Adventskalender 24

Urs Birchler

Vorgestern, früher Abend. Regen, Pfützen voller Lichtreklamen, hupende Autos, Verspätungsmeldungen aus den Lautsprechern der Tramhaltestellen. Nicht einmal der kleine Chor der Heilsarmee hat heute Zeit, sich dem Strom der eiligen Fussgänger entgegenzustellen.

Drinnen, in der Lebensmittelabteilung des Warenhauses duftet es nach Luxus und nach Weihnachtsabend. Mein einziger Kauf: Ein Döschen Kaviar. Ich habe noch nie im Leben Kaviar gekauft, wusste daher nur, dass er teuer ist. Aber so teuer?! Beschämt über meinen Geiz – es soll ja ein Geschenk werden – und gleichzeitig über meinen Hang zur Verschwendung entscheide ich mich schliesslich für ein Döschen (das mittlere).

Angesichts meines scheinbar mageren Einkaufs bietet mir an der Kasse eine Kundin den Vortritt an. Ich nehme gerne an, auch Zeit ist kostbar. Beim Bezahlen sehe ich eine dicke Brieftasche daliegen und erwische die rechtmässige Besitzerin gerade noch bei der Rolltreppe. Stolz über die gute Tat gebe ich meinen Kreditkarten-Pin ein und achte darauf, die eigene Brieftasche auch wirklich einzustecken. Ich danke der freundlichen Dame hinter mir nochmals fürs Vorlassen und stürze mich wieder ins Getümmel der Einkaufstaschen und Lichter.

Kaum wieder im Regen durchfährt mich der Blitz: Der Kaviar!!! Manteltaschen, Plasticsack — nichts. Ich habe, fixiert auf meine Brieftasche, das Döschen liegenlassen. Keine Zeit, mich einen Idioten zu schimpfen; zurück, Rolltreppe runtergerannt, zur Einpackzone hinter der Kasse. Noch einen Blick vor der Wahrheit steht alles still: mein Atem, mein Herz, die Zeit. Auch die Menschen. Man hat mich erwartet. Drei Gesichter — die geduldige Dame, die Kassierin und ein Kunde von der Kasse daneben — lächeln mir zu, milde wie die drei Könige dem Kinde. In ihrer Mitte liegt glänzend wie ein Geschenk mein kostbares Döschen für mich bereit. Weihnachten.

Adventskalender 23

Diana Festl-Pell

Vor 60 Jahren, im Dezember 1951, wurde Erich Kästner zum Präsidenten des westdeutschen PEN (Poets, Essayists, Novelists)-Clubs gewählt. Obwohl er ab 1933 zu den verbotenen Autoren gehörte, und die meisten seiner Schriftstellerfreunde ins Exil (unter anderem die Schweiz) gingen, blieb er in Deutschland. Dass Erich Kästner niemals ein Blatt vor den Mund nahm, führt auch das folgende Weihnachtsgedicht aus dem Jahr 1928 wunderbar vor Augen.

Weihnachtslied, chemisch gereinigt

Morgen, Kinder, wird’s nichts geben!
Nur wer hat, kriegt noch geschenkt.
Mutter schenkte Euch das Leben.
Das genügt, wenn man’s bedenkt.
Einmal kommt auch eure Zeit.
Morgen ist’s noch nicht so weit.

Doch ihr dürft nicht traurig werden.
Reiche haben Armut gern.
Gänsebraten macht Beschwerden.
Puppen sind nicht mehr modern.
Morgen kommt der Weihnachtsmann.
Allerdings nur nebenan.

Lauft ein bisschen durch die Strassen!
Dort gibt’s Weihnachtsfest genug.
Christentum, vom Turm geblasen,
macht die kleinsten Kinder klug.
Kopf gut schütteln vor Gebrauch!
Ohne Christbaum geht es auch!

Tannengrün mit Osrambirnen –
lernt drauf pfeifen! Werdet stolz!
Reisst die Bretter von den Stirnen,
denn im Ofen fehlt’s an Holz!
Stille Nacht und heil’ge Nacht –
weint, wenn’s geht, nicht! Sondern lacht!

Adventskalender 22

Inke Nyborg

Der deutsche Schriftsteller Thomas Mann hatte eine besonders enge Beziehung zu der Schweiz. Bereits 1905 führte ihn seine Hochzeitsreise nach Zürich. Ein halbes Jahrhundert später starb er in Kilchberg. Sein literarischer Nachlass, die Bibliothek, Teile des Mobiliars und die Ausstattung seines Arbeitszimmers befinden sich heute im Thomas-Mann-Archiv, das im zweiten Stock des Bodmerhauses auf dem Gelände der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) in Zürich untergebracht ist. Thomas Mann besuchte seine Heimatstadt Lübeck zum letzen Mal im Jahr 1955. Lübeck war Schauplatz für einen seiner bekanntesten Romane, Buddenbrooks: Verfall einer Familie. Der Roman beschreibt das Schicksal der Kaufmannsfamilie Buddenbrook in der Hansestadt Lübeck im neunzehnten Jahrhundert. Der geschäftliche Grundsatz der Familie zu Beginn ihrer Blütezeit kann mit den folgenden Worten umrissen werden: „Sei mit Lust bei den Geschäften am Tage, aber mache nur solche, daß wir bei Nacht ruhig schlafen können.“ Doch dann schwinden von Generation zu Generation Unternehmensgeist, Kaufmannsmentalität und Gesundheit. Die Familie verfällt.

Beim Erscheinen des Werkes 1901 waren die Lübecker empört. Versteckte Anspielungen auf die Stadt, ihre Bürger und die Familiengeschichte der Manns waren eindeutig. Die meisten Porträtierten waren wegen der ironisierenden Darstellung nicht begeistert, sich im Buch wiederzufinden. Angeblich kursierte eine Schlüsselliste, die die lebenden Vorbilder identifizierte und die eine Lübecker Buchhandlung ihrer Kundschaft auslieh. Doch heute soll es um das nahende Weihnachtsfest gehen, ein besonders festliches und glanzvolles Ereignis bei der wohlhabenden Kaufmannsfamilie. In den Worten von Thomas Mann hat es bei den Buddenbrooks 1869 so ausgesehen: „Der ganze Saal, erfüllt von dem Dufte angesengter Tannenzweige, leuchtete und glitzerte von unzähligen kleinen Flammen, und das Himmelblau der Tapete mit ihren weißen Götterstatuen ließ den großen Raum noch heller erscheinen. Die Flämmchen der Kerzen, die dort hinten zwischen den dunkelrot verhängten Fenstern den gewaltigen Tannenbaum bedeckten, welcher, geschmückt mit Silberflittern und großen, weißen Lilien, einen schimmernden Engel an seiner Spitze und ein plastisches Krippenarrangement zu seinen Füßen, fast bis zur Decke emporragte, flimmerten in der allgemeinen Lichtflut wie ferne Sterne.“

Adventskalender 21

Diana Festl-Pell

Heute vor 10 Jahren erhielt ich von meinen Grosseltern ein sogenanntes „Überlebenspaket“ ins Nicht-Euro-Ausland geschickt. Mit in diesem Päckchen war ein Euro-Starterkit (Näheres dazu findet sich hier) mit frisch geprägten Euro-Münzen im Wert von 20 DM in einem Plastiksäckchen. Diese Starterkits konnte man in vielen Euroländern zwischen Mitte und Ende Dezember 2001 erwerben, um sich mit der neuen Währung vertraut zu machen.

Als ich jetzt, 10 Jahre später, das noch geschlossene Plastiktütchen vor mir habe, wollte ich doch noch einmal nachsehen, welche Währung denn meine Grosseltern im Alter von knapp 20 Jahren in ihren Händen hielten. Von meiner Grossmutter wusste ich bereits, dass kurz nach dem Zweiten Weltkrieg der meiste Handel ohne Geld lief und man am besten Zigaretten oder Kaffee als wertvollste Tauschgüter feilbot.

Daneben gab es jedoch ebenfalls eine Einheitswährung – die Alliierte Militärmark, die zwischen 1944 und 1948 im Umlauf war. Diese galt als gesetzliches Zahlungsmittel für die Bezahlung von Markschulden aller Art. Niemand durfte die Alliierte Militärmark und die auf Mark lautenden gesetzlichen Banknoten unterschiedlich behandeln. Amerikanische Soldaten durften die Militärmark in US-Dollar umtauschen. Auch den sowjetischen Verbündeten übergab das US-Schatzamt Druckplatten. Rotarmisten durften ihre Militärmark nicht in Rubel umtauschen. Dies führte zu einem schwunghaften Schwarzhandel der alliierten Soldaten untereinander. Allein im Juli 1945 wurden 3 Millionen US-Dollar in die Heimat überwiesen, obschon nur 1 Million an Sold an die Soldaten ausbezahlt wurde.

Der Gesamtverlust für das US-Schatzamt betrug 530 Millionen US-Dollar. Also damals bereits eine Verlustgeschichte, die Einheitswährung.

 

Adventskalender 20

René Hegglin

In wenigen Tagen ist Weihnachten und die Strassen sind gefüllt mit Leuten, welche – vielleicht wie ich – die letzten Geschenke für ihre Liebsten suchen. Hier eine Liste für alle Verzweifelten, welche noch ein Geschenk für eine Ökonomin/einen Ökonomen suchen:

Spiele:

  • Die Siedler von Catan: ein erweiterbares Strategiespiel (auch) für Erwachsene mit dem Ziel innert kurzer Zeit mittels taktischer Kooperation möglichst viel Siedlungen aufzubauen.
  • Backgammon: ist – auch wenn man es mit Würfeln spielt – kein reines Glücksspiel.

Abos:

  • Economist: nicht ganz günstiges Geschenk; wortgewandtes Wochenmagazin für Nachrichten aus Politik und Wirtschaft der ganzen Welt.
  • NZZ: noch teurer ist die wohl beste Wirtschaftszeitung der Deutschschweiz. Je nach Digitalisierungsgrad des Beschenkten lohnt sich auch die E-Paper only Variante.

Film:

  • The Inside Job: kritischer Dokumentarfilm zur Finanz- und Schuldenkrise, Sieger eines Oscars, klinisch trocken gesprochen von Matt Damon.
  • A Beautiful Mind: Hollywood’scher Spielfilm als Biografie von John Nash (Nobelpreisträger und Begründer des Nash Gleichgewichts)

Buch:

Gratis:

  • RSS-Feed für Batz: vielseitige und aktuelle Artikel zur Wirtschaftspolitik der Schweiz.

Adventskalender 19

Inke Nyborg

Am 19.Dezember 1843 veröffentlichte der englische Autor Charles Dickens seinen Roman A Christmas Carol.

Das Buch entstand aus Goldnot. Dickens hatte bereits seit einiger Zeit den Plan zu der Erzählung, als er schließlich 1843 in finanzielle Schwierigkeiten geriet. Um die Sache noch schlimmer zu machen, hatte sein Verleger nicht die nötigen Mittel, das Buch herauszubringen, und so bezahlte Dickens schliesslich den Druck selbst. Allerdings gab es zu jener Zeit in England keinen Urheberschutz, und so konnte das Buch, welches schnell erfolgreich wurde, ungehindert als Raubdruck vertrieben werden. Dickens zog zwar gegen die Verantwortlichen vor Gericht, jedoch kostete ihn das am Ende so viel, wie er mit dem Buch selbst eingenommen hatte.

Die Hauptperson des Buches ist Ebenezer Scrooge. In dem Roman wandelt sich der herzlose Geschäftemacher Scrooge zu einem gütigen, lindernden alten Herren. Am Heiligen Abend erscheinen Scrooge drei Geister. Ihm erscheint der Geist seines verstorbenen Geschäftspartners Marley, der zu Lebzeiten noch geiziger als Scrooge war, und dieser prophezeit Scrooge ein düsteres Ende für den Fall, dass er sein Leben nicht grundlegend ändere. Danach zeigt sich der Geist der vergangenen Weihnacht, welcher Scrooge in seine Kindheit zurückversetzt, gefolgt vom Geist der gegenwärtigen Weihnacht, der ihn ins Haus seines ärmlich lebenden Schreibers und dessen Familie sowie in das Haus seines Neffen geleitet. Nach diesen Ereignissen verändert Scrooge’s Persönlichkeit sich für immer, und er kann sich auf Weihnachten freuen: “I am as light as a feather, I am as happy as an angel, I am as merry as a school-boy. I am as giddy as a drunken man. A merry Christmas to everybody!”

Adventskalender 18

Monika Bütler

Zum 4. Advent zwar kein Weihnachtslied, aber wenigstens eins mit Bätzeli — leider kenne ich weder den Ursprung des Liedes noch die Kaufkraft eines Batzens zu jener Zeit.

Schuehmächerli, Schuehmächerli, was choschted mini Schueh?
Drü Bätzeli, drü Bätzeli, und d’Negeli dezue.

Drü Bätzeli, drü Bätzeli, das isch mer wärli z’tüür,
do laufi lieber barfuess, dörs Wasser und dörs Füür!

Schuemächerli, Schuemächerli, wo flicksch du dyni Schue
Im Chämmerli, im Chämmerli, tue sTörli weder zue.

Schuemächerli, Schuemächerli, was machsch du au för Lärm
I hämmere, i hämmere, das mach i ebe gern.

und hier eine neue Version des Lieds von den Helik-Jungs – voll krass.

Adventskalender 17

Urs Birchler

„Der Streit um die Batzen“ — so betitelt Julius Cahn ein Kapitel seines Buches Der Rappenmünzbund von 1901. Worum ging es?

Im Jahre 1342 schlossen sich die Städte Zürich und Basel mit dem Basler Bischof und dem Herzog von Österreich zusammen unter dem Namen „Rappenmünzbund“, um eine einheitliche Währung einzuführen. Zu seinen besten Zeiten umfasste der Rappenmünzbund etwa achtzig Teilnehmer (z.B. Städte vom Oberrhein, der Nordwestschweiz und Vorderösterreichs).

Wie alle Währungsunionen zwischen souveränen Staaten vor und nach dem Rappenmünzbund litt dieser an inneren Spannungen. Namentlich störte der Zustrom von Batzen-Münzen. Zunächst versuchte es Basel mit einer Wechselkursgrenze: Für die Batzen durften nicht mehr als 9 Rappen bezahlt werden. Es folgte ein Zustrom billig geprägter Batzen. Bis im August 1820 war dieser so angeschwollen, dass Basel einen Krisengipfel einberufen musste. Dieser beschloss in der Tat, die Batzen hätten bis Weihnachten von der Bildfläche zu verschwinden. Dies taten sie nicht. Österreich stieg deshalb aus, indem es sich weigerte, genug Münzen zu prägen, um die Batzen wieder zu verdrängen. Schliesslich wurde der Rappenmünzbund 1584 aufgelöst.

Die Abbildung zeigt je einen Rappen aus Basel (Bischofsstab) und Zürich (Äbtissin des Fraumünsterklosters, die Zürcher Münzherrin).

Adventskalender 16

René Hegglin

Am 2. Dezember forderten wir die Leser des Batz auf, in einer Schätzfrage eine Zahl von 0 bis 100 zu schätzen und dabei möglichst nahe an 2/3 des Mittelwerts aller Schätzungen zu kommen. Die Teilnahme ist hoch ausgefallen: es haben insgesamt 53 Leser an dem Experiment teilgenommen und eine Schätzung abgegeben.

Die Aufgabe (eine Zahl innerhalb 0-100 zu schätzen) mag einfach klingen, ist sie jedoch nicht. Die Schwierigkeit der Aufgabe ist, die Rationalität seiner Gegenspieler einzuschätzen. Die perfekt rationale Lösung wäre nämlich 0. Doch warum ist sie 0? Hier die Anleitung: Angenommen alle Spieler würden nicht-strategisch spielen, d.h. kein Spieler zieht die Aktionen seiner Mitspieler in Betracht und wählt die Zahl zufällig zwischen 0 und 100. Der Mittelwert wäre somit bei 50 und gewinnen würde man mit einer Schätzung von 33.3 (=2/3 * 50). Alle Spieler möchten gewinnen und wählen also einen Wert von 33.3. Jedoch wenn alle Spieler 33.3 schätzen würden, dann reduziert sich der Mittelwert von 50 auf 33.3 und die neue Gewinnerzahl wäre 22.2. Alle Spieler sollten somit 22.2 schätzen. Dieses Spiel ginge in analoger Form weiter mit 11.1, 7.4, … bis man letztlich approximativ bei 0 landet.

Trotzdem ist es kaum eine gute Strategie 0 zu wählen und längst nicht alle Spieler tippen auf 0. An der Universität Konstanz spielte man dieses Spiel mit 127 Universitätsprofessoren und die Gewinnerzahl lag bei 19.537. Am Begrüssungstag der Wirtschafts-Masterstudierenden an der Universität Zürich lag die Gewinnerzahl für alle Schätzungen bei 8.43. Warum nicht bei 0? Die Erklärung ist Teil experimenteller Forschung, erstmals untersucht von Rosemarie Nagel im Jahr 1995. Unterschiede entstehen einerseits in der individuellen Tiefe des Gedankengangs (von 50 auf 33.3, auf 22.2, auf 11.1, …) und andererseits in der Einschätzung der Tiefe des Gedankengangs der Mitspieler. Während eine Schätzung von 0 zwar auf einen tiefen Gedankengang hinweist, so ist die Schätzung trotzdem etwas überoptimistisch bezüglich der Denkweise aller Mitspieler. Im Mittelwert lagen die Schätzungen vom 2. Dezember bei 17.73 und die Gewinnerzahl somit bei 11.82. Die Batz-Leser bewegen sich somit im Mittelfeld zwischen Wirtschafts-Masterstudierenden und Universitätsprofessoren.

Gewonnen haben das Spiel zwei anonyme Spieler, welche auf 12 tippten. Auf dem zweiten Platz folgen Lukas, Patrick und eine weitere anonyme Teilnahme mit jeweils einer Schätzung von 11. Herzlichen Glückwunsch!

Adventskalender 15

Inke Nyborg

Dieser Tag ist Sándor Márai gewidmet, einem ungarischem Schriftsteller (1900-1989), der einundvierzig Jahre seines Lebens im Exil verbrachte.  Die erste Station seiner Emigrationsjahre war – wie für viele – die Schweiz. Eine Einladung zu dem Rencontre Internationales, einem jährlich stattfindenden Symposium von Schriftstellern und Wissenschaftlern, brachte ihn im Alter von 48 Jahren von Budapest nach Genf. Seine Wanderjahre endeten in San Diego.

Über den Monat Dezember schrieb Márai, dass dieser Monat ein Fest sei.„Als würden ständig Glocken geläutet, weit weg, hinter den Schleiern aus Nebel und Schnee.“ Seine Kindheit verbrachte er in Kaschau (Kassa), einer kleinen ungarischen Stadt, welche heute slowakisch ist. In seinem Buch Die Vier Jahreszeiten beschreibt er das Warten auf Weihnachten. „In unserer Kindheit haben wir schon am ersten Tag dieses Monats mit blauen und grünen Farbstiften einen Christbaum mit einunddreissig Ästchen auf einem Bogen Papier gezeichnet. Klopfenden Herzens wurde jeder Morgen markiert, gleichsam ein Ast dieses symbolischen Baumes abgeknickt. So näherten wir uns dem Fest. Die Aufregung des Wartens wurde auf diese Art fast ins Unerträgliche gesteigert.“

An einem Tag wie heute, zwei Wochen in die Adventszeit, mögen die Gefühle überwältigend gewesen sein. Márai erinnerte sich: „Gegen Mitte des Monats, als das Ereignis immer näher rückte, hatte ich abends schon regelmässig Temperatur und erzählte dem Kindermädchen fiebrig-stotternd von meinen Wünschen. Was ich nicht alles wollte! Eine Dampfeisenbahn und eine Schaffnerzange zum Fahrkartenzwicken, ein richtiges Theater mit Logen, Schauspielerinnen und Rampenlicht, ja sicher auch mit Kritikern und mit den Näherinnen, die bei der Generalprobe dabei sein dürfen und dann schlecht über das Stück reden. Darüber hinaus wünschte ich mir ein polnisches Mäntelchen, sodann Indien, Amerika, Australien und den Mars.“ Und: “ All das natürlich in Seidenpapier verpackt und mit Engelshaar geschmückt.“