SNB: Die Würfel sind gefallen!

Urs Birchler

Gemäss vertraulichen, aber verlässlichen Informationen wird der Bundesrat am kommenden Mittwoch — also noch vor der SNB-Generalversammlung vom 28. April — die Ersatzwahlen in die Nationalbank bekanntgeben. Vergangene Woche gelang endlich ein Kompromiss zwischen rechts und links, bzw. zwischen den Gegnern riskanter Devisen-Interventionen und den Befürwortern eines Eurokurses von mindestens 1.30. Einig waren sich die Parteien offenbar darin, dass nach der Kommunikations-Katastrophe vom vergangenen Dezember für die SNB-Ämter nur „Power-Kommunikatoren“ in Frage kommen.

Neues Mitglied des Direktoriums wird daher Roger Köppel, bisher Chefredaktor der Weltwoche und eher dem SVP-Lager nahestehend. Der Bundesrat stellt damit sicher, dass ein Gegener spekulativer Interventionen im Direktorium der Nationalbank Einsitz nimmt, und honoriert gleichzeitig die Verdienste der Weltwoche bei der Aufdeckung des Falles Hildebrand. Einmal mehr übergangen wird damit die SP (sie hatte in der 105-Jährigen Geschichte der SNB noch nie ein Mitglied im Direktorium). Neues Mitglied des Bankrates (und vorgesehen als Präsident) wird deshalb als Kompensation der zwar nicht der Partei angehörige, aber klar links-keynesianische politisierende Roger Schawinski (er soll mit einem Wechselkurs zum Euro von Fr. 1.50 sympathisieren).

Der Blick wird morgen Montag wohl mit der Schlagzeile: „Der doppelte Roger“ am Kiosk hängen. Die öffentliche Meinung kommt jedoch einmal mehr zu spät: Die Unterlagen für die Bundesratssitzung müssen nämlich schon morgen Montag vormittag von der Bundeskanzlei verschickt werden. Eine rechtzeitige Meinungsäusserung ist daher praktisch nur möglich als Kommentar zu batz.ch. Wir werden deshalb alle Kommentare, die uns heute, 1.4.2012, vor Mitternacht erreichen, am Montag früh an die Bundeskanzlei weiterleiten.

Nachtrag: APRILSCHERZ

Banking for Dummies

Aleksander Berentsen

Die Lage in den europäischen Finanzmärkten hat sich jüngst merklich entspannt. Seit Beginn des Jahres haben die europäischen Finanzinstitute ihren Börsenwert um rund einen Viertel gesteigert. Zudem sind die Zinsen auf Anleihen vieler europäischer Problemländer deutlich gesunken.

Dieser Börsenfrühling ist der Europäischen Zentralbank (EZB) zu verdanken. Seit Dezember 2011 stellt die EZB den europäischen Banken unbegrenzt Liquidität zu einem Discountpreis von 1 Prozent zur Verfügung. Das Programm nennt sich „Long-Term Refinancing Operation“ (LTRO). Damit bezeichnet die EZB Gelder, die sich die europäischen Geschäftsbanken für drei Jahre ausleihen können. Bis vor kurzem waren solche Operationen nicht möglich, da die EZB nur kurzfristige Kredite bis maximal 3 Monate vergeben hatte.

Mit dem LTRO-Programm schlägt die EZB zwei Fliegen mit einer Klappe. Sie stabilisiert das europäische Bankensystem und die Geldschwemme reduziert den Druck in den Anleihemärkten der europäischen Problemkinder.

Indem die EZB den Banken unbeschränkt Geld zum Discountpreis zur Verfügung stellt, stellt sie sicher, dass das Bankensystem in den nächsten Jahren hoch profitabel sein wird. Mit den Gewinnen können die Banken ihr Eigenkapital stärken und so den neuen verschärften Eigenkapitalanforderungen genügen.

Der von der EZB vorgeschlagene Banken-Business-Plan ist denkbar einfach. Er wurde von Mark Dittli, Chefredaktor der „Finanz und Wirtschaft“ im „Never Mind the Markets“-Blog am 10.02.2012 durch folgendes Beispiel treffend beschrieben: „Sie sind der Direktor einer italienischen Grossbank. Sie erhalten von Ihrer Zentralbank Geld für drei Jahre zu einem Zinssatz von 1 Prozent. Gleichzeitig rentieren dreijährige Anleihen ihres Heimatstaates mehr als 6 Prozent. Man braucht kein Genie zu sein, um in dieser Zinsdifferenz eine Einladung zu einem nahezu risikofreien Geschäft zu sehen. Ich borge mir eine Milliarde von der EZB zu 1 Prozent, kaufe damit italienische Staatsanleihen zu 6 Prozent und streiche fünfzig Millionen Euro Gewinn ein.“

Die Einfachheit dieses Banken-Business-Plans bezeichne ich als “Banking for Dummies.“ Diese Einfachheit ist zwingend notwendig, da die leidvollen Erfahrungen der letzten Jahre gezeigt haben, dass nicht wenige Banker sonst überfordert sind. So richtig interessant wird es aber erst in ein bis zwei Jahren. Dann dürfte die Bonus-Diskussion wieder entfachen. Aufgrund der hohen Profitabilität der Banken werden die Boni dann wieder üppig ausfallen – wie zu den besten Zeiten vor der Finanzkrise. Die Rechtfertigung wird darauf hinauslaufen, dass der Wettbewerb um die besten Talente die Banker zwinge, Millionen in eigene Tasche zu stecken und nicht ins Eigenkapital.

Wie anfänglich erwähnt hat die EZB mit ihrem Programm auch die Preise von europäischen Staatsanleihen im Visier. Dazu muss man wissen, dass die EZB nach eigenem Statut keine Staatsanleihen aufkaufen darf. Sie hat es aber in der Vergangenheit natürlich trotzdem gemacht, wenn auch mit angezogener Handbremse. Die Idee des LTRO ist, dass die Europäischen Banken dies für die EZB erledigen. Das heisst, das frische Geld soll über die Banken in Staatsanleihen fliessen. Vorzugsweise natürlich in diejenigen der Problemkinder Italien, Portugal und Spanien – was auch tatsächlich bereits stattgefunden hat.

Für viele Beobachter ist klar, dass die EZB angesichts des drohenden Kollapses des europäischen Finanzsystems etwas unternehmen musste. Das LTRO-Programm hat kurzfristig auch erstaunlich gut funktioniert. Trotz des grossen Erfolgs bleibt aber ein mulmiges Gefühl. Die Grundfrage bleibt, wie verhindert werden kann, dass der Finanzsektor alle paar Jahre durch den Staat mit ungewöhnlichen geldpolitischen Massnahmen oder mittels versteckter Subventionen gerettet werden muss.

Ich möchte hierzu eine kurze Idee skizzieren. Sparen ist ein fundamentales menschliches Bedürfnis, ähnlich wichtig wie Rechtssicherheit oder Zugang zu sauberem Wasser. Solche elementaren Bedürfnisse werden oft sehr erfolgreich an den Staat delegiert. Es bietet sich an, dass auch einige elementare Funktionen des Finanzsektors von öffentlicher Hand zur Verfügung gestellt werden werden. Ich denke hier an einfachste Spar-, Zahlungs- und eventuell sogar simple Kreditprodukte. Eine solche Grundversorgung wäre für die meisten Leute ausreichend. Braucht eine Person oder eine Firma höher entwickelte Produkte, kann sie sich an den Privatsektor wenden.

Der Vorteil eines derartigen Konstrukts liegt auf der Hand: Elementaren Finanzbedürfnisse können auch dann weiter bedient werden, wenn die nächste Finanzkrise ins Haus steht. Zudem könnten man auch getrost marode Banken Konkurs gehen lassen, da deren Untergang nun nicht mehr die ganze Wirtschaft zum Stillstand brächte. Nach dem eklatanten Staatsversagen der griechischen Politik scheint es angebracht, diese einfache Finanzprodukte durch eine von der Politik unabhängigen Institution wie der Zentralbank anzubieten. Falls Ihre erste Reaktion auf diesen Vorschlag ist: Oh Schreck Staatsbank (!), darf ich Sie sogleich beruhigen. Das heutige Finanzsystem ist ohnehin nicht weit entfernt vom real existierenden Sozialismus: In guten Zeiten füllt sich eine kleine Elite die Taschen, in schlechten Zeiten wird der Steuerzahler zur Kasse gebeten.

[Der Artikel erschien am 27.3.2012 in der BaZ; wir drucken ihn hier mit Genehmigung des Autors.]

Zählen wir das, was zählt?

Erschienen in der NZZ am Sonntag vom 25. März unter dem Titel „Zählen und erzählen wir das, was wirklich zählt?“ ( Untertitel: Einschaltquoten und «Impact»-Statistiken führen zunehmend in die Irre)

„Wi taari säge?“ soll früher die höfliche St. Galler Metzgerin gefragt haben, wenn ein Kunde den Laden betrat, den sie als Doktor oder Professor verdächtigte. Auch der Wiener Musikverein will beim Online-Verkauf für Konzertkarten niemanden falsch anreden. Die Käuferin hat die Wahl zwischen nicht weniger als 76 Anreden – vom „Amtsrat“ über die „Kammersängerin“ bis zum „Univ.-Prof. Dr.“

Die Titelliste des Musikvereins amüsant, aber eigentlich völlig unwichtig. Dennoch stürmte sie die Hitparade: unter den 400 Einträgen in unserem Blog zu aktuellen Themen der Wirtschaftspolitik landete sie gleich auf Platz Drei – gemessen an der Anzahl Kommentare, den ausgelösten Tweets und den Erwähnungen in anderen (Online‑) Medien. Übertroffen wurde die Titelliste nur noch von zwei nebensächlichen Einträgen zu Urheberrechtsverletzungen. Erst auf dem vierten Platz folgt der erste Beitrag, der im weiteren Sinne etwas mit der Zielsetzung des Blogs zu tun hat: Ein Quiz zur Vermögensverteilung in verschiedenen Ländern. Noch weiter hinten dann die teilweise unter beträchtlichem Forschungsaufwand verfassten „seriösen“ Texte. 

Es soll uns zwar nicht besser gehen als anderen Informationsanbietern. Die früher unter „Unglücksfälle und Verbrechen“ zusammengefassten Meldungen sind nun einmal attraktiver als fundiert recherchierte Hintergrundartikel. Die Erfahrungen aus dem eigenen Blog bereiten mir dennoch Bauchweh. Aus einer Innensicht, weil das Ranglisten-Fieber letztlich auch die Art der Öffentlichkeitsarbeit von Forschern beeinflusst. Aus einer Aussensicht, weil die wirtschaftspolitische Debatte nicht nur im Blog, sondern auch in der „richtigen“  Politik mehr und mehr durch den Reiz medialer Strohfeuer (ab)gelenkt wird.

Zum ersten. Ich wäre die Letzte, die sich innerhalb der Hochschulen gegen eine Berücksichtigung der Öffentlichkeitsarbeit bei der Evaluation von Forschern wehrt. Es ist nicht nur jammerschade, wenn gute Forschung im Elfenbeinturm verdorrt. Es wäre auch ein Witz, wenn staatlich besoldete Wissenschaftler ausgerechnet wegen eines Diensts am Steuerzahler – der Aufbereitung von Forschungsresultaten für eine breitere Öffentlichkeit –  büssen müssten. Denn Medienarbeit kostet; Forschungszeit nämlich. Verständlich auch, dass die öffentliche Wirkung an messbaren Grössen abgelesen werden soll. Doch die leicht verfügbaren Indikatoren messen die Wirkung der Arbeit noch schlechter als bei der Forschung. Wer eine parlamentarische Kommission von einer ineffizienten Massnahme abhalten kann, spart dem Land vielleicht Millionen von Franken. Eine grosse Anzahl Zitationen, Kommentare, Tweets erhält er dadurch nicht. Wer messbaren Impact haben will, sorgt besser für moderaten Klamauk als für Aufklärung.

Zum zweiten. Unsere Erfahrungen im Blog finden sich in der politischen Debatte wieder. Gerade in den letzten Monaten dominierten die medial begleiteten und deshalb attraktiven Diskussionen aus der chronique scandaleuse. Die wirklichen Herausforderungen der Zukunft blieben hingegen liegen. Ein aktuelles Beispiel: Der kurz vor Weihnachten publizierte Bericht des Bundesrates zur Zukunft der zweiten Säule schien bis vor kurzem kaum jemanden zu interessieren. Dabei steckt in den 160 Seiten nicht nur viel Brisantes, die zweite Säule betrifft auch alle Bewohner der Schweiz direkt oder indirekt über Steuern und Immobilienpreise. Zudem zeigen uns die südeuropäischen Länder zur Genüge, was passiert, wenn man sich bei der Alterssicherung Illusionen hingibt. Dennoch: Wir debattieren in Presse und Politik lieber über die erzwungene Frühpensionierung der drei Schweizer Delphine als über die fehlenden Mittel zur Pensionierung der vie Millionen Arbeitenden im Lande. Als könnte die St. Galler Metzgerin dann schon jedem „eidg. dipl. Säule-2-Geschädigten“ täglich einen Zipfel Bratwurst zustecken.

Pauschalsteuer: Es geht auch ohne

Marius Brülhart

Nun liegen sie vor, die mit Spannung erwarteten Daten zu den Zürcher Steuereinnahmen nach der Abschaffung der Pauschalsteuer im Jahr 2010. Und siehe da: Die fiskalische Katastrophe ist ausgeblieben. Vier von fünf Pauschalbesteuerten würden abwandern, war prophezeit worden. Tatsächlich weggezogen sind etwas weniger als die die Hälfte der ehemals Aufwandbesteuerten. Das hat einen Einnahmenausfall von 12.2 Millionen Franken verursacht. Andererseits werden die meisten in Zürich verbliebenen Ex-Pauschalsteuerzahler nun stärker zur Kasse gebeten, was zu einem Mehrertrag von 13.8 Millionen Franken führte. Somit hat der Fiskus unter dem Strich (fast) allen Prognosen zum Trotz sogar leicht profitiert.

Was lehrt uns das Zürcher Pauschalsteuer-Experiment?

Erstens können wir nun die fiskalischen Auswirkungen von Pauschalsteuer-Reformen etwas besser abschätzen. Ich hatte dereinst Daumen-mal-Pi ausgerechnet, dass sich eine Abschaffung der Aufwandbesteuerung für die öffentlichen Finanzen lohnen könnte, solange nicht mehr als zwei Drittel der betroffenen Steuerzahler abwandern. Nach der Auswertung der Zürcher Daten scheint eine einnahmenneutrale Abwanderungsquote von maximal 50% realistischer. In anderen Worten: So lange nicht mehr als die Hälfte der vormaligen Pauschalsteuerzahler abwandert, dürfte eine Abschaffung dieses Steuerinstruments die Staatskasse per Saldo nicht belasten. Ich revidiere somit meine (immer noch grobe) Schätzung etwas nach unten, denn meine ursprüngliche Berechnung überschätze offenbar den Anstieg der Einnahmen von nicht weggezogenen Ex-Pauschalsteuerzahlern. In Zürich gelang es beinahe der Hälfte dieser Personen trotz Verlust des Aufwandbesteuerten-Privilegs, ihre Steuerrechnung zu vermindern. Den Handlungsspielraum für gewiefte Steuerberater unterschätzt man in solchen Belangen auf eigene Gefahr.

Zweitens ist auch eine maximale Abwanderungsrate von 50% noch hoch. Ins Ausland umgezogen sind von den Zürcher Ex-Pauschalsteuerzahlern bloss 13%. Der Schluss liegt somit nahe, dass eine landesweite Abschaffung der Pauschalsteuer der Schweiz unter dem Strich steuerliche Mehreinnahmen bringen würde.

Drittens scheint es nun noch wahrscheinlicher, dass sich die vom Ständerat vor zwei Wochen gutgeheissene Anhebung der Mindestsätze für den Fiskus lohnen würde. Allerdings ist theoretisch denkbar – wenn auch nicht besonders plausibel -, dass Pauschalbesteuerte empfindlicher reagieren auf eine derartige Verschärfung der Praxis als auf eine völlige Abschaffung der Aufwandbesteuerung. Hinweise darauf wird uns dereinst der Kanton Luzern liefern, wo die Pauschalsteuer-Schraube voraussichtlich ab 2013 merklich angezogen wird. Somit bin ich nun gespannt auf den Frühling 2015, in der Hoffnung, dass die Luzerner Steuerbehörden dannzumal ebenso transparent kommunizieren werden, wie es ihre Zürcher Kollegen eben getan haben.

Titelökonomie

Monika Bütler

Gestern Tickets für den Wiener Musikverein gebucht.
Etwas unsicher war ich bei der Registrierung. Hier die Auswahl an Titeln:

Amtsrat
ao. Univ.-Prof.
ao. Univ.-Prof. Dr.
Arch.
Arch. DI
BA
Botschafter
Botschafterin
Bürgermeister
DDI
DDr.
DI
DI (FH)
DI Dr.
DI Mag. Dr.
Dir.
Dkfm.
Dkfm. Dr.
Dkfm. Mag.
Dkfm. Mag. Dr.
Dott.
Doz. Dr.
Dr.
Dr.h.c
Drs.
Gen.Dir.
Gen.Sekr.
Graf
Gräfin
Hofrat
Hofrat Dr.
Hofrat Mag.
Ing.
Intendant
Kammersänger
Kammersängerin
Kammerschauspieler
Kammerschauspielerin
Konsul
KR
KR.DDr.
KD.Dkfm.Dr.
KR.Dr.
L.Abg.
Mag.
Mag. (FH)
Mag. DDr.
Mag. Dr.
MAS
MBA
MD
Min.Rat
Min.Rat Dr.
Min.Rat Mag.
MMag.
MMag. Dr.
o. Univ.-Prof.
o. Univ.-Prof. Dr.
Oberst
Obstlt
OSTR
Pastor
Pfarrer
PhD.
Präs.
Prim.
Prim. Dr.
Prof.
Prof.DDr.
Prof.Dr.
Prof.Dr.h.c.
Prokurist
RA
Reg.Rat
Senator
Univ.-Prof.
Univ.-Prof. Dr.

Buchpreisbindung: Nachlese(n)

Monika Bütler

Die Buchpreisbindung ist nun definitiv passé. Niemand verbietet allerdings den Verlagen, unverbindliche Preisempfehlungen zu machen. Die Frage ist nur, was diese bewirken würden.

Mein HSG-Kollege Stefan Bühler ging zusammen mit Dennis Gärtner der Frage nach, weshalb Hersteller den Händlern Endverkaufspreise empfehlen, wenn diese jederzeit von der Empfehlung abweichen können. Interessanterweise gibt es  auch für viele andere Produkte unverbindliche Preisempfehlungen (Retail-Price Recommendations, RPR). Eine überzeugende Erklärung, warum solche Empfehlungen gemacht werden fehlte bis heute.

Die Arbeit von Bühler und Gärtner zeigt, dass unverbindliche Preisempfehlungen als Kommunikationsinstrument in langfristigen vertikalen Vertriebsbeziehungen dienen können. Eine Annahme ist, dass die Hersteller (in unserem Falle die Verlage) private Information über die Produktionskosten und die Nachfrage nach den Produkten haben. Eine andere, dass der relationale Vertrag zwischen Hersteller und Händler so ausgestaltet ist, dass der Gewinn des (Buch-)Händlers unabhängig von den Produktionskosten ist.  Unter diesen Annahmen erlauben es unverbindliche Preisempfehlungen, den gewinnmaximierenden Endverkaufspreis zu implementieren. Interessant ist der Fall, bei dem eine Preisempfehlung direkt die Nachfrage beeinflusst (normalerweise gehen die Ökonomen davon aus, dass der Preis die Nachfrage bestimmt, nicht aber die Preisempfehlung per se): Mit einer geeigneten Preisempfehlung können die Verlage die maximale Zahlungsbereitschaft der Konsumenten abschöpfen. Was wiederum heissen würde, dass unverbindliche Preisempfehlungen sogar zu höheren Gewinnen (für die Verlage) führen als eine vertikale Preisbindung („Buchpreisbindung“).

Nach der Lektüre des Aufsatzes frage ich mich allerdings, weshalb sich die Verlage so stark für die Buchpreisbindung eingesetzt haben, wenn eine unverbindliche Preisempfehlung für sie sogar noch „besser“ sein kann? Ich bin gespannt auf Antworten – und die nächste Forschungsarbeit meiner Kollegen.

PS 1: Im Gegensatz zu anderen Ländern wurden in der Schweiz die Buchpreise nicht durch ein staatliches Gesetz vorgeschrieben, sondern durch eine privatrechtliche Vereinbarung der Verlage und Buchhändler (sogenannte Sammelrevers). Nach Einschätzung der Wettbewerbskommission stand diese Vereinbarung im Widerspruch zum Kartellgesetz. Der Bundesrat lehnte eine Ausnahme für ein Kartell ab, nachdem das Bundesgericht die Beurteilung der Buchpreisbindung durch die Wettbewerbskommission stützte.

PS 2: Der Aufsatz „Making Sense of Non-Binding Retail-Price Recommendations” wird in der American Economic Review erscheinen.

Wer hat hier Regeln verletzt?

Urs Birchler

Es hört einfach nicht auf. Nachdem der renommierte Journalist Arthur Rutishauser vom Tagesanzeiger mit dem nicht-existierenden Hummer nach Jean-Pierre Danthine geworfen hat und aus dem journalistischen Abseits zurückgepfiffen werden musste, versucht er von den Vorwürfen noch einen Zipfel zu retten. Heute schreibt er zusammen mit Romeo Regenass: „Die Devisentransaktionen von Hildebrand und Direktoriumsmitglied Jean-Pierre Danthine wären [nach den Reglementen anderer Notenbanken] klare Regelverstösse gewesen.“ (Dienstag 13. März 2012, S. 39).

Ist das wirklich so? Gerne möchte ich wissen (nur bezogen auf JPD): Um welches Reglement welcher Notenbank handelt es sich konkret? Welche Bestimmungen in diesem Reglement wurden wie verletzt? Und bei welchen Notenbanken wären das keine Regelverstösse (ich wette: bei der überwiegenden Mehrheit)?

Falls diese Fragen klar beantwortbar sind, danke ich für das Füllen einer Verständnislücke. Andernfalls sind mir Sinn und Zweck der zitierten Aussage nicht klar. In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass nicht nur die Schweizerische Nationalbank ein Reglement hat, sondern auch der Schweizerische Presserat (siehe z.B. Ziff. 1, 3, 5). (Das Reglement gilt im Prinzip auch für Sonntags-Journalisten):

Erklärung der Pflichten der Journalistinnen und Journalisten

Die Journalistinnen und Journalisten lassen sich bei der Beschaffung, der Auswahl, der Redaktion, der Interpretation und der Kommentierung von Informationen, in Bezug auf die Quellen, gegenüber den von der Berichterstattung betroffenen Personen und der Öffentlichkeit vom Prinzip der Fairness leiten. Sie sehen dabei folgende Pflichten als wesentlich an:

  1. Sie halten sich an die Wahrheit ohne Rücksicht auf die sich daraus für sie ergebenden Folgen und lassen sich vom Recht der Öffentlichkeit leiten, die Wahrheit zu erfahren.
  2. Sie verteidigen die Freiheit der Information, die sich daraus ergebenden Rechte, die Freiheit des Kommentars und der Kritik sowie die Unabhängigkeit und das Ansehen ihres Berufes.
  3. Sie veröffentlichen nur Informationen, Dokumente, Bilder, und Töne deren Quellen ihnen bekannt sind. Sie unterschlagen keine wichtigen Elemente von Informationen und entstellen weder Tatsachen, Dokumente, Bilder und Töne noch von anderen geäusserte Meinungen. Sie bezeichnen unbestätigte Meldungen, Bild -und Tonmontagen ausdrücklich als solche.
  4. Sie bedienen sich bei der Beschaffung von Informationen, Tönen, Bildern und Dokumenten keiner unlauteren Methoden. Sie bearbeiten nicht oder lassen nicht Bilder bearbeiten zum Zweck der irreführenden Verfälschung des Originals. Sie begehen kein Plagiat.
  5. Sie berichtigen jede von ihnen veröffentlichte Meldung, deren materieller Inhalt sich ganz oder teilweise als falsch erweist.
  6. Sie wahren das Berufsgeheimnis und geben die Quellen vertraulicher Informationen nicht preis.
  7. Sie respektieren die Privatsphäre der einzelnen Personen, sofern das öffentliche Interesse nicht das Gegenteil verlangt. Sie unterlassen anonyme und sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen.
  8. Sie respektieren die Menschenwürde und verzichten in ihrer Berichterstattung in Text,Bild und Ton auf diskriminierende Anspielungen, welche die ethnische oder nationale Zugehörigkeit, die Religion, das Geschlecht, die sexuelle Orientierung, Krankheiten sowie körperliche oder geistige Behinderung zum Gegenstand haben. Die Grenzen der Berichterstattung in Text, Bild und Ton über Kriege, terroristische Akte, Unglücksfälle und Katastrophen liegen dort, wo das Leid der Betroffenen und die Gefühle ihrer Angehörigen nicht respektiert werden.
  9. Sie nehmen weder Vorteile noch Versprechungen an, die geeignet sind, ihre berufliche Unabhängigkeit und die Äusserung ihrer persönlichen Meinung einzuschränken.
  10. Sie vermeiden in ihrer beruflichen Tätigkeit als Journalistinnen und Journalisten jede Form von kommerzieller Werbung und akzeptieren keinerlei Bedingungen von seiten der Inserenten.
  11. Sie nehmen journalistische Weisungen nur von den hierfür als verantwortlich bezeichneten Mitgliedern ihrer Redaktion entgegen, und akzeptieren sie nur dann, wenn diese zur Erklärung der Pflichten der Journalistinnen und Journalisten nicht im Gegensatz stehen.

Darf Jean-Pierre Danthine zurücktreten?

Urs Birchler

Vorab: Ich habe mehr als zwei Jahrzehnte bei der SNB gearbeitet. Jean-Pierre Danthine war noch nicht bei der SNB, aber ich kenne ihn gleichwohl. Ich bin also doppelt voreingenommen. Aber wenn es um die Unabhängigkeit der Nationalbank geht, kenne ich keinen Spass.

Es ist eine historisch zig-mal belegte Tatsache, dass politische Abhängigkeit einer Notenbank früher oder später ins monetäre Verderben (Inflation) führt. Mehr Geld alias tiefe Zinssätze alias ein tiefer Wechselkurs sind einfach zu verführerisch. Gleichzeitig ist in der Schweiz mit einem ausgeklügelten Mechanismus sichergestellt, dass die SNB trotz ihrer Unabhängigkeit nicht abgehoben handeln kann. Dazu gehört, dass sich die Nationalbank auf ein messbares Ziel (Infation unter 2%) verpflichtet und regelmässig Rechenschaft ablegt.

Leider ist die Unabhängigkeit einer Notenbank immer gefährdet. Beispielsweise versucht der Bundesrat gegenwärtig zu zeigen, wer die Hosen anhat, indem er die Ernennung von Thomas Jordan zum Präsidenten bis an die nationale Schmerzgrenze verzögert (derselbe Bundesrat, der sich so enorme Sorgen gemacht hat, der Abgang von Philipp Hildebrand könnte die Glaubwürdigkeit der Wechselkursgrenze zum Euro gefährden).

Schlimmer als der Bundesrat ist aber ein Teil der Presse, die versucht Jean-Pierre Danthine zu demontieren , (zum Sonntags-Vergnügen von Kreisen, welche die Unabhängigkeit der SNB ohnehin nicht mögen). Aufmerksame Journalisten sind natürlich das Salz der Demokratie, aber zur Aufmerksamkeit gehört auch ein minimales Interesse für Fakten und vielleicht ab und zu eine kurze Reflexion. Hier möchte ich zwei Gedanken zu den Transaktionen von JPD offerieren (die absurde Spesengeschichte des Tages-Anzeiger ist keinen Kommentar wert ausser, dass JPD — genau wie ich und die meisten unserer Fachkollegen — froh ist über jeden Restaurant-Hummer, den er nicht essen muss, und statt dessen zuhause mit Frau oder Familie einen Salami aufschneiden darf):

  • Die SNB-Pensionskasse ist leicht asymmetrisch strukturiert: Die Bank zahlt mehr als die Hälfte der Beiträge, behält aber auch viel zurück, wenn jemand austritt. Dahinter steht die heute vielleicht altväterisch anmutende, aber grundanständige Überlegung, dass SNB-Mitarbeiter für die Treue zur Institution belohnt werden sollen. Vorzeitige Abgänger — wie Philipp Hildebrand — werden durch diese eingeschränkte (aber gesetzeskonforme) Freizügigkeit finanziell bestraft. Wer spät eintritt, wie JPD, wird ebenfalls bestraft, weil er Beträge einkaufen muss, die anderen Mitarbeitern über die Jahre hin zum Teil von der SNB bezahlt worden sind. Wenn JPD einen grossen Betrag einkaufen musste (und deshalb Euro verkaufte) ist das also normal. Wenn die SNB einen Teil des Einkaufs übernahm, ist es zumindest nicht unfair.
  • Die zweite Verkaufs-Transaktion in Euro (auf Initiative seiner Bank und vom SNB-Reglement innerhalb eines Jahres gefordert) erfolgte im nachhinein im „dümmsten“ Moment, d.h. auf einem kurzfristigen Höhepunkt des Euro-Franken-Kurses. Betonung: „im nachhinein“. Die nachträgliche Unterstellung, die Kursbewegungen vorausgesehen (und wissentlich ausgenützt zu haben) ist selbst an ein Direktoriumsmitglied der SNB absurd. Viele Journalisten ahnen nicht, wie schwierig Finanzmärkte zu prognostizieren sind, auch für sogenannte „Insider“. Ich habe an manchen Sitzungen zur Vorbereitung geldpolitischer Entscheide teilgenommen und fast jedesmal lautete die Diagnose: Es war noch nie so schwierig wie heute.

Kurz: JPD hat offenkundig werder etwas Unlauteres versucht, noch getan. Ein wichtigeres Pressethema als irrelevante alte Spesenbelege (wer bewahrt so was jahrelang auf???) wäre beispielsweise die Verzögerungstaktik des Bundesrates bei den Ersatzwahlen ins SNB-Direktorium. Ebenfalls eine Überlegung wert wäre vielleicht die Frage: Was, wenn JPD von verleumderischen Artikeln genervt den Bettel hinschmeisst? Wo finden wir einen ähnlich kompetenten Nachfolger (aus der nicht-deutschen Schweiz)? Für jenen Journalisten, der vermeint, JPD sei „kein Währungsspezialist“ und all jene, die „Professor“ ohnehin für eine Behinderung ansehen, ist das kein Problem. Für alle andern vielleicht schon.

Liquidation von Lehman Brothers Finance: Was wird hier gespielt?

Urs Birchler

Seit einiger Zeit werde ich immer wieder konfrontiert mit Vorwürfen gegenüber der Schweiz, bzw. der FINMA: Es gehe bei der Liquidation von Lehman Brothers Finance SA, dem Schweizer Ableger des im September 2008 gescheiterten Konzerns Lehman Brothers, einfach nicht vorwärts. In allen Ländern komme die Liquidation voran, nur in der Schweiz würde Vorschläge zur Einigung systematisch abgelehnt. Inke Nyborg hat dazu bei Dow Jones einen (leider passwortgeschützten) Artikel vom 2. März 2012 gefunden, der über eine Gerichtsverhandlung in New York berichtet. Richter Peck habe an die Adresse der Liquidatorin PricewaterhouseCoopers (PwC) beklagt, dass von allen 80 Niederlassungen allein die schweizerische in der Liquidation hinterherhinke.

Vorwürfe an die Behörden sind grundsätzlich ernst zu nehmen, zumal zu den Lehman-Geschädigten nicht nur professionelle Grossanleger zählen (die selber schuld sind), sondern auch viele Kleinanleger, die nicht einmal bewusst Gläubiger von Lehman ber. Doch was ist daran wahr?

Zunächst ist die Liquidation von Lehman Brothers eine verzwickte Angelegenheit. Die Struktur des Lehman-Konzerns war ausgerichtet auf steuerliche und regulatorische Arbitrage. Geschäfte wurden jeweils in jenes Land verschoben, wo sie am günstigsten waren. Innerhalb des Konzerns bestanden deshalb regelmässig grosse gegenseitige Guthaben und Verpflichtungen zwischen Konzernteilen. Dabei spielen Derivatbeziehungen eine wichtige Rolle. Über die Schweizer Niederlassung beispielsweise wuden Aktien- und Aktienindexderivate abgewickelt. Nicht bei allen Lehman-Derivatkonstrukten ist klar, was diese genau beinhalteten. Rechtsfälle dazu sind mindestens bei sechs Gerichten in drei Ländern hängig. Auch im neuesten Bericht des Konkursverwalters finden sich keine klaren Hinweise auf Unterschiede zwischen dem Schweizer Verfahren und den Schwesterverfahren in den USA, dem UK, Japan und Deutschland.

Es wäre grundsätzlich möglich, dass die Liquidatorin (PwC) und/oder die FINMA besonders gewissenhaft und daher langsam vorgehen. Vielleicht sogar zu Recht: Bei einer Liquidation zählt (anders als bei einer Sanierung) nicht in erster Linie die Geschwindigkeit, sondern die korrekte Behandlung aller Beteiligten. Drei Jahre — solang dauert die Liquidation bereits — sind ein kurze Zeitspanne in diesem Gewerbe: Die Liquidation der Spar+Leihkasse Thun nahm über zehn Jahre in Anspruch. Ferner hat die FINMA das Mandat, für die Gläubiger von Lehman Brothers Finance zu agiern, nicht für den Gesamtkonzern.

Doch — etwas macht mich stutzig. Ich bin von verschiedener Seite mit denselben offenkundig falschen Argumenten konfrontiert worden. Zuletzt an einer Veranstaltung in Zürich von Robert Shapiro, der sogar ein Beratungsmandat beim IWF ausübt. Shapiro argumentiert, wie andere Kritiker bereits vor ihm, mit der Attraktivität des Standortes Schweiz: Wenn die Liquidation einer gescheiterten Bank (bzw. Finanzgesellschaft) so lange dauert, kommen keine Banken mehr in unser Land. Das ist einfühlsam von einem amerikanischen Beobachter, hat aber weder Hand noch Fuss. Das Insolvenzrecht ist zwar tatsächlich ein Teil der Standortqualität. Wichtig ist aber vor allem das Sanierungsrecht; eine Bank muss im Insolvenzfall flott gehalten und notfallmässig rekapitalisiert werden können. Und genau in dieser Hinsicht ist das (revidierte) Schweizer Recht zwar nicht perfekt, aber international führend. Die schonungsvolle und schnelle Liquidation ist demgegenüber völlig nebensächlich als Standortfaktor. Keine Bank wählt ihren Standort im Hinblick auf ihre mögliche Konkursliquidation. Und die Schweiz betreibt sicher keinen Sterbetourismus für Banken.

Provisorisches Fazit: Wenn mir von verschiedener Seite dieselben fadenscheiningen Argumente vorgetragen werden, bin ich als geborener Skeptiker vorsichtig. Meine vorläufige Interpretation (auch als Warnung an die Medienvertreter): Hier versucht jemand, PwC und die FINMA unter Druck zu setzen, weil er auf dem ordentlichen Weg nicht zu seinem Geld kommt. Pro memoria: Die Gläubiger des Mutterhauses (darunter grosse Hedge-Funds und Turnaround-Manager) können mit einer Konkursdividende von 15% rechnen, während die Gläubiger der einzelnen Tächter auf über 50% kommen könnten.

Aber ich lasse mich gerne belehren.