Zinsanstieg: so schnell kann es gehen

Urs Birchler

Das grösste Risiko der Banken ist nach wie vor das Risiko eines brüsken Zinsanstiegs. Dies gilt besonders für die auf das inländische Hypothekargeschäft ausgerichteten Banken — und für ihre Schuldner, soweit sie sich nicht durch langfristige Hypotheken abgesichert haben. Verbreitet scheint aber die Meinung vorzuherrschen, so wild werde es ja nicht kommen; Zinsanstieg ja, aber dann doch eher langsam.

Schon möglich. Trotzdem hat’s mich gejuckt, einmal nachzusehen, wie das denn früher war. Und siehe da: Die Grafik von 1958 bis heute zeigt: Es kann brutal rasch gehen. Mindestens bei den kurzfristigen Sätzen (3 Monate). Ein Anstieg um mehr als fünf Prozentpunkte innerhalb von 1-2 Jahren ist keine Seltenheit, und 8 Prozentpunkte innnert zweier Jahre gab’s schon zweimal (1980-81 und 1989-90). Seit 1990 sind die Zinssätze allerdings nie mehr so stark gestiegen; die Generation der in den 1980er Jahren Geborenen haben also kaum bewusst schon einmal eine Zinshausse erlebt. Drum hier die Grafik.

Zinssatz CHF 3 Monate

FINMA, Fuss!

Urs Birchler

Trockener kann ein Staatsstreich nicht mehr daherkommen. Im Telegrammstil: Der Nationalrat unterstützt Vorschläge, wonach der Finanzwachhund FINMA enger an die Kette des Parlaments (oder gar des Finanzdepartements) zu nehmen sei. Hintergrund: Die FINMA übt selber fast gesetzgeberische Funktionen aus, indem sie die durch Verfassung und Gesetzgebung vorgegebene Linie mittels zahlreicher Rundschreiben präzisiert. Sie tut dies in Eigenregie, ohne obrigkeitliche Kontrolle (die Betroffenen können allerdings ein Rundschreiben anfechten). Dabei sind Rundschreiben zunehmend kompliziert, was Banken und andere Finanzmarktteilnehmer nervt.

Geschossen wird aus verschiedenen Rohren:

Die Parlamentarier wollen der FINMA offenbar den Schneid beim Erlass von Rundschreiben abkaufen, jedenfalls von solchen, „die weiter gehen als das, was das Parlament beschlossen hat“.

Zu den Fakten: Die FINMA veröffentlicht rund ein halbes Dutzend Rundschreiben pro Jahr. Wer noch nie eines gesehen hat, möge zum Beispiel das jüngste besichtigen: Risikoverteilung — Banken. Es geht tatsächlich ins Detail. Beispiel: Wann sind zwei Gegenparteien verbunden, d.h. bei der Risikobeurteilung als eine Partei zu betrachten? Nur — die Frage stellt sich halt. Und ist halt knifflig. [Selbsttest für Leser(innen): Wie würden Sie Abhängigkeit definieren? Erst dann einen Blick aufs Rundschreiben werfen. Ich garantiere: Sie werden verblüfft sein, woran man alles denken muss.]

Die FINMA sieht, anders als manchmal die Unterstellten, die Rundschreiben nicht als Folterinstrument, sondern als Form der Selbstbindung: Sie

bezwecken eine einheitliche und sachgerechte Praxis der Aufsichtsbehörde bei der Anwendung der Finanzmarktgesetzgebung. FINMA-Rundschreiben konkretisieren offene, unbestimmte Rechtsnormen und beinhalten Vorgaben für die Ermessensausübung.

Im übrigen ist die FINMA längst nicht die einzige Quelle detailversessener Rundschreiben. Ihre Schwesterbehörde im Verkehrswesen beispielsweise, das Bundesamt für Verkehr (BAV), erlässt ebenfalls Rundschreiben und Richtlinien. Darin geregelt sind neben zahllosen technischen Details wie das Profil von Zahnrädern auch die Schriftgrössen auf Stationsbeschilderungen, die (minimale) Lautstärke von Lautsprechern oder die Liste und Grenzwerte der den Lokomotivführer(inne)n verbotenen Substanzen (inkl. Normen für die Gläser zur Entnahme von Urinproben). Dass das BAV dem UVEK, also einem Departement, untersteht, während die FINMA vom EFD weitgehend (nicht aber finanziell!) unabhängig ist, macht offenbar beim Detaillierungsgrad keinen grossen Unterschied. Die Gemeinsamkeit ist: Die Welt ist kompliziert geworden und mit ihr die Spielregeln.

Das Parlament liebäugelt jedoch mit einer „Reprise en main“ auf Kosten der Unabhängigkeit der FINMA. Dabei haben der IWF in seinem letzten Länderexamen der Schweiz (2012) und das Financial Stability Board (2014) gerade punkto (ungenügender) Unabhängigkeit der FINMA einen Tolggen im Schweizer Reinheft gefunden und den Bundesrat (nicht die FINMA) für die schlechte Formulierung im Gesetz kritisiert.

Warum jetzt den Wachhund trotzdem an die kurz Leine nehmen? Nicht — was ich verstehen könnte — weil er bei den Grossen eher bellt, bei den Kleinen eher beisst. Mein Verdacht ist ein anderer: Im Hintergrund wirkt die fehlgeleitete Überzeugung einzelner Politiker, wonach die FINMA für die Konkurrenzfähigkeit des Finanzplatzes Schweiz zuständig sei. Erhellend ist die vom Tages-Anzeiger NR Martin Landolt zugeschriebene Aussage, „die Finma lobbyiere [z.B. im Basler Ausschuss] international hinter ihrem [der Grossbanken] Rücken für härtere Bankenregeln“. Hier ging bei mir der Aalarm los. Ich habe jahrelang miterlebt, wie die ausländischen Aufseher im Basler Ausschuss zwar vordergründig für strengere Auflagen, aber mit deutlich mehr Ehrgeiz (und mildem Lächeln für die prüden Schweizer) für eine Sonderbehandlung ihrer einheimischen Banken gekämpft haben. Herausgekommen ist der faule Kompromiss namens Basel 2, der die Finanzkrise mindestens nicht verhindert hat. „Hinter dem Rücken der Banken“ gefällt mir schon als Formulierung hervorragend: Einzelne Politiker verstehen offenbar die FINMA als rechenschaftspflichtig gegenüber den Banken, d.h. als Schosshund, nicht als Wachhund.

Anstatt die FINMA zurückzupfeifen, könnte das Parlament dem Lande (und den Banken) einen anderen Dienst erweisen: Anständig zu legiferieren (dann bräuchte es auch weniger Rundschreiben) und uns künftig mit gesetzgeberischen Bastelarbeiten wie dem (wievielten jetzt?) Entwurf zum FIDLEG zu verschonen.

Das Ende der Banken: Replik

Urs Birchler

Auf meinen gestrigen Beitrag zu Das Ende der Banken habe ich einen längeren Kommentar der Autoren bekommen, der es verdient, hier anstatt nur versteckt als Kommentar, publiziert zu werden. Ich möchte aber die Kontroverse nicht hier und jetzt weiterführen, in der Annahme, es gäbe dazu künftig noch Gelegenheit.

Sehr geehrter Herr Birchler,

Wir freuen uns sehr, dass Sie «Das Ende der Banken» gelesen und unsere Argumentation als geradlinig und überzeugend empfunden haben. Gerne nehmen wir den Ball auf und stellen uns Ihren Kritikpunkten.

Uns lag in der Tat viel daran, unseren Standpunkt so präzise und klar wie möglich darzulegen. Und wir sind froh, dass Sie unser Bestreben hier erkennen. Deshalb waren wir auch etwas irritiert, dass unsere Vorschläge mit «Kastration» oder gar Totschlag bezeichnet werden. Im Grunde ist unser Buch ja lediglich eine nüchterne ökonomische Analyse mit dem folgenden Kern:

Das Bankenwesen hat uns im Industriezeitalter gute Dienste geleistet. Es überbrückte die divergierenden Interessen von Schuldnern und Gläubigern und war damit unerlässlich für ein florierendes Kreditwesen. Aber das Bankenwesen war schon immer fragil (Stichwort: bank run). Nur dank einem ausgeklügelten System von Zentralbanken, Einlagesicherungen, Staatsgarantien und Bankenregulierungen konnten die systemischen Risiken im Griff gehalten werden.

Die digitale Revolution hat dieses System dann untergraben. Die Bankenregulierung erwies sich ab den 1970er Jahren zunehmend als zahnlos. Ausserhalb des Sichtfelds vom Regulator konnte in den vergangenen Jahrzehnten das digitalisierte Bankenwesen unkontrolliert Geld und Kredit schöpfen – mit verheerenden Folgen.

Wir sind überzeugt:
Die systemischen Risiken des Bankenwesens können im digitalen Zeitalter nicht mehr unter Kontrolle gehalten werden. Der Regulierungsansatz aus dem industriellen Zeitalter funktioniert nicht mehr.

Wir sind aber auch überzeugt:
Die digitale Revolution ermöglicht neue Wege, die divergierenden Interessen von Schuldnern und Gläubigern zu überbrücken. Diese neuen Möglichkeiten sind dezentral, transparent und funktionieren ohne das Bankenwesen.

Die Schlussfolgerung aus all dem ist klar:
Wir haben die Kontrolle über das Bankenwesen verloren, benötigen es jedoch auch nicht mehr. Es ist deshalb an der Zeit, den bisherigen Regulierungsansatz fundamental zu überdenken.

Hier geht es weder um «Kastration», noch wollen wir etwas «umbringen», wie Sie etwas pointiert in Ihrem Beitrag festhalten. Nein, als liberale Ökonomen glauben wir vielmehr, dass transparente und faire Märkte eine positive Kraft für unsere Gesellschaft sind. Jedem freiheitlich denkenden Menschen ist zum Heulen zumute, wenn er oder sie das aktuelle Finanzwesen mit den gewaltigen Risk- und Compliance-Abteilungen und gleichzeitig boomender «regulatory arbitrage» sieht.

Im Kern geht es in «Das Ende der Banken» also darum, dass freiheitliche und marktorientierte Regeln auch wieder für das Finanzsystem gelten können. All unsere Vorschläge sind an diesen liberalen Prinzipien ausgerichtet – und ja, das ist im Kontext der aktuellen Debatte um das Bankenwesen in der Tat «knüppeldick».

Nun sind wir natürlich sehr gespannt auf Gegenargumente, welche wir nicht berücksichtigt haben. Wir haben redlich versucht, alle wichtigen Einwände bereits im Buch vorwegzunehmen und zu diskutieren – an dieser Stelle sei auf den ganzen Abschnitt der Besprechung von Professor Tobias Straumann hingewiesen, aus dem Sie den letzten Nebensatz zitiert haben:

«Die Autoren verzichten auf eine Diskussion über die Realisierbarkeit ihres Vorschlags. Ihr einziger Anspruch ist es, zu zeigen, dass ein Finanzsystem ohne Banken «sowohl erstrebenswert als auch möglich» sei. Dies ist ihnen vorzüglich gelungen, auch wenn ihre Idee kaum auf ungeteilte Zustimmung stossen wird.»

Wir sehen ein, dass unsere Kritik an der derzeitigen Finanzarchitektur nicht auf ungeteilte Zustimmung stösst. Doch das Problem an der Wurzel zu packen scheint uns immer noch besser, als Tausende weitere Seiten an Bankenregulierungen zu erarbeiten, zu analysieren und zu implementieren. Denn – da sind wir uns sicher – diese Sisyphusarbeit wird uns nicht vor der nächsten Krise bewahren.

Mit freundlichen Grüssen,
Jonathan McMillan

P.S: Der «Staubsauger» ist die Liquiditätsprämie, und unsere Definition von Eigenmittel und Finanzanlagen sind in den elementaren Buchhaltungstechniken begründet. Falls diese Definitionen nicht halten würden, wären auch die Konzepte der beschränkten Haftung und der juristischen Personen nicht mehr haltbar.

Banken abschaffen?

Urs Birchler

Jetzt kommt’s knüppeldick. Heute ist das Buch Das Ende der Banken: Warum wir sie nicht brauchen (basierend auf einer englischen Version von 2014) erschienen. Der fiktive Autor Jonathan McMillan steht für ein Duo bestehend aus dem NZZ-Wirtschaftsredaktor Jürg Müller und einem anonymen Investmentbanker. Die NZZ hat bereits vor zwei Wochen als Primeur eine Besprechung durch Tobias Straumann abgedruckt.

Die Autoren gehen aufs Ganze. Sie wollen verbieten, dass finanzielle Anlagen durch Schulden finanziert werden. Beispiel: Wer einen Hypothekarkredit gewähren will, darf diesen nicht mit Spareinlagen oder Kassenobligationen finanzieren. Im Klartext: Die Banktätigkeit wird verboten. Finanzielle Investitionen dürfen nur noch durch Eigenmittel finanziert werden. Eine „Bank“ bräuchte also hundert Prozent Eigenmittel (ausser für irgendwelche nicht-finanziellen Anlagen wie z.B. ihr Gebäude), wodurch sie zu einem Anlagefonds würde. Als zweite — „systemische“ — Sicherung müsste eine Unternehmung stets solvent sein, d.h. ein bisschen mehr Vermögen haben als Schulden.

Während die Vollgeldinitiative verlangt, dass Banken Kredite nicht mit Einlagen finanzieren („kein Geld schöpfen“), gehen die Autoren einen Schritt weiter und verbieten die Kreditfinanzierung mit Schulden überhaupt, egal ob mit Lohnkonti oder zehnjährigen Obligationen. Grob gesprochen: Die Vollgeldinitiative will die Banken in ihrer Fähigkeit zur Geldschöpfung kastrieren; die beiden Autoren von Das Ende der Banken wollen die Banken umbringen.

Gemein ist beiden Vorschlägen die „zweite Säule“: Die Geldschöpfung — die nur noch durch die Nationalbank erfolgen kann — soll nicht in Form eines Ankaufs von Vermögen (der Währungsreserven) erfolgen. Die Autoren sind auch hier radikaler als die Vollgeldinitiative: Neu geschaffenes Geld soll die Nationalbank an die Bürgerinnen und Bürger überweisen (die Vollgeldinitiative erlaubt auch eine Auszahlung an Bund und Kantone). Der Vorschlag beinhaltet also ein bedingungsloses Einkommen (wie die Autoren betonen: nicht Grundeinkommen, da die jährliche Geldschöpfung der SNB zu einem solchen nicht ausreicht). Und damit niemand auf dem Geld sitzen bleibt, kommt eine Liquiditätsprämie (gemeint: -steuer) dazu; Bargeld, das man einer solchen Besteuerung zu leicht entziehen könnte, wird abgeschafft.

Die Autoren versprechen sich (und den Leserinen und Lesern) einiges: Ein Ende von Finanzkrisen; Wegfall der (unbestritten) komplizierten Bankenregulierung; der impliziten Staatsgarantie für Banken und daher Wegfall des moral hazard im Bankenbereich — kurz: „Stabilität, Produktivität und Verteilungsgerechtigkeit“. Ein (zu) schöne neue Welt?

Die Autoren sind zu loben für eine überaus lesbare, flüssig geschriebene Einführung in die ökonomische Rolle der Banken. Die Argumentation wirkt auch selten propagandistisch (ausser: „Unser Vorschlag ist einzigartig, weil er das Digitalzeitalter mit offenen Armen begrüsst“). Ich habe auch keine Behauptungen entdeckt, die mir geradewegs falsch vorkamen. Die Argumentation wirkt geradlinig und überzeugt — fast. Ihre Stärke ist nämlich gleichzeitig ihre grösste Schwäche: Gegenargumente werden gar nicht erwähnt, geschweige denn geprüft.

Beispiel 1: Eine Bankenverbot dürfte wohl mit Kosten verbunden sein. Banken sind nicht nur eine (gelegentliche) Quelle von Krisen, sie haben auch über Jahrhunderte die wirtschaftliche Entwicklung begleitet und unterstützt. Ob dies im Zeitalter der Digitalisierung nicht mehr der Fall sein soll oder aber noch effizienter stattfinden wird, scheint mir offen. Die Autoren beklagen denn auch, dass die Fintech-Pioniere zunehmend mit den Banken kooperieren oder verschmelzen.

Beispiel 2: Wenn die Nationalbank Geld direkt an die Bürgerinnen und Bürger verschenkt, mögen sich diese freuen. Wie aber kann die SNB den Geldumlauf wieder reduzieren, sollte dies notwendig sein? Sie hat zwar einen Helikopter, aus dem sie Geld abwerfen kann, aber keinen Staubsauger, mit dem sie es wieder zurückholen kann. Eine Geldpolitik, die Wechselkursschwankungen abfedern kann, würde als auch gleich abgeschafft. Da klingt das Lippenbekenntnis zugunsten einer „unabhängigen Geldpolitik“ etwas hohl.

Und wetten, dass wir mit der Notwendigkeit „Eigenmittel“ und „Finanzielle Anlagen“ zu definieren, rasch wieder in der bösen alten Welt der Detailregulierung landen würden?

Fazit: Das Ende der Banken propagiert eine Rosskur, die ohne klinische Tests und ohne Packungsbeilage zu den Nebenwirkungen daherkommt. Tobias Straumann dürfte richtig prognostiziert haben, dass „die Idee kaum auf ungeteilte Zustimmung stossen wird“.

Voll Geld verdienen mit Vollgeld

Urs Birchler

Ein interessantes Business-Modell hat der Berner Doktorand Fabio Canetg entdeckt: Man kann ihn — gegen eine Pauschale — buchen für ein Referat zum Thema Die Vollgeld-Initiative aus neutraler Perspektive. Ein anderes Geschäftsmodell haben Jean-Charles Rochet und ich gewählt für unseren — ebenfalls neutralen — Leitfaden zur Vollgeldinitiative: Er steht gratis und franko im Internet zur Verfügung, auch als Kurzfassung in englisch.

Vollgeld-Leitfaden

Urs Birchler

In ungefähr einem Jahr kommt die Vollgeld-Initiative (VGI) an die Urne. Sie zielt auf eine grundlegende Reform unserer Geldordnung. Die Argumente der Befürworter und Gegner klaffen entsprechend weit auseinander. Angesichts der polarisierten Diskussion und der teils technischen Materie haben Jean-Charles Rochet und ich versucht, einen sachlichen und auch für ein breiteres Publikum gut verständlichen Leitfaden zu schreiben. Ein paar kleinere Beiträge sind hier auf Batz.ch schon früher erschienen: 1, 2, 3, 4, 5, 6.

Hier nun also unser Beitrag:

Die Vollgeld-Initiative — ein Leitfaden für jedermann

Wir legen den Text schon als (fortgeschrittenen) Entwurf vor, damit er zeitgerecht zur Debatte im Nationalrat zur Verfügung steht (die WAK-NR tagt am 23. Oktober). Der Ständerat hat die Initiative bereits behandelt (Ablehnung ohne Gegenvorschlag).

Update 13.10.2017: Ergänzend haben wir eine Kurzversion auf englisch, die demnächst auch auf deutsch und französisch folgen soll:

Die Vollgeld-Initiative — a summary in english

Über Kommentare freuen wir uns.

Schlaflos wegen Postfinance?

Urs Birchler

Postfinance verliert die Staatsgarantie. Ende September endet die fünfjährige Frist, die das Postorganisationsgesetz (POG) vom 1.10.2012 in Art. 15 festgelegt hatte. Da die Postfinance die Bedeutung dieser Änderung für die Kontinhaber offenbar nicht zur Zufriedenheit der Medien klärte, versuche ich’s hier:

  • Die Postfinance gehört zum halben Dutzend der in der Schweiz als „systemrelevant“ eingestuften Institute. Das heisst, die Postfinance (mit strategischer Bedeutung im Zahlungsverkehr und jedem/r zweiten Stimmbürger/in als Kunden) wäre im Ernstfall „too-important-to-fail“. Sie würde (alles andere wäre grobfahrlässig) vom Staat gerettet. Abgeschaffte Garantie hin oder her.
  • Einlagen bei der Postfinance sind zwar bis zu CHF 100’000 durch Esisuisse versichert — theoretisch. Deren Gesamtdeckung ist aber auf CHF 6 Mrd. beschränkt (eine Folge der unversicherbaren Grössenunterschiede im Schweizer Bankensystem). Versichert wären also nur diejenigen, die rasch genug zum Schalter rennen (und nahe genug bei einer noch nicht geschlossenen Postfiliale wohnen).
  • Umstritten ist, woher der Postfinance überhaupt Gefahren drohen. Postfinance selber beklagt, dass sie keine Kredite gewähren darf und deshalb auf Anlagen mit schlechterem Rsiko-Ertragsprofil angewiesen ist. Andere sind eher froh, dass Postfinance nicht auch noch im Hypothekargeschäft — historisch gesehen Systemrisko Nummer eins — mittun darf.

Fazit: Als Kunde der Postfinance darf ich weiterhin ruhig einschlafen; nur muss ich weiterhin hoffen, nicht als Steuerzahler schlecht zu erwachen.

[Nachtrag: Ähnlich habe ich argumentiert gegenüber „Echo der Zeit“]

Freiwilliges Vollgeld?

Urs Birchler

Gemäss Presseberichten (NZZ, Reuters) plant eine Gruppe von gegenwärtig sechs Banken die Einführung einer digitalen Geldeinheit namens USC (utility settlement coin, nicht zu verwechseln mit der bestehenden Crypto-Währung USC).

Was ist USC und was ist es nicht?

  1. USC ist keine Währung wie Bitcoin, sondern lediglich eine Form, Guthaben in einer bestimmten Währung, z.B. CHF, zu halten. USC-Einheiten können jederzeit 1:1 in Bankguthaben umgetauscht werden.
  2. Der Sinn von USC ist ein anderer: der eines Zahlungsmittels innerhalb einer Blockchain-Technologie. Die Banken erhoffen sich durch Einsatz der Blockchain-Technologie raschere und billigere Überweisungen im Vergleich zu heute, wo eine Börsentransaktion via Bank abgewickelt wird mit um bis zu drei Arbeitstagen verzögerter Gutschrift und Belastung.
  3. USC sind jederzeit zu 100% durch Guthaben bei der entsprechenden Notenbank gedeckt. Sie sind also im Kern freiwilliges „Vollgeld“ im Sinne der Vollgeld-Initiative.

Verstehe ich das falsch? Die Vorteile einer Blockchain-Technologie überwiegen die Nachteile einer (unverzinslichen) Volldeckung (in Notenbankgeld) der von Banken ausgegebenen Zahlungsmittel? Das wäre noch die Pointe: Die Banken setzen die (ihnen offiziell verhasste) VGI um, bevor wir darüber abgestimmt haben.

Das Finanzsystem der Zukunft

Urs Birchler

Diese Woche war ich in Wien auf der Volkswirtschaftlichen Tagung der OeNB, durchgeführt gemeinsam mit SUERF. Vom Anlass — am besten umschrieben als europäisches Jacksonhole plus österreichische Gastfreundschaft — hier ein paar selektive Notizen. (Ausgenommen: Das nicht für die Berichterstattung gemeinte, informelle „Kamingespräch“ des österreichischen Finanzministers Hans-Jörg Schelling, moderiert von OeNB-Gouverneur Ewald Nowotny. Es war in Wien im übrigen auch ohne Feuer heiss genug.)

Portable Kundendaten: Die europäische Payments Directive wird an sensibler Stelle ins Finanzsystem eingreifen. Zahlungsdaten der Kunden werden portabel (Kunden werden ihre bei den Banken gespeicherte Transaktions-Geschichte Dritten öffnen können). Dies erlaubt Kunden und Händlern, Zahlungen direkt über Programmierschnittstellen (sogenannte APIs) abzuwickeln — unter Umgehung von, beispielsweise, Kreditkarten und die entsprechenden Gebühren. Näheres dazu und den möglichen Konsequenzen in der Präsentation von Patricia Jackson (Ernst&Young).

Smart Contracts: Selbstausführende Verträge sind zur Zeit der Hype. David Yermack (NY Stern School of Business) zeigte in seinem Beitrag, dass die Idee nicht ganz neu ist. Ein früher Anwendungsfall von „smart contracts“ ist der Selbstbedienungsautomat. Ferner benötigen smart contracts keineswegs eine blockchain, wie heute oft angenommen wird.

Blockchain: Ist die Blockchain vielleicht sogar eine Lösung auf der Suche nach einem Problem. Auch François R. Velde (Chicago Fed) versuchte in seinem Beitrag, die Erwartungen etwas zu dämpfen. Besonders schön: Sein Entscheidungs-Schema „Brauche ich eine Blockchain (und, wenn ja, was für eine)?“

Bargeld oder Cyber Money: Helmut Stix (OeNB) zeigte in seinem Referat, dass das schon halb totgesagte Bargeld sich anhaltender Beliebtheit erfreut. Die Möglichkeit, dass Notenbanken digitale Guthaben für jedermann anbieten können, erwähnte Paul Tucker (ex Bank of England) in einem eher vorsichtigen Beitrag.

Regulierung: Vor regulatorischer Ermüdung warnte Erkki Liikanen (Gov. Bank of Finland) in der SUERF Annual Lecture und argumentierte zugunsten einer gesamteuropäischen Einlagenversicherung als dritter, noch unvollständiger Säule der „Banking Union“. Ferner kündigte er eine Tagung zum Thema Shadow Banks an (Helsinki 14.-15. Sept. 2017).

Ich kann nur anregen, angesichts meines lückenhaften und einseitigen Berichts die Referate selbst anzusehen.

Kartoffelgeld

Urs Birchler

Immer wieder kommt die Frage: „Warum dürfen Banken Geld schöpfen, aber andere nicht?“ Die Vollgeldbewegung will die Geldschöpfung der Banken abschaffen, und an der kommenden Generalversammlung der SNB wird das Thema sicher von verschiedenen Referenten aufgegriffen werden. Heute kam mir ein Text von Ivo Muri in die Hand: „Warum dürfen Landwirte kein Geld drucken?“ Drum versuche ich am Beispiel der Kartoffelwährung einmal mehr zu erklären, was Banken tun und was nicht.

Bauern verkaufen Kartoffeln. Banken verkaufen Guthaben. Mit Kartoffeln kann man zahlen, wenn jemand bereit ist, Kartoffeln an Zahlung zu nehmen. Dasselbe gilt für Bankguthaben. Ein potentielles Zahlungsmittel herstellen darf also jeder (Beispiel: Bitcoins); schwieriger ist es, die Leute zu überzeugen, dieses effektiv anzunehmen. In Kuba sind Kartoffeln ein sehr begehrtes Zahlungsmittel. In der Schweiz sind heutzutage Bankguthaben beliebter.

Fazit 1: Geld wird geschaffen durch die Bereitschaft der Allgemeinheit, ein Gut als Zahlungsmittel anzunehmen. Geld schafft also weder der Bauer noch die Bank, sondern wir, die uns durch Guthaben oder Kartoffeln zahlen lassen.

Kartoffeln bestehen aus Stärke. Bankguthaben bestehen aus versprochenem Geld. Der Unterschied: Stärke macht satt, ein Versprechen nicht. Wie J.A. Schumpeter sagte: Mit versprochenem Geld kann man bezahlen, aber auf einem versprochenen Pferd kann man nicht reiten. Mit versprochenen Kartoffeln kann man also zwar nicht kochen. Aber (siehe oben) man kann mit ihnen bezahlen, wenn das Lieferversprechen des Bauern glaubwürdig genug ist.

Fazit 2: Geld kann jeder schaffen, der glaubwürdige Versprechen abgeben kann und diese in eine übertragbare Form kleidet.

Kartoffeln kriegen Junge. Geld kriegt keine Jungen, aber es „arbeitet“, d.h. es lässt sich rentabel ausleihen. Bauer und Bank lassen ihre Kartoffeln, bzw. ihr Geld, daher nicht in der Scheune liegen. Das hat einen Vorteil: Die Inhaber der Kartoffelgutscheine und die Inhaber der Bankguthaben erhalten einen Zins (oder Dienstleistungen im Zahlungsverkehr). Im Wettbewerb frisst dieser Zins den Ertrag aus dem ausgeliehenen Geld, bzw. des gepflanzten Kartoffeln weitgehend auf, d.h. der Ertrag der Geldschöpfung fliesst in jenes Publikum, auf dessen Vertrauen die Geldschöpfung letztlich beruht. Dieses System — versprochene Kartoffeln nicht am Lager zu haben oder versprochenes Geld auszuleihen — hat auch einen Nachteil: Es ist fragil. Wenn Panik aufkommt, versuchen die Leute, die Kartoffeln im eigenen Keller zu bunkern oder das Geld bei der Bank in bar abzuholen. Dies ist die Achillesferse des „fractional reserve banking“.

Fazit 3: Unvollständig gesicherte Guthaben sind für ihre Inhaber rentabel, aber riskant. Ob die Guthaben auf Kartoffeln lauten oder auf Geld spielt keine Rolle.

Geld (in heutiger Form) ist beliebig vermehrbar. Kartoffeln nicht. Einem Bauern, der Kartoffel versprochen hat, sie aber nicht liefern kann, mag ein Kollege aushelfen. Wenn alle Bauern „short“ sind, kann ihnen niemand helfen. Wenn alle Banken zusammen Geld liefern müssen, weil die Kunden in Panik sind, kann ihnen die Nationalbank mit einem Notkredit helfen. Die Nationalbank — und nur die Nationalbank — schafft Geld „gratis“ aus dem Nichts. Fiat Money, „Es werde Geld“. Es werde Kartoffel, geht nicht. (Dasselbe gilt übrigens für Bitcoin, darum kann und wird es nie echte Bitcoin-Banken geben.) Einen Lender of Last Resort kann es nur geben in einem beliebig vermehrbaren Medium, d.h. in Fiat Money. Weil Banken (von der SNB geschaffenes) Fiat Money borgen und ausleihen und nicht Kartoffeln, sind sie anders als Bauern. Und die SNB schützt die Achillesferse des Systems (was man als Vollgeld durch die Hintertür bezeichnen könnte).

Fazit 4: Das einzige „Privileg“ der Banken besteht darin, dass ihre Versprechen auf Geld lauten, welches im Notfall von der Notenbank beliebig vermehrt werden kann (den Banken aber keineswegs geschenkt wird).

Eine Hunderternote zu drucken, kostet die Nationalbank weniger als einen Franken. Das rentiert. Kartoffelgeld oder Bankgeld zu schaffen, ist etwas ganz anderes: Die Halter von Guthaben bei Bank oder Bauern müssen nämlich „bestochen“ werden, sei es (siehe oben) in Form von Zinsen oder Dienstleistungen im Zahlungsverkehr. Sonst gehen sie zur Konkurrenz. Die Nationalbank hingegen hat keine direkte Konkurrenz, drum braucht sie den Inhabern der Banknoten auch keinen Zins zu bezahlen. (Den resultierenden Gewinn überweist sie im wesentlichen an Bund und Kantone.)

Fazit 5: Geldschöpfung durch die SNB einerseits und durch Banken (oder Bauern) andererseits sind zwei grundverschiedene Vorgänge.