgenommen und fast jedesmal lautete die Diagnose: Es war noch nie so schwierig wie heute.

Kurz: JPD hat offenkundig werder etwas Unlauteres versucht, noch getan. Ein wichtigeres Pressethema als irrelevante alte Spesenbelege (wer bewahrt so was jahrelang auf???) wäre beispielsweise die Verzögerungstaktik des Bundesrates bei den Ersatzwahlen ins SNB-Direktorium. Ebenfalls eine Überlegung wert wäre vielleicht die Frage: Was, wenn JPD von verleumderischen Artikeln genervt den Bettel hinschmeisst? Wo finden wir einen ähnlich kompetenten Nachfolger (aus der nicht-deutschen Schweiz)? Für jenen Journalisten, der vermeint, JPD sei „kein Währungsspezialist“ und all jene, die „Professor“ ohnehin für eine Behinderung ansehen, ist das kein Problem. Für alle andern vielleicht schon.

SNB bleibt glaubwürdig

Urs Birchler

Verschiedene Pressestimmen warnten nach dem Rücktritt von Präsident Philipp Hildebrand am 9. Januar 2012 vor einem Angriff der Spekulanten auf die Wechselkursgrenze von einem Euro zu 1.20 Franken. Schon vor einer Woche publizierte die SNB die Januar-Zahlen unter dem IMF Data Dissemination Standard. Und siehe da: Die Nationalbank musste (netto) offenbar überhaupt nicht intervenieren. Ihre Devisenreserven gingen sogar markant zurück und fielen auf deas Niveau vom vergangenen November. Fazit: Die „Spekulanten“ folgten den Spekulationen der Journalisten nicht. Es wäre zu teuer gewesen. Ist dieses „Nicht-Ereignis“ eine Zeitungsmeldung wert?

Fremdwährungsreserven der SNB (in Mio CHF):

227’212 Jan 2012
254’254 Dez 2011
229’278 Nov 2011
245’036 Oct 2011
282’352 Sep 2011
253’351 Aug 2011

Jedes Reglement hat auch seine Löcher

Monika Bütler

Fast alle Regeln lassen Möglichkeiten offen, sie gegen ihren Geist auszulegen. Mehr noch: Je genauer und spezifischer die Regeln, desto genauer umrissen sind für findige Köpfe auch die Löcher. Am besten weiss dies wohl das Steueramt.

Die untenstehende Kolumne – erschienen in der NZZ am Sonntag vom 29. Januar 2012 – hatte ich schon lange vor der Diskussion um die SNB Reglemente im Kopf, die Hälfte war bereits vor Monaten auf dem elektronischen Papier. Mein Kollege Jörg Baumberger hat mir dann noch den letzten Anstoss gegeben, die Kolumne auch wirklich fertig zu schreiben. Er hat mir nämlich eine der legendären Pepper… and Salt Cartoons des Wallstreet Journals zugesteckt. Ein frohlockender Lobbyist meint dort: „The great thing about regulations is more loopholes.“

Mein Dank geht an Jörg Baumberger, Silvio Borner und andere Kollegen, die mir in den letzten Wochen aufmunternd zur Seite gestanden sind. Und natürlich an meine Familie. Unsere Kinder haben nämlich bisher jedes noch so raffinierte Reglement, jeden vermeintlich „optimalen“ Anreizvertrag ausgehebelt. Noch am besten funktionieren unspezifische Verhaltensregeln (lieb und anständig sein).

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Jedes Reglement hat auch seine Löcher

Schlaumeier nützen Lücken in den Vorschriften aus – was zu noch mehr Regeln führt

Roger Federer ist dafür. Rafael Nadal eher dagegen. Es geht um die Pflicht für Athleten, ihren Aufenthaltsort laufend der Internationalen Anti-Doping Agentur zu melden. Vollkommene Transparenz soll die Kontrolle darüber erleichtern, ob ein Athlet verbotene Substanzen verwendet. In einer langen Liste sind diese abschliessend aufgezählt. Man hat nicht einmal vergessen, den Alkohol aus dem Automobilrennsport zu verbannen.

Es gibt kaum ein extremeres Beispiel für Transparenzpflichten und ausdetaillierte Regeln. Da hat es sich Moses mit der saloppen Formel „Du sollst nicht ehebrechen“ doch einfach gemacht. Traurige Gemeinsamkeit: Weder die leistungssteigernde Medizin noch der Ehebruch sind bislang verschwunden.

Trotzdem wissen viele, wie Finanzgeschäfte eines Notenbankpräsidenten zu behandeln sind: Mit schärferen Regeln.

Vergessen geht dabei: Fast alle Regeln lassen Möglichkeiten offen, sie gegen ihren Geist auszulegen. Mehr noch: Je genauer und spezifischer die Regeln, desto genauer umrissen sind für findige Köpfe auch die Löcher (fragen Sie beim Steueramt nach). Der Emmentaler ist zwar klarer strukturiert als der Hüttenkäse, hat aber gerade darum auch duetlichere Löcher, durch die man den Finger stecken zu kann, ohne den Käse zu berühren. Das Wallstreet Journal brachte es vor vielen Jahren mit einem ihrer legendären Pepper…and Salt Cartoons auf den Punkt: „The great thing about regulations is more loopholes.“

Detaillierte Regeln können notwendig sein, um das Individuum zu schützen. Gleichzeitig bergen sie die Gefahr, dass ein dem Geist der Regeln entsprechendes Verhalten geahndet wird. Darum wissen Eltern: Das Versprechen: „Wenn Ihr lieb seid …“, ist meist besser verständlich und wirksamer als lange Verbots- oder Gebotslisten.

So wäre es nicht nur in der Kinderstube, sondern auch an der Uni. Die Spannung zwischen dem Geist eines Reglements und seinen konkreten Auswirkungen ist an den Hochschulen spür- und sichtbar. Der Studienbetrieb ist heute stark ver-reglementiert –  angefangen bei der Aufnahme, über Wahlmöglichkeiten, bis zur Anerkennung von Leistungen, und zu guter letzt den Noten. Nicht nur mit unerwünschten Folgen. Schlaumeiern gelingt es immer wieder, Lücken zu finden. Gleichzeitig bleiben oft gerade brillante und aussergewöhnliche Studierende an Vorschriften hängen. Sie können nicht zugelassen werden oder müssten unverhältnismässige und unzumutbare Extraleistungen bringen.

Wir schimpfen und vergessen, dass wir an dieser Entwicklung mitschuldig sind. Regelkonforme aber dem Geist der Hochschule widersprechende Verhalten von Schlaumeiern führen zu Forderungen nach mehr und klareren Regeln. Am Ende treffen die von uns gewünschten und von der selbstverständlich bösen Verwaltung umgesetzten Vorschriften die Falschen. Die Mehrheit der Student(inn)en und der Professor(inn)en hat den Überblick über die Reglemente ohnehin längst verloren und es ist reiner Zufall, dass sie die Vorschriften nicht verletzen. Unser Regelsystem gleicht immer mehr einem Parmesan, durch den es kein Durchkommen gibt, als einem Hüttenkäse wo sinnvolle Lösungen, die dem Geist der Uni entsprechen, noch möglich sind.

Ausgerechnet der vermeintliche Elfenbeinturm ist ein gutes Abbild des richtigen Lebens: Die Verrechtlichung nimmt überhand, der gesunde Menschenverstand wird verdrängt. Es sind nicht die unterbeschäftigten Bürokraten, die uns das Leben schwer machen. Wir sind es selber, indem wir bei jedem Problem dem „Lückenfüll-Reflex“ erliegen.

Den goldenen Mittelweg zu finden zwischen Vorschriften, die Missbrauch vernünftig einschränken, ohne gleichzeitig den Geist der Regulierung abzuwürgen, ist zugegebenermassen schwierig. Der Einsatz lohnt sich aber. Im Gegensatz zu den Erziehungsregeln, die nach einigen Jahren ohnehin obsolet werden, bleiben uns die meisten anderen Vorschriften oft sehr lange erhalten.

Hellblaues Auge für die SNB

Urs Birchler

Heute vor genau einem Quartal beschloss die SNB die Kursuntergrenze von 1.20 CHF für den Euro. Ebenfalls heute hat sie die neuesten Zahlen für den IMF publiziert. Diese geben einen groben Anhaltspunkt für die Veränderung der Devisenreserven. Wir haben bereits früher festgestellt, die SNB sei bis Ende September mit einem hellblauen Auge davongekommen. Die Zahlen für Oktober-November sehen eher noch günstiger aus. Die SNB scheint sogar Fremdwährungsbestände abgebaut zu haben (wieviel davon in Euro wissen wir leider nicht).

Fremdwährungsreserven der SNB (in Mio CHF):

229’278 Nov 2011
245’036 Oct 2011
282’352 Sep 2011
253’351 Aug 2011

Dies meine ich nicht als Aufforderung, übermütig zu werden und die Kursgrenze hochzuschraben. Der Euro ist noch nicht über den Berg. Oder verstehen Sie, was Angela Merkel und Nicolas Sarkozy wirklich beschlossen haben (und was davon eine Chance hat, umgesetzt zu werden)?

Ist Italien ein Risiko für die Schweizer Banken?

Urs Birchler

Mit der Zuspitzung der Italien-Krise steigt auch wieder das Interesse an den Ausständen der Schweizer Banken gegenüber Italien. Dazu gibt es zwei Statistiken, jene der BIZ und jene der SNB.

Journalisten nehmen gerne jene der BIZ, gehen dabei aber fehl. Die BIZ-Statisik behandelt nämlich Banken nach ihrem Domizil. Konkret: Hat die Filiale einer italienischen Bank in London Schulden gegenüber einer Schweizer Bank, so zählt dies die BIZ als Guthaben der Schweizer Bank gegenüber dem Vereinigten Königreich. Die BIZ ist allerdings nicht etwa blöd; ihre Statistik dient der Berechnung von internationalen Zahlungsbeziehungen, nicht der Messung von Bankrisiken.

Die Nationalbank hingegen verwendet in ihrer Jahresstatistik das Unternehmensprinzip. Die ausländische Filiale (z.B. CS London) gilt dabei als Teil der Unternehmung (CS), was sie risikomässig auch ist (anders als eine rechtlich selbständige Tochtergesellschaft). Nach dieser Statistik betrugen die Ausstände der Schweizer Banken gegenüber Italien (in Mrd. Fr.) per Ende 2010:

  • 7,7 insgesamt, davon 2,2 gegenüber Banken (bei jeweils ungefähr doppelt so hohen Verbindlichkeiten)
  • 0,29% der Bilanzsumme, bzw. 5,1% der eigenen Mittel.

Fazit 1: Die Schweizer Banken gehen wegen Italien allein nicht unter.

Fazit 2: Die richtige Statistik verwenden (wir haben schon früher darauf aufmerksam gemacht, aber nicht mit vollem Erfolg).

SNB: Mut zur Feigheit!

Urs Birchler

Die Presse berichtet, die „zuständige“ Nationalratskommission (seit wann ist eine NR-Kommission für den Wechselkurs zuständig?) liebäugle mit einer Untergrenze für den Euro von Fr. 1.30. In den letzten Tagen war der Wert von Fr. 1.25 herumgeboten worden. Bei Economiesuisse weiss man, der Gleichgewichtskurs liege zwischen 1.30 und 1.40 Franken, und für den Gewerkschaftsbund ist ohnehin kein Eurokurs zu hoch.

Mit 1.20 hat’s prima funktioniert — weshalb nicht dasselbe bei 1.30 noch mal probieren? Erstens: Die Schweiz kann die Euro-Krise nicht ohne Kosten durchstehen. Der Versuch, mit einem zu ambitionierten Wechselkursziel „geizig zu jassen“ ist deshalb riskant. Zweitens gibt es eine der Ökonomie übergeordnete Lebensweisheit: Man soll das Schicksal, wenn man einmal Glück gehabt hat, nicht herausfordern. Perfekt dargestellt in „Der Taucher“ (1797) von Friedrich Schiller: Der wagemutige Knappe holt des Königs goldenen Becher vom Meeresgrund. Der König erhöht den Einsatz, und der Knappe, erfolgstrunken, taucht noch mal. Das Ende kennen wir:

Es kommen, es kommen die Wasser all,
Sie rauschen herauf, sie rauschen nieder,
Den Jüngling bringt keines wieder.

Die Nationalbank hat mit Fr. 1.20 das Glück des Tüchtigen einmal gehabt. Klar, es könnte mit 1.25 oder 1.30 noch einmal gelingen. Aber die Finanzmärkte könnten auch zum Test ansetzen. Dann klingt das Ende so:

Es kommen, es kommen die Euro all,
Sie rauschen herauf, sie rauschen nieder,
Den Franken bringt keiner wieder.