Steckt unser Geld in der Falle?

Urs Birchler

Am Tag, als die Nationalbank Negativzinsen auf ihren Girokonti einführte, schrieb ich hier naiv, allzu negativ könnten die Zinsen nicht werden. Sonst würden die Banken ihre Giroguthaben lastwagenweise in bar bei der SNB abholen. Jedoch: so klar ist dies anscheinend nicht.

These: Die Zürcher Privatdozentin Corinne Zellweger-Gutknecht argumentiert in der ZfPW (3/2015, S. 350-375), dass gemäss Währungs- und Zahlungsmittelgesetz (WZG) aus dem Jahre 2000 die Giroguthaben der Banken bei der SNB (gegenüber den Inhabern von Girokonti) gesetzliche Zahlungsmittel sind. Im Klartext: Weiterlesen

Eigenmittelvorschriften: Gift für die Banken?

Urs Birchler

Ex-NZZ Wirtschaftschef Beat Gygi behauptet in der Weltwoche (11.2.2016, S. 22), die Eigenmittelvorschriften seien schuld am relativen Misserfolg der Schweizer Banken (ähnlich, wie wenn die Geschwindigleitslimiten schuld wären an den Unfällen auf der Strasse). Jeder Eigenmittelfranken koste die Bank 10 Rappen.

Diese Zahl ist nicht nur frei erfunden. Sie ist auch falsch. Das Argument, dass Eigenmittel teuer sind, ist längst widerlegt. Weiterlesen

The Doggie Glass

Urs Birchler

Vor Jahren in einem indischen Restaurant in Charlottesville (VA). Weil wir alles indian hot bestellt hatten, blieb einiges in der Schüssel liegen. Dafür gewannen wir offenbar die Sympathie des Personals. Jedenfalls staunten wir zuhause, als im Doggie Bag auch noch grosszügige Zugaben aus der Küche enthalten waren.

Vor ein paar Wochen ass ich in einem der Uni Zürich zugehörenden Restaurants, dessen wohldosierte Portionen die nachmittägliche Lehr- und Forschungstätigkeit nicht beschweren. Aus Fürsorge für meinen Gast (und eigenem Interesse) fragte ich den Kellner, ob ein bisschen zusätzliches Brot erhältlich wäre (es werden jeweils nur wenige winzige Scheibchen serviert).

„Ungern“, meinte der Kellner Weiterlesen

Vollgeld: Louisiana 1842

Urs Birchler

Die Vollgeld-Idee wurde in der Praxis bereits einmal erprobt. Und das kam so: Die USA erlebten 1837 (nachdem die Charter für die Zentralbank, die Second Bank of the United States, nicht erneuert worden war) eine schwere Wirtschafts- und Bankenkrise. In der Folge zog sich der Bundesstaat aus der Bankenregulierung zurück, und die einzelnen Staaten gingen in der Gesetzgebung getrennte Wege. New York ging über zum Free Banking, einem im wesentlichen nicht-regulierten Bankwesen, samt Ausgabe von Banknoten durch die privaten Banken. Indiana erlaubte Bankgeschäfte nur einer Staatsbank. Texas und Iowa verboten Banken überhaupt.

Einen Mittelweg wählte Louisiana mit der Banking Act von 1842. Banken wurden verpflichtet, ihre ausgegebenen Banknoten plus Depositen voll zu unterlegen mit (a) Bargeld (mindestens zu 1/3) und (b) Papieren mit Laufzeit von maximal 90 Tagen (für die übrigen 2/3). Diese Papiere durften bei Fälligkeit auf keinen Fall erneuert werden, damit keine Kurzfristigkeit vorgegaukelt werden konnte. Der liquide Teil der Bilanz hiess Movement, der langfristige Teil Dead Weight.

Das System, das dem Vollgeld (mit Silber anstatt Guthaben bei einer Zentralbank) also recht nahe kam, wurde unter dem Namen seines Erfinders Edmund J. Forstall bekannt als Forstall-System. Näheres findet sich in einem Artikel des Bankenhistorikers Bray Hammond von 1942. Das System bewährte sich nicht schlecht: In der Krise von 1857 mussten die Banken in anderen Staaten ihre Schalter schliessen — nicht aber in Louisiana.

Wie sehr sich die Erfahrung mit dem Forstall-System verallgemeinern lässt, ist umstritten. Louisiana war mit dem weltweit viertgrössten Handelshafen New Orleans auch Umschlagplatz für mexikanisches Silber, wodurch die Banken ohnehin eher liquid waren. George D. Green weist in Finance and Economic Development in the Old South: Louisiana Banking, 1804-1861 von 1972 auf einen besonders interessanten Punkt hin: Louisiana blieb vom Bankenkrach vielleicht nicht in erster Linie deshalb verschont, weil das „Vollgeld“ in der Krise die Banken stärkte, sondern weil es die Banken (aufgrund der strengen Liquiditätspflicht) bereis im vorangegangenen Boom an übermässigem Kreditwachstum gehindert hatte.

Nach dem Bürgerkrieg inspirierte Louisiana auch die Bankengesetzgebung von New York und Massachussets; indirekt sogar die spätere Bankengesetzgebung auf Bundesebene und die Gesetzgebung bei der Errichtung des Fed.

Freispruch für Bargeld

Urs Birchler [Warnung: Der Autor ist als Mitveranstalter nicht neutral.]

Der Prozess ist vorbei. Am Donnerstag stand (wie hier angekündigt) im Miller’s das Bargeld vor dem Richter. Die Anklage:

  1. Bargeld spielt eine entscheidende Rolle bei zahlreichen kriminellen Tätigkeiten.
  2. Bargeld ist ein ineffizientes (d.h. zu teures) Zahl ungsmittel.
  3. Bargeld behindert die Geldpolitik in Zeiten, in denen der optimale Zinssatz negativ ist.

Der Richter folgte weitgehend der Jury, die auf „unschuldig in allen Punkten“ erkannte. Zum Teil dürfte der Freispruch daran liegen, dass als Schuldkriterium die Latte mit „beyond reasonable doubt“ hoch gelegt war. Auch die meisten Zeugen und Experten — alles international renommierte Forscher — neigten auf die „pro cash“-Seite. Ihre Referate (Folien) sind bei SUERF abrufbar. Ausnahme Peter Sloterdijk, der gegen Schluss mit dem Besen (echt und philosophisch) die Bühne wischte und den tiefen Hang des Menschen zu Barem erklärte.

Für mich mindestens so wichtig wie das Ergebnis: Unser Format „Dramatische Konferenz“ (in der Ausschreibung noch versteckt hinter einem konventionell aufgesetzten Konferenz-Programm) hat funktioniert. Die Referenten blieben fokussiert, Befragungen waren intensiv, und das Publikum blieb gespannt bei der Sache. Radio SRF1 hat in einem längeren Beitrag, z.T. mit O-Ton, berichtet.

Nähere Auskünfte: Barbara Ellenberger (Ellenberger@millers-studio.ch) und Urs Birchler (urs.birchler@bf.uzh.ch).

Bargeld abschaffen?

Urs Birchler

In verschiedenen Ländern ist der Bargeldgebrauch eingeschränkt, und weitere Einschränkungen sind geplant.
Kritiker halten Bargeld für ein instrument des Verbrechens und der Geldwäscherei, Techno-Pioniere betrachten es als ineffizient, und den Notenbanken ist es im Weg, wenn sie Negativzinsen einführen wollen. Die liberalen Befürworter des Bargelds umgekehrt halten Bargeld und die mit ihm verbundene Diskretion für eine tragende Säule der individuellen Freiheit. Wer hat recht?

Wir wollen es wissen und lassen beide Seiten aufeinander los:

Donnerstag, 5. Nov. 2015: Dramatische Konferenz zum Thema Bargeld

Im Miller’s Theater (Mühle Tiefenbrunnen) findet von 9-17h eine Konferenz in Theaterform statt zum Thema „Cash on Trial“. Grosse Namen, von Jean-Charles Rochet bis Peter Sloterdijk, treten in einer fiktiven Gerichtsverhandlung über das Bargeld auf. Veranstalter: SUERF, das Liberale Institut und das Zentrum für Finanzregulierung (ZeFiR) der UZH. Der Ausgang ist offen, die Spannung garantiert.

Anmeldung unter: www.suerf.org/zurich2015

[Hinweis auf Interessenverflechtung: als Präsident von SUERF bin ich am Ereignis persönlich beteiligt.]

Geld bleibt hier – aber dafür ist weniger da

Reto Föllmi

(der Beitrag erschien unter dem Titel „Kampagne ‚Geld bleibt hier‘ bewirkt das Gegenteil“ in Die Volkswirtschaft, Nr 11/2015)

In der gegenwärtigen wirtschaftspolitischen Debatte sind verschiedene Ideen im Umlauf, die eine irgendwie geartete Abhängigkeit vom Ausland verhindern möchten. So wird beispielsweise gefordert, den Selbstversorgungsgrad an Nahrungsmitteln zu erhöhen oder auf vermeintlich teure Energieimporte zu verzichten. In einer breiten „Geld bleibt hier“- Kampagne vermittelt ein Komitee den Eindruck, es sei doch besser, einheimische Energien zu fördern statt viel Geld für Öl-, Gas- und andere Energieimporte auszugeben.

Dieses Anliegen scheint auf den ersten Blick vernünftig. Wer kann schon gegen einheimische Energie und für Energieimporte sein, an denen sich womöglich noch Ölscheichs bereichern? So logisch sich die Argumente der Initianten auch anhören, sie erweisen sich bei genauer Betrachtung als Trugschluss. Denn bei einem Verzicht auf Importe müssen wir die Energie selber herstellen.

Wäre diese Importsubstitution lohnend, würden wir ohne Lenkung durch die Politik jetzt schon im Inland mehr Energie produzieren bzw. durch Sparmassnahmen auf Importe verzichten. Produktion im Inland ist nicht gratis, oder wie Ökonomen sagen, mit Opportunitätskosten verbunden. Die benötigten Arbeitskräfte und anderen Ressourcen für den Energiesektor müssen aus anderen Branchen oder durch Zuwanderung bzw. entsprechende Importe gewonnen werden. In anderen Wirtschaftsbereichen würden diese aber auch Einkommen erzielen, wahrscheinlich sogar ein höheres. Dass die Fachkräfte der Energiewirtschaft in anderen Sektoren nicht gebraucht würden und stattdessen arbeitslos wären, ist gegeben die Arbeitsmarktsituation schlicht Unsinn.

Wenn man der Logik des Komitees nachleben würde, sollte ein Zweiverdienerhaushalt auf Kinderkrippen, Putzfrau, Handwerker etc. verzichten, denn das sind alles Ausgaben für den Haushalt. Vergessen wird dabei, dass in der Zeit, in welcher solche Dienstleistungen erbracht werden, oft mehr Geld verdient wird, als diese kosten. Wer auf Importe verzichtet, muss alles selber produzieren, egal wie schlecht er das kann. Dies verhindert, dass sich die Volkswirtschaft auf ihre Stärken (komparativen Vorteile) konzentriert; also in Branchen wächst, wo sie relativ am meisten Wettbewerbsvorteile hat und mit geringstmöglichen Ressourceneinsatz am meisten Einkommen erzielen kann. So macht es mehr Sinn, günstigeren (auch beispielsweise ökologischen, vom deutschen Steuerzahler subventionierten) Strom aus Deutschland zu importieren und die Fachkräfte hier in der Schweiz in andern Sektoren, die ohne Unterstützung wettbewerbsfähig sind, einzusetzen.

Die Schweiz hat einen rekordhohen Exportüberschuss und belegt auf Innovations-Rankings regelmässig die vordersten Plätze. Dieser beispiellose Erfolg ist ein Beleg dafür, dass die Schweizer Volkswirtschaft im Ganzen ihre „Make or Buy“ Entscheidung gut trifft. Wir produzieren und exportieren dort, wo wir stark sind, und importieren, was wir nur teurer selber herstellen könnten.

Der berühmte Ökonom und Nobelpreisträger Paul Samuelson wurde von einem Mathematiker ironisch gefragt, ob es eine Erkenntnis der Sozialwissenschaften gebe, die sowohl wahr als auch nicht-trivial ist. Samuelson war nicht schlagfertig genug, eine passende Erwiderung zu geben. Erst viele Jahre später fiel ihm die treffende Antwort ein: die Theorie der komparativen Vorteile. In seinen Worten: “Einem Mathematiker muss man nicht erklären, dass sie logisch und korrekt ist. Dass sie nicht-trivial ist, beweisen abertausende wichtige und intelligente Leute, die niemals in der Lage waren, die Theorie selber zu begreifen oder wenigstens daran zu glauben, nachdem sie ihnen erklärt wurde.“