Das gibt es tatsächlich: Es sind Lebensversicherungen, die in den USA durch Banken frühzeitig den Versicherten abgekauft werden, dies in der perfiden Hoffnung, sehr bald von der Versicherung den gesamten versicherten Betrag zurück zu erhalten. Diese zynische Spekulation auf das baldige Ableben der versicherten Person wird durch perverse Anreize genährt, die die Grundprinzipien der Marktwirtschaft zerstören. Vgl. unseren Artikel in Le temps vom 15. Jan. 2010.
RAV online – ein Erfahrungsbericht
Wir suchen eine Haushalthilfe mit circa 50%-Pensum. Das wäre keinen Blogeintrag wert. Dafür die Online-Stellenvermittlung Treffpunkt Arbeit: Die vom seco organisierte Informationsplattform ist zumindest aus der Sicht potentieller Arbeitgeber verbesserungsfähig — um es milde auszudrücken.
Eine Online-Suche nach Haushalthilfen/Haushälterinnen für den Arbeitsplatz Zürich lieferte am Stichtag 168 Hits. Die vom Computer ausgespuckte Liste enthielt folgende Information: Je eine Identifikationsnummer im Format AE123456, Kanton und Beruf. Neben einer für uns nutzlosen Nummer somit die zwei Suchbegriffe, die wir bereits selber eingegeben hatten. Hingegen keine brauchbare Kurzbeschreibung wie: „Ältere Italienisch sprechende Frau sucht 60% Stelle in Familie mit Kindern“, welche mindestens eine erste Vorauswahl zugelassen hätte.
Die 168 potentiellen Bewerberinnen müssen einzeln angeklickt werden. Das Studium der Einträge ist allerdings wenig ergiebig: Es finden sich auch im Dossier keine Informationen, die einem potentiellen Arbeitgeber erlauben würden, eine engere Auswahl zu treffen und sich dann mit dem Regionalen Arbeitsvermittlungszentrum (RAV) in Verbindung zu setzten. Abgesehen davon, dass alleine schon die Ansicht von 168 Profilen mehrere Stunden dauern würde.
Im Dossier finden sich Informationen zu Alter, Geschlecht, Führerausweiskategorie (meistens B) und detaillierte Infos über den Aufenthaltsstatus. Letzteres, obwohl des RAV kaum Personen ohne Arbeitsbewilligung vermitteln dürften. Der Wohnort wird nicht erwähnt, dafür die Bereitschaft diesen zu wechseln (fast immer „nein“). Aus der Adresse des RAV ist dann der ungefähre Wohnort indirekt doch ersichtlich.
Aus gut gemeinten Datenschutzgründen nicht erwähnt wird die Nationalität. Bei einer Person mit Bewilligung F (= vorläufig aufgenommen) und Muttersprache Französisch wird es sich allerdings kaum um eine Französin handeln. Apropos Sprachen: Unter den aufgelisteten Kandidatinnen scheint es einige Sprachwunder zu geben, die neben ihrer Muttersprache mehrere Sprachen in Wort und Schrift gut beherrschen. Mindestens steht es so im Dossier.
Am Schluss bleibt Ratlosigkeit: Wie soll denn ein potentieller Arbeitgeber aufgrund dieser Angaben Kandidatin AE123456 (46, Aufenthalt B, Muttersprache Spanisch, Wohnortswechsel nein, Tagespendler) von Kandidatin AE987654 (35, Aufenthalt C, Portugiesisch, Wohnortswechsel nein, Tagespendler) unterscheiden können? Es fehlen genau die Informationen, welche normalerweise in der Stellenvermittlung im Zentrum stehen: Frühere Erfahrungen, Fertigkeiten (Kochen? Bügeln?), Motivation, persönliche Angaben, Engagement, Flexibilität und zeitliche Verfügbarkeit.
Möglich, dass das RAV die Zügel selber in der Hand behalten möchten, weil es die Bewerberinnen besser kennt. Mit der gewählten Informationsstrategie steigt allerdings die Chance auf erfolgreiche Vermittlung kaum.
Eine Weiss-Informationsstrategie für die SBVg
Die NZZ von heute enthält einen (inhaltlich interessanten) Leserbrief zum Thema UBS-USA („Die UBS nicht im Regen stehenlassen“). Gezeichnet: Christoph Winzeler. Ich kenne und schätze den Autor aus meiner Nationalbank-Zeit; wir sassen gemeinsam in mehreren Arbeitsgruppen. Er vertritt nämlich (als Leiter Finanzmarktrecht) seit Jahren loyal die Schweizerische Bankiervereinigung.
Genau dies steht jedoch im Leserbrief nicht. Ahnungslose NZZ-Leser merken nicht, dass hier ein Kadermitglied der Bankiervereinigung Positionen bezieht, zu denen sich seine Arbeitgeberin öffentlich nicht bekennen mag. (Es soll mir niemand kommen, es handle sich um einen rein persönlichen, mit der SBVg keineswegs abgesprochenen Leserbrief. Bei der Nationalbank jedenfalls schreiben die Mitarbeiter keine Leserbriefe zur Geldpolitik.)
Zugegeben — die Bankiervereinigung ist nicht zu beneiden; zu heterogen sind nach Grösse und Ausrichtung ihre Mitglieder. Dennoch: Mit solchen grauen Stellungnahmen sind Abstimmungen kaum zu gewinnen. Warum nicht wenigstens bei der Informationsstrategie auf die Farbe Weiss setzen?
Der fragile Charme der Flat Tax
Ein Übergang zu einer Proportionalsteuer hat den Nachteil, dass notwendigerweise der Mittelstand belastet wird. Vor allem im Mittelstand aber befinden sich die Leistungsträger unserer Gesellschaft. Lesen Sie die vollständige Argumentation hier.
Eine gastronomische Parabel zum Steuerwettbewerb
Zur Entspannung nach einer langen Gastvorlesung zum Thema Steuerwettbewerb habe ich kürzlich Urs Birchlers Interview auf Radio DRS angehört.
Nebst fundierten ökonomischen Kenntnissen und einem eklektischen Musikgeschmack hat Urs eine gute Nase für anschauliche Beispiele. So verglich er das Dilemma der Schweizer Banken mit der Lage, in der sich ein Wirt versetzt sähe, wenn der Staat ihn in die Pflicht nehmen würde, falls einer seiner Gäste die Rechnung mit unversteuertem Geld begleichen würde. Der Kern dieser Frage ist, in welchem Mass private Dienstleister staatliche Kontrollfunktionen übernehmen sollen.
Beim Zuhören wurde mir auf einmal klar, dass sich das Restaurant-Beispiel ebenfalls eignet zur Illustration eines Konzeptes, welches ich in meiner Vorlesung zu erklären versucht hatte: der Unterschied zwischen „Fair-Play-Steuerwettbewerb“ und „Steuerversteck-Wettbewerb“.
Der Fair-Play-Steuerwettbewerb ist wie die Konkurrenz unter Restaurants, welche mit attraktiven Preisen und schmackhaften Menüs um Kundschaft buhlen: Die Preise (sprich: Steuern) werden durch den Konkurrenzdruck in Schranken gehalten, und gleichzeitig bestehen Anreize, die Qualität der Bewirtung (sprich: der staatlichen Leistungen) dem Geschmack der Kundschaft anzupassen. So ungefähr kann man sich den Steuerwettbewerb innerhalb der Schweiz vorstellen.
Der Steuerversteck-Wettbewerb hingegen wäre zu vergleichen mit dem Verhalten von exklusiven Cafés, welche Zechprellern aus umliegenden Restaurants für den Preis eines edlen Espressos garantieren würden, den aufgebrachten Wirt von nebenan nicht herein zu lassen. In einer solchen Welt könnten die Cafés ihr Produkt mit saftigen Margen an die satten Gourmets verkaufen, während die Restaurants um ihre Einkünfte bangen müssten.
Was könnten die Wirte tun? Sie könnten systematische Ausgangskontrollen aufstellen; doch das wäre teuer und dem Image nicht eben förderlich. Oder sie könnten ihre Preise so weit hinauf setzen, dass die Einkünfte von ehrlichen Gästen – und von solchen, welche keinen Zugang haben zu den exklusiven Cafés – die von den Zechprellern verursachten Ausfälle kompensieren würden. Dies dürfte ihren Umsatz jedoch schmälern. Oder die Wirte könnten sich mit den Cafés einigen, dass ihnen letztere zur Vergeltung ab und zu eine Ladung Schokolade zustellen. Spätestens wenn die Filet-Preise plötzlich hochschnellen oder die zahlenden Gäste ausbleiben sollten, würden sich die Wirte mit den Schokoladelieferungen möglicherweise nicht mehr zufrieden geben…
Diese simple Metapher hat ein wissenschaftlich respektables theoretisches Gegenstück. Zwei international führende Experten, Joel Slemrod und John Wilson, haben im Journal of Public Economics unlängst ein formales Modell mit „parasitären Steueroasen“ publiziert, in welchem sie aufzeigen, wie die Abschaffung von Steueroasen den Nicht-Oasen zum Vorteil gereicht. Meine Folgerungen aus einer solcher Betrachtung für den schweizerischen Steuerstreit mit der EU kann man hier nachlesen.
Harter Fall statt Härtefall
Eine Hiobsbotschaft für die Lehrerin unseres jüngeren Sohnes: Sie darf ab sofort nicht mehr unterrichten. Nein, sie hat weder gestohlen noch Kinder geschlagen. Es ist viel einfacher: Sie ist Südafrikanerin. Ihre Arbeitsbewilligung wird nach zwei Jahren erfolgreicher Tätigkeit nicht mehr verlängert.
Der Hintergund: Der Bundesrat hat das Kontingent für Arbeitsbewilligungen für Spezialistinnen und Spezialisten aus Drittstaaten (Nicht-EU-Staaten) halbiert. Es wird 2010 deshalb maximal 2000 unbeschränkte Aufenthaltsbewilligungen („B“) und maximal 3500 Kurzzeit-Aufenthaltsbewilligungen („L“) geben. Entsprechend werden die Kantone auch nur halb so viele Arbeitsbewilligungen erteilen können. Zu den Nicht-EU Staaten gehören Länder wie die USA, Kanada und Australien, aus denen von schweizerischen Firmen hoch begehrte Spezialisten kommen. IT Firmen, internationale Schulen und Forschungsanstalten sind von den Einschränkungen ganz besonders betroffen.
Zum Vergleich: Im Jahre 2009 erhielten rund 50’000 Personen aus EU17- und EFTA-Staaten B- und L-Aufenthaltsbewilligungen. Ferner erhielten 10’542 Personen Asyl, wurden vorläufig aufgenommen, oder ihr Aufenthalt wurde aus anderen Gründen mit einer fremdenpolizeilichen Bewilligung geregelt, davon 2700 aufgrund einer Härtefallregelung.
Unsere Kinder und ihre hoch-qualifizierte und engagierte Lehrerin werden nicht die einzigen sein, die unter der absurden Einwanderungspolitik leiden. Ein Härtefall ist dies offenbar dennoch nicht. Öffentlicher Widerstand gegen den Verhältnisblödsinn bei den Arbeits- und Aufenthaltsbewilligungen scheint sich auch nicht zu regen. Der nichtgewährte Härtefall für einen in der Schweiz mehrfach vorbestraften, in seinem Heimatland in keiner Weise bedrohten Kolumbianer rührte hingegen die Tränen der Härtefallkommission und füllte während Tagen mehrere Seiten im Tagesanzeiger.
Flirts und Zwangsehen in der Geldpolitik
Peter Keller kommentiert in der heutigen Weltwoche den Flirt des IWF Chefökonomen Olivier Blanchard mit höheren Inflationsraten. Leider ist auch eine moderate Inflation nicht so harmlos wie sie scheint. Die Kosten tragen in erster Linie die sozial schwächeren, die Kleinsparer und Rentner, die sich nicht vor den Folgen der Inflation schützen können. Aber auch die ganze Volkswirtschaft, wie die historischen Beispiele zeigen. Ein Flirt mit moderaten Inflationsraten zum Zweck der Schuldensanierung führt leicht zu einer Zwangsheirat mit hoher Inflation und Instabilität. Letztlich ist auch eine Scheidung von der Inflation teuer. Und die Scheidungskosten tragen ebenfalls die Kleinen. Der Präsident des Direktoriums der Schweizerischen Nationalbank Philipp Hildebrand und der Präsident der Deutschen Bundesbank Axel Weber haben dem Vorschlag auch aus geldpolitischer Perspektive eine klare Absage erteilt. Die Argumente für eine höhere Inflation beruhten auf falschen Annahmen.
Woher das Wort „flirt“ kommt ist etymologisch nicht eindeutig geklärt. Möglicherweise vom altfranzösischen fleureter, blumigen Unsinn schwatzen. Hoffentlich bleibt es diesmal beim Geschwätz. Lesetipp: Stefan Zweig, Die Welt von Gestern. Im Buch werden die dramatischen Folgen einer galoppierenden Inflation im Österreich der Zwischenkriegszeit beschrieben.
Nachts sind alle Batzen grau
Unsere älteste liberale Partei macht uns Sorgen. Das Leuchtfeuer der Freiheit war in den letzten Tagen im Steuerstreit eher ein Irrlicht. Wir sind aber zuversichtlich. Die FDP wird sich demnächst auf eine klare Linie festlegen. Wir sind gespannt, was da kommt: Ein Weissbuch zur Schwarzgeldstrategie oder ein Schwarzbuch zur Weissgeldstrategie?
Wir verstehen die Probleme der FDP. Vorsätzliche Steuerhinterziehung ist passé. Eine Weissgeldstrategie ist sympathisch (auch unseren Partnerländern, die letztlich entscheiden, was sie tolerieren und was nicht). Die Weissgeldstrategie ist aber nicht ganz einfach in der Umsetzung. Urs Birchler hat dies im Focus von Radio DRS ausgeführt. Monika Bütler gibt sogar zu: „Auch ich habe unversteuertes Geld auf der Bank: Der Lohn kommt nämlich Monate, bevor ich meine Steuererklärung einreiche.“ (Sie wird aber im Rahmen ihrer bewährten Weissgeldstrategie erneut ehrlich deklarieren).
Des Guten zuviel
In der heutigen NZZ findet sich ein spannender Aufsatz meiner früheren Doktorandin und Mitarbeiterin Monika Engler zur Umverteilung in der Schweiz. Interessant, wenn auch wenig überraschend: am wenigsten bleibt oft den Arbeitenden.
Monika schliesst mit folgenden Sätzen:
„Die hohen Versicherungsleistungen im Alter nähren den Verdacht, dass der Staat «zu viel des Guten» tut: Wenn der Lebensstandard mit der Pensionierung ansteigt oder Haushalte, die selber wenig Einkommen generieren (können), nach Transfers besser dastehen als Haushalte mit höheren Vor-Transfer-Einkommen, weist dies darauf hin, dass Einkommensrisiken überversichert sind. Dies ist nicht nur hinsichtlich negativer Arbeitsanreize problematisch, sondern auch deswegen, weil der einzelne Haushalt in der freien Bestimmung seines Einkommenspfads übermässig eingeschränkt wird. Der transferierende Staat senkt die Zahl der wählbaren Lebensentwürfe – das ist letztlich der Preis, der für die Sicherung des Lebensstandards bezahlt werden muss.“
Es lohnt sich übrigens, den ganzen Aufsatz zu lesen.
Und nachdem bei der Abstimmung am Sonntag auch die Angst um einen sinkenden Lebensstandard im Alter eine Rolle spielte, hier nochmals die schweizerische Realität.

Quelle: Engler (2009), die ausgezogenen Linien entsprechen den durchschnittlichen Einkommen von Alterskohorten über die Zeit.
Sado-Maso in der Bankenpolitik
Der luxemburgische Premierminister Jean-Claude Juncker droht in seiner Funktion als Chef der sogenannten Euro-Gruppe, den Finanzmärkten die Folterwerkzeuge zu zeigen. Deutschland schickt aber nicht die Kavallerie vor, sondern den Bankier Josef Ackermann. Zuckerbrot der Deutschen Bank oder Luxemburger Peitsche? Die gegenwärtige Haltung der EU gegenüber den griechischen Finanzproblemen illustriert die widersprüchliche Haltung vieler Politiker gegenüber den Finanzmärkten und den Banken.
Einerseits sind die Finanzmärkte böse. Sie spekulieren zum Beispiel gegen den Euro. Noch schlimmer: Einzelne Banken haben den Griechen sogar den Sand geliefert, den sich die EU-Politiker unbedingt in die Augen streuen wollten, um Griechenland mit aller Gewalt an Bord der Währungsunion zu hieven.
Andererseits sind die Finanzmärkte lieb. Die Banken geben dort Kredit, wo die Regierungen nicht mehr leihen. Vielleicht jedenfalls — Herr Ackermann hat sich noch nicht geäussert. Nachdem seine Bank in der Finanzkrise vom deutschen Staat gerettet worden ist, schuldet er aber der Politik vielleicht noch einen Gefallen.
Was ist das für eine Beziehung, in der sich der Staat den Banken bald bittend oder helfend unterwirft, bald die Folterwerkzeuge zeigt? Bei Paaren würde man von Sado-Masochismus sprechen. Nicht unbedingt gesund, aber erstaunlich stabil.
