Energiewende machbar

Urs Birchler

Also doch: Die Energiewende schlägt die Schweizer Wirtschaft nicht zusammen, wie von economiesuisse behauptet. Klarstellung von fünf Professoren in ETH Campus (bereits auf Twitter, z.B. hier).

Die Forscher verweisen auch auf die im vergangenen November publizierte Studie zur Energiezukunft der Schweiz. In dieser Studie kommt im übrigen auch das Wort „Preis“ vor. Im kurz zuvor publizierten Hintergrundpapier war dies noch nicht der Fall, was batz.ch arg auf die Palme brachte.

LEGOnomics

Urs Birchler und Inke Nyborg

Wer Kinder hat, weiss: Lego-Bausteine sind teuer. Aber sind sie eigentlich teurer oder billiger als damals? Oder ersteht der Eindruck bloss, weil die meisten Lego-Sets so komplex geworden sind? Die Antwort liegt jetzt, wissenschaftlich abgesichert, vor: Real gesehen sind die Klötzchen billiger als 1960 und viel billiger als auf dem Höhepunkt von 1985 (siehe Abbildung). Diese und andere interessante Berechnungen hat der Blog Reality Prose veröffentlicht.

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Wir haben Lego schon unser Silvesterquiz gewidmet. Den Mut, die Euro-Krise in Lego darzustellen, hatten wir allerdings nicht — im Gegensatz zu JP Morgan.

[Nachtrag: Lego und Network Complexity]

Twittern für Unterricht und Forschung

Urs Birchler

„Nein, das lerne ich jetzt nicht auch noch!“, sagte Fräulein G., als kurz vor ihrer Pensionierung die ersten Bürocomputer kamen. Bald wurde das „Fräulein“ als Anrede abgeschafft und der Computer eine Selbstverständlichkeit.

„Nein, das brauche ich sicher nicht!“ sagte ich, als ich das Wort Twitter zum ersten Mal hörte. In der Zwischenzeit kann ich auf Twitter schon den Stemmbogen. Einen simplen Führer über rote und schwarze Pisten hat die London School of Economics publiziert (PDF), und zwar besonders für den Einsatz von Twitter in Unterricht und Forschung. Den gibt’s zwar schon seit 2011; aber ich habe erst jetzt davon erfahren. Wie? Wie denn sonst: über Twitter halt, in einem Beitrag von SUERF:

Der afrikanische Euro

Urs Birchler

Schlagzeilen aus Afrika betrafen jüngst vor allem die französische Intervention in Mali. Etwas untergegangen sind dabei Berichte wie dieser über neuen Schub in der afrikanischen Währungsunion. Schon im Juni 1991 (d.h. acht Monate vor dem Vertrag von Maastricht) unterzeichneten 52 afrikanische Staaten den Vertrag von Abuja über die Einführung des Afro. Unter Führung der Afrikanischen Entwicklungsbank wollen die 19 Staaten der Comesa zusammen mit einigen weiteren Ländergruppen nun vorwärts machen. Die Afrikanische Entwicklungsbank hat in einem Bericht ihre Vorschläge, v.a. auch Kriterien der fiskalischen Konvergenz präsentiert. Vielleicht macht’s Afrika besser.

Eigenmittel sind wie Wasser: teuer in der Wüste

Urs Birchler

In einem Beitrag auf voxeu.org diskutiert David Miles, Mitglied des Monetary Policy Committee der Bank of England die Frage, ob Eigenmittel wirklich so teuer sind, wie die Banken immer wieder (bzw. immer noch) behaupten. Miles kommt zum Schluss, dass Eigenmittel im Grunde nur für jene Banken teuer sind, die viel zu wenig Eigenmittel davon (oder gar einen „debt overhang“) haben. Das sind genau die Banken, die aus Stabilitätsgründen unbedingt ihre Eigenmittel erhöhen sollten. Mit der Aussage: „Strengere Eigenmittelanforderungen sind für uns teuer“, sollten Bankiers daher vorsichtig sein.

Reich sein in der Schweiz….

  … ist auch nicht mehr das, was es einmal war.

Reto Föllmi und Isabel Martínez

Minders Abzocker-Initiative, die 1:12 Initiative der Juso sowie die anhaltenden Diskussionen um die Besteuerung gut betuchter Ausländer und kantonale Abstimmungen zur Pauschalbesteuerung zeigen deutlich: Die Frage, wie viel Reichtum den Reichen vergönnt sei, hat Hochkonjunktur im politischen Geschehen unseres Landes.

Wie hat sich der Anteil der reichsten Einkommen aber eigentlich entwickelt? In einer aktuellen Auswertung von Steuer- und AHV-Daten untersuchen wir deren Entwicklung insbesondere in den letzten zwei Jahrzehnten und schliessen dazu die bisherige 8 jährige Lücke in den nationalen Steuerdaten, die gerade in die Zeit der „interessanten“ Jahren mit dem Einsetzen der verstärkten Zuwanderung fiel. Die Lücke entstand u.a. durch die kantonal versetzte Umstellung von Vergangenheits- auf Gegenwartsbemessung.

Im Vergleich zu den USA, wo die Reichen seit den 1980er Jahren immer reicher werden und das oberste Prozent der Steuerzahler 2008 18% der Einkommen erwirtschaftete – siehe dazu auch den batz-Beitrag von Marius Brülhart – sehen die Verhältnisse in der  Schweiz bescheidener aus, auch wenn gerade die Schweiz von starken Veränderungen wie der verstärkte Zuwanderung gekennzeichnet war. 11% aller Einkommen entfielen hier auf die reichsten 1% (siehe Grafik 1 unten). Allerdings zeigt der Trend für alle untersuchten Gruppen der Top 10% bis Top 0.01% im betrachteten Zeitraum von 1981 bis 2008 stetig nach oben.

Grafik1

Der Anstieg der Topeinkommen wird aber mit erhöhter Volatilität über die Konjunktur erkauft: Besonders die Top 0.1% und 0.01% (das sind in etwa die einkommensstärksten 450 Steuersubjekte) erlitten in der Rezession 2001 einen Rückgang, den sie nicht so schnell wieder aufholen konnten. Darin spiegelt sich sicher die zunehmende Verbreitung variabler Lohnbestandteile wider, bei welchen die Topverdiener mit Aktienoptionen häufig auch einen Teil des Unternehmensrisikos tragen. Dennoch fielen die Einkommensanteile nicht auf das Niveau der vorhergehenden Rezession zurück.

 Wenn wir diese Zahlen mit der Verteilung der AHV-Löhne vergleichen, scheint der Anstieg der obersten Einkommen vor allem auf einem überproportionalen Anstieg der Arbeitseinkommen zu basieren. Wie Grafik 2 zeigt, sind besonders die Einkommen der bestverdienenden Angestellten nach oben geschnellt, während der Anstieg für die erfolgreichsten Selbständigen viel geringer ausfiel.

Grafik2

Plakativ gesprochen tragen heute nicht mehr Risikokapital und Unternehmertum sondern Top-Angestelltenverhältnisse neu die meisten Früchte. Die verstärkte Globalisierung und damit die stärkere Wertschöpfung in Grossfirmen spielen sicher eine wichtige Rolle. Wenn – aber nur wenn – die hohen Saläre auf Leistung beruhen, muss diese Entwicklung nicht zwingend eine Schwächung der Innovationskraft einer Volkswirtschaft bedeuten. Die weitere globale Entwicklung bleibt sicher spannend.

 

Lesetipp: Ariel Magnus Aussensicht der Schweiz

Monika Bütler

In der Schweiz haben selbst die Armen viel Geld, schreibt Jürg Steiner in seinem sehr lesenswerten Aufsatz in der Berner Zeitung vom 5. Januar 2013. Doch gerade weil es der Schweiz so gut geht, scheint die Angst vor dem Wohlstandsverlust die Menschen stärker zu beschäftigen als die Krise in den umliegenden Ländern. Jürg Steiners Artikel trägt denn auch den passenden Titel: Die Schweiz wird zur Insel der Angst.

Als Gegenstück zu dieser eher pessimistischen Sicht empfehle ich die köstliche Aussensicht des argentinischen Autors Ariel Magnus. Zur Armut an Armut in der Schweiz schreibt er im Beitrag vom 28. September. Ariel Magnus weilte im Herbst 2010 auf Einladung der Schweiz (auf Kosten ihrer Steuerzahler, was aber er bei der Einreise dem kontrollierenden Zollbeamten nicht getraut zu sagen) einige Monate in Zürich. Seine Eindrücke sind in Bild und Text festgehalten. Unbedingt lesen!

PS: Zur schon von Jürg Steiner diskutierten relativen Definition von Armut, hier eine noch bessere von Walter Schmid, dem Präsidentenn der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe, skos.

Kindersitzpflicht auf norwegisch

Monika Bütler

Meine NZZ am Sonntag „Karriere“ begann ich mit einer Kolumne zum Unsinn der Pflicht für Kinderrückhaltevorrichtungen (ja, so heissen diese offiziell wirklich!) im Auto auch für grössere Kinder. Umso mehr amüsierte mich der letztlich erfolgreiche Versuch unserer Gastgeberin Renate im wunderbaren Gasthaus To Sostre in Bergen, uns für die Rückreise zum Flughafen ein Taxi zu organisieren. Wir schlugen ihr vor, nach einem Sitzkissen für den jüngeren Sohn zu fragen, für den älteren reichten die Sitzgurten. Renate ging also telefonieren.

2 Minuten später
Renate: Die Taxivermittlung will wissen, wie alt die Knaben genau seien.
Wir: 9 und 11 Jahre (lieber ein, zwei Monate aufrunden, dachten wir)

2 Minuten später
Renate: Wie schwer sind die beiden?
Wir: Circa 26 und 30 Kilo (auch hier besser aufrunden)

2 Minuten später
Renate: Sind sie grösser als 140 cm?
Wir: Der Ältere (wenn er sich etwas streckt)

2 Minuten später
Renate: Sind sie grösser als 130 cm?
Wir: Ja, diesmal auch der Jüngere (wenn sich dieser etwas streckt)

Das Taxi kam dann 10 Minuten später – mit einem Sitzkissen für den Jüngeren, für den Älteren reichten die Sitzgurten. Nach welchen Kritererien wir letztlich genau das kriegten, was wir anfänglich fragten, blieb uns verborgen (Grösse x Gewicht? BMI?). Auch andere nicht-EU Länder beteiligen sich mit Brüssel am Wettbewerb um die absurdesten Vorschriften. 

 

Im falschen Film, Teil 2

Monika Bütler

Der Schweiz geht es offensichtlich blendend. In Zeiten knapper Kantonsfinanzen kann sie sich eine 60-köpfige Kommission leisten (davon 20 Behördenmitglieder aus den Kantonen), welche Filme für Kinder und Jugendliche prüft und entsprechend freigeben kann. Bahnbrechende Neuerung: Das Mindestzutrittsalter gilt neu einheitlich für die ganze Schweiz – oder mindestens fast, weil Zürich und der Tessin noch ausscheren.

Eine unter dem Namen Jugendschutz verkaufte Regulierung macht ohnehin wenig Sinn, wenn sie nur dort wirklich bindet – im Kino nämlich –, wo die soziale Kontrolle bereits gross ist. Alle Filme können bequem zu Hause angeschaut werden. Darüber habe ich in einer Kolumne für die NZZaS („Im falschen Film“) schon mal ausführlich geschrieben.

Weshalb aber eine einheitliche Regelung so wünschenswert ist, bleibt schleierhaft. Normierungen und Harmonisierungen machen Sinn, wenn unterschiedliche Regelungen die Mobilität der (Berufs-)Leute einschränken und den Wettbewerb stören. Beispiele für sinnvolle Harmonisierungen sind die schweizweite Anerkennung von Berufspatenten oder die partielle Angleichung der Lehrpläne zwischen den Kantonen. Als ich noch klein war, konnte eine Familie nicht umziehen, weil für die Kinder der Schulwechsel zu kompliziert und das Lehrerpatent der Mutter im Nachbarskanton nichts wert war.

Doch wo genau liegen denn die Gründe für eine Vereinheitlichung des Mindestalters? Niemand wird nicht von Zürich wegziehen können, weil das Zutrittsalter für den Film „More than Honey“ in Bern 8 Jahre, in Basel 10 Jahre statt wie in Zürich 6 Jahre beträgt. (Wie klein die Harmonisierungsmarge ist, zeigt sich schon daran, dass alle Journalisten genau diesen Film als Beispiel wählten). Psychische Schäden durch die Verunsicherung ausgelöst durch unterschiedliche Zugangsalter sehe ich beim besten Willen auch nicht, weder für Eltern noch für Kinder.

Wir versuchen unseren Studierenden, darunter viele Juristen, schon zu Beginn des Studiums beizubringen, dass es zur Begründung einer Regulierung ein Marktversagen braucht; Externalitäten, Verhinderung des Wettbewerbs usw.  Zu sehen davon ist leider wenig. Das Zutrittsalter zu den Kinos mag ein unbedeutendes Beispiel für eine sinnlose Regulierung ohne überzeugende Begründung sein. (Es nähme mich allerdings dennoch Wunder, wer diese 60-köpfige Kommission bezahlt). Es illustriert aber wunderbar die zunehmende Verdrängung des gesunden Menschenverstandes durch eine überbordende Bürokratie.

Bald in diesem Kino: Im falschen Film, Teil 3 (Anzahl der Folgen noch unbestimmt)