Die Franken und der Euro

Monika Bütler

Heute, wie fast jeden Mittwoch abend, mit unserem 4.-Klässler Diktat geübt – jeweils ein besonderes Vergnügen beiderseits. Auch weil die Texte meist so künstlich sind, dass es weh tut (Seeelefanten bei der Kleeernte). Doch diesmal war der Text in Ordnung:

„Wie eine Stadt zu ihrem Namen kam: In einem Krieg gegen die Sachsen musste Kaiser Karl der Grosse mit seinem fränkischen Heer fliehen. Als sie an den Main kamen, lag dichter Nebel über dem Fluss. Wo war die Furt, über die man sich ans andere Ufer retten konnte? In seiner Not kniete der Kaiser nieder und betete. Und siehe da: Wie durch ein Wunder trat die Sonne hervor. Die Franken konnten nun sehen, wie eine weisse Hirschkuh mit ihrem Kalb sicher den Fluss durchschritt. Rasche folgten sie ihr durch die Furt. Hinter ihnen schloss sich die Nebelwand wieder. Die Franken waren gerettet. An dieser Furt entstand eine Stadt. Weisst du, wie sie heisst?“

Aus Jux habe ich den drittletzten Satz abgeändert in „Der Franken war gerettet“. Wirklich? Fragte Peter und war nun definitiv wieder wach. Dann meinte er – deutlich besser gelaunt, ich müsse in meinem nächsten Zeitungsartikel unbedingt folgendes schreiben: Der Euro warte immer noch darauf, dass sich der Nebel lichte und sich eine Furt finden liesse, über die man sich ans bessere Ufer retten könne. Das habe ich hiermit getan (und mir dabei gedacht, dass wir daheim wohl zuviel über die Krise sprechen).

Vielleicht würde in der Eurokrise beten helfen. Aber wer müsste dann an Kaisers statt beten? Und ob sich dadurch die Sonne erweichen und eine Hirschkuh finden liesse, die den Weg weisen könnte? Vorschläge für zeitgemässe Begriffe an Stelle von Kaiser, beten, Sonne und Hirschkuh gerne als Kommentar.

SNB: Mut zur Feigheit!

Urs Birchler

Die Presse berichtet, die „zuständige“ Nationalratskommission (seit wann ist eine NR-Kommission für den Wechselkurs zuständig?) liebäugle mit einer Untergrenze für den Euro von Fr. 1.30. In den letzten Tagen war der Wert von Fr. 1.25 herumgeboten worden. Bei Economiesuisse weiss man, der Gleichgewichtskurs liege zwischen 1.30 und 1.40 Franken, und für den Gewerkschaftsbund ist ohnehin kein Eurokurs zu hoch.

Mit 1.20 hat’s prima funktioniert — weshalb nicht dasselbe bei 1.30 noch mal probieren? Erstens: Die Schweiz kann die Euro-Krise nicht ohne Kosten durchstehen. Der Versuch, mit einem zu ambitionierten Wechselkursziel „geizig zu jassen“ ist deshalb riskant. Zweitens gibt es eine der Ökonomie übergeordnete Lebensweisheit: Man soll das Schicksal, wenn man einmal Glück gehabt hat, nicht herausfordern. Perfekt dargestellt in „Der Taucher“ (1797) von Friedrich Schiller: Der wagemutige Knappe holt des Königs goldenen Becher vom Meeresgrund. Der König erhöht den Einsatz, und der Knappe, erfolgstrunken, taucht noch mal. Das Ende kennen wir:

Es kommen, es kommen die Wasser all,
Sie rauschen herauf, sie rauschen nieder,
Den Jüngling bringt keines wieder.

Die Nationalbank hat mit Fr. 1.20 das Glück des Tüchtigen einmal gehabt. Klar, es könnte mit 1.25 oder 1.30 noch einmal gelingen. Aber die Finanzmärkte könnten auch zum Test ansetzen. Dann klingt das Ende so:

Es kommen, es kommen die Euro all,
Sie rauschen herauf, sie rauschen nieder,
Den Franken bringt keiner wieder.

Der Zirkus um Hort, Schule und Mittagstisch

Monika Bütler, Kolumne NZZ am Sonntag, 6. November 2011

Die Tagesstrukturen an unseren Schulen sind nicht kindergerecht.

Die für Bildung zuständige Zürcher Regierungsrätin Regine Aeppli hat ein ernstes Problem: Internationale (private) Schulen sind zu populär.  Konsequenterweise wird der Zugang für nicht belegbar internationale Kinder eingeschränkt. Über diesen Blödsinn lohnt sich eigentlich gar nicht zu schreiben. Wenn da nicht noch ein anderer Grund wäre, weshalb Eltern ihre Kinder unter hohen Kosten an internationale oder zweisprachige Institute schicken: Die Tagesschulstruktur.

Das neue Volksschulgesetz schreibt den Gemeinden zwar vor, eine Tagesbetreuung für die Kinder zu gewährleisten. Diese sieht dann aber so aus: Vorschulbetreuung im Hort mit Gruppe A, Unterricht in der Klasse im Schulhaus ennet der Strasse, Mittagstisch mit Gruppe B, Unterricht in der Klasse im Schulhaus, Nachmittagsbetreuung im Hort mit Gruppe C. Vier Wechsel, vier verschiedene Gruppen, zwei bis drei unterschiedliche Lokalitäten, mehrere Bezugspersonen. Kein Wunder konnten unsere damaligen australischen Nachbarn kaum glauben, dass wir dies in der Schweiz unserem Nachwuchs zumuten.

Oder eben nicht zumuten: Viele Eltern ersparen ihren Kindern die zerhackte Tagesstruktur und schicken sie lieber an private (internationale) Tagesschulen. Öffentliche Tagesschulen haben – Volksschulgesetz und Nachfrage hin oder her – in der Politpraxis keine Chance. Kaum packt eine Partei das Thema an, kommen die ABERs im Multipack. Erstens: Die Kinder litten unter der Tagesschule. Dafür gibt es zwar keine Belege, aber eigentlich spräche auch nichts dagegen, den Eltern die Wahl zu lassen. Ein Teilübergang zu Tagesschulen geht dann aber, zweitens, auch nicht, da Kinder in Tagesschulen Vorteile hätten. Eben dachten wir noch, dass die bedauernswerten Kinder unter Tagesschulen litten.

Kinder wollen, drittens, lieber zu Hause essen. Natürlich ist es daheim gemütlicher, vor allem wenn es keine Tagesschule gibt – und daher ein Elternteil da sein muss. Die Mütter organisieren sich lieber selber, statt die Kleinen dem Hort-Schule-Mittagstisch-Schule-Hort Karussell zu überlassen.

Viertens sei es den Kinder nicht zuzumuten, die Betreuungszeit im Schulhaus zu verbringen und die Mahlzeit im Schulzimmer einzunehmen. Das mitgebrachte Sandwich oder eine vorbereitete Mahlzeit im Tupperware ist natürlich viel zu ungesund. In der Schule gekochtes Essen wiederum bleibt an Hygiene- und Bauvorschriften hängen. Zum Beispiel weil es unmöglich ist, ein (vielleicht nicht einmal ordnungsgemäss gewaschenes) Salatblatt in regelkonformem Abstand an der WC-Tür vorbeizulotsen.

Es werde, fünftens, den Kindern im heutigen System viel geboten. Doch weshalb senden dann gerade gut ausgebildete Eltern ihre Kinder auf private Tagesschulen? Dort erhalten sie für das Doppelte der ziellosen Hort-Mittagstisch-Betreuung nicht nur eine Tagesschule aus einem Guss plus Fremdsprache; die Tageschule leistet auch erfolgreich Integration.

In Zeiten knappen Wohnraums leisten wir uns zudem eine unglaubliche Verschwendung von Platz. Eines der Gebäude, Hort oder Schulhaus, steht immer leer. Kein Wunder sind die Vollkosten der Tagesbetreuung mit 60 Franken pro Tag horrend. Die Kostenbeteiligung der Eltern von nur 20% dürfte gerade den Verwaltungsaufwand decken. Würde der Hort-Schul-Mittagstisch-Zirkus zu kostendeckenden Preisen kalkuliert, Tagesschulen wären wohl auch finanziell schnell zumutbar.

Es geht nicht darum, Mütter von Ihren Kindern zu trennen. Die Kinder nicht berufstätiger Mütter verbringen nämlich an Tagesschulen kaum mehr Stunden als im herkömmlichen Schulbetrieb. Alle anderen Kinder aber leiden heute unter einer perfektionistischen und gleichzeitig planlosen „Strategie“. Höchste Zeit, mit der ungeeigneten Tagesstruktur und der damit verbundenen Verschwendung von Steuergeldern aufzuräumen und Platz zu machen für richtige Tagesschulen – auch für nicht internationale Familien.

Die erstaunliche Volatilität der Euro-Inflation

Urs Birchler

Der neue Präsident der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, leitet heute seine erste Ratssitzung. Er ist nicht zu beneiden. Die EZB ist die einzige Institution innerhalb der EU, die über die notwendigen Mittel verfügt und rasch handeln kann (ohne Volksabstimmung). Ohne sie ist die Krise nicht lösbar. Gleichzeitig ist Draghis grösstes Kapital sein Ruf, als Italiener der beste Deutsche zu sein, d.h. für monetäre Disziplin einzutreten.

Draghi steht damit vor einem fast unlösbaren Dilemma: Monetäre Disziplin mit dem Risiko des wirtschaftlichen Absturzes oder Blankocheck mit dem Risiko einer Inflation. Wie heikel die Lage ist, wird auch sichtbar an der Grafik der EURO-Inflationsrate. Zwar trifft es zu, dass der scheidende Präsident der EZB, Jean-Claude Trichet, das Inflationsziel von 2% pro Jahr im Durchschnitt recht gut getroffen hat. Doch hinter dem Durchschnitt verstecken sich zackige Ausschläge. Die Inflation kann — obwohl sie im Durchschnitt aus 17 Ländern berechnet wird — innert Jahresfrist um 4 Prozentpunkte fallen und in den folgenden beiden Jahren wieder ansteigen. Kurz: Monetäre Disziplin kann rasch in den Sog einer Deflation führen, Krisenbekämpfung über die Notenpresse rasch in eine Inflation münden. Povero Draghi!

Grafik: Inflationsrate im Euro-Raum

Währung mit Biss

Urs Birchler

Inke Nyborg schickt mir einen Artikel aus The Telegraph. Dieser berichtet von organisierten Banden, die in Supermärkten Kaugummi stehlen, da dieser in Osteuropa (Rumänien) als Zahlungsmittel verwendet werden kann.

Der Münzmangel (den Älteren unter uns noch aus dem Vor-Euro-Italien bekannt) ist ein häufig auftretendes Phänomen. Die Kaugummiwährung wäre ein Grund, wieder einmal The Big Problem of Small Change von Thomas J. Sargent (Nobelpreis 2011!) und François R. Velde zu lesen. Übertriebene Kurzfassung: Nicht das Geld regiert die Welt, sondern das Münz!

Im Andenken an Hans Wolfgang Brachinger

Monika Bütler

Am 30. Oktober ist unser Kollege Hans Wolfgang Brachinger, Professor für Statistik an der Universität Freiburg i.Ü. im Alter von nur 60 Jahren verstorben. Hans Wolfgang hat sich neben seiner Lehr- und Forschungstätigkeit auch immer stark in der Wirtschaftspolitik und der Öffentlichkeitsarbeit engagiert. Und er konnte ausgezeichnet schreiben, verständlich und klar. Kein Wunder fanden Beiträge zur gefühlten Inflation in der Presse viel Beachtung, seine Aufsätze in der Oekonomenstimme gehören zu den meistgelesenen. Es lag ihm sehr am Herzen, Missverständnisse in der Interpretation von Daten und Statistiken auszuräumen. Dieses aufklärerische Ziel verfolgt auch mein Lieblingsaufsatz von ihm, ein Beitrag zur Diskussion um das Buch von Thilo Sarrazin. Darin schreibt er zum Beispiel:

„Die statistische Naivität eines Thilo Sarrazins paart sich mit der statistischen Ignoranz der Bescheidwisser in den Medien.“

 

Wir werden ihn vermissen.

Wirtschaft auf dem Prüfstand: Wo steht die Schweiz? (Sternstunden der Philosophie)

Monika Bütler

Ein Hinweis in eigener Sache:

Die heutige Sternstunde der Philosophie des Schweizer Fernsehens SF1 befasste sich mit den Folgen der globalen Wirtschaftskrise für die Schweiz.

Die (nicht immer einfachen) Fragen stellte Katja Gentinetta. Die Sendung wird wie folgt wiederholt (und später im Internet verfügbar).

 

Der unaufhaltsame (?) Niedergang der FDP

Gebhard Kirchgässner

In einem bisher unveröffentlichten Artikel schreibt Prof. Gebhard Kirchgässner über den Niedergang der FDP. Gründe sieht er in der Abnahme der religiösen Bindung und der (fehlenden) Umweltpolitik der FDP. Um ein Absinken in die wirtschaftliche Bedeutungslosigkeit zu vermeiden, sollte sich die FDP inhaltlich neu ausrichten mit einem klaren liberalen Profil im politischen wie wirtschaftlichen Sinn und einer Berücksichtigung von umweltpolitischen Anliegen.