Wahlanalyse: Das Schulden-Einmaleins

Die Wahlresultate in Frankreich und Griechenland, so meldet beispielsweise der Tagesanzeiger seien ein Votum „gegen den rigiden Sparkurs Europas, wie ihn Deutschland seinen Partnern aufgezwungen hat“. Wofür aber stimmt man, wenn man gegen das Sparen stimmt?

Ein Staat kann mit seinen Schulden auf vier [korr.] Arten umgehen:

  1. sie mit eigenem (gespartem) Geld zurückzahlen,
  2. sie mit neu geborgtem Geld zurückzahlen (refinanzieren),
  3. sie mit neu gedrucktem Geld (d.h. real nur teilweise) „zurückzahlen“,
  4. sie nicht zurückzahlen (Bankrott erklären).

Nun ist also Variante 1 politisch „out“. Variante 2 geht aber nur, wenn jemand neues Geld zur Verfügung stellt. Wer soll aber Geld geben, wenn der Schuldner das Sparen ausdrücklich ablehnt. Also ist Variante 2 auch out. Variante 3 ist im europäischen Verbund auch out, da die einzelnen Staaten kein Geld mehr drucken können (für die EZB lassen wir für einmal die Unschuldsvermutung gelten). Damit bleibt als einzige die Variante 4, der offene Staatsbankrott.

Man wird ja wohl noch für den Staatsbankrott stimmen dürfen!? Gewiss, nur hätte ich dann wohl nicht noch den culot, die Finanzmärkte und die Deutschen anzuschwärzen, wenn sie die Botschaft verstehen und nichts mehr geben.

P.S.: Die Baron-von-Münchhausen-Variante, wonach der bankrotte Staat mit noch mehr Ausgaben jenes Wirtschaftswachstum erzeugt, das dank zusätzlicher Steuern die Ausgaben finanziert, lasse ich dort, wo sie hingehört — im Märchenbuch.

Sarkozy verkauft?

Urs Birchler

Heute spare ich Zeit. Anstatt Interviews zu lesen, Prozentzahlen zu addieren und Umfrageresultate zu lesen, genügt ein Blick auf die Märkte. Der Prognosemarkt Intrade bewertet die Chancen von Nicolas Sarkozy, als Präsident wiedergewählt zu werden, auf ganze 21 Prozent. „Les jeux sont faits“, scheint es. Und übrigens: Die Märkte wussten es schon die ganze Zeit; Sarkozy war schon letzte Woche verkauft.

Weil der (Prognose-)Markt schon letzte Woche Bescheid wusste, reagierte der (Aktien-)Markt heute morgen auf die Resultate der ersten Wahlrunde milde (Stand 09:15): Die Pariser Börse (CAC40) eröffnete mit -1.30%. Grösster Gewinner „am Morgen danach“ ist der Joghurt-Konzern Danone; grösster Verlierer der Rüstungskonzern EADS. Müesli statt Krieg?

Buchpreisbindung: Nachlese(n)

Monika Bütler

Die Buchpreisbindung ist nun definitiv passé. Niemand verbietet allerdings den Verlagen, unverbindliche Preisempfehlungen zu machen. Die Frage ist nur, was diese bewirken würden.

Mein HSG-Kollege Stefan Bühler ging zusammen mit Dennis Gärtner der Frage nach, weshalb Hersteller den Händlern Endverkaufspreise empfehlen, wenn diese jederzeit von der Empfehlung abweichen können. Interessanterweise gibt es  auch für viele andere Produkte unverbindliche Preisempfehlungen (Retail-Price Recommendations, RPR). Eine überzeugende Erklärung, warum solche Empfehlungen gemacht werden fehlte bis heute.

Die Arbeit von Bühler und Gärtner zeigt, dass unverbindliche Preisempfehlungen als Kommunikationsinstrument in langfristigen vertikalen Vertriebsbeziehungen dienen können. Eine Annahme ist, dass die Hersteller (in unserem Falle die Verlage) private Information über die Produktionskosten und die Nachfrage nach den Produkten haben. Eine andere, dass der relationale Vertrag zwischen Hersteller und Händler so ausgestaltet ist, dass der Gewinn des (Buch-)Händlers unabhängig von den Produktionskosten ist.  Unter diesen Annahmen erlauben es unverbindliche Preisempfehlungen, den gewinnmaximierenden Endverkaufspreis zu implementieren. Interessant ist der Fall, bei dem eine Preisempfehlung direkt die Nachfrage beeinflusst (normalerweise gehen die Ökonomen davon aus, dass der Preis die Nachfrage bestimmt, nicht aber die Preisempfehlung per se): Mit einer geeigneten Preisempfehlung können die Verlage die maximale Zahlungsbereitschaft der Konsumenten abschöpfen. Was wiederum heissen würde, dass unverbindliche Preisempfehlungen sogar zu höheren Gewinnen (für die Verlage) führen als eine vertikale Preisbindung („Buchpreisbindung“).

Nach der Lektüre des Aufsatzes frage ich mich allerdings, weshalb sich die Verlage so stark für die Buchpreisbindung eingesetzt haben, wenn eine unverbindliche Preisempfehlung für sie sogar noch „besser“ sein kann? Ich bin gespannt auf Antworten – und die nächste Forschungsarbeit meiner Kollegen.

PS 1: Im Gegensatz zu anderen Ländern wurden in der Schweiz die Buchpreise nicht durch ein staatliches Gesetz vorgeschrieben, sondern durch eine privatrechtliche Vereinbarung der Verlage und Buchhändler (sogenannte Sammelrevers). Nach Einschätzung der Wettbewerbskommission stand diese Vereinbarung im Widerspruch zum Kartellgesetz. Der Bundesrat lehnte eine Ausnahme für ein Kartell ab, nachdem das Bundesgericht die Beurteilung der Buchpreisbindung durch die Wettbewerbskommission stützte.

PS 2: Der Aufsatz „Making Sense of Non-Binding Retail-Price Recommendations” wird in der American Economic Review erscheinen.

Der unaufhaltsame (?) Niedergang der FDP

Gebhard Kirchgässner

In einem bisher unveröffentlichten Artikel schreibt Prof. Gebhard Kirchgässner über den Niedergang der FDP. Gründe sieht er in der Abnahme der religiösen Bindung und der (fehlenden) Umweltpolitik der FDP. Um ein Absinken in die wirtschaftliche Bedeutungslosigkeit zu vermeiden, sollte sich die FDP inhaltlich neu ausrichten mit einem klaren liberalen Profil im politischen wie wirtschaftlichen Sinn und einer Berücksichtigung von umweltpolitischen Anliegen.

 

Transparenz in der Parteienfinanzierung

Der Ständerat hat dem Nationalrat die heisse Kartoffel zugespielt: Sollen Parteien offenlegen, woher sie ihr Geld erhalten?

Dazu gibt es die umgekehrte Fragestellung: Sollen Firmen ihre Parteispenden offenlegen? Dazu hat die Harvard Law School kürzlich eine interessante Studie (verfasst von John Coates und Taylor Lincoln) präsentiert. Der Befund: Unternehmen, die freiwillig ihre Parteispenden offenlegen, haben im Durchschnitt um 7,5 Prozent höhere market-to-book-ratios (Marktkapitalisierung dividiert durch Eigenkapital). Das heisst, die Offenlegung liegt im Interesse der Aktionäre (vermutlich dienen nicht alle Spenden der Unternehmung, sonder eher dem Freundschaft-Netzwerk der Geschäftsleitung). Gefunden habe ich die Studie über den Eintrag von James Kwak in The baseline scenario.

Die Schweizer Unternehmen könnten dem Nationalrat die Arbeit daher etwas erleichtern. Umgekehrt könnte der Nationalrat mit der Offenlegung den Aktionären der Spender-Firmen einen kleinen Gefallen tun.

Bankräte und Bankratings

RatingsKBIm Vorfeld zu den Wahlen in den ZKB-Bankrat hat die Presse bereis die veraltete Governance-Struktur unserer Staatsbank kritisiert. Dabei wurde auch das Guachten von Hans Geiger und Ruedi Volkart, meiner Kollegen, bzw. Vorgänger am Institut für Banking und Finance der UZH, zitiert. Wer das Gutachten im Original lesen will, findet es hier.

Ebenfalls dringend zur Lektüre empfehlen würde ich dem Wahlgremium den jüngsten Bericht zur Finanzstabilität der SNB. Dort (konkret auf S. 37, Tabelle 2) ist nämlich zu sehen, dass die ZKB voll von der Staatsgarantie lebt: Sie ist die Kantonalbank mit der grössten Differenz zwischen dem Rating inklusive Staatsgarantie und dem Rating, das sie ohne Staatsgarantie erzielen würde. Die Differenz beträgt fünf „Notches“: mit Garantie ein Aaa, ohne Garantie gerade noch ein C, in der Notenskala von Moodys als „adäquat“ bezeichnet.

Der Rating-Unterschied „mit/ohne“ Staatsgarantie ist damit für die ZKB viel grösser als für die Grossbanken. Es ist zu hoffen, das Wahlgremium sei sich seiner Verantwortung bewusst.

Steuerwettbewerbspolitik nach dem 28. November

Die jüngsten Umfragen deuten darauf hin, dass es eng werden könnte für die „Steuergerechtigkeitsintiative“. Am interessantesten aus meiner Warte wäre eine knappe Ablehnung durch das Stimmvolk, möglicherweise gar in Form einer nationalen Ja-Mehrheit ohne das erforderliche Ständemehr. Unter einem solchen Szenario dürfte durchaus parlamentarischer Wille für die Errichtung zusätzlicher Steuerwettbewerbs-Leitplanken entstehen, und die Suche nach sinnvollen Lösungen ginge weiter.

Einige Politiker haben auf Anfrage von Journalisten bereits laut über eine solche Zukunft nachgedacht. Etwas überraschend muten dabei die kolportierten Lösungsansätze gewisser bürgerlicher Politiker an. Eine Gruppe von Nationalräten schlägt vor, dass die Kantone untereinander strengere Spielregeln aushandeln. Dies stände dem föderalistischen Staatsgedanken gewiss näher als per Bundesverfassung vorgeschriebene Mindeststeuersätze. Es ist allerdings nicht klar, wieso einzelne Kantone zu Konzessionen bereit sein sollten in einem ganz auf Freiwilligkeit beruhenden System. Zudem besteht eine vorgeschlagene Form solcher interkantonaler Abkommen aus Bandbreiten für die zulässigen Steuersätze. Ein solcher Ansatz wäre der vorliegenden SP-Initiative sehr ähnlich, denn er würde die materielle Steuerautonomie der Kantone beschneiden.

Die erstaunlichste Aussage stammt jedoch von Bundesrätin Widmer-Schlumpf. Sie schlägt vor, die Bundesbeiträge im Finanzausgleich aufzustocken. Eine solche Umschichtung der Geldflüsse liefe auf eine Verlagerung der Steuerabschöpfung von den Kantonen auf den Bund hinaus. Je stärker jedoch das fiskalische Gewicht des Bundes, und je schwächer das der Kantone und Gemeinden, desto weniger kann der inner-helvetische Steuerwettbewerb spielen.

Am sinnvollsten scheint mir weiterhin eine sanfte Reform des Finanzausgleichs mittels einer progressiveren Gewichtung der persönlichen Einkommen und Vermögen in der Berechnung des Ressourcenindexes. Der administrative Aufwand wäre äusserst gering, denn die Kantone übermitteln bereits im existierenden System Steuerdaten auf individueller Basis ans Eidgenössische Finanzdepartement (EFD). Und das EFD wendet schon jetzt eine leicht progressive Formel an, indem es steuerbare Einkommen bis zu einem Freibetrag von knapp 30’000 Franken aus der Berechnung des Ressourcenpotentials ausspart. Diese Null-Gewichtung im untersten Bereich könnte man nun ganz einfach um eine höhere Gewichtung im obersten Bereich ergänzen. Eine derart umgestaltete Index-Berechnung wäre durchaus mit einem unveränderten Gesamtvolumen der Ausgleichszahlungen vereinbar. Es entstände also keine Aufblähung der Umverteilung sondern bloss eine Umlagerung der Anreize für die kantonale Steuerpolitik vom allerobersten aufs obere, oder vom oberen aufs mittlere, Einkommenssegment – je nach genauer Ausgestaltung.

Steuerinitiative: SP, Batz, und Berner Zeitung

Die Berner Zeitung („Die SP annektiert Professoren“) stellt klar, dass unser Batz-Kollege Marius Brülhart (UniLausanne) und Gebhard Kirchgässner (UniSG; auch Batz-Mitautor) nicht für die Steuerinitiative sind. Der Artikel von Marius kann hier nachgelesen werden.

Besten Dank an die Berner Zeitung. An die SP Schweiz geht der Trostpreis in Form eines Batz-Abo in Grosschrift, damit sich die Leser und Leserinnen nicht mehr verlesen.

Doch noch Zwischentöne…

Die NZZ hat die Kolumne zur Vermögensverteilung doch noch zum Steuerwettbewerb gelinkt. Und dann noch, was mich besonders freut, mit dem Originaltitel: „Vermögen ist Vorsorge“. Der unsägliche Titel „Die Vermögensverteilung ist im Sozialstaat nicht gerechter“ stammt nämlich nicht von mir. Ich habe mich gehütet das Wort „gerecht“ auch nur einmal im Text zu erwähnen. Denn jede(r) versteht wieder etwas anderes unter gerecht.

Vielleicht ist ja deshalb die Debatte um die Steuerinitiative der SP so gehässig.

Steuergerechtigkeitsinitiative: Zwischentöne unerwünscht

Um es vorwegzunehmen: Aus meiner ganz persönlichen Warte ist die Steuergerechtigkeitsinitiative der falsche Weg, ein gerechteres Steuersystem zu erreichen. Mit festgelegten Steuersätzen wird der Steuerwettbewerb nicht gerechter. Zumal in diesem Fall die Steueruntergrenze für Reiche aus Abstimmungstaktischen Gründen so gewählt wurde, dass der Kanton Zürich gerade nicht mehr betroffen würde. Viel gescheiter wäre es, die Mängel direkt durch eine Anpassung des Neuen Finanzausgleichs zu beheben – beispielsweise mittels einer stärkeren Gewichtung hoher Einkommen (wie im batz Beitrag von Marius Brülhart begründet ist).

Selbst wenn der Mittelstand wegen höheren Steuern für Reiche substantiell weniger Einkommenssteuern bezahlen müsste (was ich selber für unwahrscheinlich halte ): Die Schweiz bliebe für den arbeitenden Mittelstand – insbesondere für Familien – steuerlich unattraktiv. „Dank“ einkommensabhängiger Gebühren und Preisen ist die effektive Steuerbelastung für den unteren und mittleren Mittelstand nämlich oft höher als für die Reichen. Daran ändert die Initiative gar nichts.

Inhaltliche Argumente für oder gegen die Initiative hört man allerdings immer seltener. Dass die Befürworter in schriller Manier klassenkämpferisch für ihre Initiative werben, ist ihnen nicht zu verargen. Weshalb es ihnen viele Gegner der Initiative gleich tun und ohne Zwischentöne argumentieren, ist mir hingegen schleierhaft. Ab und zu hört man noch Gründe, weshalb der Mittelstand von der Initiative nicht profitiert. Doch auch diese bleiben meist vage; von den Nöten des Mittelstands mit dem heutigen Steuer- und Transfersystem redet niemand. Und was sollen denn die Stimmbürger mit der Aussage „der Föderalismus ist in Gefahr“ und den zahlreichen Neid-Vorwürfen anfangen?

 Schlimmer noch: Die Argumente haben einer Kriegs- und Jagdrhetorik Platz gemacht. Patrons und ihre Organisationen erklären ihren Standpunkt nicht mehr, sondern drohen. Und statt zu diskutieren, welche Vor- und Nachteile der heutige Steuerwettbewerb hat und wie sich der Wettbewerb zu Gunsten der breiten Bevölkerung allenfalls verbessern liesse, dominiert eine „Wettbewerb ist immer und überall gut“ Ideologie. Die Angst vor Zwischentönen ist so gross, dass sich die NZZ beispielsweise nicht traute, meine NZZaS Kolumne über die Begründung der ungleichen Vermögensverteilung in der Schweiz – wie sonst eigentlich üblich – mit der aktuellen Diskussion zu verlinken: Wahrscheinlich ist das in der Kolumne einmal erwähnte Wort „Erbschaftssteuer“ im NZZ Setzkasten nicht vorhanden.

 So hoffe ich, dass wir am Schluss nicht einer verpassten Chance nachweinen müssen. Auch wenn die Initiative der falsche Weg ist; es ist Zeit, über den Steuerwettbewerb vertieft nachzudenken.