Zuletzt doch NEIN

Urs Birchler

„Sagen Sie in Ihrem Blog nichts zur Abzockerinitiative?“ fragte mich kürzlich eine Journalistin. Sie stürzte mich ins Dilemma. Einerseits bin ich kein Spezialist auf dem Gebiet der Unternehmenskontrolle. Andererseits kann sich ein Blog zur Schweizerischen Wirtschaftspolitik nicht einfach ausschweigen zu einem Thema von nationaler Bedeutung. Mein Ausweg: Ich führe hier die Gründe auf, die mich bewogen haben, auf meinem Stimmzettel letztlich ganz privat doch ein NEIN hinzuschreiben.

Zugegeben, ein JA hätte gereizt:

  • Die Spitzensaläre in einzelnen Branchen sind ökonomisch nicht erklärbar, zuallerletzt mit der Arroganz der Bezüger.
  • Die Nein-Kampagne von Economiesuisse und anderen ist gelinde gesagt eine Beleidigung für die Stimmbürger.

Gleichwohl habe ich der Versuchung aus verschiedenen Gründen widerstanden:

  • Das Kernproblem der Unternehmungskontrolle liegt im Informationsvorsprung der Geschäftsleitung gegenüber dem Verwaltungsrat. Dadurch kontrolliert bei vielen Unternehmen die Geschäftsleitung den Verwaltungsrat, anstatt umgekehrt. Dieses Problem löst auch die Abzockerinitiative nicht. Der Verwaltungsrat wird kaum gestärkt, wenn er unter dem Damoklesschwert der jährlichen (Ab-)Wahl durch die Aktionäre arbeiten muss.
  • Die Gefahr der jährlichen Abwahl kann nur denen egal sein, die keinen Ruf zu verlieren haben oder die sich selber überschätzen.
  • Solche Spielregeln der Unternehmenspolitik gehören nicht in die Verfassung. Sie sollen sich im Wettbewerb ergeben. Wer zuviel (oder die Falschen) bezahlt, fliegt irgendwann aus dem Markt.
  • Teuer ist nicht eine teure Geschäftsleitung, sondern die falsche Geschäftsleitung.
  • Die Entschädigungen der Geschäftsleitung und des Verwaltungsrates sind finanziell gesehen nicht das Problem: Viel teurer sind zu hohe Saläre für Vizedirektoren, Prokuristen oder neudeutsch „Mitglieder des Kaders“.
  • Dass eine Pensionskasse im Interesse der Versicherten abstimmt und auch öffentlich zu ihrer Haltung stehen darf, wirkt auf den ersten Blick selbstverständlich. Die mit einer Pflicht zu Abstimmung und Offenlegung verbundenen Risiken würden in der Praxis jedoch dazu führen, dass die Entscheidung auf externe Berater abgeschoben wird.

Kurz: Die Abzockerinitiative scheint zu sehr mit der heissen Nadel gestrickt. Obwohl es mir in der Gesellschaft einzelner Gegner schlecht wird, habe ich Nein gestimmt. Denn am Ende sind nicht die wichtig, sondern die Schweiz und — man verzeihe mir — die Marktwirtschaft.

5 thoughts on “Zuletzt doch NEIN

  1. Leider muss man sich, in dieser regulierungswütigen Zeit, fast schon für eine positiven Einstellung zur Marktwirtschaft entschuldigen.

  2. guten morgen und danke für diese ermunterung zum nein. ebenso pointiert wie unaufgeregt. wird wohl bei meinen kolleg/-innen zu reden geben. das freut mich.

  3. Ich finde in Ihren Argumenten wenig präzis – ich erkenne nur in Punkt 2, 3 und 6 Kritik an der Initiative. Punkt 1, 4 und 5 eine pauschale Kritik am Versuch, mehr Kontrolle ins System zu bringen – egal ob Initiative oder Gegenvorschlag. Punkt 3a ist imho eine pauschale Kritik, die sich gegen jedwelche Inititative richtet – es ist immer unschön, derart detaillierte Sachen in eine Verfassung zu schreiben, statt in ein Gesetz. Aber es geht nun mal nicht anders in unsererem politischen System. Aber es ist kaum ein zählendes Argument in dieser Sache. Punkt 3b: Wenn der Markt tatsächlich sich so gut selber regulieren würde, wären die Exzesse schon längst wieder verschwunden -> der Markt versagt in dieser Sache, darum müssen wir regulierend eingreifen. Punkt 4. Der Irrtum, der auch 3b zugrunde liegt: teure Manager sind nicht besser. Daher lässt es sich auch umkehren: Lieber eine billige schlechte Geschäftseitung, als eine teure schlechte Geschäftsleitung. Punkt 5. Nur weil es noch weitere Probleme gibt, heisst das imho nicht, dass wir nicht versuchen sollten, eines davon zu lösen.

    FAZIT: von Ihrer Kritik bleibt – wenn man mit der Lupe hinschaut – nicht viel übrig, was gegen ein JA sprechen würde…

  4. Ja die argumente sind wirlich schön unaufgeregt. Leider muss man den Wettbewerbe ausklammern, da gewisse Unternehmungen systemrelevant sind.

  5. Merci (man verzeihe mir für meine Antwort auf französich) pour cet avis M. Birchler, qui m’a surpris en fait, et en bien. J’ajouterais que je doute que le contre projet réponde lui aussi à la question des salaires abusifs. Le peuple se retrouve finalement pris au piège et risque fort de voter l’initiative avec ses tripes et contre les maladresses d’economiesuisse…

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