Leider ist der Kommentar von Ermes Gallarotti zur Bewertung der Too-Big-to-Fail Vorlage in der heutigen NZZ auf der Onlineplatform der NZZ viel zu schnell wieder in der Versenkung verschwunden. Wer ihn nachlesen will, findet ihn hier.
Es ist schon erstaunlich, wie schnell vergessen wird, in welch kritischer Lage sich die UBS und mit ihr die Schweiz im Oktober 2008 befanden. Dass die Kosten der Rettungsaktion für den Steuerzahler (bisher) relativ klein waren, darf nicht als Evidenz für Harmlosigkeit einer Grossbankenrettung interpretiert werden. Risiken müssen im voraus bewertet werden, nicht im nachhinein. Wer mit verbundenen Augen über die Strasse geht und dies ohne Schaden übersteht, darf daraus nicht schliessen, dass es ungefährlich sei, mit verbundenen Augen über die Strasse zu gehen.
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Martin Hellwig zur Bankenregulierung: Nachlese
Auf Einladung des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes sprach Professor Martin Hellwig von einigen Tagen zur Bankenregulierung und dem Too-Big-To-Fail Problem (siehe Batz-Beitrag). Er sprach sich dabei für eine hohe und nicht nach Risiko gewichtete Eigenkapitalquote aus (bis zu 30%). Die Folien können hier runtergeladen werden.
Es ist schon etwas erstaunlich, dass einer der international renommiertesten Kenner der Bankenregulierung auf Einladung des Gewerkschaftsbundes und nicht auf Einladung der Banken in der Schweiz weilte. Zu Martin Hellwig siehe hier und hier.
Martin Hellwig zur Schweizer Bankenregulierung
Bald endet die Vernehmlassungsfrist zu den vom Bundesrat vorgeschlagenen Massnahmen gegen die faktische Staatsgarantie für Grossbanken (Revision des Bankengesetzes). All denen, die ihre Stellungnahme noch nicht abgegeben haben, sei dringend das Referat von Prof. Martin Hellwig vom kommenden Donnerstag in Bern empfohlen. Martin Hellwig ist einer der allerbesten Ökonomen im deutschsprachigen Raum und gehört auch weltweit zur Spitze. Wir kennen kaum einen Kollegen, der auch ausserhalb der Fachpublikationen derart präzise und klar denkt und spricht.
Im richtigen Film
Herr Karl Hugentobler schreibt in seinem Kommentar zu meinem gestrigen Eintrag: „Setzen Sie sich doch als Ökonom mit der Substanz auseinander, anstatt sich als Schulmeister über Köppels Schreibstil zu entrüsten.“ Dann stellt er drei Fragen, die ich hier gerne beantworte (in Ergänzung meines Artikels in der NZZaS vom 9. Januar 2011):
Welche Bedeutung hat der Milliardenverlust der Zentralbank?
Wenn die Nationalbank Verlust macht, weil sie Euro verbrennt, erleidet die Schweiz einen volkswirtschaftlichen Verlust. Wenn die Nationalbank hingegen Verlust macht, weil der Euro gegenüber dem Franken verliert, ist die Schweiz wegen ihrer grösseren Kaufkraft im Ausland insgesamt reicher geworden; der Gewinn wird jedoch geringfügig geschmälert durch den Verlust in der Nationalbankbilanz.
Nach welchen Kriterien soll die Jahresrechnung und die Bilanz einer Zentralbank beurteilt werden?
Die Nationalbank soll überhaupt nicht an ihrer Jahresrechnung beurteilt werden, sondern an der Erfüllung ihres Auftrags der Preisstabilität. Der „Gewinn“ einer Notenbank ist ein Irrlicht. Ihren Gewinn maximiert eine Notenbank, indem sie bei der Notenpresse Vollgas gibt. Das möchten wir nicht.
Hat die erfolgte Vervielfachung/Erhöhung der Währungsreserven und Geldmenge negative Konsequenzen?
Ja, nämlich dann, wenn es der Nationalbank nicht gelingt, die Geldmenge rechtzeitig (bevor sie inflationäre Wirkung entfaltet), wieder abzuschöpfen. Dass die Geldmenge aufgebläht ist, ist eine direkte Folge der Bekämpfung der Finanzkrise. Die Normalisierung ist im heutigen internationalen Umfeld schwierig. Die Nationalbank hat eine Gratwanderung zu bestehen: Einerseits bedeutet eine Verringerung der Geldmenge einen Zinsanstieg; andererseits darf dadurch der Franken nicht zu stark werden. Es wird fast unmöglich sein, genau die Ideallinie zu fahren. Auch in der Vergangenheit, z.B. 1973 und 1978, gelang dies nicht ganz. Aber dies ist das Thema, das eine öffentliche Diskussion verdient — auch in der Weltwoche, falls ein sachkundiger und an der Sache interessierter Autor auffindbar ist.
P.S. Der ursprüngliche Eintrag enthielt einen nicht ganz unbedeutenden Schreibfehler („gewinnt“ anstatt „verliert“). Für den Hinweis danken wir Herrn Marc Meyer.
Im falschen Film
In der neuesten Ausgabe der Weltwoche erreicht die Hetze gegen die Nationalbank und ihren Präsidenten Philipp Hildebrand einen neuen, für mich bisher unvorstellbaren Höhepunkt. Kurzfassung: Chefredaktor Roger Köppel möchte den Präsidenten des Direktoriums absetzen. Der Artikel geht sogar so weit, Hildebrand zu vergleichen mit Jérôme Kerviel, der wegen unrechtmässig erzielter Verluste für seine Bank Société Générale zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt wurde (in zweitletzter Instanz).
Es wäre verlockend, jetzt in den Nahkampf einzusteigen und im einzelnen zu zeigen, wie verdreht Köppels Vorwürfe allesamt sind. Sie sind es jedoch nicht wert, daher nur ein einziges Beispiel: Der Weltwoche ist es offenbar unwohl mit Ihrer Schlagzeile „La crise n’existe pas“, die sie wenige Tage vor der notwendigen Rettung der UBS durch Bund und Nationalbank publizierte. Sie will jetzt aber doch recht gehabt haben, da im Frühjahr 2010 alles schon wieder besser ausgesehen habe. Dass die Lichter in der Schweizer Wirtschaft aber nicht ausgegangen sind, liegt gerade daran, dass die Verantwortlichen bei Bund, FINMA und Nationalbank die Krise nicht geleugnet, sondern bekämpft haben. Zweimal falsch gleich richtig, rechnet die Weltwoche.
In der Schweiz darf man die Notenbank und ihre Exponenten ungestraft mit publizistischem Giftschlamm abspritzen. Die Unabhängigkeit der Presse ist ein hohes Gut. Ein ebenso hohes Gut ist die Unabhängigkeit der Nationalbank. Sonst würden nämlich Notenbankpräsidenten abgesetzt, weil sie der Politik oder der Presse nicht passen. So geschehen letztes Jahr in Argentinien, weil die Regierung kurzerhand dringend die Währungsreserven „brauchte“. Die Unabhängigkeit der Nationalbank hat uns über hundert Jahre eine Währung beschert, um die uns die Welt beneidet, und die den Grundstein unseres Finanzplatzes darstellt.
Gerade jetzt ist die Unabhängigkeit der Nationalbank besonders wichtig. Die Nationalbank hat an vorderster Front für eine Lösung des „Too big to fail“-Problems gekämpft. Nicht bei allen Bankvertretern ist dies populär. Daher die Angriffe unter allen Gürtellinien auf Präsident Hildebrand. „Er hat bewiesen, dass er es nicht kann“, zitiert die Weltwoche einen „der erfahrensten und intelligentesten Bankiers des Landes“. Anonym, selbstverständlich. Es gibt aber eine wachsende Zahl von Bankenvertretern, die verstehen, dass Staatshilfe den Finanzplatz langfristig untergräbt. Für sie wäre es höchste Zeit für ein „coming out“ — zugunsten der Unabhängigkeit der Nationalbank.
Ein Jahr Batz
Heute vor einem Jahr starteten wir batz.ch. Wir haben zahlreiche, zum Teil sehr treue Leser gewonnen. Sicher Grund zum Feiern. Aber auch ein Anlass, kurz Rückschau zu halten auf den ersten Batz-Eintrag. Am 3.1.2010 gratulierten wir Philipp Hildebrand zu seiner Wahl als Präsident des Direktoriums der SNB. Wir wagten auch die Prognose, dass er Erfolg in der Geldpolitik brauchen würde, um seinen Vorschlägen zur Bankenregulierung Nachdruck zu verschaffen. Dies hat sich — leider — nur zu sehr bestätigt. Die Gegner einer schärferen Linie gegen die implizite Staatsgarantie für Banken haben versucht, Philipp Hildebrand auszuhebeln mit der Kritik an geldpolitischen „Fehlern“. Dass die SNB in der Finanzkrise die Schweizer Wirtschaft und vor allem auch die Exportwirtschaft vor Schlimmerem bewahrt hat, ging dabei vergessen.
Wir wagen die Befürchtung, 2011 werde nicht einfacher. Die Nationalbank wird es nicht allen recht machen können. Die einen verteufeln jeden gekauften Euro, verlangen also indirekt, jedweden Wechselkurs wehrlos hinnehmen. Die andern fordern feste Wechselkurse — gleichbedeutend mit unbegrenzten Käufen von Euro und/oder Dollars.
Der SNB StabFund (Das Innenleben einer „bad bank“)
Ein Teil des Rettungspakets für das Schweizer Finanzsystems vom 16. Otober 2008 war die Errichtung eines Auffangbeckens für bedrohte Anlage der UBS durch die Schweizerische Nationalbank (SNB). Der zu diesem Zweck errichtete StabFund ist ein Beispiel einer „bad bank“, deren Trennung von den gesunden Teilen die „good bank“ retten soll. Für die SNB war der kühne Schritt mit grossen Risiken verbunden. Zwei Ökonomen der SNB, Marcel Zimmermann und Szoltan Szelyes, beschreiben in einer neuen Publikation den StabFund und seine Entwicklung von innen. Damit erhält die Offentlickeit Einblick in einen bisher weitgehend geheimen oder zumindest wenig bekannten Teil der Notenbankpolitik. Der Bericht ist auch ein Lehrstück für alle künftigen Finanzkrisen-Manager.
Regulator’s Dilemma
Die irische Krise wirft auch ein grelles Licht auf die zweischneidige Rolle der Bankaufseher. Das Wall Street Journal erinnert daran, dass die irischen Banken im Juli, bevor sie das Land ins Verderben rissen, die behördlichen Stress-Tests noch brav bestanden.
Doch nicht nur die Stress-Tests sehen schlecht aus. Auch die Basler Eigenmittelempfehlungen hinken hinter der Realität hinterher. Staatsschulden gehen mit Gewicht null in die Berechnung der „Risikogewichteten Anlagen“ ein, solange sie ein AA-Rating haben. Irland ist zwar aus dem AA-Klub ausgeschieden und erhält jetzt wie Italien oder Portugal ein Gewicht von 20% (Griechenland: 100%).
Die nationalen Aufsichtsbehörden dürfen aber für Verpflichtungen ihrer Regierungen gegenüber einheimischen Banken tiefere Werte vorsehen. Wen wundert’s, dass gemäss Financial Times in der EU plötzlich der Anteil der Staatsschulden gegenüber Ausländern zurückgeht und derjenige gegenüber Inländern (wohl vor allem der Banken) ansteigt?
Die Bankaufsichtsbehörden helfen also ihren Banken, den höheren Eigenmittelanforderungen ausweichen. Dass die Banken dabei auf schlechten Papieren sitzen bleiben, stört sie wenig. Im Gegenteil — der Anreiz für die Banken, die Schrottpapiere der eigenen Regierung zu kaufen, wird noch zunehmen, wenn die in Basel geschneiderten verschärften Liquiditätsanforderungen in Kraft treten sollten. Denn selbstverständlich gelten Obligationen der eigenen Regierung als liquid.
Nur die irische Regierung hat (gemäss dem auf vier Jahre angelegten National Recovery Plan) eine noch bessere Mülltonne für ihre Schulden gefunden: Den nationalen Pensionsfonds. Wer’s auch fast nicht glaubt, lese den Blog der Financial Times.
Irische Weisheit
Während in der gegenwärtigen helvetischen Steuerdebatte kaum Existentielles auf dem Spiel steht, geht es in Irland um wirtschaftspolitisches Sein oder Nichtsein (sprich: Staatsbankrott). Im Moment, da die irische Regierung in Schulden zu versinken droht, denkt sie über alle möglichen neuen Einnahmequellen nach.
Nur eines schien bisher Tabu: der Unternehmensgewinnsteuersatz von 12.5 Prozent, welcher nach zwei Jahrzehnten sprudelnder ausländischer Direktinvestitionen zum Aushängeschild der irischen Wirtschaftsfreundlichkeit geworden ist. Dieser Steuersatz wurde unlängst von einer Ministerin als so unabdingbar für die irische Wirtschaft bezeichnet wie die Sonne für den französischen Wein oder die mittelständische Technik-Tradition für die deutsche Industrie.
Besonnenere Geister hingegen lassen sich nicht davon abhalten, auch über einen Tabubruch nüchtern nachzudenken. Ein gutes Beispiel ist die gestern gebloggte Analyse durch Ron Davies. Davies hat sich in seiner Forschung intensiv mit der Steuerempfindlichkeit von internationalen Investitionsströmen befasst. Er ist somit wohl der beste Kenner der Materie in Irland. Und dennoch (oder gerade deshalb!) gesteht er ein geraumes Mass an Unwissen ein. Was würde eine Anhebung des Steuersatzes auf 15 Prozent bedeuten? Dass gewisse Firmen wegziehen oder nicht zuziehen: sehr wahrscheinlich. Dass so viele Firmen wegziehen, dass die Steuereinnahmen unter der Strich sinken: nicht unbedingt, aber schwer zu sagen.
Letztlich geht es in solchen Fragen immer um die Steuerempfindlichkeit der Steuerzahler (oder, im Jargon, um die „Elastizität des Steuersubstrats“). Dass einige Steuerzahler auf Änderungen des Steuersätze reagieren ist unbestritten, ja trivial. Wie stark solche Reaktionen ausfallen ist die entscheidende Frage, und die Antwort ist selten einfach.
Internationale Finanzmarkt“architektur“
In den vergangenen Tagen haben uns gleich zwei leitende internationale Gremien mit ihren Vorschlägen zur Bankenregulierung verwöhnt. Das von der G20 geschaffene FSB (Financial Stability Board) traf sich in Seoul und erliess Empfehlungen auf höchster Abstraktionsebene. Diese lesen sich wie ein Weihnachts-Wunschzettel. Mehr Kapital und Liquidität figurieren an erster Stelle. Es folgt der Wunsch nach einer Lösung der faktischen Staatsgarantie für Grossbanken (im Jargon: SIFIs, für „systemically important financial institutions“). Gefordert wird zum Beispiel eine „Capacity to resolve national and global SIFIs without disruption to the financial system and without taxpayer support“. Da auf einen richtigen Wunschzettel auch Dinge gehören, von denen man weiss, dass man sie nicht bekommen kann, folgt auch „Increasing supervisory intensity and effectiveness“. Leider sagt uns das FSF nicht, wie wir die Aufseher dazu bringen, einer Bank auf die Hühneraugen zu treten, deren Vertreter das Zehn- bis Hundertfache des Aufsehers verdienen, und die zu seinen wenigen möglichen künftigen Arbeitgebern zählt. Viel mehr als hübsches Geschenkpapier hat das FSF nicht geboten.
Der Inhalt der Päckli muss ohnehin von den nationalen Behörden und Gesetzgebern geliefert worden. Einen ersten Blick auf den Gabentisch hat die EU-Kommission mit ihrem Bericht vom 10. Oktober 2010 erlaubt. Da liegen die phantasielosen „Bessere Aufsicht“, „mehr Prävention“, die es zu jeder Weihnacht gibt, aber noch nie viel genützt haben. Dann aber schimmert durchs Papier die Aufschrift „Debt write down“. Das ist das, was wir uns sehnlichst gewünscht haben. Ohne Schuldenkürzung oder -umwandlung ist eine Insolvenz nicht zu beheben. Die ebenfalls vorhandenen Päckli „Umstrukturierung“, „Good bank — bad bank“, etc. sind nämlich unbrauchbar ohne klare Zuweisung der Verluste. Deshalb stürze ich mich auf „Debt write down“ und was finde ich? Erstens den richtigen Hinweis, dass es nicht ohne geht, und dann den ebenfalls richtigen Hinweis, dass nicht-EU-Jurisdiktionen eine Kürzung der Schulden einer EU-Bank kaum hinnehmen würden. Es folgen dann zwar genauere „Cross-Border“-Erläuterungen, aber bei der EU heisst „grezüberschreitend“ stets: innerhalb der EU.
Die Kernfrage, „Wie kürzt man Schulden, ohne das Insolvenzrecht zu bemühen und eine Rechtskrieg mit amerikanischen Behörden und Anlegern zu entfesseln?“ wird nicht weiter diskutiert, abgesehen von einer schüchtern-beiläufigen Erwähnung der Idee der „contingent convertibles“, wie sie von der Expertengruppe des Bundes vorgeschlagen wurden.
Anstatt sich mit der schwierigen, aber unvermeidlichen Frage der Schuldumwandlung auseinanderzusetzen, greift die EU-Kommission erneut zur Idee eines von den Banken zu äufnenden Stabilitätsfonds. Die hanebüchene Begründung: Die Banken, nicht die Steuerzahler, sollen für Bankenkrisen zahlen. Weshalb aber die guten Banken für die schlechten zahlen sollen, bzw. warum dies besser ist als wenn die Steuerzahler zahlen, wird nicht erklärt.
Kurz: Die EU-Kommission bietet ein Musterbeispiel an Entscheidungsschwäche und konzeptioneller Ratlosigkeit. Mangels konzeptionellem Kompass will sie von allem etwas: Mehr Kapital, mehr Liquidität, mehr Überwachung, weitergehende Kompetenzen für die Behörden, mehr Töpfe, aus denen Banken saniert werden können. Mehr Gremien, die mit vagen Aufträgen ausgestattet sind, hat sie letztes Jahr schon geschaffen. Wetten, wer inskünftig bezahlt: Steuerzahler oder Banken? Ganz einfach: Beide.