Goldinitiative: Der Rumpelstilzchen Effekt

Urs Birchler

Wir haben behauptet (zusammen mit einem Teil der Presse), dass die Goldinitiative eine Einladung an Spekulanten darstellt, sich auf Kosten der Schweizerinnen und Schweizer zu bereichern. Und zwar massiv.

Primäreffekt: Bei Annahme der Initiative würde die SNB gezwungen, innert fünf Jahren für 61 Mrd. Franken Gold zu kaufen. Beim heutigen Goldpreis sind das 1’600 Tonnen, bzw. 2,5 Prozent des weltweit vorhandenen Barrengoldes (des nicht-verarbeiteten Teils des Weltgoldbestandes; siehe GFMS Gold Survey 2014, S. 53). Eine Zusatznachfrage von 2,4 Prozent erhöht den Goldpreis um schätzungsweise ebenfalls 2,4 Prozent. (Genauer gesagt: es kommt auf die sogenannte Elastizität an; diese liegt beim Gold als sicherer Hafen unter eins, bei Gold als Luxusgut über eins; wir rechnen daher mit dem Mittelwert von eins). Der gesamte Goldbestand stiege daher im Wert um um 167 Mrd. Franken (gesamter Welt-Goldbestand), um 62 Mrd. Franken (nur Barrengold), bzw. um 20 Mrd. Franken (Gold bei Privatinvestoren).

Sekundäreffekt: Noch nicht eingerechnet sind die Gewinne der Goldbesitzer, die durch künftige Goldkäufe der Nationalbank entstehen, wenn diese die Kursuntergrenze zum Euro von 1.20 Franken verteidigen muss. Die Spekulation gegen die Kursuntergrenze (bei gleichzeitiger Goldspekulation) wird zunehmend attraktiv, da die Nationalbank immer teureres Gold kaufen muss. Wie der armen Müllerstochter im Märchen muss sie immer mehr anbieten, um zum geforderten Gold zu kommen. Am Ende muss sie ihr eigenes Kind aufgeben: die schweizerische Wirtschaft, die bei einer Preisgabe der Kursuntergrenze zusammenbricht.

Der Investor George Soros zwang 1992 die Bank of England in die Knie. Er spekulierte gegen das Pfund, welches innerhalb des Europäischen Wechselkurssystems EWS (einem gescheiterten Vorläufer des Euro) mit anderen europäischen Währungen durch feste Kurse verbunden war. Das britische Schatzamt borgte 15 Mrd. Pfund zur Verteidigung des Pfundes. Soros hielt mit 10 Mrd. Leerverkäufen dagegen und erreichte am Ende eine Abwertung um 15 Prozent. Netto blieb ihm ein Gewinn von 1,3 Mrd. Pfund.

Der gesamte Gewinn aus der Goldinitiative für Privatinvestoren liegt, wie oben erwähnt, schon nur aufgrund des Primäreffekts, um ein Vielfaches höher. Wetten, dass Investoren Geld für Abstimmungspropaganda stiften? Darüber bald mehr bei batz.ch.

Dutch Auction im Niederdorf

Urs Birchler

DutchAuctionGestern nachmittag auf dem Weg zur Uni: Ein Antiquitätenhändler bietet ein Ecksofa zu einem von Tag zu Tag abnehmenden Preis feil. Die abnehmende „Dutch auction“ trifft man seltener als die aufsteigende „English auction“ (vorherrschend z.B. bei eBay). Mal sehen, bei welchem Preis jemand zuschlägt.

[Adresse auf Anfrage]

Goldenes Eigentor

Urs Birchler

Die Presse (zum Beispiel TA) berichtet dieser Tage, dass die Goldinitiative im Falle einer Annahme eine Spekulationschance auf dem Silber-, bzw. Goldtablett, serviert. Tatsächlich würde die Nationalbank zu automatischen Goldkäufen gezwungen. Wie gefährlich dies ist, illustriert ein Beispiel aus der Vergangenheit: Die Eidgenossenschaft stand wegen einer unbedacht eingegangenen Goldkauf-Pflicht 1991 am Rande des Bankrotts. Und das kam so.

250_CHF_1991

Der Bund wollte sich zu seinem 700-Jahr-Jubiläum ein Geschenk machen und kam auf die Idee einer Gedenkmünze in Gold. Damit es ein richtiges Geschenk würde, beschloss er, den Nennwert auf 250 Franken festzusetzen, aber nur Gold für rund 140 Franken in die Münze zu packen — Differenz zugunsten der Staatkasse. Um die Nachfrage trotz dieser unterwertigen Prägung sicherzustellen, erklärte der Bund die Münze zum gesetzlichen Zahlungsmittel. Dadurch wurde die Münze aber fast wieder zu attraktiv. Damit die Münzstätte planen konnte, musste man die Münze daher schon zwei Jahre im voraus bestellen. Im Gegenzug verpflichtete sich der Bund, alle Vorbestellungen auch tatsächlich zu honorieren.

Und damit hatte er sich selber schachmatt gesetzt. Es war ganz einfach: Wer für 250 Franken eine Münze bestellte, bekam im schlimmsten Fall ein gesetzliches Zahlungsmittel im Wert von 250 Franken. Sollte der Goldpreis aber vom Bestelldatum im April 1988 bis zur Auslieferung im Jubeljahr 1991 kräftig steigen, lag ein schöner Gewinn drin. Für den Besteller also eine risikolose Gewinnchance.

Noch schlimmer: Je höher die Bestellmenge, desto stärker würde der Goldpreis steigen und desto grösser der Gewinn für die Besteller. Die Spekulation war nicht nur risikolos, sondern auch noch selbsterfüllend: Hätten alle Marktteilnehmer ihren Gewinn zu maximieren versucht, hätte die Bestellmenge den Welt-Goldbestand überstiegen. Der Bund wäre angesichts des steigenden Goldpreises schon bei einer kleineren Menge bankrott gewesen.

Dass sich die Banken beim Bestellen edel zurückhielten, spricht für sie. Gleichwohl annullierte der Bund wenig vertragstreu die Bestellrunde mit dem Argument, sie sei „spekulativ missbraucht“ worden. Die Münze wurde ein zweites Mal ausgeschrieben; diesmal aber nur in einem teuren „Luxusetui“ aus billigem Plastic. Der Erfolg bieb deshalb mässig. Und das Etui hinterliess, sozusagen an als Erinnerung an den Vertragsbruch, auf der Münzoberfläche hässliche braune Spuren.

Trotz der dunklen Flecken kam der Bund nochmals heil davon.
Die Dummheit einer erneuten Goldverpflichtung durch Annahme der Goldinitiative könnten wir uns aber eigentlich ersparen.

[Eine detailliertere Darstellung der Münzausgabe von 1991 samt einer optionstheoretischen Bewertung findet man in meinem Beitrag in Wirtschaft und Recht von 1989. Hier zum Download]

Félicitations, Jean Tirole!

Monika Bütler und Urs Birchler

Mit Jean Tirole hat heute nicht nur ein brillanter Forscher den Wirtschaftsnobelpreis zuerkannt bekommen, sondern auch ein toller Lehrer und ein äusserst liebenswürdiger Mensch.

Wir haben beide unabhängig voneinander Kurse von Jean Tirole im Studienzentrum Gerzensee besucht. Beeindruckt waren wir von Jeans Flair, komplizierte Sachverhalte zunächst auf einfache Modelle zurückzuführen. Dies braucht Mut: mit der Abstraktion macht sich ein Forscher auch angreifbar gegen den Vorwurf übermässiger Vereinfachung. Uns schien eine andere Gefahr wichtiger: Vieles kommt bei Jean Tirole derart elegant daher, dass es fast trivial aussieht. Aber wehe: Wer glaubt, das Gehörte an der Prüfung oder im eigenen Unterricht locker wiedergeben zu können, kann eine böse Überraschung erleben! Wir sprechen aus Erfahrung.

Jean Tiroles Forschung ist ein Musterbeispiel für den Umgang mit ökonomischen Modellen. Einerseits: Ohne Modell sieht der Ökonom genause wenig wie der Kurzsichtige ohne Brille. Je einfacher das Modell, desto schärfer die Brille. Andererseits: Das richtige Modell hängt vom Zweck ab, wie Jean Tirole auf dem Gebiet der Industrieökonomik immer wieder gezeigt hat.

Am meisten freut uns, dass mit Jean Tirole ein Ökonom geehrt wurde, der mit ungeheurem Einsatz an Arbeit und völlig ideologiefrei wichtige Fragestellungen angegangen ist.

Systemrelevanz rentiert

Urs Birchler

Ein Vertreter der Bank Notenstein (Vermögensverwaltungs- und Asset Management-Tochter der Raiffeisen-Bank) sagt es in entwaffnender Ehrlichkeit (gemäss by Finews):

„Unsere Kunden haben es auch geschätzt, dass die Schweizerische Nationalbank Raffeisen als systemrelevant eingestuft hat.“

Recht hat er, natürlich. Doch das Zitat zeigt: Die Lebensversicherung „Systemrelevanz“ vergiftet den Wettbewerb noch in den hintersten Ecken des Bankgeschäfts.

Stressfeste Kantonalbanken?

Urs Birchler

Die Presse berichtet heute, gemäss einer Studie der Bank Vontobel, könnten die Kantonalbanken einen Rückgang der Immobilienpreise gut überstehen.

Was aber mindestens so sehr interessieren würde: Können die Kantonalbanken auch einen Anstieg der Zinssätze überstehen? Die Hauptgefahr im Immobilienbereich liegt nämlich nicht in einem Immobilienpreisrückgang, sondern darin, dass die Hauseigentümer wegen steigender Zinssätze ihre Hypothekarschulden nicht mehr bedienen können. Wenn sie das können, sind die Immobilienpreise nicht relevant. (Wenn sie es nicht können, sind die Immobiliepreise mindestens kurzfristig auch nicht so wichtig, da die Banken nicht gleichzeit ihre Grundpfänder liquidieren können.)

Darum wollte ich selber in der Studie nachschauen. Doch ohne Erfolg. Auch auf der Homepage der Bank Vontobel finde ich die Studie nicht. Die Kollegen von der gedruckten Presse haben es also für einmal besser als die böhzen Bloggerz. Aber — wie der Tagi sagen würde — wir bleiben dran.

Governance bei Kantonalbanken

Urs Birchler

Ich erhalte dieser Tage verschiedene Anfragen betreffend die politische Aufsicht über Kantonalbanken. Deshalb hier kurz mein Standpunkt:

Kantonalbanken sollen eine politisch (mehr oder weniger klar definierte) definierte Leistung zugunsten der Bevölkerung erbringen und gleichzeitig rentieren. Dies schafft ein Spannungsfeld für die Governance. In der Praxis, z.B. im Kanton Zürich, krankt diese Governance daran, dass der politische Proporz gleich auf vier Ebenen berücksichtigt wird:

Erstens — per definitionem und sinnvollerweise — im Parlament.
Zweitens — noch knapp begründbar — in der Spezialkommission ZKB.
Drittens — unglücklicherweise — im Bankrat.
Viertens — zum Überfluss — auch noch im 3-köpfigen Präsidium.

Der Proporz bis in den Bankrat und ins Präsidium hinunter schafft zwei Probleme:

  1. dass diese Gremien zu gross sind, weil nur so der Proporz gewahrt werden kann
  2. dass das Parteibuch über persönlichen Qualitäten steht.

Zürich ist aber bei weitem nicht der einzige Kanton mit einer „Proporzbank“, siehe hier.

Schottland: Probe aufs Exempel

Urs Birchler

Scotland

Die Presse berichtet laufend über Umfrageergebnisse zur bevorstehenden Abstimmung über die Unabhängigkeit Schottlands. Umfragen in Ehren, aber als Ökonom vertraue ich lieber Prognosen, bei denen Geld auf dem Spiel steht. Gerade Schottland ist nicht nur das Vaterland der Ökonomie (Adam Smith uvm.), sondern das Land der Wettbörsen, und die Schotten stehen nicht im Ruf, Geld leichtfertig zu verspielen. Eine Übersicht über die Wettquoten an den rund zwei Dutzend(!) Wettbörsen, an denen die Abstimmung gehandelt wird, findet sich hier.

Die aktuellen Wettquoten zweier führender Buchmacher sind:

YES NO
Ladbrokes 3:1 1:4
William Hill 11:4 1:4

Das Rennen ist also weniger offen, als die Umfragen suggerieren. Der Verbleib Schottlands im Königreich hat eine Wahrscheinlichkeit zwischen 67 und 75 Prozent (die Differenz streicht der Buchmacher ein). Der kritische Prozentsatz an YES-Stimmen, den je die Hälfte der Teilnehmer als zu hoch, bzw. zu tief ansieht (Median), beträgt 46,5 Prozent. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Stimmenunterschied unter einem Prozent liegt, wird bei 8:1 gehandelt. Es wird also nicht einmal allzu knapp.

Und wenn die Schotten schon Wetten, dann richtig. Man kann auch auf die Stimmbeteiligung setzten (knapp 80 Prozent), auf Kombinationen zwischen Stimmbeteiligung und Ergebnis, auf die Währung, die ein unabhängiges Schottland wählen würde (das Pfund), auf wer nach der Abstimmung wie rasch zurücktreten muss, etc. Sogar ein Schottland-Besuch des nordkoreanischen Diktators Kim Jong-un vor der Abstimmung ist mit einer kleinen Chance (500:1) kotiert.

Bleibt nur die Frage, wieviel die Schotten wohl auf die Vereinigung der beiden Basel setzen würden.

Steuer-Salat

Urs Birchler

Letzte Woche traf ich eine Kollegin in einem populären vegetarischen Restaurant Nähe Bundeshaus Bern. Bei der Selbstbedienung am Buffet hat der Kunde als erstes die Wahl zwischen Teller und Plasticschachtel. Konservativ wähle ich ersteren. Ein paar Tische weiter hat sich ein Gast für Plastic entschieden, gerät aber darob in eine Diskussion mit dem Personal. Die nehmen’s aber ernst mit dem Stil, denke ich zuerst, aber Irrtum: Est geht nicht um Stil, sondern um Steuer. Der Teller ist für’s Essen im Restaurant oder an den Tischen draussen (MWSt-Satz: 8%). Der Plastic ist für’s Take-Away (MWSt-Satz: 2.5%).

Der Wirt ist auch Steuereintreiber. Meine Bekannte, Juristin, klärt mich auf: Liesse er die Gäste im Restaurant aus der Plastic-Schachtel speisen, so würde er sich der Steuerhinterziehung schuldig machen. Das Beispiel zeigt: Mit jeder Differenzierung entstehen versteckte Kosten wie im vorliegenden Fall eine Verstimmung des Gastes durch einen bloss ehrlichen Wirt.

Am einfachsten wäre also wohl der Einheitssteuersatz — alles zu 8%. Aber einfach ist nichts. Auch bei einem Einheitssteuersatz lauert im Hintergrund der Satz von null: Was ist überhaupt eine steuerpflichtige Leistung? Die Betreuung alleinreisender Kinder im Flughafengebäude? (JA). Der Vertrieb von Anteilen an kollektiven Kapitalanlagen, die unter schweizerischem Recht stehen? (NEIN, grob gesagt). Das volle Salatbuffet findet sich auf der MWSt-Seite der Eidg. Steuerverwaltung (die auch nichts dafür kann). Servez-vous!

Dienstleistungsliberalisierung auf dem Hund?

Urs Birchler

Die Liberalisierung des Welthandels im Rahmen des WTO stockt. Für die Schweiz ist das eher schlecht. Es gibt aber auch Positives: Eine breite Gruppe von Ländern (sowohl industrialisierte als auch andere) haben sich zusammengetan zur Initiative TISA (Trade in Services Agreement) mit dem Ziel einer Liberalisierung des Dienstleistungsverkehrs. Eine gute Zusammenfassung bei voxeu. Alles nähere hier beim SECO.

Die einzelnen Länder dürfen Ausnahmen einbringen. Die Schweiz hat die grössten Vorbehalte bei der Personenfreizügigkeit (schon vor dem 9. Dezember). Einzelne Vorbehalte (hier) hat sie sich herausgenommen im Bereich Finanzen (Versicherungen und Banken). Beispiele: Kantonale Monopole der Gebäudeversicherungen; Pfandbriefinstitute.

Auffällig ist, dass im Wikipedia-Artikel zu TISA, besonders in der deutschen, aber auch in der englischen Version, Kommentar oder „Analyse“ lediglich aus der Feder von (dann auch noch unkundigen) Gloalisierungskritikern stammt.

Wer die trockene Materie im Detail studiert, wird aber auch belohnt: Gegen Ende der Schweizer Liste findet sich der folgende Vorbehalt:
HundeTISA

Numerus Clausus auf der Hundewiese? Keine Panik: Sie dürfen Ihren Hund weiterhin spazierenführen. Bei einer Liberalisierung unter TISA erst recht. TISA-widrig wäre höchstens ein Verbot, wonach ausländische Hundehalter weniger häufig Gassi gehen dürfen als schweizerische. Der abgebildete Vorbehalt verhindert nur, dass Hundehüter (beliebiger Herkunft) nicht ein Dutzend Kampfhunde gleichzeitig an der Leine führen dürfen.