Labor Schweiz: fiscalfederalism.ch

Marius Brülhart, Monika Bütler, Mario Jametti und Kurt Schmidheiny

Kein anderes Land ist institutionell und politisch so vielfältig wie die Schweiz. Ganz besonders ausgeprägt ist diese Vielfalt bei den öffentlichen Finanzen. Unsere 26 Kantone und gegen 2‘500 Gemeinden geniessen weltweit einmalige Freiheiten bei der Festlegung ihrer Steuern und der Verwendung ihrer Steuereinnahmen. Dieses dezentrale Staatsgebilde – wenn auch kein Allerheilmittel – ist fester Bestandteil des schweizerischen Selbstverständnisses und hat zweifelslos Anteil an der Stabilität und am wirtschaftlichen Erfolg unseres Landes.

Für eine Untergattung der Spezies Mensch ist der helvetische Fiskalföderalismus zudem eine ganz besonders willkommene Bescherung: den empirischen Wirtschaftswissenschaftler (männlichen wie  weiblichen Geschlechts und – wie es sich für die Schweiz gehört – in allen Landesteilen vertreten). Nichts ist für den angewandten Forscher nämlich so wertvoll wie die Kombination von vielen und langen Datenreihen. Da die Schweiz schon seit geraumer Zeit in ziemlich unveränderter Form existiert, bietet sie im Prinzip lange Beobachtungshorizonte; und dank ihrer dezentralen Organisation offeriert sie potentiell eine grosse Zahl an Beobachtungseinheiten – ein ideales statistisches Labor also.

Der Haken an der dezentralen Organisation ist allerdings, dass wirtschaftspolitische Daten oft nur auf lokaler Ebene erhoben und aufgehoben werden. Um das „Labor Schweiz“ so richtig wissenschaftlich nutzen zu können, muss daher vieles an statistischem Rohmaterial erst in den Kantonen und Gemeinden eingesammelt werden. Eben diese Datensammlerei ist zentraler Bestandteil eines Nationalfondsprojektes, welches wir seit 2010 gemeinsam leiten.

Um die Früchte unserer Arbeit einem breiten Publikum zugänglich zu machen (und zur Feier der kürzlich vom Nationalfonds gewährten Projektverlängerung um weitere drei Jahre!), haben wir eine neue Internetseite eingerichtet: fiscalfederalism.ch. Dort werden wir unsere Forschungsergebnisse laufend publizieren und auch neues Datenmaterial ablegen.

Als Zückerli sei dem geneigten Batz-Leser schon einmal unsere gestaltbare Datenanimation empfohlen, mittels welcher die Entwicklung der kantonalen Steuerlandschaft seit 1996 nach Belieben dargestellt werden kann.

Verfolgen Sie zum Beispiel die Entwicklung des Kantons Schwyz hin zum Steuerparadies für Gutverdienende – hier ein Screenshot, auf fiscalfederalism.ch jedoch in dynamischer Ausführung zu geniessen.

 SZParadies

Banken sind teure Polizisten

Urs Birchler

Liechtenstein will den Automatischen Informationsaustausch anbieten. Das scheint uns keine Überraschung. Eine „manuelle“ Weissgeldstrategie, innerhalb der die Banken selber die Steuerehrlichkeit ihrer Kunden prüfen, ist schlicht zu teuer. In unserer kürzlich erschienenen International Private Banking Study haben wir berichtet, dass Liechtenstein seit 2009 von allen Ländern die stärkste Verschlechterung der „cost/income-ratio“ (Grafik) im Private Banking erlebt hat (ausgehend von einem sehr komfortablen Niveau). Nachdem Liechtenstein in die „Spitzengruppe“ (im negativen Sinn) vorgestossen ist, lag ein Strategiewechsel in der Luft.

Liechtenstein

Familienmodell der Post

Urs Birchler

Post
Am 24. November werden wir über die Familieninitiative abstimmen. Die Post hat sich bezüglich Familienmodell bereits entschieden. Heute früh stand ich recht dumm vor dem Schalter. Die Poststelle öffnet erst um 9h. Sie ist immer dann geschlossen (morgens vor 9h, über Mittag, abends nach 18h), wenn Erwerbstätige Zeit hätten (ausser Samstag, aber: Langschläfer aufgepasst!).

Offenbar hat die Post erst kürzlich (inspiriert durch die SVP-Initiative?) beschlossen, einer pro Familie soll daheim bleiben. Auf dem Internet (http://www.conviva-plus.ch/index.php?page=1483) finden sich noch Spuren der bisherigen Doppel-Verdiener-freundlicheren Öffnungszeiten (siehe unten).

Entschuldigung, aber so geht es natürlich nicht. Von der Post lassen wir uns unser Familienmodell nicht vorschreiben: Ich verlange, dass im Interesse der Gleichbehandlung verschiedener Famlienmodelle auch der E-Mail-Verkehr vor 9h morgens abgestellt wird. Damit nicht-erwerbstätige Zahnarztgattinnen nicht bereits im Internet herumshoppen können, während die Arbeitstätigen am Posteingang die Nase plattdrücken.

Post_Internet

Etwas Steuerlehre zur SVP Familieninitiative oder der Steuerwert der freien Zeit

Monika Bütler

Erschienen in der NZZ am Sonntag vom 3. November 2013 unter dem Titel „Den Familienabzug gibt es längst“.

Sie ist die personifizierte Ungerechtigkeit in den Augen der Initiatoren der SVP Familieninitiative: Die Luxus-shoppende Zahnarztgattin, die zur Ausübung ihres Hobbys ihren Porsche Cayenne auf dem Zürcher Münsterhof und ihre traurigen Kinder in der Krippe parkiert. Und dafür erst noch die Betreuungskosten in der Steuerrechnung abziehen darf. Der bescheidenen Schreinergattin, die ihre Kinder immer selber betreut, ist dieser Abzug hingegen verwehrt. Das ist selbstverständlich ungerecht und widerspricht allen Grundsätzen eines effizienten Steuersystems.

Die Lösung wäre simpel: Weiterlesen

Zwölf mal 1:12

Urs Birchler

Heute ist mein Stimmcouvert gekommen: Letzte Gelegenheit, eine Empfehlung zu 1:12 abzugeben.

  1. 1:12 ist ökonomisch falsch: Es gibt zwar grosse Lohnunterschiede in unserer Gesellschaft; es gibt aber ebenfalls Unterschiede in der Produktivität innerhalb derselben Unternehmung. Es gibt sogar innerhalb derselben Berufsgruppe (Programmierer, Fussballer und — richtig: — Wertpapierhändler), Leistungsunterschiede, die ohne weiteres einen Faktor 12 oder darüber erreichen.
  2. 1:12 vernichtet Arbeitsplätze: Die Schweizer Unternehmen stehen direkt oder indirekt (als Zulieferer) voll im internationalen Wettbewerb. Eine Anhebung der tiefen Löhne können sie sich nicht leisten und mit wenigen Ausnahmen liegt auch eine Kürzung der hohen Gehälter (mit Verlust der Leistungsträger) nicht drin. Die Gleichung hat nur eine Lösung: Zumachen oder Abwandern.
  3. 1:12 würgt Individualität ab: Löhne schwanken über den Lebenszyklus. Sportler sind gut von 25-30, Studenten hoffen auf die Zeit von 45-55. Es gibt Praktikant(inn)en, die gratis in Star-Unternehmen (Architektur, Werbung, Forschung) arbeiten, da sie in Form von Reputation oder Erfahrung entschädigt werden. Arbeitslose Spezialisten bezahlen manchmal sogar, damit sie arbeiten dürfen und ihre Fähigkeiten nicht verlieren. Niemand hat etwas davon, wenn wir all dies abwürgen.
  4. 1:12 ist willkürlich: Lohnunterschiede innerhalb einer Firma sind nur ein Teil der gesamtgesellschaftlichen Lohnunterschiede. Es gibt auch Unterschiede zwischen verschiedenen Unternehmen oder zwischen Lohnabhängigen und Selbständigen. Genau zu diesem Zweck haben wir progressive Steuern. Man kann die Progression natürlich flacher oder schärfer machen. Aber Eingriffe ins Lohngefüge selbst sind ein Fremdkörper.
  5. 1:12 verwechselt Unterschiede mit Ungerechtigkeit: Die Ungerechtigkeit liegt nicht darin, dass der Chefchirurg 20 mal mehr verdient als die Pflegehilfe, sondern wenn schon in Unterschieden innerhalb der Berufsgruppen (Mann–Frau, Schweizer–Ausländer, Jung–Alt.)
  6. 1:12 ist Symptombekämpfung: Überrissene Gehälter gibt es vor allem in den Bereichen Banken und Pharma, die von indirekten staatlichen Subventionen profitieren.
  7. 1:12 versucht, die Falschen zu schützen: Überrissene Managersaläre zahlen letztlich die Aktionäre einer Unternehmung. Selber Schuld. Dank der Minder-Initiative können sie künftig ihr Veto einlegen. Dass Jungsozialisten mit 1:12 die Aktionäre beschützen möchten ist allerdings edel; Aktionäre haben nämlich nicht einmal eine Gewerkschaft.
  8. 1:12 schadet trotz Umgehung: Natürlich lässt sich 1:12 umgehen — Aufteilung der Unternehmen, Outsourcing, Verlegung der Unternehmung oder ihrer Teile ins Ausland, Ersatz von Löhnen durch andere Leistungen, etc. Die Beratungsunternehmen dürften sich auf Aufträge freuen. Mit anderen Worten: Umgehung kostet. Wir leisten uns mit 1:12 eine teure Übung, ohne dass sie irgendjemandem etwas bringt.
  9. 1:12 zerstört Vertrauen: Die Attraktivität der Schweiz für Unternehmen (aus dem Ausland und dem Inland) beruht auf der Vorhersehbarkeit der Wirtschaftspolitik. Initiativen wie 1:12 werfen für Investoren die Frage auf: Was kommt noch?
  10. 1:12 ist die Spitze ds Eisbergs: Es kommt nämlich noch einiges, z.B. Mindestlohninitiative, Bedingungsloses Grundeinkommen. In einer Wirtschaft, in der Staatseingriffe uns Suventionen ohnehin wuchern und die Hälfte des BIP durch öffentliche Hände geht, wären wir gut beraten, das Schweizer Erfolgsmodell um 1:12 herum zu navigieren.
  11. 1:12 degradiert die Schweiz zur Werkbank ausländischer Unternehmen. In den 1960er Jahre kritisierte die Linke die globale Wirtschaftsstruktur, weil die Entscheidungzentren in den Industriestaaten sassen; der Dritten Welt blieb nur die „Werkbank“. Mit 1:12 müssten aber Geschäftsleitungen ins Ausland verlegt werden, womit die Schweiz in diesem Sinne zu einem Teil der Dritten Welt würde.
  12. 1:12 wäre eine Kurzschlusshandlung. In einem Satz: Nur weil es Raser gibt, verordnen wir nicht, der Sportwagen dürfe nur 12 mal schneller fahren als der Rollator.

Und wer kann noch für 1:12 stimmen, nachdem er/sie das Interview mit Ernst Fehr gelesen hat?

Das Einmaleins der SVP Familieninitiative

Michel Habib und Monika Bütler

Stimmt es wirklich, dass die jetzige steuerliche Behandlung der mit der Kinderbetreuung verbundenen Kosten unfair ist gegenüber Familien, in denen ein Elternteil die Kinder selbst betreut?

Auf den ersten Blick scheint dies so zu sein. Diejenigen Familien, in denen beide Eltern arbeiten und wo die Kinder fremdbetreut werden, können einen Steuerabzug für die entstandenen Kosten geltend machen, während Familien, welche ihre Kinder selbst betreuen, kein solcher Abzug zur Verfügung steht.

Bei diesem Argument geht allerdings vergessen, dass bei Familien mit zwei Erwerbstätigen das Einkommen und damit auch das steuerbare Einkommen und die bezahlten Steuern ansteigen, während Familien, welche ihre Kinder selbst betreuen, ein tieferes Einkommen versteuern und damit auch weniger Steuern bezahlen. Da die höheren Steuern auf der einen Seite und der Steuerabzug auf der anderen sich gegenseitig aufheben, ist es nicht das jetzige System, welches unfair ist, sondern die vorgeschlagene Alternative.

Anders ausgedrückt: Ein Steuerabzug für selbstbetreuende Familien würde diesen eine Steuerersparnis bringen gegenüber den Familien, welche Fremdbetreuung in Anspruch nehmen, da letztere neben dem Abzug der Betreuungskosten auch noch ein erhöhtes Einkommen versteuern müssen.

Dieser Umstand lässt sich an einem Beispiel von zwei ähnlichen Familien verdeutlichen. Beide Väter verdienen 100‘000 CHF im Jahr, während eine der beiden Mütter Teilzeit arbeitet. Die Kosten für die Kinderbetreuung betragen 20‘000 CHF. Wenn man keine Wertung vornimmt über die Wünschbarkeit, Hausarbeit oder Erwerbsarbeit zu verrichten, scheint es intuitiv anzunehmen, dass die Mutter nur dann arbeitet, wenn sie mindestens 20‘000 CHF (plus die anderen Berufsauslagen) verdienen kann, und nicht arbeitet, wenn der Verdienst geringer ist. Doch diese Rechnung geht nur mit der heutigen Regelung auf, nicht aber mit dem vorgeschlagenen System.

Dies lässt sich einfach zeigen an der Steuerbelastung der beiden Familien im Fall. bei dem der zusätzliche Verdienst der Mutter netto genau 20‘000 CHF beträgt. In der heutigen Regelung ist das Einkommen nach Steuern der beiden Familien heute gleich, weil der Zusatzverdienst der Mutter mit den Betreuungskosten verrechnet wird. Im vorgeschlagenen System der Initiative dagegen wäre das Einkommen nach Steuern unterschiedlich.

Nehmen wir  der Einfachheit halber einen proportionalen Steuersatz von 20% an. Ginge man zusätzlich von einem progressiven Steuersatz aus, würde der geschilderte Effekt sogar noch grösser. Das Einkommen der selbstbetreuenden Familie vor Steuern beträgt im heutigen System 100‘000 CHF, nach Steuern 80‘000 CHF.  Die Familie mit Fremdbetreuung hat ein steuerbares Einkommen von 120‘000 CHF – 20‘000 CHF = 100‘000 CHF, weil die Betreuungskosten abgezogen werden können. Das Einkommen nach Steuern beträgt ebenfalls 80‘000 CHF, genau der gleiche Betrag wie bei der ersten Familie.

Betrachten wir nun die Änderungen gemäss dem Vorschlag der Initiative. Für die fremdbetreuende Familie ändert sich nichts, das Einkommen nach Steuern beträgt weiterhin 80‘000 CHF. Weil es neu einen Abzug für Selbstbetreuung gibt (gehen wir einmal von 10‘000 CHF pro Kind aus), beträgt das steuerbare Einkommen bei zwei Kindern neu 100‘000 CHF – 20‘000 CHF = 80‘000 CHF, so dass die geschuldeten Steuern sich nur noch auf 16‘000 CHF belaufen und damit neu ein Einkommen nach Steuern von 84‘000 CHF zur Verfügung steht. Das verfügbare Einkommen der selbstbetreuenden Familie ist damit um 4000 CHF höher als das Einkommen der Familie mit Fremdbetreuung.

Es ist also nicht so, dass das gegenwärtige System den Familien mit Fremdbetreuung unter dem Strich einen Vorteil gewährt, weil diese Familien auf dem zusätzlichen Einkommen Steuern bezahlen. Ganz im Gegenteil ist es so, dass das vorgeschlagene System den selbstbetreuenden Familien einen Vorteil gewährt, weil sie Steuerabzüge geltend machen könnten, denen keine Steuerzahlung gegenübersteht.

Ausgeblendet haben wir bei unserem vereinfachten Beispiel die Steuerprogression und die Abzüge, die bei einigen Kantonen und dem Bund für den Zweitverdienst gemacht werden können. Letztere sind in erster Linie gedacht, die starke Progression in der Steuerbelastung des Zweitverdiensts etwas abzumildern. Die beiden Effekte – Progression und Zweitverdienerabzug – gleichen sich etwa aus. Doch selbst in unserem Beispiel mit proportionalen Steuern (also ohne Steuerprogression), würden die Steuerersparnisse für den Zweitverdienst von circa 1000 CHF nie reichen, um den durch den SVP Vorschlag gewährten Steuervorteil für die selbstbetreuende Familie auszugleichen. (In Klammern bemerkt: Der Pauschabzug für den Zweitverdienst bei der Bundessteuer ist natürlich ein Unding. Er bestraft faktisch die Mehrarbeit des Zweitverdieners, die Steuerprogression wird nur für ein sehr geringes Arbeitspensum ausgeglichen).

Übersetzung einer ersten Version des Beitrags aus dem Englischen: Christian Marti (herzlichen Dank!)

Arena: Grossbanken zerschlagen?

Urs Birchler

Vergangenen Freitag war ich als einer von zwei Experten in der SRF Arena zum Thema „UBS-Rettung: Genug gelernt?“ Heute früh fand ich im Veston meine Vorbereitungsnotizen (eine A4-Seite). Für diejenigen, die sich fragen; „Was geht in diesen Köpfen jeweils vor?“, tippe ich sie hier ab:

  • TBTF-Problem ungelöst.
    1. CH-Grossbanken: Bilanz immer noch 4-5 mal BIP (internationaler Spitzenwert).
    2. Eigenmittel von 3% der Bilanzsumme ungenügend (nicht höher als vor der Krise).
    3. Rating Agenturen bewerten faktische Staatsgarantie für GB fast so hoch wie Staatsgarantie der ZKB.
    4. UBS wurde mindestens 3 mal gerettet: Okt 2008; Datenlieferung USA Feb. 2009; Schonungsvolle Busse durch USA im Libor-Fall 2013 („too big to jail“)
  • Aufsicht versagt:
    1. Aufseher hat nur Karrierechance bei Bank oder (Banken-)Beratung.
    2. Aufsicht ist für Informationen von Bankbranche abhängig.
    3. Mentale Unterordnung gegenüber Grossverdienern und Verantwortlichen für Arbeitsplätze.
    4. Aufsicht verlässt sich selbst auch auf faktische Staatsgarantie für Banken.
  • Was tun?
    1. Internationale Konkurs/Sanierungs-Plattform für Banken (wird nie kommen…)
    2. Massiv höhere Eigenmittel für systemrelevante Banken.
    3. Schulden in EM wandelbar machen (im BankG bereits möglich; international helfen nur CoCos)
  • Was man nicht tun sollte (Schaden > Nutzen):
    1. Verbot Eigenhandel: Aufwand gross, Gewinn an Sicherheit gering.
    2. Trennbankensystem: Die klassische Systemkrise kommt aus dem Immobilienbereich (CH 1991; US: Savings&Loans 1980ff.; sogar US Subprime-Krise.)
    3. Verkleinerung der Banken (die dann gemeinsam fallieren; zudem: UBS müsste mindestens in 20 Banken aufgeteilt werden).

Was nicht auf dem Zettel steht, ist meine stille, manchmal schwindende Hoffnung, im Bankwesen könnten wir zur Marktwirtschaft zurückkehren: Verantwortung der Entscheidungsträger (Aktionäre und Grossgläubiger) ohne staatliche Eingriffe, die wir letztlich in ihren Folgen nicht durchschauen.

Die ewige Angst vor dem Abstieg – etwas Hintergrund

Monika Bütler

Das NZZ Folio hat meinen Beitrag zum Zustand des schweizerischen Mittelstands freundlicherweise bereits verlinkt. Was ich noch nachliefern möchte, sind die wissenschaftlichen Grundlagen und andere Texte, auf die ich mich direkt oder indirekt abgestützt habe. Oder einfach interessante Hintergrundliteratur.

Treue batz Leser(innen) werden das eine oder andere schon früher gelesen haben. Die Problematik der steigenden Wohnkosten habe ich in „Mietzinsakrobatik“ diskutiert, die Steuerbelastung des Mittelstandes in „Steuerbelastung inflationsbereinigt“ und in „Sind Steuerzahler bessere Menschen?“. Dass der Lebenszyklus wichtig ist für die Beurteilung der Einkommen stand in der NZZ am Sonntag und im batz:  Einkommensverteilung und Lebenszyklus. Zum Thema Einkommensverteilung haben auch meine Kollegen Marius Brülhart in Land der begrenzten Ungleichheiten und Reto Föllmi (mit Isabelle Martinez) in Reich sein in der Schweiz…  beigetragen. Dass es wichtiger wäre Tagesschulen zu organisieren statt das Hortwesen zu perfektionieren stand in „Familienartikel: Umbau der antiquierten Schulstruktur!“ Und meine Kollegin Christina Felfe ergänzte mit vielen interessanten Informationen zur Kinderbetreuung in der Schweiz.

Hier die wissenschaftliche Literatur und weitere Hintergrundliteratur geordnet nach Themen:
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Service Privé

Monika Bütler und Urs Birchler

Reisen in der Schweiz. Da und dort trifft man auf den stillen Abbau des Service Public. Wir möchten (nur mit Rucksack) von Arosa nach Davos wandern und dann mit der Bahn weiter nach Muottas Muragl. Eine Tasche mit Reservekleidern soll schon mal per Bahn voraus. Nur befördert die RhB Reisegepäck nicht mehr zur Muottas Muragl Bahn (weder Berg- noch an die RhB-Talstation Punt Muragl); ja nicht einmal mehr zum Bündner Bahnknotenpunkt Filisur.

Samedan wäre im Angebot. Nur: die kurze Umsteigezeit erlaubt dort kein Abholen. Da springt der Bahnhofvorstand von Samedan grosszügig ein und offeriert, die Tasche aufs Perron zu bringen. Man müsse dann nur kurz vorher anrufen. Das macht die geplante Reise wieder möglich. Als der Zug verspätet ist, ruft der Stationsvorstand seinen Kollegen bei der Muottas-Muragl-Bahn an, es käme eine Familie etwas knapp, man möge doch notfalls mit der Abfahrt eine Minute warten.

Auf dem Rückweg hätten wir die Tasche gerne über Nacht am Bahnhof Filisur eingestellt. Doch: Der nur noch halb-bemannte Bahnhof (bei dem sich immerhin drei Linien kreuzen) bietet keine Gepäckaufbewahrung mehr. An Stelle des Service Public tritt aber wiederum ein freiwilliger Service Privé: Die Betreiberin des Bahnhofcafé, die auch die Billete verkauft, erlaubt uns, den Koffer eine Nacht neben dem Kühlschrank zu lagern.

Die private Flexibilität und der Sinn für pragmatische Lösungen kompensieren Lücken im offiziellen Angebot. Vielleicht ist es — so der Schluss aus unserer Wanderung — dieser Service Privé, der die Schweiz im innersten zusammenhält. Wieviel Abbau des Service Public er verträgt, bzw. kompensieren kann, ist allerdings die andere Frage.

Jedenfalls: Danke an die RhB, den Bahnhof Samedan (insbesondere Herrn Marco Kollegger) und ans Bahnhofcafé Filisur — mit den gemütlichen Tischen unter dem romantischen Vordach allein schon die Reise wert. (Ab ZH stündlich in 2h24, inbegriffen die Fahrt über den Landwasser-Viadukt).

Gaat oi nüüt aa

Monika Bütler

Mit etwas Verspätung hier meine letzte NZZ am Sonntag Kolumne, publiziert am 14. Juli 2013 unter dem Titel: „Die Privatsache der andern geht uns nichts an: Es geht uns allen am besten, wenn wir uns nicht gegenseitig unsere Freiheit beschneiden.“

Unser Jüngster, durchaus kommunikativ und umgänglich, wird einsilbig wenn er uns etwas über die Schule erzählen soll: „Das gaat oi nüüt aa!“, heisst es dann. Lange vor Edward Snowdens Enthüllungen verbat er sich jede Form von Überwachung. Wer seinen Schulthek auch nur von weitem ansieht, kriegt Ärger. Erzählt er sporadisch doch etwas, dann eher über eine zweckentfremdete Schere im Werken (zum gegenseitig Haare schneiden) als über den Mathetest.

Solange Reklamationen der Schule ausbleiben und seine Noten ungefähr seinem Potential entsprechen, lassen wir unseren Junior in Ruhe. Leistungsauftrag heisst das heute. Dass er dieselbe Informationspolitik – geht Euch nichts an – auch in seinen Aufsätzen zum Thema „Mein Wochenende“ verfolgt, geht uns dann nichts mehr an.

Des Buben Sinn für Nichteinmischung mag etwas ausgeprägt sein, er ist uns aber allen angeboren. Jugendliche wehren sich für mehr Freiräume, gegen die Bevormundung der Eltern, die Einmischung und Überwachung durch Schule und Staat. Sogar die Ökonomen – sonst über vieles uneinig – sind für einmal einer Meinung: Es geht uns allen am besten, wenn der Staat sich nur dann einmischt, wenn dritte – Kinder, die Umwelt, die Steuerzahler – sonst wehrlos zu Schaden kommen. Vorschriften, die in private Abmachungen eingreifen sind im besten Fall unnütz, meistens schädlich und immer teuer.

Schade nur, dass uns dieser Freiheitssinn so schnell abhanden kommt wenn es um andere geht. Die Freiheit der andern ist zwar OK, nur nicht grad im konkreten Fall – bei der Höhe der Fenstersims, in der Buchhaltung der Firma, bei der Zulassung des Kinderbetreuers. Über Politiker und Bürokraten zu schimpfen, greift allerdings zu kurz. Die Vorschläge zur Beschränkung der Löhne, zum Beispiel die 1:12-Initiative, stammen aus der Basis. Genau genommen aus Kreisen, die Freiraum für sich selber lautstark fordern. „Binz bleibt!“ hiess es bis vor kurzem in unserer Nachbarschaft. Den Unternehmen wird ihre legale Binz jedoch aberkannt obwohl wir alle davon profitieren. So ärgerlich sie sind, überrissene Löhne sind Privatsache, solange sie nicht über Steuern teilweise mitfinanziert werden. Beispielsweise in Firmen und Branchen, die direkt oder indirekt vom Staat unterstützt werden. Man wünschte sich, die Jusos würden mit derselben Verve für eine bessere (Finanzmarkt-)Regulierung kämpfen. Eine, die wirklich verhindert, dass sich eine Minderheit auf Kosten der Allgemeinheit Vorteile verschafft.

Die Freiheit der andern ist immer ein Problem. So verschwindet scheibchenweise die Freiheit aller. Widerstand gegen Eingriffe in private Entscheidungen regt sich nicht einmal mehr, wenn eine vorgeschlagene Massnahme direkt fast jeden trifft und niemandem wirklich nützt. So ist die von Bundesrat Berset vorgeschlagene Erhöhung des Mindestrentenalters im BVG von 58 auf 62 Jahre eine starke Einmischung in eine im Grunde rein private Abmachung zwischen Firma/Pensionskasse und den Angestellten. Verliert eine 59-jährige ihre Arbeit, wird sie nur schwer eine neue Stelle finden. Statt der Person einen grösstenteils selbstfinanzierten Rücktritt in Würde zu ermöglichen, generiert die Vorschrift eine individuelle Tragödie, verbunden mit sehr viel höheren Kosten für die Allgemeinheit. Ohne die Möglichkeit zur Frühpensionierung bleiben der Entlassenen nur die IV (wenn sie Glück hat) oder – unter Verlust eines Teils der Versicherungsleistung – ALV und später Sozialhilfe.

Viele Eingriffe in private Entscheidungen mögen für sich alleine genommen klein sein. Zusammen sind sie nicht mehr harmlos. Und mit jeder neuen Einschränkung wächst gerade bei Firmen die Angst, dass in der Zukunft noch mehr kommt. Umso erstaunlicher, wie leichtfertig wir anderen und letztlich gemeinsam uns selber den Ast der Freiheit absägen. Hätten wir doch öfter den Mut wie unser Bengel zu sagen: Das gaat oi nüüt aa!