„Staatsgeheimnis Bankenrettung“

Urs Birchler

Fast hätte ich’s verpasst: Sieben Tage Arte-Doku über die Rettung der Banken. Und wo ist das Geld gelandet? Viel Vergnügen.

Dank an Stefan Zacher für seinen Hinweis auf Twitter.

Les commissions indépendantes de gestion et des finances: un instrument efficace pour des finances publiques durables

Mark Schelker

Publiziert im „Agefi“ vom 26. Februar unter dem Titel “L’indépendance du contrôleur.”

Les finances de nombreux États sont arrivées aux limites de leurs possibilités. En particulier, la situation fiscale dans plusieurs pays européens est dramatique. L’endettement de pays traditionnellement solides, comme la France, est considérable et toujours croissant. Les interventions monétaires de la Banque Centrale Européenne ont soulagé la situation à court terme, mais les problèmes de base ne sont toujours pas abordés de façon durable. Redressement et réformes constituent des sujets de discussion omniprésents. Mais si les budgets publics sont souvent si fortement déséquilibrés – quelle en est la cause?
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Kinderbetreuung in der Schweiz

Christina Felfe

Im Lichte der bevorstehenden Volksabstimmung zum Familienartikel am Sonntag, den 3.März 2013 und den dazu herrschenden kontroversen Diskussionen erscheint es sinnvoll und, die aktuelle Situation der Kinderbetreuung in der Schweiz zu beleuchten.

Wer ist zuständig für die Reglementierung, Bewilligung, Aufsicht und Finanzierung der familienergänzenden Kinderbetreuung? Wie ist die aktuelle Versorgung mit Betreuungsplätzen? Wie hoch sind die Kosten? Mit diesen und anderen Fragen beschäftigt sich meine Öffentliche Vorlesung am 28.Februar 2013, an der Hochschule St. Gallen (HSG).

Sucht man in der Familiendatenbank der Organisation for Economic Co-operation and Development (OECD) nach internationalen Daten zum Versorgungsgrad von Kleinkindern (Alter 0-2 Jahre), erhält man für die Schweiz keine Informationen. Während der durchschnittliche Versorgungsgrad  in den OECD Ländern bei ca. 30% lag, gibt es für die Schweiz bislang keine Daten zum Angebot familienergänzender Betreuung. Einen ersten Schritt um diese prekäre Datenlage zu beheben wurde im Rahmen des Nationalfond Projektes zum Thema „Gleichstellung der Geschechter“ (NFP60) von INFRAS (Rolf Iten und Susanne Stern) und SEW/HSG (Christina Felfe, Michael Lechner und Petra Thiemann) getan. Mittels einer kantonalen Befragung wurden Daten zum Angebot von frühkindlicher Betreuung und schulergänzender Betreuung auf Gemeindeebene für das Jahr 2010/2011 erhoben. Diese Erhebung erlaubt erstmals den Ist-Zustand der Kinderbetreuung in der Schweiz darzustellen. Weiterlesen

Familienartikel: Umbau der antiquierten Schulstruktur!

Monika Bütler

Publiziert in der NZZaS vom 24. Februar unter dem Titel „Die Schulstruktur muss in jedem Fall umgebaut werden. Es braucht bessere Möglichkeiten, um Beruf und Familie zu verbinden.“

Beruf und Familie sind noch immer noch schwer zu verbinden. Die externe Kinderbetreuung ist überreguliert und sündhaft teuer; verbilligte Plätze sind rar und werden intransparent zugeteilt. Wer beim Eintritt der Kinder in den Kindergarten denkt, das Gröbste hinter sich zu haben, erwacht böse. Als wohl einziges Land der westlichen Welt kennt die Schweiz kaum Tagesschulen, die den Namen verdienen. Das Angebot besteht vielmehr aus einem grotesk zersplitterten Mix aus Schule, Hort und Mittagstisch. Unsere gestylten Schulhäuser sind zu schade, um als Verpflegungs- oder Betreuungsstätten entweiht zu werden. Dazu kommen krasse Ungerechtigkeiten: Die Urnerin, die zur Aufbesserung des kargen Bergbauernbudgets extern arbeitet, bezahlt den vollen Krippentarif (112 Franken pro Kind und Tag), die sich selbst verwirklichende, nicht arbeitstätige Zürcher Akademikerin nur einen Bruchteil.

Zeit, dass endlich etwas geschieht. Doch was?

Drehbuch A: Die Schweiz krempelt ihr Schulsystem um und geht über zu einem flächendeckenden Angebot an Tagesschulen für Kinder ab circa 4 Jahren. Blockzeiten, beispielsweise von 9–15 Uhr inklusive kurzer Mittagszeit; eine betreute (freiwillige) Aufgabenstunde am Nachmittag; je nach Schulstufe ein bis zwei freie Nachmittage um den Eltern Wahlmöglichkeiten zu bieten. Abgerundet durch eine kostenpflichtige Randstundenbetreuung (im Schulhaus!) wird die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu geringen Kosten stark verbessert. Damit auch Mütter mit tiefen Löhnen ihre Berufsfähigkeit erhalten können, wird das Steuersystem angepasst und durch Betreuungsgutscheine (wie in Luzern) ergänzt. Alle Vorschläge sind übrigens in der Praxis erprobt und für gut befunden.

Drehbuch B: Sogenannte Bedarfsanalysen decken Lücken bei Hort und Krippe im bestehenden System auf. Je höher der ausgewiesene Bedarf, desto mehr sorgen staatliche Ämter für angemessene Qualität: vier Quadratmeter pro Kind im Hort und am Mittagstisch – ausserhalb des Schulareals, nota bene; frisch gekochtes Essen zur Überbrückung der viel zu langen Mittagszeit; Rücksicht auf die Heterogenität der Schüler (vegetarisch, schweinefrei, laktosefrei, ponyfrei), Betreuungspersonal mit akademischem Abschluss. Selbstverständlich ist dieser Bedarf mit normalen Löhnen nicht zu finanzieren. Hinzu kommen daher einkommensabhängige Subventionen, welche dann wiederum eine mehr als symbolische Berufstätigkeit für viele Mütter zum unerschwinglichen Luxus machen.

Die hohen Kosten rufen die andere Seite auf den Plan: Mit einem gewissen Recht fordern diejenigen, die ihre Kinder selber betreuen oder sich mit Grosseltern und Kinderfrau helfen, ebenfalls Unterstützung. Schliesslich ist nicht einzusehen, weshalb die Grossmutter mit der knappen Rente nicht auch entlohnt werden soll. Am Schluss bezahlen alle sehr viel höhere Steuern, die sie teilweise in Form von Subventionen und Herd- und Hüteprämien wieder zurückerhalten. Nur: Je mehr eine Mutter arbeitet, desto schlechter der Deal.

Die Leser(-innen) die hier eine Abstimmungsempfehlung für den Familienartikel erwarten muss ich enttäuschen: Es handelt sich hier um eine vorgezogene Abstimmungsanalyse. Nicht jedes NEIN wird von hinterwäldlerischen Ewiggestrigen oder egoistischen Singles stammen. Viele Gegner fürchten, dass ein überholtes Schulsystem künstlich am Leben erhalten wird, wenn der „Bedarf“ an Betreuungsplätzen innerhalb eines nicht mehr zeitgemässen Systems gemessen wird. Umgekehrt wird nicht jedes JA von subventions-maximierenden Etatisten kommen. Viele Befürworter erhoffen sich, dass das Schulsystem endlich keine Eltern mehr daran hindert, ihre beruflichen Fähigkeiten nach eigenem Gutdünken einzusetzen.

Wie die Abstimmung auch ausgehen mag: Es ist Zeit, dass etwas geschieht. Dazu braucht es das richtige Drehbuch. Gefragt sind Ideen und Mut zur Veränderung, nicht Geld.

 

Steuern in der Schweiz: The Movie

Marius Brülhart

Der Wettbewerb um lukrative Steuerzahler hält die Schweizer Steuerlandschaft in pausenloser Bewegung. Das weiss doch jeder. Oder etwa doch nicht? Denn mit eigenen Augen gesehen hat es noch niemand…

Steuern in der Schweiz: The Movie.

Hier somit in exklusiver Vorpremiere der längst überfällige Dokumentarfilm. Über knapp drei Jahrzehnte zeichnen wir bunt nach, wie sich die Steuerbelastung auf einen Top-1%-Haushalt in den Gemeinden und Kantonen landesweit entwickelt hat (Idee und Technik: Marcel Probst). Die Daten dazu trugen wir im Rahmen eines Nationalfonds-Projektes zusammen (Regie: Raphaël Parchet und Kurt Schmidheiny).

Konkret haben wir ab 1984 für fast alle 2’596 Gemeinden den Steuersatz berechnen können, welchem ein Ehepaar unterstellt ist, dessen Einkommen an der unteren Grenze des gesamtschweizerisch obersten Einkommensprozents liegt. In der Steuerbelastung berücksichtigt sind Einkommenssteuern für Gemeinden, Kirchen und Kantone. Bundessteuern wurden ausgelassen, denn sie sind übers ganze Land gleich.

Das Top-1%-Einkommen ist für jedes Jahr über alle Haushalte definiert, die direkte Bundessteuern abliefern. Dieser Einkommens-Referenzwert belief sich 1984 auf 194‘900 Franken und im Jahr 2011 auf 354‘400 Franken. Wir bereinigen die Einkommensentwicklung also nicht nur um die Teuerung sondern auch um den realen Anstieg der Durchschnittseinkommen und liefern somit eine Ergänzung zu den Steuerberechnungen, welche Monika Bütler bereits präsentiert hat.

Jeder Betrachter möge sich seine eigenen Highlights aus dem Film herauspicken. Falls Ihnen etwas auffallen oder sonderbar vorkommen sollte: bitte melden! Wir erheben keinen Anspruch auf absolute Fehlerfreiheit unseres Datensatzes und wären dankbar für Reaktionen.

Auf den ersten Blick stechen uns insbesondere drei Phänomene ins Auge:

  • Die Schweiz wird im betrachteten Zeitraum heller. Das heisst, dass die Steuerbelastung auf hohen Einkommen tendenziell rückläufig war. Tatsächlich fiel die ungewichtete Durchschnittsbelastung über alle Gemeinden gerechnet von 22.4% im Jahr 1984 auf 19.3% im Jahr 2011. Bloss in 156 Gemeinden lag die Steuerbelastung 2011 höher als 1984.
  • Die hellen Flecken konzentrierten sich über die Zeit immer mehr in der Innerschweiz. Ein Blick in die Daten bestätigt den Trend. Lagen im 1984 die beiden steuergünstigsten Gemeinden noch im Kanton Graubünden, so lagen 2011 die 41 steuergünstigsten Gemeinden allesamt in der Innerschweiz. 1984 belegten die Gemeinden Appenzell Ausserrhodens im Durchschnitt immerhin den dritten Rang (hinter denjenigen Zugs und Nidwaldens), und Schwyz lag bloss auf Rang acht. Im 2011 sah die Tabellenspitze nach Kantonen folgendermassen aus: Zug, Schwyz, Obwalden, Nidwalden, Uri.
  • Unsere Steuerlandschaft bewegt sich auch kleinräumig und nicht immer stetig. Gemeinden und Kantone verfolgen vielfältige Strategien, und oft wechseln sich widerläufige Entwicklungen ab. Viele Gemeinden senkten ihre Steuersätze eine Weile, hoben sie dann jedoch wieder an. Augenfällig sind solche Übergänge von Dunkel zu Hell und zurück zu Dunkel beispielsweise bei folgenden Gemeinden (testen Sie Ihre Schweizer Geographie!): Altstätten (Trendumkehr 1991), Lausanne (Trendumkehr 2003) und Köniz (Trendumkehr 2004).

Es gibt noch vieles mehr zu entdecken in diesem Streifen. Aber am meisten wird erst richtig ersichtlich, wenn man die Daten durch die ökonometrische Brille anschaut. Daran arbeiten wir. Batz wird berichten.

Übrigens: Unser Film könnte noch einen anständigen Soundtrack gebrauchen. Auch hierzu ist kundiger Rat herzlich willkommen.

Bailey

Urs Birchler und Michael Bailey

Der neue Vizegouverneur und damit oberster Bankenaufseher der Bank of England heisst Andrew Bailey. Als erster wird er sich sicher den Film It’s a Wonderful Life ansehen mit James Stewart (alias George Bailey) dessen Bank von ihren Kunden gestürmt wird …

Für Cinéasten die Vollversion, für alle andern hier die kürzere.

bankrun

QWERTY

Urs Birchler

Die QWERTY-Anordnung (im deutschen Sprachraum: QWERTZ, im französischen: AZERTY) der Buchstaben auf der Schreibmaschinentastatur ist bekannterweise unpraktisch, aber kaum mehr zu ändern. Spieltheoretiker sprechen von einem suboptimalen Gleichgewicht, das aber wegen der Netzwerkeffekte des offenen Standards sehr stabil ist.

In ihrem Buch Game Theory erzählen Hargreaves und Varoufakis, wie es zur QWERTY-Anordnung kam (siehe auch Wikipedia): Remington lancierte eine Schreibmaschine mit dem plausiblen Namen Typewriter. Damit ihre Verkäufer beim Vorführen rasch tippen konnten, wurden die Buchstaben in „Typewriter“ in die oberste Reihe gesetzt. Und da stehen sie noch heute. „Typewriter“ soll das längste englische Wort sein, das sich mit einer einzigen Reihe der Tastatur tippen lässt. In der mittleren Reihe sieht man übrigens noch Spuren der ursprünglichen alphabetischen Anordnung (dfghjkl).

Se non è vero, oder: zum Glück hat Remington nicht das Klavier erfunden …

Abzocker-Blues

Urs Birchler

Vor fünf Tagen habe ich mich durchgerungen, ein NEIN zur Abzockerinitiative einzulegen. Und jetzt das: 72 Mio. für ein Konkurrenzverbot. Gleich wohl meine ich: Durchatmen. Nüchtern Überlegen. Das bedeutet für mich:

  • Eine Corporate Governance, die zu diesem Resultat führt, ist pathologisch.
  • Der Wettbewerb im Pharmabereich scheint nicht zu spielen.
  • Die Abzockerinitiative verhindert keine Zahlung für Konkurrenzverbote und löst auch die erstgenannten beiden Probleme nicht.

Die Abzockerinitiative bleibt für mich eine Symptomtherapie, welche den ehrlichen Unternehmen das Leben schwer macht und von den unehrlichen umgangen wird. Wenn wir sie annehmen (wonach es wohl aussieht), geht es uns 24 Stunden lang besser. Viel gescheiter wäre: Parallelimporte ab sofort zulassen. Und dann nochmal über Corporate Governance in der Schweiz nachdenken.

Zuletzt doch NEIN

Urs Birchler

„Sagen Sie in Ihrem Blog nichts zur Abzockerinitiative?“ fragte mich kürzlich eine Journalistin. Sie stürzte mich ins Dilemma. Einerseits bin ich kein Spezialist auf dem Gebiet der Unternehmenskontrolle. Andererseits kann sich ein Blog zur Schweizerischen Wirtschaftspolitik nicht einfach ausschweigen zu einem Thema von nationaler Bedeutung. Mein Ausweg: Ich führe hier die Gründe auf, die mich bewogen haben, auf meinem Stimmzettel letztlich ganz privat doch ein NEIN hinzuschreiben.

Zugegeben, ein JA hätte gereizt:

  • Die Spitzensaläre in einzelnen Branchen sind ökonomisch nicht erklärbar, zuallerletzt mit der Arroganz der Bezüger.
  • Die Nein-Kampagne von Economiesuisse und anderen ist gelinde gesagt eine Beleidigung für die Stimmbürger.

Gleichwohl habe ich der Versuchung aus verschiedenen Gründen widerstanden:

  • Das Kernproblem der Unternehmungskontrolle liegt im Informationsvorsprung der Geschäftsleitung gegenüber dem Verwaltungsrat. Dadurch kontrolliert bei vielen Unternehmen die Geschäftsleitung den Verwaltungsrat, anstatt umgekehrt. Dieses Problem löst auch die Abzockerinitiative nicht. Der Verwaltungsrat wird kaum gestärkt, wenn er unter dem Damoklesschwert der jährlichen (Ab-)Wahl durch die Aktionäre arbeiten muss.
  • Die Gefahr der jährlichen Abwahl kann nur denen egal sein, die keinen Ruf zu verlieren haben oder die sich selber überschätzen.
  • Solche Spielregeln der Unternehmenspolitik gehören nicht in die Verfassung. Sie sollen sich im Wettbewerb ergeben. Wer zuviel (oder die Falschen) bezahlt, fliegt irgendwann aus dem Markt.
  • Teuer ist nicht eine teure Geschäftsleitung, sondern die falsche Geschäftsleitung.
  • Die Entschädigungen der Geschäftsleitung und des Verwaltungsrates sind finanziell gesehen nicht das Problem: Viel teurer sind zu hohe Saläre für Vizedirektoren, Prokuristen oder neudeutsch „Mitglieder des Kaders“.
  • Dass eine Pensionskasse im Interesse der Versicherten abstimmt und auch öffentlich zu ihrer Haltung stehen darf, wirkt auf den ersten Blick selbstverständlich. Die mit einer Pflicht zu Abstimmung und Offenlegung verbundenen Risiken würden in der Praxis jedoch dazu führen, dass die Entscheidung auf externe Berater abgeschoben wird.

Kurz: Die Abzockerinitiative scheint zu sehr mit der heissen Nadel gestrickt. Obwohl es mir in der Gesellschaft einzelner Gegner schlecht wird, habe ich Nein gestimmt. Denn am Ende sind nicht die wichtig, sondern die Schweiz und — man verzeihe mir — die Marktwirtschaft.