Wassergesetz: Geht die Steuerrechnung auf?

Michel Habib und Urs Birchler

Das Referendum gegen das neue Wassergesetz des Kantons Zürich kommt voraussichtlich im Frühjahr 2019 vors Volk. Umstritten ist die mögliche Privatisierung, d.h. die vorgesehene Kompetenz der Gemeinden, ihre Wasserversorgung an eine juristische Person auszulagern. Interessant sind in diesem Zusammenhang die britischen Erfahrungen mit der Wasserprivatisierung in England und Wales seit den 1980er Jahren. Was können wir daraus lernen?

Eine häufige Kritik an der Privatisierung der Wasserversorgung behauptet eine Verschlechterung der Wasserqualität. Mit wenigen Ausnahmen (z.B. das Abführen von 1,4 Mrd. Liter Abwasser in die Themse durch Thames Water) scheint jedoch die Wasserqualität in Grossbritannien nicht schlechter als beispielsweise in Frankreich oder Deutschland. Es scheint daher, dass eine Regulierung die Qualitätsstandards in der Wasserindustrie ebenso gut durchsetzen kann gegenüber Managern, bzw. Aktionäre, die nach Gewinn streben, wie gegenüber Regierungsbeamten, bzw. Politikern, die auf Stimmen aus sind.

Eine auffälliger Zug der privatisierten englischen Wasser-Unternehmen ist jedoch die explosionsartige Zunahme der Verschuldung. Aus Sicht der Unternehmen ist diese verständlich: Schuldzinsen sind steuerlich abzugsfähig, und das stabile, d.h. risikoarme Geschäft mit dem Wasser erlaubt eine relativ hohe Verschuldung. Schulden-getriebene Steuerverluste einiger Wasser-Unternehmen sind von deren Eignern, oft Private-Equity-Firmen, anscheinend tatsächlich verwendet worden, um die Steuerrechnung für andere Unternehmen in ihrem Portefeuille zu mildern. Eine Beteiligung an Wasser-Unternehmen scheint gerade für jene Firmen interessant, die verrechenbare Erträge erwirtschaften.

Sollte sich die britische Entwicklung in Zürich wiederholen, könnte dieser Steuereffekt die Privatisierungserlöse teilweise wegfressen. Vorgesehen ist zwar, dass 51 Prozent des Eigentums in der Hand der Gemeinde bleiben soll. Der Mit-Erwerber eines teilprivatisierten Wasser-Unternehmens könnte dennoch seine Steuerlast erleichtern, indem das Unternehmen hohe Schulden aufnimmt und mit den Schuldzinsen andere Einnahmen kompensiert. Der Kanton verliert dadurch einen Teil dessen, was die Gemeinde mit der Privatisierung gespart hat.

Die Lektion für Zürich: Wenn nicht klare Effizienzgewinne einer (Teil-)Privatisierung vorliegen, bedeutet diese eher eine Einladung zum Financial Engineering auf Kosten des Kantons.
(Wer erinnert sich noch an die Verkäufe und das Zurück-Leasen der Zürcher Trams durch die VBZ?)

Bedroht Plattformarbeit den Arbeitsmarkt?

Rafael Lalive

Vor 11 Jahren wurde das erste Smartphone an eine grosse Zahl von Menschen verkauft. Seitdem wird die Arbeit neu erfunden. Das Internet, das Smartphone und die Möglichkeit, grosse Datenmengen zu analysieren, erlauben es den Tausch von Arbeit und Dienstleistungen neu zu organisieren und, vor allem, zu flexibilisieren.

Wer heute eine Arbeit sucht, muss seinen Lebenslauf nicht mehr an eine grosse Zahl von Unternehmen senden, und hoffen, dass sie oder er irgendwann oben auf dem Stapel der Bewerbungen landet. Viel zeitgemässer ist es, sich auf einer Plattform als Anbieter einer Dienstleistung zu registrieren. Ein Mausklick reicht und schon wird die Arbeitssuche zur Konsumentensuche.

Plattformen haben viele Namen, (z.B. Upwork oder Taskrabbit), aber alle gibt es nur aus einem Grund. Dank Digitalisierung können Kunden auf einer Plattform nun sofort eine Dienstleistung finden. Anbieter dieser Dienstleistungen können so sehr schnell und sicher mit einem neuen Kunden bekannt werden. Die Qualität der Leistung wird über Bewertungssysteme sichergestellt.

Plattformen schaffen Arbeit

Plattformen schaffen Arbeit. Früher war es schlecht möglich, sich als Hundesitter ein ausreichendes Einkommen zu verdienen, weil einem eventuell nur die Hunde der Nachbarn bekannt waren. Heute registriert sich ein Hundesitter bei einer Plattform und wird instantan für die Hundebesitzer seiner ganzen Umgebung sichtbar. So lässt sich heute ein Auskommen als Hundesitter verdienen, wo dies früher schlecht möglich war.

Plattformen schaffen Arbeit weil sie die Kosten einer Transaktion – eines Tausches von Dienstleistungen oder Arbeit – stark senken. Früher war dies die Aufgabe von Unternehmen. Innerhalb eines Unternehmens konnten viele Arten von Arbeit gebündelt und getauscht werden, ohne dass man die jeweiligen Anbieter hätte suchen und einen neuen Tauschvertrag schreiben müssen. Einige Unternehmen, vor allem die, deren Geschäftsmodell das Senken von Transaktionskosten ist, wie z.B. Reisebüros für Reisen nach Deutschland, werden kleiner werden und evtl. ganz verschwinden.

In der Schweiz bestehen noch keine gesicherten Statistiken bezüglich der Grösse der Plattformarbeit. Der Bericht des Bundesrates zu den Auswirkungen der Digitalisierung vom 8. November 2017 weist eine Kategorie der Selbstständigen, die für mehrere Arbeitgeber arbeiten, aus. In der Schweiz ist der Anteil dieser Selbstständigen bei rund 5 Prozent, was wenig ist, aber er ist um etwas mehr als einen Prozentpunkt gestiegen in den letzten Zehn Jahren. Plattformarbeit ist also noch ein Randphänomen.

Verdrängt Plattformarbeit bestehende Arbeitsplätze? Zu dieser Frage bestehen noch keine mir bekannten Untersuchungen für die Schweiz. Eine Reihe von Arbeiten untersuchen diese Frage für den Ridesharing-Markt, d.h. den Markt für Mitfahrdienste in den USA. Die meisten Anbieter von Mitfahr- oder Taxidiensten üben diese Tätigkeit als Zweittätigkeit aus. Die Fahrer sind nicht Umsteiger von normalen Taxidiensten. Diese Arbeit wird also zur Aufbesserung des Einkommens in Randstunden ausgeführt.

Flexible Sozialversicherungen sichern besser gegen Risiken ab

Eine wichtige Frage gilt der Absicherung der Fahrer. Ein Haushalt ist überhaupt nicht abgesichert, wenn seine Ausgaben gleich schwanken wie sein Hauptverdienst. Eine Studie von Dimitri Koustas, von der University of Chicago, vom 11. Januar 2018 zeigt auf, dass Fahrer, welche auf einer Plattform im Zweitverdienst beschäftigt sind, deutlich besser versichert sind gegen Einkommenschwankungen als Fahrer, die nicht auf einer Plattform aktiv sind. Die Ausgaben von Fahrern mit Zweitverdienst schwanken praktisch nicht mit dem Haupteinkommen, da sie über die Nebentätikeit kompensieren können, d.h. mehr fahren können.

Die Herausforderung in der Schweiz besteht im Bereich Sozialversicherungen. Selbstständige sind oft weniger gut abgesichert gegen Unfall und Armut im Alter. Selbständige können ihre Abdeckung frei wählen im Rahmen des Gesetzes. Angestellte haben diese Wahlmöglichkeiten nicht. Sie werden zu den vom Gesetzgeber festgelegten Ausmass durch den Arbeitgeber versichert. Der Grad der Absicherung ist also klar daran gekoppelt, ob jemand selbstständig oder angestellt tätig ist.

Ausreichende Absicherung ist ein wichtiges Ziel, auch für Anbieter von Plattformen. Diese möchten ihren Mitgliedern z.B. auch Versicherungen gegen gewisse soziale Risiken zu günstigeren Konditionen anbieten, als das ein Soloselbststädiger könnte. In der Schweiz werden solche Angebote durch den engen Gesetzesrahmen sehr stark beschränkt, oder gar verunmöglicht, da diese für Selbstständige nicht vorgesehen sind. In der Schweiz sind Arbeitsform und Grad der Versicherung strikt gekoppelt.

Der Bedarf nach Absicherung ist jedoch gerade da gross, wo flexibel gearbeitet wird. Die Einkommen von selbständig Erwerbstätigen schwanken und ein unversicherter Erwerbsausfall kann gravierende Folgen haben. Umgekehrt sind Angestellte vielleicht weniger auf volle Absicherung angewiesen, da ihre Arbeitsform sie schon sehr gut gegen Einkommensrisiken absichert.

Wir können Arbeitsform und Sozialversicherung entkoppeln. Ob wir angestellt sind, oder uns selbstständig ernähren, ist primär getrieben durch den Bedarf nach Flexibilität. Ob wir uns voll oder weniger absichern gegen Risiken hängt ab vom Bedarf nach Absicherung. Eine flexible Sozialversicherungen kann uns sowohl besser gegen Risiken absichern als auch dem flexiblen Arbeitsmarkt gerecht werden.

Die SNB und die AHV

Thomas von Ungern-Sternberg

Die SNB hat in den letzten 10 Jahren sehr hoch gepokert. Um eine zu starke Aufwertung des Frankens zu verhindern hat sie Jahr für Jahr hohe Fremdwärungsaktiva gekauft. Inzwischen sitzt sie auf einem Bestand von zirka 700 Millarden Franken (bei einem Brutto Inlandsprodukt von zirka 670 Millarden Franken).
Unter Ökonomen gibt das beherzte Eingreifen der SNB immer wieder Anlass zu Diskussion. Die finanziellen Risiken, welche unsere Nationalbank eingeht, sind beträchtlich. Immerhin hat die Schweiz die Wirtschaftskrise von 2008 bemerkenswert gut überstanden. Die Arbeitslosigkeit ist kaum gestiegen.und den Finanzen von Bund und Kantonen geht es blendend. Ohne das mutige Eingreifen der SNB würde das Bild wohl weniger erfreulich aussehen.
Bisher scheint der Poker der SNB aufgegangen zu sein. In ihrem Jahresbericht von 2017 weist sie ein scheinbar recht gesundes Eigenkapitalpolster (Reserven) von gut 130 Millarden Franken aus. Bei der Interpretation dieser Zahl ist allerdings sehr viel Vorsicht geboten. Sollte der Franken auch nur um 10% aufwerten, bleibt rein rechnerisch von dem „ausschüttbaren Gewinn“ kaum etwas übrig.
Auch kann die SNB ihre Buchhaltungsgewinne zum jetzigen Zeitpunkt kaum realisiseren. Würde sie in grösseren Stil Fremdwährungsaktiva verkaufen (d.h. Franken kaufen), so würde dies den Frankenkurs in die Höhe treiben und von den vermeintlichen Gewinnen würde nur noch wenig übrig bleiben.
Dies weist auf eine Schwäche in der zur Zeit gültigen Gesetzgebung hin. Es wird dort festgeschrieben, wie schnell das Eigenkapital (die Reserven) der SNB wachsen soll. Die Höhe der Fremdwährungsaktiva (und somit die Höhe der Währungsrisken) wird in dieser Regel nicht berücksichtigt. Man hat also eine Regel, in der die Höhe des Risikopolsters festgelegt wird…..ohne die Höhe der Risiken zu berücksichtigen. Das kann auf die Dauer keine gute Lösung sein!
Immerhin besteht eine gewisse Chance, dass der Schweizer Franken sich in der Zukunft soweit abschwächt (bzw der Euro sich soweit erholt), dass die SNB eine Teil ihrer Fremdwährungsaktiva verkaufen kann und will, um eine zu hohe inflationstreibende Abwertung des Frankens zu verhindern. Sollte dies der Fall sein, wird ihr Poker aufgegangen sein. Nicht nur hat sie den Franken dann, als es notwendig war geschwächt. Sie hat dazu auch noch enorm hohe Kapitalgewinne eingefahren.
Man kann sich darüber Gedanken machen, was in einem solchen Szenario mit den Milliarden-Gewinnen der SNB geschehen sollte. Die normal Gewinnausschüttung an Bund und Kantone wäre sowieso für die nächsten Jahrzehnte gesichert. Eine Möglichkeit bestände darin einen Teil der zusätzlichen Beträge zu verwenden, um die AHV für die nächsten Jahrzehnte zu sanieren.
Die Defizite der AVH kommen mit Sicherheit. Aber es besteht auch eine (gute?) Chance, dass die enormen Kapitalgewinnne der SNB sich eines Tages tatsächlich relisieren lassen. Es wäre zu überlegen, ob man sich mit der Sanierung der AHV erst einmal Zeit lässt und abwartet, wie sich die Bilanz der SNB in den nächsten Jahren entwickelt.

Ergänzungsleistungen (EL) und Vermögen

Monika Bütler

National- und Ständerat streiten um die – dringend notwendige – Reform der Ergänzungsleistungen (siehe NZZ und Tagesanzeiger, zum Beispiel). Ein Knackpunkt dabei ist die Anrechnung des Vermögens.

Heute beträgt der Freibetrag zum Bezug von EL 37‘500 Franken, das darüber hinausgehende Vermögen wird nur zu 1/10 (im Heim: 1/5) zum Einkommen gerechnet. Es ist somit möglich, EL zu beziehen mit einem Vermögen von deutlich über 100’000 Franken. Das ist aus verschiedenen Gründen heikel: Erstens, weil mit diesem partiellen Vermögensschutz die Erben auf Kosten der Steuerzahler versichert werden. Zweitens, weil eine solch komplizierte Regelung zu einer Bevorzugung von potentiellen EL Bezügern mit mehr Wissen (oder schlauen Kindern) führt. Zu guter Letzt widersprechen Zahlungen an Bezüger mit genügend Vermögen dem Sinn von bedarfsorientierten Leistungen.

Der Nationalrat möchte nun die Vermögensgrenze auf 100’000 Franken absenken und „übermässigen“ Verwendung des Kapitalbezugs aus der zweiten Säule mit einer 10% Strafkürzung auf den EL belegen. (In Klammern, aber wichtig: Es wäre besser gewesen, die Vermögensanrechnung bei EL zur IV anders zu behandeln als die EL zur AHV. Für die IV wäre eine höhere Vermögensgrenze angemessen, da es hier nicht um den Schutz der Nachkommen geht, sondern um die eigene künftige Lebensgrundlage der Versicherten.)

Unbestritten hat das schweizerische Sozialversicherungssystem starke Anreize für einen Kapitalbezug aus der zweiten Säule (siehe hier und hier und hier). Das durch die EL garantierte Einkommen liegt rund 1000 Franken pro Monat über der AHV-Maximalrente. Wer eine relativ kleine Rente aus der Pensionskasse und kein Privatvermögen hat, fährt mit dem Barbezug fast immer besser als mit der Rente. Besser fahren auch diejenigen mit einer kürzeren Lebenserwartung – oft Menschen, die nicht so Glück hatten im Leben,

Die Anreize kommen allerdings nicht nur von den EL; die steuerliche Belastung des Kapitalbezugs ist in den meisten Kantonen ungleich tiefer als die Steuerlast auf den PK Renten. Salopp gesprochen bestraft man Leute, die vorher wegen tieferen Steuern zum Barbezug gelenkt wurden (wobei auch die Pensionskassen wegen überhöhten Umwandlungssätzen keine Veranlassung sehen, dies zu ändern).

Eine Anrechnung vergangener Ausgaben ist heikel, rechtlich und praktisch. Abgesehen von Schenkungen an die Nachkommen: Wie soll der Staat beurteilen, welche Ausgaben „unnötig“ waren, wann der Verbrauch des Kapitals „vorzeitig“ war? Vielleicht wurde das PK Kapital bezogen, um eine vorzeitige Pensionierung aus gesundheitlichen Gründen zu finanzieren (und die IV zu schonen)? Vielleicht war die Bezügerin krebskrank zum Zeitpunkt der Pensionierung? Ausser in wenigen klaren Fällen (Schenkungen an Kindern, Immobilienerwerb) ist die Beurteilung eines vorzeitigen Verbrauchs der PK Guthaben willkürlich und anmassend.

Was tun? Es ist sinnvoll – wie vorgeschlagen – die Vermögensgrenze zu senken. Die EL sind nicht dazu da, die Erben zu schützen. Die Vermögensgrenze bei den EL zu AHV hätten man noch weiter senken können und dafür die partielle (für viele zu komplizierte) Anrechnung des Vermögens als Einkommen fallen lassen. Wer zuerst den Grossteil des Vermögens abbauen muss, wird sich seine Anschaffungen/Ausgaben gut überlegen – ob mit oder ohne Kapitalbezug aus der PK.

PS1: Vielleicht überlegen sich ja die PolitikerInnen auch einmal, ob es wirklich sinnvoll ist, den Kapitalbezug steuerlich zu subventionieren – um ihn dann später wieder zu bestrafen.

PS2: Hausbesitz kompliziert die Analyse ein wenig. Es gibt aber genügend Ideen (zBsp Rückzahlung der EL bei der Veräusserung/Vererbung des Hauses), damit umzugehen.

 

Warum Kryptowaehrungen keine Zukunft haben

Urs Birchler

Beim Krypto-Boom scheint die Luft draussen. Endlich!

Um die hinter Bitcoin stehende Idee, Geld ohne staatliche Autorität zu schaffen, ist es zwar schade. Nur: es geht nicht. Bitcoin und seine Abkömmlinge beruhen auf dezentraler Buchhaltung, niedergelegt in einem millionenfach kopierten elektronischen Wälzer genannt Blockchain. Die dezentrale Kontrolle jeder einzelnen Buchung durch die angeschlossenen Teilnehmer bedingt eine gigantische Duplizierung, eigentlich: Multiplizierung, des Kontrollaufwands (siehe z.B. eine Studie des St. Louis Fed). Für ihren Aufwand werden die Kontrolleure, sprich: Teilnehmer, aka „miners“, mit neuen Bitcoins oder was auch immer für Coins oder Tokens belohnt. Jetzt gibt’s zwei Probleme:

Erstens steigen die Kosten der „miners“ mit dem Wachstum des Systems ins Unermessliche. Das Bitcoin System verschlingt heute, so die Schätzungen, ungefähr gleich viel Strom wie die Schweiz (dreimal so viel wie unsere Kernkraftwerke zusammen). Das heisst, Bitcoin und co. sind als Geld (ausserhalb von Lösegeld-Zahlungen und Drogenhandel) schlicht unbrauchbar. Dazu kommt noch, dass im Bitcoin System kein Teilnehmer als Lender of Last Resort fungieren kann, was ein Banking oder eine Kursstabilisierung in Bitcoin faktisch ausschliesst.

Zweitens stehen den Mining-Kosten keine echten Erträge gegenüber. Die „miners“ verdienen zwar gut, nur werden sie mit Traumeinheiten bezahlt. Die mittlerweile in mehreren Tausend Varianten geschaffenen Coins sind volkswirtschaftlich wertlos. Auch wenn viele (nicht alle) sie noch zu positiven Preisen gehandelt werden.

Schon früh hiess es: Ja, Bitcoin funktioniert vielleicht nicht, aber die zugrundeliegende Blockchain ist die Zukunft. Sie wird die Finanzmärkte revolutionieren („disrupt“). Auch hier ist Vorsicht angezeigt: Übersehen wurde dabei, dass alle Blockcains mit dezentraler Buchung unter dem Duplikationsproblem leiden. Zwar gibt es verschiedene Versuche, dieses zu entschärfen, aber zum Preis geringerer Sicherheit oder anderer Nachteile. Am Ende bleiben höchstens Blockchains mit wenigen, handverlesenen Teilnehmern und beschränkter Transaktionshäufigkeit.

Kurzum: Es ist in der Finanzbranche wie in der Kirche. Das wichtigste ist das Schiff, nicht die Krypta. Ebenso ist es die Digitalisierung welche die Finanzbranche umkrempelt, nicht die Kryptisierung. Vergessen Sie (wenn Sie nicht gerade eine Lösegeldforderung stellen wollen) Bitcoin und co. Flüchten Sie vor ICOs (Initial Coin Offerings). Bewerben Sie sich nicht als Krypto-Valley.

Im Apfelstrudel des Strukturwandels

Urs Birchler

Der Tagesanzeiger meldet, die Grossbäckerei mit dem phantasievollen Namen Groba AG müsse mehr als die Hälfte ihrer Stellen abbauen. Mein Gott! Dort war doch (vor bald einem halben Jahrhundert) mein erster Studentenjob! In einer Backstube am Zürcher Kreuzplatz fabrizierte Groba gefrorene Apfelstrudel für die Marke Findus. Die gewürfelten Äpfel kamen in grossen Büchsen. Dahinter stand irgendwie die Alkoholverwaltung, die verhindern wollte, dass die Äpfel verschnapst wurden.

Erinnern kann ich mich an den Chef und seine Frau, die gelegentlich mit dem grauen Pudeli zu Besuch kam, welches aber nicht an den Apfelstückli schnuppern durfte. Die Belegschaft bestand grösstenteils aus einer Gruppe Frauen, die jeweils in aller Herrgottsfrühe mit dem Minibus aus dem Thurgau herbeigefahren wurden für Fr. 3.50 die Stunde. Dazu die beiden Studenten: Ein Grieche, dessen Namen ich leider vergessen habe, und ich, beide für je Fr. 7.– die Stunde. Wir studierten beide Wirtschaft im selben Semester. Die in der Vorlesung mit einem Ohr vernommene Idee, dass Löhne etwas mit Produktivität zu tun hätten, kam uns in der Backstube nachhaltig abhanden. Die Thurgauerinnen berserkten den ganzen Tag und steckten mit blossen Händen gefrorene Strudel in die vorgefertigten Schachteln.

Was der Grieche und ich mit dem doppelten Lohn zum BIP beitrugen, ist mir nicht mehr in der notwendigen Schärfe erinnerlich. Auf dem mit Mehl eingestäubten Tisch, wo der Teig ausgewallt werden sollte, zeichneten wir jedenfalls mit dem Finger Grafiken zu den Aufgaben vom Proseminar am Vortag, Ich sehe noch deutlich, wie ich dem noch ahnungsloseren Kollegen erklärte, warum sich Indifferenzkurven nicht schneiden können (was sogar in den Zeiten der behavioral economics noch zu gelten scheint). Als uns der Chef ertappte, entliess er den Griechen. In einer Aufwallung von internationaler Arbeitersolidarität schleuderte ich ihm meine Kündigung auch gleich ins Gesicht.

Und jetzt baut die Groba AG wieder ab. Ironischerweise, weil der wichtigste Kunde von Frischbackwaren auf gefrorenes Zeug umstellt. Also auf das, was „wir“ damals herstellten. Wir Weitblickenden.

Passen die Steuerreform und die AHV-Reform letztlich doch zueinander?

Marius Brülhart

In einer ersten Überschlagsrechnung zur Unternehmenssteuer-plus-AHV-Reform kam ich kürzlich zum Schluss, dass diese Vorlage signifikant zu Lasten von Haushalten in den unteren 90 Einkommensperzentilen („Untere-90“) an die oberen 10 Prozent („Top-10“) umverteilen würde.

Angesichts der politischer Brisanz einer solchen Diagnose sollte meine holzschnittartige Analyse daraufhin geprüft werden, ob sie auch bei einem etwas feineren Ansatz zum gleichen Schluss führt.

Insbesondere gilt es, dynamische Wirkungen der Steuerreform zu berücksichtigen, denn die betroffenen Firmen werden zweifelsohne auf Steuersatzänderungen reagieren. Zudem sollte man dem Anteil ausländischer Anteilseigner an Schweizer Unternehmen Rechnung tragen, denn ein beträchtlicher Teil der von Schweizer Unternehmenssteuern direkt Betroffenen ist gar nicht in der Schweiz ansässig.

Zu den dynamischen Wirkungen hat die Eidgenössische Steuerverwaltung eine detaillierte Studie publiziert. (Volle Offenlegung: David Staubli, einer der beiden Autoren, ist ein ehemaliger Mitarbeiter meiner Abteilung an der Universität Lausanne.) Diese Studie bringt willkommenes Licht ins Dunkel der Unternehmenssteuerreform, und schafft somit Vertrauen in die Arbeit unserer Regierung und Verwaltung. Die Studie deckt eine Vielzahl von Szenarien ab, je nach angenommener Steuerempfindlichkeit der ausgewiesenen Firmengewinne, Entwicklung der Steuersätze in den Kantonen und in anderen Ländern, und diverser anderer Annahmen, über welche grosse Unsicherheit besteht.

Im Parlament arbeitet man zur Zeit mit einem geschätzten steuerreformbedingten Einnahmenausfall von 2.1 Milliarden Franken. Dieser Wert entspricht ungefähr der statischen Schätzung der ESTV-Studie. Aber handelt es sich dabei auch um die relevanteste Zahl?

Gemäss dem zentralen dynamischen Szenario der ESTV-Studie zöge die Steuerreform für bereits heute ordentlich besteuerte Unternehmen mittelfristig eine Steuerersparnis von 3.4 Milliarden Franken nach sich – ein geraumer Mitnahmeeffekt für die Aktionäre normaler Schweizer Unternehmen. Die aktuellen Statusfirmen hingegen würden gegen 2.7 Franken zusätzlich in die Staatskasse einzahlen, denn ihre Steuerbelastung würde ansteigen. Der mittelfristige Unternehmenssteuerausfall würde somit rund 0.7 Milliarden Franken betragen, das heisst ein Drittel der meist zitierten 2.1 Milliarden. Ich nehme hier einmal an, dass die Folgen solcher Einnahmeausfälle alle Einkommensgruppen ungefähr gleich belasten, was gerundet -0.6 Milliarden ergibt für die Unteren-90 und -0.1 Milliarden für die Top-10.

Die ESTV-Studie berücksichtigt zusätzlich „induzierte Effekte“ über einkommensbedingte Steuereinnahmen und kommt damit sogar auf einen positiven Nettoeffekt der Steuerreform für die Staatskasse. Angesichts der noch grösseren Unsicherheiten bei der Schätzung der induzierten Effekte und derer Verteilungswirkungen blende ich diese hier vorerst einmal aus.

Somit stellt sich noch die Frage, welcher Anteil der Gewinnsteuerersparnisse in der Schweiz bleiben würde, und welcher Anteil ausländischen Aktionären zugutekäme. Gemäss Angaben aus dem Eidgenössischen Finanzdepartement fliesst weit über die Hälfte der in der Schweiz ausgewiesenen Gewinne an ausländische Investoren. Ich nehme darauf abstützend einen Ausländeranteil von 60 Prozent bei den ordentlich besteuerten Unternehmen und von 80 Prozent bei den Statusfirmen an.

Die mittelfristigen Wirkungen der Unternehmenssteuerreform verteilen sich demgemäss folgendermassen:
• Aktionäre im Ausland: -0.1 Milliarden (= 0.8 x -2.7 Milliarden + 0.6 x 3.4 Milliarden)
• Top-10 Schweiz: +0.7 Milliarden (= 0.2 x -2.7 Milliarden + 0.4 x 3.4 Milliarden – 0.1 Milliarden)
• Untere-90 Schweiz: -0.6 Milliarden

Die Unternehmenssteuerreform erweist sich also auch in dieser Betrachtung als degressiv, aber die Umverteilung von unten nach oben ist weniger ausgeprägt als in der rein statischen Analyse.

Gemäss meiner Überschlagsrechnung kostet die AHV-Reform die Top-10 0.8 Milliarden Franken und beschert den Unteren-90 0.8 Milliarden. (Man kann das auch anders rechnen als ich es tat, indem man die 0.9 Milliarden aus der Mehrwerts- und direkten Bundessteuer als gegeben betrachtet und die Opportunitätskosten auf der Ausgabenseite aufteilt, und indem man die implizite Progressionswirkung bei den Lohnprozenten einbezieht. Das resultierende Umverteilungsergebnis bleibt dann in etwa dasselbe.)

Siehe da: Die Gewinne und Verluste der beiden Vorlagen kompensieren sich fast genau. Somit erscheint der Steuerreform-AHV-Deal nun verteilungsmässig einigermassen neutral.

Dies ist natürlich immer noch eine grobe Schätzung. Was könnte den Befund wiederum kippen?

Zum einen würde eine Berücksichtigung der induzierten Effekte der Steuerreform (via eine wachsende Lohnsumme) den Gesamteffekt noch stärker zu Gunsten der Unteren-90 ausfallen lassen.

Zum anderen hätte insbesondere eine Fehleinschätzung des internationalen steuerpolitischen Umfelds gravierende Folgen für die Analyse. Die ESTV-Studie geht davon aus, dass die Steuern für multinationale Firmen an Konkurrenzstandorten ebenfalls ansteigen werden. Wäre dem nicht so, würde aus der dem simulierten dynamischen Steuerausfall von 0.7 Milliarden ein Loch von bis zu 3.1 Milliarden (bei unveränderten Steuersätzen im Ausland), was natürlich vor allem die Unteren-90 zu spüren bekämen.

Dennoch: Unter plausiblen dynamischen Annahmen scheint sich die Intuition der ständerätlichen Kompromiss-Schmiede zu bestätigen. Auf den zweiten Blick passen die beiden Reformen zumindest in verteilungspolitischer Hinsicht gar nicht so schlecht zueinander.

Wer bezahlt den Steuerreform-AHV-Deal?

Marius Brülhart

Im Mai hat der Ständerat vorgeschlagen, die beiden grössten wirtschaftspolitischen Reformpojekte – Unternehmenssteuern und AHV – nach den gescheiterten Volksabstimmungen des Vorjahres im Kombi-Pack neu aufzulegen. Die Einnahmenausfälle einer etwas entschärften Steuerreform würden, so lautet der neue Slogan, Franken um Franken kompensiert durch zusätzliche Gelder für die AHV. Der Vorschlag scheint bislang auf geraume Zustimmung quer durch die Bundesratsparteien zu stossen.

Dieser Konsens ist beinahe verdächtig: Alle sehen sich offenbar als Gewinner, obwohl – oder gerade weil – die diskutierten Reformen komplexe und milliardenschwere Finanzflüsse umlenken.

Ein möglicher Grund ist, dass die wahrscheinlichen Verlierer der Reformen in der politischen Diskussion untervertreten sind: die Jungen.

Gemäss einer anderen Lesart der Geschehnisse irren sich gewisse Politiker schlicht und einfach, wenn sie in der Kombination der beiden Reformen einen „sozialen Ausgleich“ erkennen. Michael Hermann hat es folgendermassen auf den Punkt gebracht: „Bald wird klar sein, dass eine Sanierung der AHV durch die Allgemeinheit keine Kompensation für Steuererleichterungen bei den Unternehmen ist“.

Eine – wenn nicht die – zentrale Frage in dieser Debatte betrifft also wie so oft die Verteilungswirkungen: Wer wären unter dem Strich die Gewinner, und wer würde verlieren?

Zur Befriedigung meiner eigenen Neugier habe ich dazu eine erste, überaus grobe, Schätzung versucht. Und trotz geraumem Fehlerrisiko, wage ich es, diese mit der geneigten Batz-Leserschaft zu teilen.

Meine Überschlagsrechnung gestaltet sich wie folgt.

Teilen wir die Schweizer Bevölkerung auf in die obersten 10 Prozent der Steuerzahler („Top-10“) und den Rest („Untere-90“). Erstere Kategorie entspricht gemäss Bundessteuerstatistik ungefähr Ehepaaren mit einem steuerbaren Einkommen über 150‘000 Franken und Einzelhaushalten mit einem steuerbaren Einkommen über 80‘000 Franken. Alle anderen gehören zu den Unteren-90.

Nehmen wir nun der Einfachheit halber an,
1. dass alle Arbeitgeber und Aktionäre zur Top-10-Kategorie gehören,
2. dass die Top-10-Haushalte die gesamten direkten Bundessteuern begleichen, und
3. dass die Unteren-90 die gesamten Mehrwertsteuern begleichen.

Unter der ersten Annahme gehören die Gewinner der Unternehmenssteuerreform allesamt zu den Top-10. Diesen kommen also gemäss ständerätlicher Schätzung 2.1 Milliarden Franken an Steuererleichterungen zugute. Die Unteren-90 bekommen in dieser simplistisch statischen Sicht nichts ab von der Steuerreform.

Der Hauptteil der neuen AHV-Mittel, nämlich 1.2 Milliarden, soll gemäss Vorschlag durch 0.3 zusätzlichen Lohnprozente erhoben werden – je hälftig über Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge. Nehmen wir an, diese Zusatzkosten werden effektiv von den jeweiligen Rechnungsempfängern getragen und nicht überwälzt. Dann kosten die Lohnprozente Top-10 und Untere-90 je 0.6 Milliarden. (Die Umverteilung innerhalb der AHV von Versicherten oberhalb der rentenbildenden Beitragsschwelle an den Rest der Bevölkerung ist gemäss existierender Schätzungen übrigens ziemlich gering.)

Hinzu kommen für die AHV-Finanzierung gemäss Vorschlag ein um 0.4 Milliarden höherer Bundesbeitrag, gestemmt in erster Linie von den Top-10; plus 0.5 zusätzliche Mehrwertssteuermilliarden, hauptsächlich zu Lasten der Unteren-90.

Auf der Positivseite meiner Rechnung gilt es noch, die neu gesicherten Einnahmen von 2.1 AHV Milliarden aufzusplitten. Ich nehme an, sie kommen zu 90% den Unteren-90 zugute, womit diese 1.9 Milliarden und die Top-10 0.2 Milliarden erhalten würden.

Somit habe ich die nötigen Zahlen für meine summarische Rechnung:
• Top-10: +2.1 Milliarden aus der Steuerreform, +0.2 Milliarden gesicherte AHV, -0.6 Milliarden für AHV Lohnprozente, -0.4 Milliarden für AHV Bundesbeitrag
= +1.3 Milliarden netto
• Untere-90: +1.9 Milliarden gesicherte AHV, -0.6 Milliarden für AHV Lohnprozente, -0.5 Milliarden Mehrwertssteuer
= +0.7 Milliarden netto

Die Top-10 gewinnen also 0.6 Milliarden mehr als die Unteren-90. Angesichts der Tatsache, dass die Unteren-90 per Definition neun Mal zahlreicher sind als die Top-10, bedeuten meine Ergebnisse, dass der durchschnittliche Top-10-Haushalt beinahe 17 Mal mehr profitieren würde als der durchschnittliche Untere-90-Haushalt.

Nicht einberechnet ist hier die Verteilungswirkung des 2.1-Milliarden-Einnahmenausfalls durch die Steuerreform. Ein Einbezug dieses Faktors würde die Rechnung wohl noch stärker zu Ungunsten der Unteren-90 ausfallen lassen.

Soweit sieht der Reformvorschlag also nach einem schlechten Geschäft aus für die unteren und mittleren Einkommensschichten.

Das Bild könnte sich insbesondere verändern, wenn man allfällige dynamische Wirkungen der Steuerreform einbezieht. Ich werde darauf in einem späteren Beitrag noch im Detail eingehen.

Falsch verstandene Unabhängigkeit der SNB

Urs Birchler

Es ist heiss, auch in den Redaktionsstuben. Daher ist sowohl der NZZ als auch die Sonntagszeitung je ein Beitrag zur Unabhängigkeit der SNB entschlüpft, der in kühleren Zeiten im Papierkorb gelandet wäre.

Ganz arg die NZZ: Der Autor Michael Rasch verwechselt Unabhängigkeit mit Allmacht. Und letztere liege in der Hand „nicht-gewählter“ Notenbanker.

„Der Blick ins Gesetzt erleichtert die Rechtsfindung“, spotten die Juristen. Und tatsächlich hätte das Notenbankgesetz (NBG) Herrn Rasch beruhigen können:

Art. 5 hält nämlich fest: „Die Nationalbank … gewährleistet die Preisstabilität.“ Damit ist der Pfad der Geldpolitik weitgehend gegeben. Die SNB ist statt ans Gold (wie bis 1936) oder den Dollar (bis 1973) an einen Güterkorb gebunden. Zugegeben: Die SNB hat kurzfristig ein bisschen mehr Flexibilität als dies unter festen Wechselkursen oder unter der Goldparität der Fall war. Doch von Allmacht keine Rede.

Die SNB-Leiter seien „Technokraten, die nie vom Volk gewählt worden sind“, bemängelt Herr Rasch. Dass die Leute bei der SNB ihr technisch anspruchsvolles Metier verstehen, hat bisher nicht geschadet. Vor allem aber werden die Mitglieder der Leitungsgremien der SNB durchaus gewählt, und zwar nach fein austarierten und demokratisch zäh ausgehandelten Regeln. Nur werden Notenbankleiter — ebensowenig wie Bundesräte — nicht direkt vom Volk gewählt, was aber m.W. weltweit noch nie jemand ernsthaft vorgeschlagen hat. Auch die laufende Politik der SNB steht nicht im politischen Vakuum: Die SNB erörtert ihre Politik regelmässig mit dem Bundesrat und informiert ebenso regelmässig Parlament und Öffentlichkeit (Art. 7).

Dass die Unabhängigkeit der Notenbank „einer Demokratie ohnehin wesensfremd“ sei, hat Herr Rasch vielleicht in einer venezolanischen oder türkischen Regierungsbroschüre gelesen. Unabhängigkeit helvetischer Prägung bedeutet, dass „die Nationalbank und die Mitglieder ihrer Organe weder vom Bundesrat noch von der Bundesversammlung oder von anderen Stellen Weisungen einholen oder entgegennehmen“ (Art. 6). Auch Sommerfantasien des Finanzministers hat die SNB also zu ignorieren (zu dessen Ehrenrettung: Er hat vielleicht bei seiner kürzlichen Bemerkung nicht daran gedacht, dass die Länge der SNB-Bilanz der Fussabdruck der Geldpolitik ist).

Die Sonntagszeitung beklagt nicht ein Übermass an Unabhängigkeit der SNB, sondern umgekehrt grade einen Mangel an Unabhängigkeit. Grund: Die SNB kann den Franken nicht beliebig gegenüber dem Euro erstarken lassen. Das ist nicht falsch, aber wir wissen es seit Jahren, und niemand hat ein Rezept gefunden, wie es die SNB anders machen könnte, ohne die Schweizer Wirtschaft zusammenzuschlagen. Auch dies steht nämlich im NBG (Art. 5): „Die Nationalbank führt die Geld- und Währungspolitik im Gesamtinteresse des Landes.“ Und bei der Gewährleistung der Preisstabilität „trägt sie der konjunkturellen Entwicklung Rechnung.“ Kurz: Die Länge ihrer Bilanz belastet die SNB selbst wohl mehr als alle andern. Auch noch, wenn es wieder kühler wird.

EU: mehr Solidarität oder mehr Disziplin?

Urs Birchler

Die Schweiz leidet — via Frankenstärke — seit Jahren an den Spannungen innerhalb der Eurozone und der EU. Der Konflikt innerhalb der EU wird oft dargestellt als Mangel an Solidarität (des Nordens) versus Mangel an fiskalischer Verantwortung (des Südens). Dass zwischen den beiden eher eine politische Komplementarität besteht als ein „Entweder-Oder“, hat kürzlich Jeroen Dijsselbloem (der frühere Chef der Euro-Gruppe) dargestellt. Sein Text wurde als SUERF Policy Note abgedruckt. Das Fazit hier im Original:

To sum up. Do not blame the EU for all problems we have. The responsibility of the member states is huge. The EU will not solve all your problems via more centralized policy and stronger institutions. Major structural reforms are still needed at national level. The EMU must become a value community. This implies more solidarity between member states and more responsibility from member states. The one goes hand in hand with the other.