Im falschen Film, Teil 2

Monika Bütler

Der Schweiz geht es offensichtlich blendend. In Zeiten knapper Kantonsfinanzen kann sie sich eine 60-köpfige Kommission leisten (davon 20 Behördenmitglieder aus den Kantonen), welche Filme für Kinder und Jugendliche prüft und entsprechend freigeben kann. Bahnbrechende Neuerung: Das Mindestzutrittsalter gilt neu einheitlich für die ganze Schweiz – oder mindestens fast, weil Zürich und der Tessin noch ausscheren.

Eine unter dem Namen Jugendschutz verkaufte Regulierung macht ohnehin wenig Sinn, wenn sie nur dort wirklich bindet – im Kino nämlich –, wo die soziale Kontrolle bereits gross ist. Alle Filme können bequem zu Hause angeschaut werden. Darüber habe ich in einer Kolumne für die NZZaS („Im falschen Film“) schon mal ausführlich geschrieben.

Weshalb aber eine einheitliche Regelung so wünschenswert ist, bleibt schleierhaft. Normierungen und Harmonisierungen machen Sinn, wenn unterschiedliche Regelungen die Mobilität der (Berufs-)Leute einschränken und den Wettbewerb stören. Beispiele für sinnvolle Harmonisierungen sind die schweizweite Anerkennung von Berufspatenten oder die partielle Angleichung der Lehrpläne zwischen den Kantonen. Als ich noch klein war, konnte eine Familie nicht umziehen, weil für die Kinder der Schulwechsel zu kompliziert und das Lehrerpatent der Mutter im Nachbarskanton nichts wert war.

Doch wo genau liegen denn die Gründe für eine Vereinheitlichung des Mindestalters? Niemand wird nicht von Zürich wegziehen können, weil das Zutrittsalter für den Film „More than Honey“ in Bern 8 Jahre, in Basel 10 Jahre statt wie in Zürich 6 Jahre beträgt. (Wie klein die Harmonisierungsmarge ist, zeigt sich schon daran, dass alle Journalisten genau diesen Film als Beispiel wählten). Psychische Schäden durch die Verunsicherung ausgelöst durch unterschiedliche Zugangsalter sehe ich beim besten Willen auch nicht, weder für Eltern noch für Kinder.

Wir versuchen unseren Studierenden, darunter viele Juristen, schon zu Beginn des Studiums beizubringen, dass es zur Begründung einer Regulierung ein Marktversagen braucht; Externalitäten, Verhinderung des Wettbewerbs usw.  Zu sehen davon ist leider wenig. Das Zutrittsalter zu den Kinos mag ein unbedeutendes Beispiel für eine sinnlose Regulierung ohne überzeugende Begründung sein. (Es nähme mich allerdings dennoch Wunder, wer diese 60-köpfige Kommission bezahlt). Es illustriert aber wunderbar die zunehmende Verdrängung des gesunden Menschenverstandes durch eine überbordende Bürokratie.

Bald in diesem Kino: Im falschen Film, Teil 3 (Anzahl der Folgen noch unbestimmt)

 

8 thoughts on “Im falschen Film, Teil 2

  1. Der Jugendschutz ist sinnvoll, weil er verhindert, dass Kinder sich ohne das Wissen oder die Erlaubnis ihrer Eltern irgend einen Horror-Blut-Schund zu Gemüte führen. Das dies übrigens zu Hause problemlos möglich ist, spielt keine Rolle, denn zu Hause sind die Eltern verantwortlich und nicht die Öffentlichkeit.
    Ob es dazu eine 60-köpfige Kommission braucht ist definitiv fragwürdig, da man auch Empfehlungen aus dem Ausland übernehmen könnte. Man könnte ja die fremden Vögte in Brüssel fragen…

  2. @TomBeutler.Die Eltern sind auch ausserhalb des Hauses für ihre Kinder verantwortlich, nicht die Öffentlichkeit. Die Empfehlungen sind selbstverständlich nützlich – gerade für die Eltern. Weshalb es aber eine Harmonisierung braucht, leuchtet mir nicht ein (sie ist einfach teuer).
    Glauben Sie wirklich, dass die Kinder ins teure Kino gingen um sich einen Horror-Blut-Schund zu Gemüte zu führen? Sie unterschätzen die Kinder, die wissen haargenau, wie man solche Altersgrenzen umgeht.

  3. Ich finde Ihren Beitrag grundsätzlich erhellend und einen guten, allgemein verständlichen Beitrag zur Problematik, wie man das richtige Mass an Regulierung finden kann. Dennoch hätte ich zwei Einwände:
    1.) Oft ist die Frage der Harmonisierung ein wichtiger symbolischer Akt. So sind ist der Grundrechtsschutz in der Schweiz in vielen Bereichen durch die Europäische Menschenrechtskonvention und den von ihr geschaffenen Menschenrechtsgerichtshof geprägt. Tierrechtsschutz ist hingegen weder europaweit, noch bundesweit vereinheitlicht, sondern wird durch kantonale Tierschutzgesetze geregelt. Es ist vermutlich ein europaweiter Konsens vorhanden, dass man weder einen Menschen noch einen Elefanten zu Tode foltern darf. Die Harmonisierung ist hingegen unterschiedlich weit vorangeschritten, was nicht zwingend heissen muss, dass zwischen Mensch und Tier ein unterschiedlich grosses Marktversagen vorliegt.
    2.) Vonseiten der Filmindustrie besteht ein grosses Interesse genau die richtige Zielgruppe bei den Ratings zu treffen (nicht zu kindisch, nicht zu provokant). So bringen in den USA Parental Guidance (PG)-13 Filme im Allgemeinen die höchsten Umsätze ($ 42 Mio. pro Film vs. 38,5 Mio. für „General Audience“-Filme). Falls ein Filmproduzent eine Schweizer Jugendkomödie à la „Achtung, fertig, Charlie!“ produziert, möchte er die Gewissheit haben, dass auch in konservativen Kantonen die jugendlichen Zuseher nicht unerwartet aus den Vorführungen verbannt werden (Marktversagen).

  4. Danke für die wohlwollende Aufnahme meiner Kritik. Worauf ich hinaus wollte, war, dass das Marktversagen nicht bei den Nachfragern, sondern bei den Anbietern von Kinofilmen entstehen könnte. In der Wirtschaftspolitik wird dies oft unter dem „multiple regulator problem“, im unternehmerischen Risikomanagement unter „regulatory risks“ behandelt. Ein standardisiertes Einheitsprodukt wie ein Film oder ein singuläres Ereignis wie eine Unternehmensfusion wird durch unterschiedliche lokale Behörden nach je eigenen (oft widersprüchlichen) Standards beurteilt, ohne dass sich der Einzelne an einer bestimmten Praxis orientieren könnte.

  5. Um zu beurteilen, ob hier ein Fall übermässiger Bürokratie vorliegt, müsste man wohl zuerst wissen, wie der vorherige Zustand aussah. Den bisherigen Informationen über diese Kommission konnte ich nur entnehmen, dass die Kantone dies zuvor jeder für sich geregelt haben. Daraus schliesse ich, dass es dort auch Kommissionen gab? Oder ist es so, dass die Kinos die Altersempfehlung festgelegt haben?

    Wäre ersteres der Fall, so würde ich eine einheitliche Kommission (die sich wohl auch stark an den Empfehlungen von Deutschland orientieren wird [an Herr Beutler: http://www.srf.ch/sendungen/rendez-vous/bringt-kommission-jugendschutz-im-film-verbesserungen%5D und daher möglicherweise nicht sehr viel Arbeitszeit in Anspruch nimmt) im Sinne der Effizienzsteigerung durchaus begrüssen. Ist letzteres der Fall, so erschliesst sich mir der Sinn tatsächlich auch nicht. Ich denke, da gäbe es dann tatsächlich wichtigere Dinge, denen wir uns annehmen müssten.

  6. Die kantonale Justiz- und Polizeidirektorenkonferenz schreibt in ihrer Presseaussendung:
    „Der Jugendmedienschutz ist eine kantonale Aufgabe. Deshalb ist das Zutrittsalter für Kinofilme oder die Altersfreigabe für DVD’s und Videos heute in der Schweiz unterschiedlich geregelt. Sechs Kantone führen eigene Kommissionen, um die Alterseinstufungen vorzunehmen. Andere Kantone übernehmen deren Beurteilungen, und eine dritte Gruppe von Kantonen überlässt es der Film- und Videobranche, die Einstufungen vorzunehmen. Die daraus resultierenden kantonalen Unterschiede sind wenig konsumentenfreundlich, erschweren den Erziehungsberechtigten die Aufgabe und verursachen einen hohen Verwaltungsaufwand.“

    Hindernis zu einer Vereinheitlichung ist – im Gegensatz zu Deutschland – bisher die kulturelle Vielfalt der Schweiz gewesen: „Marc Flückiger, erster Präsident der neuen Kommission, verneinte diese regionalen Unterschiede bei der Bewertung von Filmen gegenüber der Nachrichtenagentur sda nicht. So toleriere die Romandie beispielsweise erotische Szenen tendenziell eher als die Deutschschweiz, lege aber einen strengeren Massstab bei Gewalt an.“

    Quellen: http://www.kkjpd.ch/images/upload/121217%20Medienmitteilung%20Filmkommission%20d.pdf
    http://www.tagblatt.ch/aktuell/kultur/kultur/Kino-Kantoenligeist-ade;art253649,3239523

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