Die Tücken der Tragbarkeitskriterien beim Hauskauf

Monika Bütler

Eine gekürzte Fassung dieses Texts erschien am 30. Oktober in der NZZ am Sonntag unter dem Titel „Banken entdecken ihr Herz für Familien“.

Partnerwahl und Hauskauf, − zwei der wichtigsten Entscheidungen im Leben. Zur Partnerschaft genügen zwei; beim Hauskauf ist meist eine dritte Partei dabei: die Bank. Ihre Bedingungen entscheiden, ob Haus oder Wohnung erschwinglich sind. Neuestens haben die Banken ihr Herz für den Mittelstand entdeckt. Sie möchten die Tragbarkeitskriterien für Hypotheken lockern, um jungen Familien die Eigenheimidylle zu ermöglichen.

Nach alter Regel sollten die jährlichen Kosten eines Hauses nicht mehr als einen Drittel des Bruttoeinkommens betragen.  Hauptkostenpunkt ist der Hypothekarzins. Der wäre heute eigentlich tief. Gewitzt durch die von einem Immobilienboom in den USA ausgelöste Finanzkrise (und angehalten durch die Finanzbehörden)  kalkulieren die Banken jedoch mit einem längerfristigen Durchschnittssatz von gegenwärtig 5%. Diesen möchten einzelne Banken auf 3% senken. Konkret: Bei einem Kaufpreis von 1 Mio. Franken und Eigenmitteln der Käufer von 200‘000 Franken wäre statt eines Bruttoeinkommens von 150‘000 Franken (bei 5% Zinsen und 1% des Kaufpreises als Unterhalt) neu nur noch eines von 102‘000 Franken notwendig. Gerade im Mittelstand ein beachtlicher Unterschied.

Auf den ersten Blick hat die vorgeschlagene Änderung durchaus ihren Charme. Fast alle Prognosen gehen von langfristig tiefer Realzinsen aus. Die Alterung der Bevölkerung und der Rückgang der Produktivität sind die Hauptgründe dafür. Und Inflation ist (noch) nicht in Sicht.

Doch ganz so einfach ist die Rechnung nicht. Denn, erstens, lauern im neuen makroökonomischen Umfeld mit tieferen Zinsen neue Gefahren für die Käufer:Nicht nur die Zinsen sind tief, das Wirtschaftswachstum ist es ebenfalls. Die Hauskäufer können nicht mehr damit rechnen, dass sich der relative Wert der Hypothek gemessen an ihrem Einkommen über die Zeit sozusagen magisch verkleinert. Es ist denn auch kein Zufall, dass die Zahl der Rentner, für die die Hypothek eine zu grosse finanzielle Belastung darstellt, heute sehr viel höher liegt als früher.

Zwanzig Jahre ohne nennenswerte Inflation haben uns zudem vergessen lassen, wie sehr höhere Inflationsraten und somit Hypothekarsätze die Haushalte belasten – auch wenn Renten und Löhne vollständig an die Teuerung indexiert sind. Hypothekarzinsen von über 7% wie in den 1990er Jahren wären mit beim erwähnten Beispiel mit einem Einkommen von 100‘000 Franken kaum mehr tragbar.

Zweitens wird wohl ein Teil der Erleichterung beim Hauskauf gerade wieder aufgefressen von den dadurch ausgelösten Preissteigerungen: Bieten zwei Interessenten für eine Wohnung, hört das Preisangebot spätestens dann auf, wenn die Tragbarkeitsbedingungen binden. Sind diese lockerer, können dieselben Bieter nicht nur höhere Gebote machen, auch der Kreis der Anwärter wird grösser. Das logische Resultat: das Haus wechselt die Hand zu höherem Preis. Dies ist nicht einfach graue Theorie. Die empirische Evidenz aus verschiedenen Ländern zeigt eindeutig, dass direkte oder indirekte Erleichterungen des Immobilienkaufs durch für weniger reiche Haushalte immer auch zu höheren Preisen führen. Die vermeintliche Unterstützung geht teilweise oder ganz an die Hauseigentümer und Baufirmen.

Interessanterweise versteht man im Ausland, dass dank der Tragbarkeitskriterien die Immobilienpreise in der Schweiz nicht noch mehr gestiegen sind. Am letzten Dienstag versandte das deutsche Bundesfinanzministerium einen Gesetzesentwurf zur Bekämpfung der drohenden Immobilienblase. Eine der vorgeschlagenen Massnahmen: strengere Vergabekriterien.

Also nichts machen und gerade junge Mittelstandsfamilien weiterhin vom Hauskauf abhalten? Ein Kompromiss wäre die strengen Tragbarkeitskriterien etwas in die Zukunft zu verschieben und diese mit höheren verbindlichen Abzahlungsraten zu verbinden. Die Amortisation müsste so hoch sein, dass bei gleichem Einkommen in 15 Jahren wieder die konservativen 5% erreicht würden. Dies hätte zwei weitere Vorteile: Erstens ist die Bereitschaft einer hohen Amortisation für die Banken ein gutes Signal für das berufliche Selbstvertrauen der Schuldner.

Zweitens schützt eine tiefere Verschuldung die Betroffenen im – leider nicht seltenen – Scheidungsfall. Die amerikanische Ökonomin Betsey Stevenson zeigte nämlich, dass die Menschen das Scheidungsrisiko bei fast allen Entscheidungen berücksichtigen (Kinder, Sparen, Arbeit), sonderbarerweise nicht aber beim Hauskauf. Sie verkennen, dass von den zwei Entscheidungen die Partnerwahl die wichtigere ist: Wer dort einen Fehler macht, hat auch das Haus auf Sand gebaut.

Znacht mit Nobelpreisträger

Urs Birchler

Mit den heute gekrönten Wirtschaftsnobelisten habe ich je schon einmal ein Nachtessen bestritten und war nachher beide Mal nudelfertig. Mit Bengt Holmström (in grösserer Ökonomen-Tischrunde des Studienzentrims Gerzensee) bewegte sich das Gespräch auf einer Reiseflughöhe und in einer Geschwindigkeit, dass mir schwindlig wurde.
Noch schlimmer war es mit Oliver Hart (zu zweit ). Er ist ein derart interessierter Geist, dass er mich vom ersten Satz an ausfragte über die Schweiz, von Initiative und Referendum bis zur (Nicht-)Handelbarkeit von Milchkontingenten und Alprechten. Erst in diesem Gespräch wurde mir bewusst, wie oberflächlich ich mich in vielem auskannte und was intellektuelle Neugier bedeutet.

Oliver Hart hatte ich damals (1999) eingeladen als Referent in einem gemeinsamen Seminar von SNB und FINMA (damals EBK) zum Thema Bankenkonkursrecht. Hart hatte mit Lucien Bebchuk ein Konkursverfahren erfunden, welches den Wert der zu liquidierenden Unternehmung maximiert und die Anspruchsberechtigten fair behandelt. Wir waren damals überzeugt, dass die Schweiz mit ihren Grossbanken so etwas brauchte. Eine vereinfachte Version floss dann schrittweise tatsächlich ins Bankengesetz ein und wird heute als „bail-in“ (Gläubigerbeteiligung an den Verlusten) international hoch gehandelt.

Als ich Oliver Hart Jahre später wieder traf, berichtete ich ihm stolz, wir hätten seinen Vorschlag immerhin teilweise umgesetzt. Doch liess ihn dies völlig kalt; er hatte seine Neugier längst auf neue Fragen gerichtet.

Immerhin haben wir Oliver Hart in den Artikeln 31ff. des Bankengesetzes ein „lebendes“ Denkmal gesetzt. Lange vor dem Nobelpreiskomittee.

Falscher Fokus in der Bailout-Diskussion

Urs Birchler

Banken: Retten oder nicht? Gegenwärtig ringt Italien mit dem Rettungs-Dilemma (und mit der EU). Allgemein anerkannt ist die Devise “Staatshilfe fördert moral hazard”, d.h. eine übermässig riskante Geschäftspolitik der Banken.
Leider nur ist sie gerade dort falsch, wo staatliche Rettungen hauptsächlich vorkommen, nämlich bei sogenannt systemrelevanten Banken. Dies sind Banken, deren Untergang schwere Kosten für das Finanzsystem und die Gesamtwirtschaft mit sich zöge, im Jargon der Regulatoren SIFIs (systemically important financial institutions) geheissen.
Nachzulesen ist die Begründung in meinem neuen working paper.
In Kürze: Bei nicht systemrelevanten Instituten stimmt die Formel “Staatshilfe fordert übermässige Risiken”. Der Grund, weshalb sie bei SIFIs nicht stimmt, liegt im Wort “übermässig”. SIFIs nehmen schon übermässige Risiken, wenn weit und breit kein hilfsbereiter Staat da ist. Sie kalkulieren nämlich bei ihrer Risikowahl die Systemschäden ihres Zusammenbruchs nicht ein. Dies ist bereits moral hazard.
Kommt jetzt staatliche Rettung dazu, geschieht zweierlei. Einerseits entfallen diese Systemkosten für die Allgemeinheit. Damit steigt auch das aus gesamtwirtschaftlicher Sicht optimale Risiko der Banken. Der moral hazard würde also gemildert. Bloss nehmen andererseits die Banken mit der Aussicht auf staatliche Rettung (mit Billigung ihrer Geldgeber, wohlverstanden) noch höhere Risiken. So landen wir wieder beim ungefähr selben Übermass an Risiken der SIFIs wie in Abwesenheit des Staates.
Die Moral: Wer übermässige Bankrisiken auf Kosten der Steuerzahler nicht mag, darf die Existenz systemrelevanter Finanzinstitutionen nicht dulden. Wer umgekehrt scharfe Massnahmen gegen systemrelevante Finanzinstitutionen scheut, sollte sich nicht gegen staatliche Hilfe wehren. Jedenfalls nicht mit dem moral hazard-Argument wie Mark Carney, damals Präsident des Financial Stability Board (heute Gouverneur der Bank of England):

[t]he expectation that systemically important institutions can privatize gains and socialize losses encourages exessive private sector risk taking.

Dieses Argument ist mindestens irreführend und lenkt vom Hauptproblem, der Systemrelevanz, ab.

Geldreform — Weltreform

Urs Birchler

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Am Dienstagabend gab ich an der Uni Zürich meine Abschiedsvorlesung. Inhalt: Geldreformen, die gleichzeitig als Weltreformen gedacht waren oder sind: Corvaja’s Bankokratie, Gesell’s Freiwirtschaft, die Vollgeldinitiative, der Euro. Fazit: Der Versuch, über das Geld die Welt zu erneuern, ist zum Scheitern verurteilt. Im schlimmsten Fall gehen dabei sowohl das Geld kaputt, als auch die angestrebte neue Welt. Bestes Beispiel: der Euro. Der Versuch, Europa via Gemeinschaftswährung zur Einheit zu zwingen, hat den Euro und die Einheit untergraben.

Die Vorlesung kann auf der Homepage des IBF hier oder hier als Video abgerufen werden.

Zusätzlich hat Klaus Ammann von Radio SRF ein wohlgesonnenes (danke!) Interview gemacht und in Echo der Zeit gesendet.

Ich danke nochmals allen, die gekommen sind und Ihre Zeit mit mir geteilt haben!

Geldreform — Weltreform

Urs Birchler

Hier ein Veranstaltungshinweis in eigener Sache:


Abschiedsvorlesung von

Prof. Dr. Urs Birchler
Professor of Banking am Institut für Banking und Finance.

„Geldreform — Weltreform“

Das Geldwesen ist aus den Fugen, Reformvorschläge blühen. Freigeld, Vollgeld, Bit-Geld, Negativzins, Bargeldverbot: Was gestern als Wahn erschien, ist heute Wirklichkeit — und umgekehrt. Ein Blick durch’s monetäre Kaleidoskop in die Zukunft…

Dienstag, 24. Mai 2016, 18.30
Universität Zürich, Aula KOL-G-201, Rämistrasse 71, 8006 Zürich (Lageplan)


Steckt unser Geld in der Falle?

Urs Birchler

Am Tag, als die Nationalbank Negativzinsen auf ihren Girokonti einführte, schrieb ich hier naiv, allzu negativ könnten die Zinsen nicht werden. Sonst würden die Banken ihre Giroguthaben lastwagenweise in bar bei der SNB abholen. Jedoch: so klar ist dies anscheinend nicht.

These: Die Zürcher Privatdozentin Corinne Zellweger-Gutknecht argumentiert in der ZfPW (3/2015, S. 350-375), dass gemäss Währungs- und Zahlungsmittelgesetz (WZG) aus dem Jahre 2000 die Giroguthaben der Banken bei der SNB (gegenüber den Inhabern von Girokonti) gesetzliche Zahlungsmittel sind. Im Klartext: Weiterlesen

Eigenmittelvorschriften: Gift für die Banken?

Urs Birchler

Ex-NZZ Wirtschaftschef Beat Gygi behauptet in der Weltwoche (11.2.2016, S. 22), die Eigenmittelvorschriften seien schuld am relativen Misserfolg der Schweizer Banken (ähnlich, wie wenn die Geschwindigleitslimiten schuld wären an den Unfällen auf der Strasse). Jeder Eigenmittelfranken koste die Bank 10 Rappen.

Diese Zahl ist nicht nur frei erfunden. Sie ist auch falsch. Das Argument, dass Eigenmittel teuer sind, ist längst widerlegt. Weiterlesen

Vollgeld: Louisiana 1842

Urs Birchler

Die Vollgeld-Idee wurde in der Praxis bereits einmal erprobt. Und das kam so: Die USA erlebten 1837 (nachdem die Charter für die Zentralbank, die Second Bank of the United States, nicht erneuert worden war) eine schwere Wirtschafts- und Bankenkrise. In der Folge zog sich der Bundesstaat aus der Bankenregulierung zurück, und die einzelnen Staaten gingen in der Gesetzgebung getrennte Wege. New York ging über zum Free Banking, einem im wesentlichen nicht-regulierten Bankwesen, samt Ausgabe von Banknoten durch die privaten Banken. Indiana erlaubte Bankgeschäfte nur einer Staatsbank. Texas und Iowa verboten Banken überhaupt.

Einen Mittelweg wählte Louisiana mit der Banking Act von 1842. Banken wurden verpflichtet, ihre ausgegebenen Banknoten plus Depositen voll zu unterlegen mit (a) Bargeld (mindestens zu 1/3) und (b) Papieren mit Laufzeit von maximal 90 Tagen (für die übrigen 2/3). Diese Papiere durften bei Fälligkeit auf keinen Fall erneuert werden, damit keine Kurzfristigkeit vorgegaukelt werden konnte. Der liquide Teil der Bilanz hiess Movement, der langfristige Teil Dead Weight.

Das System, das dem Vollgeld (mit Silber anstatt Guthaben bei einer Zentralbank) also recht nahe kam, wurde unter dem Namen seines Erfinders Edmund J. Forstall bekannt als Forstall-System. Näheres findet sich in einem Artikel des Bankenhistorikers Bray Hammond von 1942. Das System bewährte sich nicht schlecht: In der Krise von 1857 mussten die Banken in anderen Staaten ihre Schalter schliessen — nicht aber in Louisiana.

Wie sehr sich die Erfahrung mit dem Forstall-System verallgemeinern lässt, ist umstritten. Louisiana war mit dem weltweit viertgrössten Handelshafen New Orleans auch Umschlagplatz für mexikanisches Silber, wodurch die Banken ohnehin eher liquid waren. George D. Green weist in Finance and Economic Development in the Old South: Louisiana Banking, 1804-1861 von 1972 auf einen besonders interessanten Punkt hin: Louisiana blieb vom Bankenkrach vielleicht nicht in erster Linie deshalb verschont, weil das „Vollgeld“ in der Krise die Banken stärkte, sondern weil es die Banken (aufgrund der strengen Liquiditätspflicht) bereis im vorangegangenen Boom an übermässigem Kreditwachstum gehindert hatte.

Nach dem Bürgerkrieg inspirierte Louisiana auch die Bankengesetzgebung von New York und Massachussets; indirekt sogar die spätere Bankengesetzgebung auf Bundesebene und die Gesetzgebung bei der Errichtung des Fed.